G. Roth/ A. Ryba: "Coaching, Beratung und Gehirn"

Was ist dran am Coaching-Boom?

Menschen verheddern sich in Fadenspiel.
Im Arbeitsalltag verheddern sich viele Menschen. Coaching soll ihnen helfen, einen Ausweg zu finden. Gerhard Roth und Alica Ryba fragen nach der Wirksamkeit. © imago/Ikon Images
Von Volkart Wildermuth · 16.11.2016
Loslassen üben, Blockaden lösen, sich selbst spüren - viele Arbeitnehmer buchen einen Coach, um sich fitter zu machen und neue Kompetenzen zu entwickeln. Doch hilft das wirklich? Gerhard Roth und Alica Ryba bieten in "Coaching, Beratung und Gehirn" zumindest eine Art theoretisches Rüstzeug.
Lassen sich Menschen verändern? Und wenn ja, wie? Das fragen sich der Hirnforscher Gerhard Roth und die Personal- und Organisationsentwicklerin Alica Ryba in ihrem neuen Buch. Und ihre nüchterne Antwort lautet: Nur sehr schwer! Das ist die Crux der Psychotherapie und auch die des Coachings. Letzteres verstehen die Autoren als eine Therapie für Menschen, die eigentlich keine Therapie nötig haben. In beiden Verfahren geht es darum, Personen bei der Überwindung von Problemen zu helfen und in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Der einzige Unterschied: Coaching beschäftigt sich mit dem Arbeitsleben. Trotz des Titels "Coaching, Beratung und Gehirn" konzentriert sich das Buch auf die Psychotherapie. Dafür gibt es einen guten Grund. Denn Coaching ist einfach noch nicht gut untersucht und es fehlt ein theoretischer Überbau.

Ein Drittel der Coaching-Teilnehmer profitiert wirklich

Den kann auch dieses Buch nicht liefern, aber es schafft immerhin ein solides Fundament. So beginnen die Autoren mit einem Grundkurs zur Hirnforschung, der in seinem Detailreichtum manche Leser überfordern dürfte. Von dort geht es weiter über Lerntheorien, das Zusammenspiel von Unbewusstem und Bewusstem, die Bedeutung von Motivation und Bindung bis hin zur Auseinandersetzung mit den Therapieschulen Sigmund Freuds und Erik Eriksons. Das ist interessant, aber der Bezug zum Thema Coaching ist nicht immer klar. Erst nach zwei Dritteln kommt das Buch zum eigentlichen Thema zurück, also zur Frage, wie wirksam Coaching und Psychotherapie wirklich sind? Die ernüchternde Antwort: In wissenschaftlichen Studien zeigt sich meist, dass ein Drittel der Teilnehmer deutlich profitieren, ein weiteres Drittel immerhin Vorteile sieht, während beim letzten Drittel keine Effekte zu beobachten sind. Und das ganz unabhängig vom jeweiligen Therapieansatz.
Letztlich, so Gerhard Roth und Alica Ryba, kommt es vor allem auf die Beziehung zwischen Klient und Therapeut an. Stimmt zwischen den beiden die Chemie, dann verändert sich tatsächlich auch die Hirnchemie! Das Sozialhormon Oxytocin wird ausgeschüttet, das Stresssystem heruntergefahren, beruhigendes Serotonin produziert und als Sahnehäubchen körpereigene Opioide bereitgestellt. Diese Veränderungen im Gehirn helfen dem Geist, sich neu zu orientieren. Das gelingt naturgemäß umso leichter, je einfacher die Probleme sind. Wenn das mangelnde Selbstbewusstsein nur auf ein falsches Selbstbild zurückgeht, lässt sich das mit Rückmeldungen über tatsächliche Leistungen verbessern. Sitzt das Problem tiefer, ist Coaching kein probates Mittel.

Wirklich befriedigende Antworten liefern Roth und Ryba nicht

Letztendlich ist das Buch von Gerhard Roth und Alica Ryba eine Art theoretisches Rüstzeug für Psychotherapeuten und Coaches - ohne Praxisteil. Denn wenn es um konkrete Fragen im Beratungsalltag geht, etwa die nach Mitarbeiterführung oder Teambuilding, interessiert das die Autoren nicht. Im Grunde werfen sie spannende Fragen auf und bieten vor allem auf den letzten 20 Seiten einen kompakten Überblick darüber, was die Wissenschaft zum Thema Coaching bisher sagen kann. Für wirklich befriedigende Antworten muss wohl erst weiter geforscht werden.

Gerhard Roth/ Alica Ryba: "Coaching, Beratung und Gehirn -Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungsprozesse"
Klett-Cotta, Stuttgart 2016
420 Seiten, 29,95 Euro

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