Fußballstar und Underdog

11.06.2010
Ein schmales Buch, gut 150 durch Fotos und Layout zusätzlich aufgelockerte Seiten, aber die haben es in sich. Der Sportreporter Christian Ewers ist mehrere Monate nicht nur durch Afrika gereist, um zu erkunden, warum wir in Europa so herzlich schwärmen von afrikanischen Fußballern und so herzlos wenig für sie tun.
Er hat sich auch einen Ort in Europa angesehen, an dem viele besonders grausam gestrandet sind. Er hat mit afrikanischen Spielern gesprochen, die in deutschen Proficlubs gespielt haben - dem Ghanaer Ibrahim Sunday zum Beispiel, dem ersten Afrikaner in der Bundesliga (1975 in Bremen), und dem Nigerianer Ojokojo Torunarigha, dem ersten in der ehemaligen DDR (1990 in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz).

Für letzteren, der einmal von einem besoffenen Mob mit Messer durch die Stadt gejagt wurde, hielt die Polizei erst an, als er sagte: "Ich bin Ojokojo. Dann wollten sie Autogramme." Er lebte später von Hartz IV, seine Frau jobbte als Spülhilfe. Boden unter die Füße bekam die Familie endlich 2006 in Berlin - zwei der Söhne kicken in der Hertha-Jugend, er selbst hat hier einen Job in der multikulturellen Nachwuchsschmiede.

"Als Fußballer geliebt, als Mensch verachtet", ist sein trauriges Fazit. Und für Sunday, der bei Werder ein einziges Mal spielen durfte, aber dann den A-Schein, die höchste DFB-Trainerlizenz, schaffte, mehrere afrikanische Clubs in die Champions League brachte und heute die Fußballakademie in Accra leitet, heißt das Dilemma: "Deutschland hat mich zerstört als Spieler und groß gemacht als Trainer. Ich weiß nicht, soll ich dafür dankbar sein?"

Aber wie "Europa" auf Afrikaner reagiert, ist nur die eine Hälfte der ganzen Tragödie - die andere ist "Afrika" selbst, seine unselige, zählebige Mischung aus Geld, Mythen und Korruption. Ewers erzählt sie am Beispiel einiger Clubs und deren Funktionären, Besitzern und Spielern.

Nichts davon ist irgendwie entlastend für "Europa" à la "Afrika ist selber schuld!" Überall blitzt das Kolonialerbe auf, und das betrifft nicht nur die Beziehung zu Geld und Zeit, das läuft heute über scheinbar banale Dinge wie Medien. Afrikanische Satellitenschüsseln und Internetanschlüsse sind verstopft von den Best-Of-Endlosschleifen europäischer Top-Vereine. Diese Gehirnwäsche macht "Europa" zur Legende und afrikanischen Fußballern unmöglich, Realistisches nach Hause zu berichten.

Denn hinter dem einen Eto'o, von dem der Titel des Buchs stammt und der es geschafft hat, stehen Hunderte, eher Tausende Verkrachte und Verfolgte, Jungs, die zum Beispiel als Sans-Papiers, "illegale" Einwanderer, in einer Pariser Banlieue stranden. Dieses Kapitel ist so herzzerreißend wie das über die südafrikanischen Kids, für die Fußball die einzige "Waffe" ist, um aus dem Gangster-Gestrüpp in den Townships herauszukommen. Und genauso beschämend - für Europa. Und für Afrika.

Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer: etwa "Sol Béni", die Nachwuchsakademie der Elfenbeinküste. Auch Ghana setzt inzwischen auf Nachhaltigkeit und selbstbewusste Kooperation mit Europäern.

Nach diesem Buch sieht man die "afrikanische WM 2010" mit anderen Augen, ohne Voodoo-Nebel. Und man wünscht sich dringend, dass Ewers danach Zeit und Platz bekommt, das hier oft nur Angerissene zu vertiefen.

Besprochen von Pieke Biermann

Christian Ewers: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer. Die Tragödie des afrikanischen Fußballs
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2010
164 Seiten, 17,95 Euro