Futter für Schienen-Fans

Von Susanne Billig |
Die "Enzyklopädie des Eisenbahnwesens" war das Lebenswerk des Victor Freiherr von Röll. Der österreichische Beamte im Eisenbahnministerium erstellte das zehnbändige Nachschlagewerk in den Jahren 1912-1923. Nun ist die Enzyklopädie auch digital erhältlich. Bis heute gilt sie als umfassendster Überblick über alle Bereiche des Eisenbahnwesens der damaligen Zeit. Nichts wird ausgelassen: von der Gründung der Eisenbahnen, über Bau, Signal- und Sicherungsanlagen, Eisenbahnrecht bis zur Geschichte und Geografie der Eisenbahn weltweit.
Was hatten es die Menschen beschaulich mit den ersten Eisenbahnen. Die Oma packte den Kartoffelsalat aus, die Landschaft floss vorüber, die Kinder pflückten Blümchen während der Fahrt. War es wirklich so, damals, als die Menschheit anfing, Eisenbahn zu fahren? Ein Klassiker weiß alles über das alte Dampfross: Die zehnbändige "Enzyklopädie des Eisenbahnwesens" ist selbst schon hundert Jahre alt und nun digital-modern auf DVD erhältlich.

1825 fuhr in England zum Erstaunen und Entsetzen der Zeitgenossen die erste Eisenbahn der Welt mit Personenbeförderung. Sie wurde von der legendären "Locomotion" gezogen. 1920 betrieb die Deutsche Reichsbahn bereits ein Streckennetz von über fünfzigtausend Kilometern.
Vertieft man sich in die alte Enzyklopädie, kommt schon beim Buchstaben "A" das kalte Erwachen - mit dem Zug reiste es sich vor hundert Jahren höchst gefährlich.

"Anschläge, Attentate: Aufreißen der Schienen, Sprengen von Brücken, Beschädigen von Lokomotiven und Signaleinrichtungen, Schleudern von Steinen. Anschläge verfolgen revolutionäre und anarchistische Zwecke und sollen der Lahmlegung der Regierungsgewalt, insbesondere der Vernichtung von politischen Persönlichkeiten, vor allem Staatsoberhäuptern dienen."

Gleich mehrfach entgingen, so lernen wir, die prächtigen Hofzüge der russischen Zaren revolutionären Attentaten. Und gleich beim Buchstaben A erklärt das alte Lexikon auch, woher die größten Gefahren stammen:

"Arbeiterausschüsse: Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung hat durch rücksichtslose, einseitige Betonung der Arbeiterinteressen einen Zustand der Feindseligkeit zwischen Unternehmer und Arbeiter herbeigeführt, der für beide Teile viel Schaden angerichtet hat."

Victor Freiherr von Röll zeichnet für die Herausgabe des alten Lexikons verantwortlich. Der Beamte aus Österreich weihte sein Leben der Bahn. Fachzeitschriften gab er heraus und brachte es sogar vier Monate lang zum Eisenbahnminister. Danach wurde er zum Freiherrn ernannt und erhielt einen dicken Orden.

Die renommiertesten Fachleute seiner Zeit assistierten beim Zusammentragen des Lexikons. Tapfer kämpften sie sich durchs Alphabet. Allein vierundzwanzig Seiten umfasst unter dem Buchstaben "B" der Eintrag:

"Bekohlungsanlagen: Wenn billige Arbeitskräfte erhältlich sind, werden Kohlenkörbe verwendet. Die ungefähr fünfzig Kilogramm fassenden Körbe werden von Hand gefüllt und auf Kohlenverladebühnen zur Entleerung bereitgestellt."

Fünfzig Kilogramm! Der revolutionäre Rücken lässt grüßen. Und schon damals hatte die Bahn ein Problem, das heutigen Nutzern nicht unbekannt vorkommt:

"Das Bekohlen per Hand erfordert etwa vier Minuten für die Tonne und führt, wenn mehrere Lokomotiven gleichzeitig zur Bekohlung eintreffen, zu Verzögerungen."

Vor allem Bahnfans kommen mit dem digitalen Lexikon auf ihre Kosten - es gibt technische Details in Hülle und Fülle. Die Inhalte lassen sich mit einer Suchmaske durchstöbern. Sachverwandte Stichwörter tauchen im Kontextmenü der rechten Maustaste auf, auch das komplette Faksimile des Lexikons lässt sich anzeigen. Und wir lernen: "Speiserohre" dienen nicht etwa der Beförderung des Speisewagen-Angebotes in den Magen des Bahnkunden, sondern es sind:

"Rohrleitungen, die das von der Dampfstrahlpumpe angesaugte Speisewasser in den Kessel führen. In neuerer Zeit werden fast alle Lokomotiven so eingerichtet, dass sie im Bedarfsfall als Feuerspritze verwendet werden können."

Sämtliche Abbildungen der Buchausgabe sind auf der DVD enthalten: die Baupläne alter Brückenanlagen und Rangierbahnhöfe, technische Zeichnungen von Achsen und Lokomotiven und Netzkarten für fast jedes Land der Erde. Auch große Persönlichkeiten des Eisenbahnwesens werden präsentiert, zum Beispiel Max Maria von Weber, einziger Sohn des gleichnamigen Komponisten. Seine unvergesslichen literarischen Werke lauten:

"Eiserne Weihnacht"
"Dampf und Schnee"
"Versuche über die Stabilität des Gefüges der Eisenbahngleise"
"Die Abnutzung des physischen Organismus der Eisenbahnbeamten"


"Enzyklopädie des Eisenbahnwesens"
Herausgegeben von Victor Freiherr von Röll
2. Auflage 1912-1923: Neusatz und Faksimile
Directmedia Verlag, 2007
DVD-ROM-Ausgabe, 120 Euro