Futurologe: "Es gibt ja nicht nur die eine Zukunft"
Einen größeren Bedarf an der Erforschung der Zukunft sieht Gerhard de Haan, Leiter des "Institut Futur" an der FU Berlin. Forschungsfelder seien die Klimaforschung, gesellschaftliche Veränderungen sowie die Entwicklung der Wissensgesellschaft.
Marietta Schwarz: Den Wunsch, in die Zukunft schauen zu können, hat die Menschheit wohl, seitdem sie existiert, und ebenso vielfältig wie die Instrumente oder Orte zum Vorausblick, das Orakel von Delphi, der Blick in die Sterne, die Karten lesende Wahrsagerin, waren auch die Erkenntnisse. Längst aber steht der Blick in die Zukunft auf wissenschaftlichen Beinen, es gibt in Deutschland seit über 30 Jahren ein Institut für Zukunftsforschung und Technologiebewertung, oder das Zukunftsinstitut von Matthias Horx, und es gibt entsprechende Studiengänge, etwa in Aachen oder in Berlin. Erstmals bietet die Freie Universität Berlin jetzt einen Masterstudiengang Zukunftsforschung an, geleitet von Professor Gerhard de Haan, und der ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Gerhard de Haan: Ja guten Morgen, Frau Schwarz.
Schwarz: Herr de Haan, dieser Masterstudiengang Futur, wie er heißt, der ist am erziehungswissenschaftlichen Institut angesiedelt. Aber es geht da offenbar nicht nur um Pädagogik, die Studierenden kommen von überall her?
de Haan: Vielleicht geht es um die Pädagogik am wenigsten. Das ist sicher dann ein Zufall, dass das an einer solchen Einrichtung etabliert wird, weil irgendwo muss man es ansiedeln und das signalisiert schon ein Problem. Zukunftsforschung hat im Grunde an den Universitäten keine richtige Heimat, es gibt dafür keine Fakultät. Und wenn man ein solches Thema dann unterbringen will, muss man es irgendwo anbinden, und da ich derjenige war, der gesagt hat, wir sollten es unbedingt machen, denn die Freie Universität sagt, sie ist eine internationale Netzwerk-Universität, die auf Zukunft gerichtet ist, habe ich gesagt, machen wir doch das und dann machen wir es bei uns.
Schwarz: Und was erforschen Sie? Was sind die Fragen, mit denen sich die Zukunftsforschung beschäftigt?
de Haan: Natürlich geht es ganz stark auf der einen Seite um gesellschaftliche Entwicklung. Ein großes Thema, das mit Zukunft zu tun hat, das kennen wir alle: das ist die Klimaforschung zum Beispiel, die ja versucht, Prognosen auf das Jahr 2050 zu legen, oder sogar bis 2100 zu sehen. Aber das ist natürlich nur der eine Bereich. Auch Unternehmen haben ein starkes Interesse daran, auch die Politik will natürlich wissen, wie entwickelt sich Gesellschaft zum Beispiel, wie könnte sie sich entwickeln etwa im Hinblick auf den Wandel im Generationenverhältnis, Alterungsprozesse innerhalb der Gesellschaft, und für die Pädagogik ist so etwas wie Wissensgesellschaft zentral, also zu fragen, welche Entwicklung nimmt unser Wissen, wie beschleunigt sich das in Zukunft, wie können wir das noch verarbeiten. Das sind so ganz große Themen.
Schwarz: Wie erforscht man denn Zukunft, Zukünfte?
de Haan: Man kann sagen, wir haben einen ganz großen Methodenkoffer, um uns damit beschäftigen zu können. Bekannte Varianten sind etwa die Zukunftswerkstatt, das ist allgemein ja bekannt, dass sich Menschen zusammensetzen und sich Fragen stellen, was kritisieren wir an den Verhältnissen, wie sie sind, und wie können wir sie in irgendeiner Form verändern, was sind unsere Wünsche, was ist realistisch.
Aber das sind so die einfacheren Methoden, die sind heutzutage schon hoch komplex, kann man sagen. Das geht über die Entwicklung von Szenarien, dass man sagt, es könnte in diese Richtung gehen oder in jene Richtung gehen, dass man die versucht, ein bisschen deutlicher zu skizzieren, um sich auf verschiedene Varianten von Zukünften einstellen zu können, denn es gibt ja nicht nur die eine Zukunft. Und wenn man es ganz kompliziert haben will, kann man auch noch agent-based modeling machen. Da modelliert man sozusagen Gesellschaften und Gruppierungen über Computer.
