Fußballfieber am Wörthersee
Wenn bei der Europameisterschaft Polen gegen Deutschland antritt, dann schlägt auch die große Stunde für Klagenfurt am Wörthersee, denn dort findet das Turnier statt. Das kleine Städtchen bereitet jetzt schon alles vor, um die Fußballfans zu empfangen.
Kaum einer da, im Büro der Marketing-Agentur Triangle, alle sechs Teams ausgeflogen. Nur Ben, ein schlaksiger Mittzwanziger mit unfrisierten Haaren und Drei-Tage-Bart sitzt vor einem Laptop, beantwortet E-mails, hinter ihm, sein Chef.
Die Termine liegen derzeit irgendwo außen im Bereich der Fanzonen. Dort wird mit denen Rücksprache gehalten, die die Anlieferung der Zelte, der Container, der Bühne, der Beschallungsanlagen und so weiter machen.
Chef Stefan Petschnig ist knapp zwei Meter groß, durchtrainiert, trägt Laufschuhe, T-Shirt, Jeans und eine eng geschnittene Baumwollstrickjacke.
Der 39-Jährige veranstaltet weltweit jedes Jahr sechs Ironman-Wettkämpfe. Für diesen Sommer hat seine Agentur den Zuschlag für die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land bekommen. Triangle soll laut Eigenwerbung dafür sorgen, dass Tausende Anhänger in Klagenfurt auch außerhalb des Stadions Fußball pur erleben können.
Aufgeregt bin ich nicht, sagt Petschnig und startet eine Drei-D-Simulation der Fanzonen auf seinem Laptop. "Ein Triathlon lockt auch 40.000 bis 50.000 Fans an. Nur sind die nach einem Tag meist wieder weg. Jetzt aber kommen dreimal so viele - 120.000 Menschen jeden Tag. Das sind 20.000 mehr als Klagenfurt Einwohner hat.
"Der Ironman ist sehr international ausgerichtet aber die Community ist sehr klein. In Sachen Fußball ticken die Uhren ganz anders, die Netzwerke sind viel größer. Das Zuschauerinteresse ist wesentlich größer, die Dynamik ist viel umfangreicher."
"Das ist die Sicht von oben noch einmal, das Ganze ist ja von einem 2 Meter hohen Zaun umgeben."
Beim Stichwort Zaun wird Ben plötzlich unruhig, klappt sein Laptop zu, schnappt sich sein Handy, und schon ist er weg. Ben ist verabredet mit Handwerkern, die eine der beiden großen Fanzonen einzäunen sollen: Klagenfurts Neuen Platz.
Petschnig kann auf seinem Bildsschirm schon sehen, wie das Wohnzimmer der Hauptstadt Kärntens unmittelbar vor Anpfiff der Großveranstaltung aussehen soll: Rathaus, Lindwurm- und Maria-Theresia-Statue, dazu die 40 Quadratmeter Videoleinwand, riesige Wörthersee-Panoramabilder, ein doppelstöckiges VIP-Zelt, Kühlcontainer, drei Eingänge, fünf Fluchtwege für 6000 Zuschauer. Was auffällt: keine Drehkreuze, keine Gitter an allen Ein- und Ausgängen.
"Sollte schnell entflüchtet werden müssen, dann geht es einfach flotter ohne Drehkreuze."
Vom Triangle-Büro bis zum Neuen Platz sind es nur fünf Gehminuten. Der Ex-Triathlet macht große, federnde Schritte. An jeder zweiten Ecke grüßt er jemanden. Auf einer relativ breiten Straße mit vielen Cafés und Kneipen, die direkt auf den Neuen Platz zuläuft, bleibt er plötzlich stehen.
"Das wäre hier die 10. Oktober-Straße, das heißt, der Ausgang in den Süden in Richtung der anderen Fanzone, zum Messegelände, ein Fußweg von zehn Minuten."
Hier sitzen die meisten der 136 Wirte, die sich bei Petschnig beworben haben, fürs Public-Viewing. Die ganze Straße macht quasi mit, sagt er. Alle stellen Tische und Fernseher raus, der Metzgerladen hinter Petschnig wird wahrscheinlich so viele Würstchen wie noch nie in seinem Leben grillen. Die EM ist ein Riesen-Geschäft. Im gesamten Land sollen allein an den Public-Viewing-Stätten 194 Millionen Euro in die Kassen der Gastronomen und Händler fließen. Die ganze Innenstadt ist praktisch zur Fanmeile ernannt worden, sagt Petschnig.
Und den Fans soll nicht nur Fußball geboten werden. Die Sportfreunde Stiller kommen, Kristina Stürmer und die Band Liquido. 20 Konzerte an 15 Spieltagen, ein Fußballturnier europäischer Schulen und an spielfreien Tagen will das Museum für Moderne Kunst Zuschauer locken, und alles umsonst.
"Ich glaub, diese Vielfalt hat man nirgends anders. Wenn man also nach Klagenfurt kommt, das Wetter schön ist, morgens Richtung See unterwegs ist, nachmittags wieder in die Stadt kommt, sich ein Konzert ansieht und dann die Spiele. Der liebliche Charakter, der historische alte Stadtteil, ich glaub das ist der perfekte Mix, den wir den Zuschauern einfach bieten können."
Klagenfurt möchte gern das populäre Sommermärchen der WM 2006 nachspielen. Von den Planern der kleinen Austragungsorte in Deutschland holt sich Petschnig deshalb wertvolle Tipps.
