G20-Treffen war "ein Gipfel der vertagten Antworten"

Udo Bullmann im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 28.06.2010
Der wirtschaftspolitische Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Udo Bullmann, kritisiert die Ergebnisse des G20-Gipfels in Kanada scharf. "Ich glaube, dass hier jeder versucht hat, das Gesicht nicht zu verlieren, aber in Wirklichkeit war dieser Gipfel ein Gipfel der vertagten Antworten"
Jörg Degenhardt: Haben Sie nun am großen Rad gedreht oder doch eher kleine Brötchen gebacken – die Staatslenker der G20, die zusammen das Wochenende in Kanada in der Nähe von Toronto verbracht haben? Wie immer kommt es auf den Standpunkt des Betrachters an. Angela Merkel ist zufrieden, das überrascht so sehr nicht. Halbierung der Staatsdefizite bis 2013, das findet sie gut. Anderes ist liegen geblieben – die Bankenabgabe etwa oder die Finanztransaktionssteuer. Dass die Opposition murrt, wundert auch nicht. Udo Bullmann ist seit 2009 wirtschaftspolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und er ist Mitinitiator der Initiative Finance Watch. Mit ihm wollen wir die Gipfelergebnisse besprechen. Guten Morgen, Herr Bullmann!

Udo Bullmann: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Es sind Fortschritte im Kampf gegen die Finanzkrise erzielt worden, sagt US-Präsident Obama. Wollen Sie ihm auch widersprechen?

Bullmann: Ja. Ich glaube, dass hier jeder versucht hat, das Gesicht nicht zu verlieren, aber in Wirklichkeit war dieser Gipfel ein Gipfel der vertagten Antworten. Vieles ist der Gipfel schuldig geblieben: Wer soll die Wachstumslokomotive sein? Alle wollen ein bisschen sparen, manche mehr als andere, aber wie die Wirtschaft eigentlich wieder anspringen soll global, wie wir aus dem Jammertal wieder herauskommen wollen, dass wir gemeinsam aus dem Schuldenberg wachsen lernen müssen, dazu gibt es keine Antworten. Noch viel schlimmer: Es gibt keine Antworten zu der Frage, wer eigentlich die Krise bezahlen soll, in der wir stecken. Die Finanzkrise hat ein riesiges Loch geschlagen, die Industriestaaten haben 20 bis 30 Prozent des Bruttoinlandproduktes verpfändet als Bankenschirme, auch wir in der Europäischen Union haben das getan. Die Zeche zahlen die Steuerzahler und die Ärmsten der Armen, die Beschäftigten, das kann so nicht weitergehen. Aber hier hat man sich nur vertagt.

Degenhardt: Aber im Ernst, Herr Bullmann, haben Sie wirklich Antworten auf die von Ihnen gestellten Fragen bei diesem Gipfel erwartet?

Bullmann: Na ja, es muss ja irgendwann mal aufhören damit, dass nur weise Salbe verstrichen wird. Die Menschen wollen Antworten auf ihre realen Probleme. Sie werden arbeitslos, sie haben Einschränkungen in ihrem Einkommen hinzunehmen, sie haben Sorgen um die Zukunft – da darf die Politik nicht nur Nebel verbreiten, denn Menschen wollen in der Tat, dass wir regieren.

Degenhardt: Aber wenn G20-Staaten zusammenkommen, also sehr unterschiedliche Länder, da gibt es doch auch sehr unterschiedliche Interessen, da ist es doch schwierig, zum Beispiel eine Bankenabgabe zu vereinbaren.

Bullmann: Nein, das Problem ist, glaube ich, im Moment, dass wir bei denen, die führen müssten, keine Einigkeit signalisieren. Wenn die Europäer sich untereinander nicht einig sind, ist das schon ein Problem. Wenn die Europäer dann sich mit den USA nicht einigen können, dann werden auch China, dann werden auch die Schwellenländer nicht denken, dass sie gemeinsame Beiträge leisten müssen. Sie suchen dann weiter nach Ausreden. Und dann führt das zu einer Spirale der Ausreden, die wir uns nicht mehr länger leisten können.

Degenhardt: Aber immerhin, Sie haben die Europäer angesprochen, die europäischen Positionen zum Schuldenabbau zum Beispiel, die sind doch bestätigt worden. Könnte man das nicht der Kanzlerin als Verdienst anschreiben?

Bullmann: Ich weiß eigentlich gar nicht, ob die Kanzlerin noch merkt, in welchem Film sie stattfindet. Wenn sie weiter voranschreiten will, die Schulden schneller abzubauen, dann muss sie doch auch eine Antwort geben können auf die Frage, wie wir aus der rasant steigenden Arbeitslosigkeit weltweit und in Europa aussteigen wollen. Wir können doch in der Tat nur gemeinsam wachsen lernen. Wir müssen in Bildung investieren, wir müssen in erneuerbare Energieträger investieren, wir müssen in die eigene Zukunft investieren und wir müssen endlich damit anfangen, harte Bankenregeln zu machen. Von allem sind wir weit entfernt.

Degenhardt: Ist das nicht illusorisch, harte Bankenregeln zu machen, wie Sie fordern, illusorisch deswegen – und deswegen ist vielleicht auch in Kanada so wenig passiert –, weil sich die Finanzwelt und die politische Welt zu nahe stehen?

Bullmann: Ich glaube, da ist ein Problem. Wenn es denn bei G20 jetzt nicht funktioniert hat, dann müssen wir die Konsequenz daraus ziehen. Das bedeutet, dass wir in den anstehenden Gesetzgebungsverfahren – das läuft im Moment, wir machen gerade Finanzaufsicht im Europäischen Parlament, wir machen gerade Gesetzgebung zu Hedgefonds, wir machen gerade Gesetzgebung zu spekulativen Derivaten – jede Härte zeigen müssen. Es darf nicht sein, dass wir uns auf immer wieder neue Ausreden kaprizieren. Wir können dann in Europa nicht mehr handeln, weil man sich bei G20 nicht geeinigt hat. Dann sagen wir, gut, dann machen wir die Bankenabgaben und die Finanztransaktionssteuer im Euroraum, und dann kann man das nicht tun, weil die Briten nicht wollen. Und dann sagen wir, wir machen es in Deutschland, und dann kann man das nicht tun, weil die im Euroraum nicht mitmachen (Anm. d. Red.: schwer verständlich). Es muss Schluss sein. Eine Spirale der Ausreden werden die Menschen nicht mehr akzeptieren, die Europäische Union muss jetzt mit einem eigenen Entwurf vorangehen, und das wird allerhöchste Zeit.

Degenhardt: Ich möchte meine letzte Frage noch mal kurz zuspitzen: Haben die Banker die Politiker, wenn man so will, nicht längst in der Hand?

Bullmann: Ich glaube, dass die Bankenwelt einen zu großen Einfluss hat, aber unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Politik die Rahmensetzungen macht, dass die Menschen wieder daran glauben, dass politisch gestaltet wird und dass es nicht die großen Finanzlobbyinteressen sind, die eigentlich diktieren, was passiert.

Degenhardt: Udo Bullmann sagt das. Er ist wirtschaftspolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und er ist Mitinitiator der Initiative Finance Watch. Vielen Dank, Herr Bullmann, für das Gespräch ...

Bullmann: Auf Wiederhören!

Degenhardt: ... und einen guten Tag!
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