Schwarz: Es gibt ja, Herr de Haan, bereits Institute für Zukunftsforschung. Ich habe das IZT erwähnt, die machen Studien für Auftraggeber, auch Unternehmen. Dann gibt es einen Matthias Horx, der sich auch Zukunftsforscher nennt, aber vielleicht dann eher so ein bisschen in Richtung Lifestyle geht. Wo positionieren Sie sich denn da mit Ihrem Studiengang?
de Haan: Na schon sehr auf der soliden Seite. Wir versuchen, das deutlich methodisch abzusichern, was wir da tun, und wir versuchen, auch einen Einblick in die deutlichen Grenzen der Zukunftsforschung mitzubeschreiben, denn man muss ja sehen – ich sagte es vorhin -, Zukunft ist offen und in einer Gesellschaft mit einer hohen Dynamik, wie wir sie haben, ist so sehr über "die Zukunft" gar nichts zu sagen, sondern wir operieren eher sozusagen mit dem, was wir Möglichkeitsräume nennen, dass wir sagen, man kann mehrere Szenarien oder Vorstellungen davon entwickeln, wie sich die Zukunft ausgestalten könnte, und man kann sich auf der einen Seite darauf einstellen, auf der anderen Seite natürlich dann auch in diese Richtung etwas gestalterisch aktivieren. Das ist so das, was wir da machen. Wir sind da sehr viel vorsichtiger, als die Trendforschung es je sein könnte.
Schwarz: Es ist ja interessant, dass es erst jetzt solch einen Studiengang gibt. Man könnte ja jetzt auch einfach mal fragen: Ist die Zukunftsforschung heute wichtiger als früher?
de Haan: Es scheint so zu sein. Ich denke, das hat damit zu tun, dass wir in Zeiten leben, die mehr und mehr von Unsicherheit geprägt sind, und dann, kann man sagen, ist Zukunftsforschung plötzlich so etwas wie eine Antwort auf ein Paradox. Wir können, so ist unsere Vorstellung, über Zukunft immer weniger sagen auf der einen Seite – so empfinden wir das auch im Alltag; wer weiß, was morgen kommt, welche Technologien wir sehen werden -, auf der anderen Seite haben wir aber schon ein starkes Bedürfnis auch nach Sicherheit und nach Planungsmöglichkeiten und Perspektiven zu entwickeln, und in diese Konstellation hinein passt dann sehr gut, dass die Zukunftsforschung plötzlich – so nehmen wir das wenigstens wahr – seit einigen Jahren wieder deutlich nach vorne getragen wird, auch durch große Forschungseinrichtungen, durch die Europäische Union und viele, viele sind da inzwischen unterwegs und versuchen, das ganz systematisch anzugehen, denn wir haben auch wahnsinnig viele Kenntnisse über die Gesellschaften und über Entwicklungsprozesse. Das haben wir gleichzeitig eben auch.
Schwarz: Professor Gerhard de Haan, Leiter des Neuen Master-Studiengangs Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Herr de Haan, danke für das Gespräch.
de Haan: Oh gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Gerhard de Haan: Ja guten Morgen, Frau Schwarz.
Schwarz: Herr de Haan, dieser Masterstudiengang Futur, wie er heißt, der ist am erziehungswissenschaftlichen Institut angesiedelt. Aber es geht da offenbar nicht nur um Pädagogik, die Studierenden kommen von überall her?
de Haan: Vielleicht geht es um die Pädagogik am wenigsten. Das ist sicher dann ein Zufall, dass das an einer solchen Einrichtung etabliert wird, weil irgendwo muss man es ansiedeln und das signalisiert schon ein Problem. Zukunftsforschung hat im Grunde an den Universitäten keine richtige Heimat, es gibt dafür keine Fakultät. Und wenn man ein solches Thema dann unterbringen will, muss man es irgendwo anbinden, und da ich derjenige war, der gesagt hat, wir sollten es unbedingt machen, denn die Freie Universität sagt, sie ist eine internationale Netzwerk-Universität, die auf Zukunft gerichtet ist, habe ich gesagt, machen wir doch das und dann machen wir es bei uns.
Schwarz: Und was erforschen Sie? Was sind die Fragen, mit denen sich die Zukunftsforschung beschäftigt?
de Haan: Natürlich geht es ganz stark auf der einen Seite um gesellschaftliche Entwicklung. Ein großes Thema, das mit Zukunft zu tun hat, das kennen wir alle: das ist die Klimaforschung zum Beispiel, die ja versucht, Prognosen auf das Jahr 2050 zu legen, oder sogar bis 2100 zu sehen. Aber das ist natürlich nur der eine Bereich. Auch Unternehmen haben ein starkes Interesse daran, auch die Politik will natürlich wissen, wie entwickelt sich Gesellschaft zum Beispiel, wie könnte sie sich entwickeln etwa im Hinblick auf den Wandel im Generationenverhältnis, Alterungsprozesse innerhalb der Gesellschaft, und für die Pädagogik ist so etwas wie Wissensgesellschaft zentral, also zu fragen, welche Entwicklung nimmt unser Wissen, wie beschleunigt sich das in Zukunft, wie können wir das noch verarbeiten. Das sind so ganz große Themen.