"Das sind zum Teil ganz simple Sachen. Für uns war es schwer vorstellbar, was heißt das eigentlich heißt, wenn plötzlich 120.000 Menschen kommen. Wie viel Weg brauchen Menschen, um sich durch die Straßen zu bewegen? Wenn man dann weiß, dass jeder normale Bürgersteig 6000 Personen in einer Stunde aufnehmen kann, ohne dass da große Staus entstehen, dann beruhigt das schon sehr."
"Wir kommen genau zur Eröffnungsfeier heute, nach einem Jahr der Vorbereitung und des Umbaus wird der Bürgermeister den Platz praktisch um elf eröffnen."
Ankunft am Neuen Platz: An der Ostseite werden die ersten Zaunelemente abgeladen. Ben steht daneben, überwacht das Ganze. Aufgebaut wird aber erst morgen. Heute gehört der Platz ganz allein den Klagenfurtern.
Vor dem Rathaus richten Männer Biertische und Bierbänke aus, bauen ein Rednerpult auf. Im Hintergrund poliert ein Fahrzeug der Stadtreinigung die neuen Granitplatten.
"Der gesamte Platz ist geschliffen worden und wir haben neue Steine verlegt bekommen, völlig neuer Boden. Jetzt müssen wir halt dementsprechend aufpassen."
Dass, wenn hunderttausende von Fußballfans drüber gehen, nicht gleich wieder renoviert werden muss. Alkohol, Fett- und Ölflecke - um keine Spuren zu hinterlassen, hat Petschnig anfangs die Idee, auf dem Neuen Platz einen großen grünen Teppich zu verlegen, in Form eines überdimensionalen Fußballplatzes. Daraus wird aber leider nichts, sagt er. Aus Angst vor Schimmel.
In den nächsten Tagen muss er Zelte, Container und Toilettenwagen so aufstellen, dass die Tiefgarage unter dem Platz keine statischen Probleme bekommt. Die Maria-Theresia-Statue und das Wahrzeichen der Stadt, den Lindwurm, mit einer 3,5 Meter hohen Wand aus Plexiglas umhüllen. Damit am Ende kein Hooligan auf die Idee kommt, auf dem Wappentier zu reiten.
Nichts von all dem in seiner Drei-D-Simulation ist aufgebaut. Dennoch wirkt Petschnig entspannt, nahezu cool. Selbst böse Überraschungen nimmt der mehrmalige Landesmeister im Schwimmen sportlich.
"Mit dem Strom und Wasser haben wir es hier leicht, weil mit dem Umbau des neuen Platzes überall Schächte vorgesehen wurden, wo wir letztlich nur anschließen müssen. Stromversorgung war so ein Punkt, der mich gestern so ein bisschen vom Hocker gerissen hat. Ich hab mich mit den Jungs unterhalten, die die Videowall installieren, die saugt doch ganz kräftig Strom, so bis zu 4000 Watt pro Tag, das bedeutet am Ende in den beiden Fanzonen insgesamt ein Stromrechnung von 60.000 Euro - also da müssen wir noch mal hart kalkulieren, dass wir sehen wo wir den Posten unterbringen."
Petschnig grinst. Er weiß, an einer Stromrechnung über 60.000 Euro wird das Mega-Event für Klagenfurt nicht mehr scheitern. Mit Deutschen, Kroaten und Polen kommen - aus touristischer Sicht - die Kerngruppe, die Winterurlauber und ein Hoffnungsmarkt nach Klagenfurt. "Eine bessere Chance für die Region zu werben, gibt es nicht", sagt Petschnig und verabschiedet sich. Die neun Tage im Juni sind mehr Wert als jedes noch so gute Marketingkonzept.
"Und auf diesem Neuen Platz steht ja unser Wappentier, der Lindwurm. Der ist über 400 Jahre alt aus einem einzigen Stein gearbeitet, hat neun Tonnen ist acht Meter lang."
Stadtführerin Ilse Schneider kann sich kaum retten vor Buchungen. Seit feststeht, dass Klagenfurt Austragungsort der EM ist, steigt die Zahl der Besucher kontinuierlich. Die Stimme etwas belegt, rückt Schneider ihre große Gucci-Sonnenbrille in der Drei-Wettertaft-Frisur zurecht, erzählt von einem der großen Stadtbrände, dem Wiederaufbau der Renaissance-Villen auf dem Neuen Platz.
"Und da kann man eigentlich sagen bei diesem Brand war direkt ein Nutzen dabei, denn so schön waren sie früher nicht."
Zwischen 700.000 und 800.000 Besucher jährlich, 70.000 davon allein führt Schneider persönlich im Jahr durch ihre Heimatstadt. Landhaus und Domkirche, Gustav-Mahler Komponierhäuschen, dazu der weltbekannte Wappensaal mit der größten Perspektivmalerei der Welt. Schon von Berufs wegen schwärmt die Stadtführerin bei jeder Führung aufs Neue.
"Jetzt sind wir direkt in der Altstadt und haben einen dollen Durchgang zum ältesten Haus der Stadt. Es ist sehr viel Marmor verarbeitet, wir haben ja damals den Beinamen weiße Stadt gehabt."
Schneider steht jetzt in einem Arkadenhof auf weißen Marmorfliesen, ihre Hand streicht über eine handgearbeitete Holztür eines italienischen Baumeisters. Im Hof überall Palmen, Belagonien, draußen, vor dem alten Rathaus plätschert ein Brunnen, daneben Sitzblöcke aus weißem Marmor. "Ein bisschen Angst habe ich schon", sagt die Stadtführerin leise und legt ihre Stirn in Falten, "dass der Ansturm der Massen Spuren hinterlassen wird".
