Futtermittelzusatz Ethoxyquin

Ist Zuchtlachs wirklich eine Giftquelle?

Lachs aus norwegischer Zucht
Lachs aus norwegischer Zucht © dpa / picture alliance / Holger Hollemann
Von Udo Pollmer · 17.06.2016
Der Futtermittelzusatz Ethoxyquin wurde in Lachsen aus Norwegen nachgewiesen. Dabei fand die Lebensmittelüberwachung schon vor zehn Jahren Ethoxyquin in deutschen Zucht-Forellen. Damals blieb der Sturm im Wasserglas aus, heute schlägt die Meldung Wellen.
Dem menschlichen Erbgut droht Gefahr – ausgerechnet durch Zuchtlachse. In den fettigen Speisefischen haben Journalisten eine gar abscheuliche Chemikalie entdeckt, ein verbotenes Pestizid, Ethoxyquin genannt. In der Aquakultur gelangt es über das Futter in den Fisch. Deshalb solle der kluge Kunde lieber Wildlachs kaufen. Was ein ernährungsbewusster Lachs ist, der sucht sich in freier Wildbahn rückstandsfreies Futter aus sauberen Quellen. Der Zuchtlachs hingegen bekommt billiges Mastfutter serviert, das mit Ethoxyquin vor Oxidation durch Luftsauerstoff geschützt wird – und das ganz legal. Nun haben findige Journalisten des NDR diesen "gefährlichen Stoff" in "hohen Mengen" in Supermarkt-Lachs entdeckt.
Unter uns: Eine 200 Gramm Portion enthielt maximal 34 Mikrogramm. Der Hinweis in den Medien auf den niedrigen Grenzwert bei Fleisch von 50 Mikrogramm pro Kilo ist eine listige Form von Verbrauchertäuschung. Denn der Grenzwert hat rein gar nichts mit irgendeinem "Risiko" zu tun, sondern soll sicherstellen, dass kein Schweinemäster auf die Idee kommt, seinen Tieren Fischfutter durchzureichen oder illegal Ethoxyquin zu verwenden.

Grenzwert hat nichts mit "Risiko" zu tun

Ethoxyquin wirkt antioxidativ, Futter und Filets sind dadurch länger haltbar. Es ist schon seltsam: Werden in Gemüse antioxidative Stoffe gefunden, reagiert die Szene der Gesundbeter ziemlich euphorisch. Kostprobe aus einer anderen Ratgebersendung der genannten Anstalt gefällig? "Antioxidative Lebensmittel unterstützen den Stoffwechsel dabei, freie Radikale zu bekämpfen".
Die Redaktion ist mit einer "fertigen Pulvermischung" zur Hand, ein "Antioxidativ-Pulver" der Extraklasse. Und was steckt da drin? Brokkoli! Und natürlich fehlt der Ratschlag nicht, "viel Fisch" zu essen, "insbesondere Lachs". Das helfe gegen Krebs. Der "Ratschlag" ist insofern bemerkenswert, als sich inzwischen Mediziner für Ethoxyquin interessieren. Im Gegensatz zu Brokkolipulver, das allenfalls Niesanfälle auslöst, legen erste Versuche von Neurologen aus Baltimore nahe, dass Ethoxyquin bei einer Chemotherapie vor Nervenschäden schützen könnte.
Seit Jahrzehnten werden Äpfeln und Birnen nach der Ernte Tauchbäder mit Ethoxyquin verordnet, um sie für die Lagerung fit zu machen. Es schützt vor Schalenbräune. Die zulässigen Rückstände lagen weit über dem, was heute im Lachs gefunden wird. Auch wenn Kernobst in der EU damit nicht mehr behandelt werden darf, sieht das nicht jeder so eng. Nach Angaben des Pestizidlabors der Universität Thessaloniki badet der Fruchthandel nach wie vor sein Obst vor dem Abpacken mit den einschlägigen Fungiziden wie Thiabendazol, Diphenylamin und auch Ethoxyquin. Das versiffte Abwasser leiten sie unbehandelt wieder in ihre Gemüsebeete und Obstplantagen, was zu erheblichen Rückständen führen kann. Stört aber bisher niemanden.

Ethoxyquin weist geringe akute Toxizität auf

Ethoxyquin ist ein Tausendsassa: Ursprünglich entwickelt, um Gummi geschmeidig zu halten, sorgte es Jahre später für appetitliche Äpfel, dann machte es Futter für Lachse und Hühner haltbarer, schließlich durfte es Pillen mit antioxidativen Vitaminen vor Oxidation schützen. Wer lieber Kräuter und Gewürze isst, muss keinesfalls leer ausgehen: Die rote Farbe von Paprikapulver wird damit stabilisiert – kein Wunder, wenn im Internet Paprikapulver ob seiner tollen antioxidativen Wirkung angeboten wird. Inzwischen weckt der Stoff die Neugier der Hersteller luftgetrockneter Schinken. Da tötet das Antioxidans lästige Milben. Und vielleicht macht Ethoxyquin ja eines Tages noch Karriere in der Krebstherapie.
Auch wenn das Mittel eine geringe akute Toxizität aufweist, so ist es nicht harmlos. Es ist fettlöslich und reichert sich im Körper an. Es gelangt, wie Versuche mit Mäusen zeigten, sogar bis ins Gehirn. Nachdem der Hauptbelastungspfad in Form von Äpfeln und Birnen allmählich verebbt, stellt sich die Frage: Was nimmt der Fruchthandel stattdessen, um seine Ware haltbar zu machen? Man sattelt um auf 1-Methylcyclopropen. Das ist ein Pflanzenhormon, und gilt – zumindest vorläufig – als unbedenklich. Mahlzeit!
Literatur:
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Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg. Jahresbericht 2005
Die Ernährungs-Docs: Ernährung bei Krebs. NDR Ratgeber Gesundheit, Stand: 31.01.2016
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