Schwarz: Wie erforscht man denn Zukunft, Zukünfte?
de Haan: Man kann sagen, wir haben einen ganz großen Methodenkoffer, um uns damit beschäftigen zu können. Bekannte Varianten sind etwa die Zukunftswerkstatt, das ist allgemein ja bekannt, dass sich Menschen zusammensetzen und sich Fragen stellen, was kritisieren wir an den Verhältnissen, wie sie sind, und wie können wir sie in irgendeiner Form verändern, was sind unsere Wünsche, was ist realistisch.
Aber das sind so die einfacheren Methoden, die sind heutzutage schon hoch komplex, kann man sagen. Das geht über die Entwicklung von Szenarien, dass man sagt, es könnte in diese Richtung gehen oder in jene Richtung gehen, dass man die versucht, ein bisschen deutlicher zu skizzieren, um sich auf verschiedene Varianten von Zukünften einstellen zu können, denn es gibt ja nicht nur die eine Zukunft. Und wenn man es ganz kompliziert haben will, kann man auch noch agent-based modeling machen. Da modelliert man sozusagen Gesellschaften und Gruppierungen über Computer.
Schwarz: Es gibt ja, Herr de Haan, bereits Institute für Zukunftsforschung. Ich habe das IZT erwähnt, die machen Studien für Auftraggeber, auch Unternehmen. Dann gibt es einen Matthias Horx, der sich auch Zukunftsforscher nennt, aber vielleicht dann eher so ein bisschen in Richtung Lifestyle geht. Wo positionieren Sie sich denn da mit Ihrem Studiengang?
de Haan: Na schon sehr auf der soliden Seite. Wir versuchen, das deutlich methodisch abzusichern, was wir da tun, und wir versuchen, auch einen Einblick in die deutlichen Grenzen der Zukunftsforschung mitzubeschreiben, denn man muss ja sehen – ich sagte es vorhin -, Zukunft ist offen und in einer Gesellschaft mit einer hohen Dynamik, wie wir sie haben, ist so sehr über "die Zukunft" gar nichts zu sagen, sondern wir operieren eher sozusagen mit dem, was wir Möglichkeitsräume nennen, dass wir sagen, man kann mehrere Szenarien oder Vorstellungen davon entwickeln, wie sich die Zukunft ausgestalten könnte, und man kann sich auf der einen Seite darauf einstellen, auf der anderen Seite natürlich dann auch in diese Richtung etwas gestalterisch aktivieren. Das ist so das, was wir da machen. Wir sind da sehr viel vorsichtiger, als die Trendforschung es je sein könnte.
Schwarz: Es ist ja interessant, dass es erst jetzt solch einen Studiengang gibt. Man könnte ja jetzt auch einfach mal fragen: Ist die Zukunftsforschung heute wichtiger als früher?
de Haan: Es scheint so zu sein. Ich denke, das hat damit zu tun, dass wir in Zeiten leben, die mehr und mehr von Unsicherheit geprägt sind, und dann, kann man sagen, ist Zukunftsforschung plötzlich so etwas wie eine Antwort auf ein Paradox. Wir können, so ist unsere Vorstellung, über Zukunft immer weniger sagen auf der einen Seite – so empfinden wir das auch im Alltag; wer weiß, was morgen kommt, welche Technologien wir sehen werden -, auf der anderen Seite haben wir aber schon ein starkes Bedürfnis auch nach Sicherheit und nach Planungsmöglichkeiten und Perspektiven zu entwickeln, und in diese Konstellation hinein passt dann sehr gut, dass die Zukunftsforschung plötzlich – so nehmen wir das wenigstens wahr – seit einigen Jahren wieder deutlich nach vorne getragen wird, auch durch große Forschungseinrichtungen, durch die Europäische Union und viele, viele sind da inzwischen unterwegs und versuchen, das ganz systematisch anzugehen, denn wir haben auch wahnsinnig viele Kenntnisse über die Gesellschaften und über Entwicklungsprozesse. Das haben wir gleichzeitig eben auch.
Schwarz: Professor Gerhard de Haan, Leiter des Neuen Master-Studiengangs Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Herr de Haan, danke für das Gespräch.
de Haan: Oh gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.