"Na, also, da würden wir lügen, wenn wir das nicht zugeben würden, aber wir haben so viel Sicherheiten. Wir hoffen halt, dass nicht irgendwas, was man nicht mehr gut machen kann beschädigt wird. Mit ein paar Sachen muss man rechnen, das hört man überall, das war in Deutschland auch."
"Und hier haben wir natürlich die EM betreffend eine wunderschöne Uhr. Und die Zeit vergeht eigentlich viel zu schnell."
Kein Geschäft, das jetzt nicht mit Maskottchen und Trikots wirbt. Sogar im Schaufenster eines Sanitätshauses liegen Fußbälle neben Stützstrümpfen. Die ganze Stadt ist beflaggt, im Theater läuft ein Gastspiel aus Bremen - natürlich zum Thema Fußball. Ins Blumenbeet vor dem Theater sind die Nationalfarben Polens, Kroatiens und Deutschlands mit farbigen Kieselsteinen eingelassen.
Nur in einer schmalen Gasse in Klagenfurts Innenstadt ist alles so wie immer. Hier verkaufen Bauern aus dem Umland Karotten, Äpfel, Kleetzen, Gebirgshonig und Kärtner Speck. Schneider geht vor, über Klagenfurts Wochenmarkt. In ein paar Tagen werden sich mindestens doppelt so viele Menschen durch dieselbe Gasse quetschen. David, ein junger Franzose, der Oliven, Schafskäse und Trockentomaten verkauft, zuckt nur mit den Schultern. Begeistert ist er nicht gerade.
"Ich weiß noch nicht so genau, ein bisschen Angst schon. Klagenfurt ist irgendwie ein bisschen ein Dorf, ob das klappt, wenn dann so viele Menschen hierher kommen, bin mal gespannt, wie das aussehen wird. Mal sehen, wie die Fußballfans auf den Markt kommen, ist dann die Frage."
Pünktlich um elf Uhr beginnt auf dem Neuen Platz der Festakt. Ilse Schneider verabschiedet sich, will unbedingt Bürgermeister und Landeshauptmann reden hören. Zuerst aber spielt die Stadtkapelle, dazu tritt eine Gruppe Fahnenschwinger auf. Rund 500 Klagenfurter haben sich an die weiß eingedeckten Biertische gesetzt. Vor ihnen steht eine Gruppe Männer in dunklen Anzügen: Architekt, Bauleiter, Bürgermeister, Landeshauptmann.
"Unser Herr BM, Diplom Kaufmann Harald Scheucher, es ist eigentlich sein Tag heute. Applaus. Meine lieben Klagenfurter."
Scheucher, ein großer, weißhaariger Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug, tritt ans Mikrofon. Der Bürgermeister ist ein feiner, volksnaher Mann, der den frisch renovierten Platz vor dem Rathaus Klagenfurts Wohnzimmer nennt. In einer kurzen bewegten Rede bedankt er sich beim Architekten und den Bauarbeitern. Dann lädt er allesamt zu Würstel und Bier.
"In diesem Sinne darf ich diesen neuen Platz, das gehört sich so, für eröffnet erklären, wünsche Euch allen noch einen schönen Aufenthalt auf diesem schönen Platz, ein herzliches Glückauf unser Heimatstadt Klagenfurt am Wörthersee."
Ein paar Minuten später, bei Würstel und Bier: Scheucher schüttelt Hände, lächelt, lässt sich immer wieder fotografieren. Gedanklich ist er längst weiter: Sonntag, 8. Juni, 20:45 Uhr, Deutschland gegen Polen. Der Moment, an dem während der EM alle Augen das erste Mal auf Klagenfurt gerichtet sind. So viele Interviews wie im Vorfeld der Fußball-EM hat Scheucher in seiner gesamten Amtszeit nicht gegeben. Angefangen hat der Rummel im Dezember vergangenen Jahres in Luzern bei der Auslosung der Endgruppen.
"Ich hatte natürlich eine Wunschvorstellung, das war Deutschland, Italien und Frankreich. Es kam Polen, aber auch mit den Polen sind wir zufrieden, wenn auch behauptet wird, dass die Polen besonders fanatische Fans wären. Dann kam der dritte Topf. Da war Deutschland drin. Und als Deutschland gezogen wurde, haben wir einen Luftsprung gemacht, denn Deutschland hat alles überdeckt. Das Top-Los war sicherlich Deutschland, das ist überhaupt keine Frage, denn Deutschland gehört zum Favoritenkreis und ich denke es könnte sich in Klagenfurt schon entscheiden, wer in das Viertelfinale aufsteigt."
Deswegen wird Klagenfurt schon allein sportlich in aller Munde sein, sagt Scheucher. Dazu sollen natürlich jede Menge schöne Bilder aus der Stadt und vom See um die ganze Welt gehen. Was aber wenn deutsche, polnische und kroatische Fans die Bühne missbrauchen, den beschaulichen Austragungsort für Krawall und Schlägereien wählen?
Wie bei der EM 2000 im belgischen Charleroi oder 1998 im WM-Städtchen Lens, wo Hooligans den Polizisten David Nivel zum Krüppel prügeln. "Das Sicherheitsnetz ist rigoros", sagt Scheucher nur, "unsere Sicherheitskräfte sind auf alle Eventualitäten vorbereitet". Die gesamte Innenstadt ist während der neun Tage im Juni videoüberwacht, das Schengen-Abkommen außer Kraft. Gewaltbereite Fans sollen am besten gar nicht erst ins Land kommen.
Über Hooligans aber will der Bürgermeister jetzt nicht mehr reden, an so einem schönen Festtag. Lieber holt er sich noch ein Würstchen. Im übrigen glaubt er, sagt er im Gehen, dass sich die polnischen Fans schon deshalb gut benehmen werden, weil Polen eines der beiden Gastgeberländer der Europameisterschaft 2012 ist.
Am anderen Ende des Platzes steht noch immer Ben von der Agentur Triangle. Er steht jetzt inmitten einer Gruppe von Gerüstbauern, hört zu, wie ein Vorarbeiter den anderen erklärt, wie die Zaun-Elemente im Kunststoffbodenteil versenkt und miteinander verschellt werden. Ben achtet darauf, dass alle gut zuhören, macht sich Notizen, was an Werkzeug fehlt. Er weiß: Im Zweifel muss sein Chef dafür haften, wenn eine Stelle undicht ist und deshalb etwas passiert.
Weiter zum nächsten Aufbaupunkt, vors Rathaus.
"Das war die Absperrung, das starten wir mit. Welche Punkte lassen wir offen, damit Lkws reinfahren können, wo Stapler reinfahren können und dann kommt Freitag noch der Bühnenaufbau, das VIP-Zelt dazu und dann wird das sukzessive wachsen."
Endlich, sagt Ben noch leise. Er ist froh, dass es nun bald losgeht.
"Ich freu mich. Wenn es dann wirklich los geht, merkst du erst was kommt. Davor war es erst graue Theorie du hast auf etwas hingearbeitet monatelang - und jetzt merkst du es kommt tatsächlich, es wächst und dann steigt natürlich auch innerlich die Anspannung, das ist klar."
Nahezu greifbar ist die Anspannung im Europahaus am Altstadtring, dem Headquarter der EM-Organisatoren. In der zweistöckigen Villa arbeiten seit April 2007 15 junge Männer und Frauen nur auf die neun Tage im Juni 2008 hin.
Junge Frauen in türkisen Polo-Shirts sitzen vor aufgeklappten Laptops, telefonieren mit Headsets. An der Wand hängt ein Werbeplakat mit der Aufschrift: Goal für Klagenfurt. Davor: eine Flipchart-Tafel mit Symbolen, die nur Eingeweihte verstehen. Türen fliegen auf und zu.
Zwischen den jungen Frauen in türkis: Carlos Fernandez de Retana, ein blasser, lässig gekleideter Halbspanier. Retana ist der Projektmanager. Er kommt gerade aus Wien, wirkt abgespannt, gehetzt. Hektisch läuft er von einem Zimmer ins nächste, sucht sein Handy und einen freien Raum für ein Interview.
"Warum ist eigentlich hier immer abgeschlossen?"
Warum er so gehetzt ist, weiß Retana selbst nicht. "Eigentlich sind wir im Plan", sagt er. Die Phase, in der wir feuchte Hände hatten, ist längst vorbei.
"Wir haben eine schwierige Phase gehabt Anfang des Jahres aufgrund der Auslosung, weil drei sehr reisefreudige Nationen kommen, Klagenfurt ist die kleinste Stadt."
Ein neues Verkehrskonzept musste her, die Parkplätze von 14.000 auf 21.000 erweitert, die Fanmeile vergrößert werden. Retana und sein Team mussten und müssen wirklich an alles denken - von der Verankerung der Kneipentische in der Innenstadt über ein Callcenter für Bürgeranfragen bis hin zu Szenarien, die die Sicherheit betreffen.
"Wir fahren auf einen Sprung zur Messe. So, deutsches Radio mit österreichischer Flagge. Zur Messe bitte."
Retana will sich einen Überblick über die Aufbauten in der Fanzone Messegelände verschaffen, lässt sich schnell hin fahren.
Kaum hat sein Fahrer das mit dem deutschen Radio gehört, will er den Fußball-Goliath reizen. Und findet prompt eine Gelegenheit. Vor einem Gasthaus auf dem Stadtring ist eine große deutsche Fahne gehisst. Retanas Fahrer fährt langsamer, und kann sich eine Bemerkung einfach nicht verdrücken.
"Ha, Oh je. Da beim Gasthaus hängt die verkehrte Fahne."
Retana tut so, als ob er das nicht hört. Später erzählt er, dass aus dem Fenster seiner Wohnung in Wien auch nicht die rot-weiß-rot gestreifte, sondern die spanische Flagge hängt.
Die Fahrt zur Fanzone dauert fünf Minuten. Retana steigt aus, dreht eine schnelle Runde zu Fuß. Hier stehen bereits die ersten Teile des Bühnengerüsts und eine Handvoll Catering-Wagen sind schon an ihrem Platz, zum Teil noch mit Planen überdeckt. Ansonsten ist außer Messehallen nicht viel zu sehen auf dem 10.000 Quadratmeter großen betonierten Gelände, auf dem 22.000 Fans Platz haben.
"Hier wird auch ein Fancamp errichtet für circa 1600 Leute, die in Stockbetten untergebracht werden, Preis 25 Euro, Schließfächer für Wertsachen. Das Ganze wird von Security überwacht. Auch eine der fünf Sanitätshilfsstationen, die in Klagenfurt aufgebaut werden, befindet sich direkt hier am Messegelände, die Halle fünf, die wir hier im Hintergrund sehen."
500 Rot-Kreuz-Mitarbeiter und 30 Notärzte mit 100 Fahrzeugen sind an Spieltagen im Einsatz, an spielfreien Tagen knapp die Hälfte, sagt Retana. Diese Zahl wird nur noch von der der Polizisten und Sicherheitskräfte übertroffen.
In ganz Österreich haben 27.000 Polizisten derzeit eine Urlaubssperre, 3000 Soldaten des Bundesheeres stehen bereit, fast 900 Polizisten reisen zusätzlich zur Verstärkung aus Deutschland an. Die Schweiz setzt sogar ihre 28 Drohnen der Luftwaffe ein, um Staus und sich zusammenrottende Hooligans zu erkennen.
Bisher gibt es keine Anzeichen auf Verabredungen innerhalb der Szene in Klagenfurt, sagt Retana. Allerdings kündigen Problemfans ihre Reise ja auch nicht unbedingt vorher bei der Polizei an.
"Ausschließen kann man natürlich nie alles, ja."
Retana mag das Messegelände nicht besonders, findet es unwirtlich, gesichtslos. Das für 66 Millionen Euro neu erbaute Wörthersee-Stadion dagegen findet er sexy. Es liegt auf halbem Weg zum Wörthersee - vom Messegelände wieder nur fünf Autominuten.
"Wir nähern uns jetzt von Osten, jetzt rechts hier sehen wir das Stadion das ist ja komplett neu errichtet worden, am 7. September eröffnet worden. Zu einem heimlichen Wahrzeichen von Klagenfurt geworden. Wenn man das gesehen hat, dann verliebt man sich in dieses Ding."
Wie ein Ufo liegt es da, inmitten von Grün und Zufahrtswegen. Mit dem futuristischen Dach aus Stahl und transparenten Stegplatten sieht es aus wie die kleine Schwester der Allianz-Arena in München. Und auch hier hat man sicherheits-technisch an alles gedacht. Getrennte Fanparkplätze, getrennte Fanblöcke, im Keller ein Stadionknast.
"Ja, es gibt im Stadion auch ein Gefängnis, ja für Schnellurteile, ja."
Das Stadion mit seinen 32.000 Plätzen entspricht gerade so den Anforderungen der UEFA. Nach der EM ist sogar ein Rückbau geplant auf 16.000 Plätze. Denn dann heißen die wirklich großen Events in Klagenfurt wieder Triathlon und Beachvolleyball. Mit Fußball lockst du in Kärnten nicht mehr als 10.000 Zuschauer, sagt Retana und schmunzelt. Es sei denn ein kleines Wunder passiert - und Österreich wird Europameister.
"So, jetzt fahren wir wieder zurück."
Die Termine liegen derzeit irgendwo außen im Bereich der Fanzonen. Dort wird mit denen Rücksprache gehalten, die die Anlieferung der Zelte, der Container, der Bühne, der Beschallungsanlagen und so weiter machen.
Chef Stefan Petschnig ist knapp zwei Meter groß, durchtrainiert, trägt Laufschuhe, T-Shirt, Jeans und eine eng geschnittene Baumwollstrickjacke.
Der 39-Jährige veranstaltet weltweit jedes Jahr sechs Ironman-Wettkämpfe. Für diesen Sommer hat seine Agentur den Zuschlag für die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land bekommen. Triangle soll laut Eigenwerbung dafür sorgen, dass Tausende Anhänger in Klagenfurt auch außerhalb des Stadions Fußball pur erleben können.
Aufgeregt bin ich nicht, sagt Petschnig und startet eine Drei-D-Simulation der Fanzonen auf seinem Laptop. "Ein Triathlon lockt auch 40.000 bis 50.000 Fans an. Nur sind die nach einem Tag meist wieder weg. Jetzt aber kommen dreimal so viele - 120.000 Menschen jeden Tag. Das sind 20.000 mehr als Klagenfurt Einwohner hat.
"Der Ironman ist sehr international ausgerichtet aber die Community ist sehr klein. In Sachen Fußball ticken die Uhren ganz anders, die Netzwerke sind viel größer. Das Zuschauerinteresse ist wesentlich größer, die Dynamik ist viel umfangreicher."
"Das ist die Sicht von oben noch einmal, das Ganze ist ja von einem 2 Meter hohen Zaun umgeben."
Beim Stichwort Zaun wird Ben plötzlich unruhig, klappt sein Laptop zu, schnappt sich sein Handy, und schon ist er weg. Ben ist verabredet mit Handwerkern, die eine der beiden großen Fanzonen einzäunen sollen: Klagenfurts Neuen Platz.
Petschnig kann auf seinem Bildsschirm schon sehen, wie das Wohnzimmer der Hauptstadt Kärntens unmittelbar vor Anpfiff der Großveranstaltung aussehen soll: Rathaus, Lindwurm- und Maria-Theresia-Statue, dazu die 40 Quadratmeter Videoleinwand, riesige Wörthersee-Panoramabilder, ein doppelstöckiges VIP-Zelt, Kühlcontainer, drei Eingänge, fünf Fluchtwege für 6000 Zuschauer. Was auffällt: keine Drehkreuze, keine Gitter an allen Ein- und Ausgängen.
"Sollte schnell entflüchtet werden müssen, dann geht es einfach flotter ohne Drehkreuze."
Vom Triangle-Büro bis zum Neuen Platz sind es nur fünf Gehminuten. Der Ex-Triathlet macht große, federnde Schritte. An jeder zweiten Ecke grüßt er jemanden. Auf einer relativ breiten Straße mit vielen Cafés und Kneipen, die direkt auf den Neuen Platz zuläuft, bleibt er plötzlich stehen.
"Das wäre hier die 10. Oktober-Straße, das heißt, der Ausgang in den Süden in Richtung der anderen Fanzone, zum Messegelände, ein Fußweg von zehn Minuten."
Hier sitzen die meisten der 136 Wirte, die sich bei Petschnig beworben haben, fürs Public-Viewing. Die ganze Straße macht quasi mit, sagt er. Alle stellen Tische und Fernseher raus, der Metzgerladen hinter Petschnig wird wahrscheinlich so viele Würstchen wie noch nie in seinem Leben grillen. Die EM ist ein Riesen-Geschäft. Im gesamten Land sollen allein an den Public-Viewing-Stätten 194 Millionen Euro in die Kassen der Gastronomen und Händler fließen. Die ganze Innenstadt ist praktisch zur Fanmeile ernannt worden, sagt Petschnig.
Und den Fans soll nicht nur Fußball geboten werden. Die Sportfreunde Stiller kommen, Kristina Stürmer und die Band Liquido. 20 Konzerte an 15 Spieltagen, ein Fußballturnier europäischer Schulen und an spielfreien Tagen will das Museum für Moderne Kunst Zuschauer locken, und alles umsonst.
"Ich glaub, diese Vielfalt hat man nirgends anders. Wenn man also nach Klagenfurt kommt, das Wetter schön ist, morgens Richtung See unterwegs ist, nachmittags wieder in die Stadt kommt, sich ein Konzert ansieht und dann die Spiele. Der liebliche Charakter, der historische alte Stadtteil, ich glaub das ist der perfekte Mix, den wir den Zuschauern einfach bieten können."
Klagenfurt möchte gern das populäre Sommermärchen der WM 2006 nachspielen. Von den Planern der kleinen Austragungsorte in Deutschland holt sich Petschnig deshalb wertvolle Tipps.
"Das sind zum Teil ganz simple Sachen. Für uns war es schwer vorstellbar, was heißt das eigentlich heißt, wenn plötzlich 120.000 Menschen kommen. Wie viel Weg brauchen Menschen, um sich durch die Straßen zu bewegen? Wenn man dann weiß, dass jeder normale Bürgersteig 6000 Personen in einer Stunde aufnehmen kann, ohne dass da große Staus entstehen, dann beruhigt das schon sehr."
"Wir kommen genau zur Eröffnungsfeier heute, nach einem Jahr der Vorbereitung und des Umbaus wird der Bürgermeister den Platz praktisch um elf eröffnen."
Ankunft am Neuen Platz: An der Ostseite werden die ersten Zaunelemente abgeladen. Ben steht daneben, überwacht das Ganze. Aufgebaut wird aber erst morgen. Heute gehört der Platz ganz allein den Klagenfurtern.
Vor dem Rathaus richten Männer Biertische und Bierbänke aus, bauen ein Rednerpult auf. Im Hintergrund poliert ein Fahrzeug der Stadtreinigung die neuen Granitplatten.
"Der gesamte Platz ist geschliffen worden und wir haben neue Steine verlegt bekommen, völlig neuer Boden. Jetzt müssen wir halt dementsprechend aufpassen."
Dass, wenn hunderttausende von Fußballfans drüber gehen, nicht gleich wieder renoviert werden muss. Alkohol, Fett- und Ölflecke - um keine Spuren zu hinterlassen, hat Petschnig anfangs die Idee, auf dem Neuen Platz einen großen grünen Teppich zu verlegen, in Form eines überdimensionalen Fußballplatzes. Daraus wird aber leider nichts, sagt er. Aus Angst vor Schimmel.
In den nächsten Tagen muss er Zelte, Container und Toilettenwagen so aufstellen, dass die Tiefgarage unter dem Platz keine statischen Probleme bekommt. Die Maria-Theresia-Statue und das Wahrzeichen der Stadt, den Lindwurm, mit einer 3,5 Meter hohen Wand aus Plexiglas umhüllen. Damit am Ende kein Hooligan auf die Idee kommt, auf dem Wappentier zu reiten.
Nichts von all dem in seiner Drei-D-Simulation ist aufgebaut. Dennoch wirkt Petschnig entspannt, nahezu cool. Selbst böse Überraschungen nimmt der mehrmalige Landesmeister im Schwimmen sportlich.
"Mit dem Strom und Wasser haben wir es hier leicht, weil mit dem Umbau des neuen Platzes überall Schächte vorgesehen wurden, wo wir letztlich nur anschließen müssen. Stromversorgung war so ein Punkt, der mich gestern so ein bisschen vom Hocker gerissen hat. Ich hab mich mit den Jungs unterhalten, die die Videowall installieren, die saugt doch ganz kräftig Strom, so bis zu 4000 Watt pro Tag, das bedeutet am Ende in den beiden Fanzonen insgesamt ein Stromrechnung von 60.000 Euro - also da müssen wir noch mal hart kalkulieren, dass wir sehen wo wir den Posten unterbringen."
Petschnig grinst. Er weiß, an einer Stromrechnung über 60.000 Euro wird das Mega-Event für Klagenfurt nicht mehr scheitern. Mit Deutschen, Kroaten und Polen kommen - aus touristischer Sicht - die Kerngruppe, die Winterurlauber und ein Hoffnungsmarkt nach Klagenfurt. "Eine bessere Chance für die Region zu werben, gibt es nicht", sagt Petschnig und verabschiedet sich. Die neun Tage im Juni sind mehr Wert als jedes noch so gute Marketingkonzept.
"Und auf diesem Neuen Platz steht ja unser Wappentier, der Lindwurm. Der ist über 400 Jahre alt aus einem einzigen Stein gearbeitet, hat neun Tonnen ist acht Meter lang."
Stadtführerin Ilse Schneider kann sich kaum retten vor Buchungen. Seit feststeht, dass Klagenfurt Austragungsort der EM ist, steigt die Zahl der Besucher kontinuierlich. Die Stimme etwas belegt, rückt Schneider ihre große Gucci-Sonnenbrille in der Drei-Wettertaft-Frisur zurecht, erzählt von einem der großen Stadtbrände, dem Wiederaufbau der Renaissance-Villen auf dem Neuen Platz.
"Und da kann man eigentlich sagen bei diesem Brand war direkt ein Nutzen dabei, denn so schön waren sie früher nicht."
Zwischen 700.000 und 800.000 Besucher jährlich, 70.000 davon allein führt Schneider persönlich im Jahr durch ihre Heimatstadt. Landhaus und Domkirche, Gustav-Mahler Komponierhäuschen, dazu der weltbekannte Wappensaal mit der größten Perspektivmalerei der Welt. Schon von Berufs wegen schwärmt die Stadtführerin bei jeder Führung aufs Neue.
"Jetzt sind wir direkt in der Altstadt und haben einen dollen Durchgang zum ältesten Haus der Stadt. Es ist sehr viel Marmor verarbeitet, wir haben ja damals den Beinamen weiße Stadt gehabt."
Schneider steht jetzt in einem Arkadenhof auf weißen Marmorfliesen, ihre Hand streicht über eine handgearbeitete Holztür eines italienischen Baumeisters. Im Hof überall Palmen, Belagonien, draußen, vor dem alten Rathaus plätschert ein Brunnen, daneben Sitzblöcke aus weißem Marmor. "Ein bisschen Angst habe ich schon", sagt die Stadtführerin leise und legt ihre Stirn in Falten, "dass der Ansturm der Massen Spuren hinterlassen wird".
"Na, also, da würden wir lügen, wenn wir das nicht zugeben würden, aber wir haben so viel Sicherheiten. Wir hoffen halt, dass nicht irgendwas, was man nicht mehr gut machen kann beschädigt wird. Mit ein paar Sachen muss man rechnen, das hört man überall, das war in Deutschland auch."
"Und hier haben wir natürlich die EM betreffend eine wunderschöne Uhr. Und die Zeit vergeht eigentlich viel zu schnell."
Kein Geschäft, das jetzt nicht mit Maskottchen und Trikots wirbt. Sogar im Schaufenster eines Sanitätshauses liegen Fußbälle neben Stützstrümpfen. Die ganze Stadt ist beflaggt, im Theater läuft ein Gastspiel aus Bremen - natürlich zum Thema Fußball. Ins Blumenbeet vor dem Theater sind die Nationalfarben Polens, Kroatiens und Deutschlands mit farbigen Kieselsteinen eingelassen.
Nur in einer schmalen Gasse in Klagenfurts Innenstadt ist alles so wie immer. Hier verkaufen Bauern aus dem Umland Karotten, Äpfel, Kleetzen, Gebirgshonig und Kärtner Speck. Schneider geht vor, über Klagenfurts Wochenmarkt. In ein paar Tagen werden sich mindestens doppelt so viele Menschen durch dieselbe Gasse quetschen. David, ein junger Franzose, der Oliven, Schafskäse und Trockentomaten verkauft, zuckt nur mit den Schultern. Begeistert ist er nicht gerade.
"Ich weiß noch nicht so genau, ein bisschen Angst schon. Klagenfurt ist irgendwie ein bisschen ein Dorf, ob das klappt, wenn dann so viele Menschen hierher kommen, bin mal gespannt, wie das aussehen wird. Mal sehen, wie die Fußballfans auf den Markt kommen, ist dann die Frage."
Pünktlich um elf Uhr beginnt auf dem Neuen Platz der Festakt. Ilse Schneider verabschiedet sich, will unbedingt Bürgermeister und Landeshauptmann reden hören. Zuerst aber spielt die Stadtkapelle, dazu tritt eine Gruppe Fahnenschwinger auf. Rund 500 Klagenfurter haben sich an die weiß eingedeckten Biertische gesetzt. Vor ihnen steht eine Gruppe Männer in dunklen Anzügen: Architekt, Bauleiter, Bürgermeister, Landeshauptmann.
"Unser Herr BM, Diplom Kaufmann Harald Scheucher, es ist eigentlich sein Tag heute. Applaus. Meine lieben Klagenfurter."
Scheucher, ein großer, weißhaariger Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug, tritt ans Mikrofon. Der Bürgermeister ist ein feiner, volksnaher Mann, der den frisch renovierten Platz vor dem Rathaus Klagenfurts Wohnzimmer nennt. In einer kurzen bewegten Rede bedankt er sich beim Architekten und den Bauarbeitern. Dann lädt er allesamt zu Würstel und Bier.
"In diesem Sinne darf ich diesen neuen Platz, das gehört sich so, für eröffnet erklären, wünsche Euch allen noch einen schönen Aufenthalt auf diesem schönen Platz, ein herzliches Glückauf unser Heimatstadt Klagenfurt am Wörthersee."
Ein paar Minuten später, bei Würstel und Bier: Scheucher schüttelt Hände, lächelt, lässt sich immer wieder fotografieren. Gedanklich ist er längst weiter: Sonntag, 8. Juni, 20:45 Uhr, Deutschland gegen Polen. Der Moment, an dem während der EM alle Augen das erste Mal auf Klagenfurt gerichtet sind. So viele Interviews wie im Vorfeld der Fußball-EM hat Scheucher in seiner gesamten Amtszeit nicht gegeben. Angefangen hat der Rummel im Dezember vergangenen Jahres in Luzern bei der Auslosung der Endgruppen.
"Ich hatte natürlich eine Wunschvorstellung, das war Deutschland, Italien und Frankreich. Es kam Polen, aber auch mit den Polen sind wir zufrieden, wenn auch behauptet wird, dass die Polen besonders fanatische Fans wären. Dann kam der dritte Topf. Da war Deutschland drin. Und als Deutschland gezogen wurde, haben wir einen Luftsprung gemacht, denn Deutschland hat alles überdeckt. Das Top-Los war sicherlich Deutschland, das ist überhaupt keine Frage, denn Deutschland gehört zum Favoritenkreis und ich denke es könnte sich in Klagenfurt schon entscheiden, wer in das Viertelfinale aufsteigt."
Deswegen wird Klagenfurt schon allein sportlich in aller Munde sein, sagt Scheucher. Dazu sollen natürlich jede Menge schöne Bilder aus der Stadt und vom See um die ganze Welt gehen. Was aber wenn deutsche, polnische und kroatische Fans die Bühne missbrauchen, den beschaulichen Austragungsort für Krawall und Schlägereien wählen?
Wie bei der EM 2000 im belgischen Charleroi oder 1998 im WM-Städtchen Lens, wo Hooligans den Polizisten David Nivel zum Krüppel prügeln. "Das Sicherheitsnetz ist rigoros", sagt Scheucher nur, "unsere Sicherheitskräfte sind auf alle Eventualitäten vorbereitet". Die gesamte Innenstadt ist während der neun Tage im Juni videoüberwacht, das Schengen-Abkommen außer Kraft. Gewaltbereite Fans sollen am besten gar nicht erst ins Land kommen.
Über Hooligans aber will der Bürgermeister jetzt nicht mehr reden, an so einem schönen Festtag. Lieber holt er sich noch ein Würstchen. Im übrigen glaubt er, sagt er im Gehen, dass sich die polnischen Fans schon deshalb gut benehmen werden, weil Polen eines der beiden Gastgeberländer der Europameisterschaft 2012 ist.
Am anderen Ende des Platzes steht noch immer Ben von der Agentur Triangle. Er steht jetzt inmitten einer Gruppe von Gerüstbauern, hört zu, wie ein Vorarbeiter den anderen erklärt, wie die Zaun-Elemente im Kunststoffbodenteil versenkt und miteinander verschellt werden. Ben achtet darauf, dass alle gut zuhören, macht sich Notizen, was an Werkzeug fehlt. Er weiß: Im Zweifel muss sein Chef dafür haften, wenn eine Stelle undicht ist und deshalb etwas passiert.
Weiter zum nächsten Aufbaupunkt, vors Rathaus.
"Das war die Absperrung, das starten wir mit. Welche Punkte lassen wir offen, damit Lkws reinfahren können, wo Stapler reinfahren können und dann kommt Freitag noch der Bühnenaufbau, das VIP-Zelt dazu und dann wird das sukzessive wachsen."
Endlich, sagt Ben noch leise. Er ist froh, dass es nun bald losgeht.
"Ich freu mich. Wenn es dann wirklich los geht, merkst du erst was kommt. Davor war es erst graue Theorie du hast auf etwas hingearbeitet monatelang - und jetzt merkst du es kommt tatsächlich, es wächst und dann steigt natürlich auch innerlich die Anspannung, das ist klar."
Nahezu greifbar ist die Anspannung im Europahaus am Altstadtring, dem Headquarter der EM-Organisatoren. In der zweistöckigen Villa arbeiten seit April 2007 15 junge Männer und Frauen nur auf die neun Tage im Juni 2008 hin.
Junge Frauen in türkisen Polo-Shirts sitzen vor aufgeklappten Laptops, telefonieren mit Headsets. An der Wand hängt ein Werbeplakat mit der Aufschrift: Goal für Klagenfurt. Davor: eine Flipchart-Tafel mit Symbolen, die nur Eingeweihte verstehen. Türen fliegen auf und zu.
Zwischen den jungen Frauen in türkis: Carlos Fernandez de Retana, ein blasser, lässig gekleideter Halbspanier. Retana ist der Projektmanager. Er kommt gerade aus Wien, wirkt abgespannt, gehetzt. Hektisch läuft er von einem Zimmer ins nächste, sucht sein Handy und einen freien Raum für ein Interview.
"Warum ist eigentlich hier immer abgeschlossen?"
Warum er so gehetzt ist, weiß Retana selbst nicht. "Eigentlich sind wir im Plan", sagt er. Die Phase, in der wir feuchte Hände hatten, ist längst vorbei.
"Wir haben eine schwierige Phase gehabt Anfang des Jahres aufgrund der Auslosung, weil drei sehr reisefreudige Nationen kommen, Klagenfurt ist die kleinste Stadt."
Ein neues Verkehrskonzept musste her, die Parkplätze von 14.000 auf 21.000 erweitert, die Fanmeile vergrößert werden. Retana und sein Team mussten und müssen wirklich an alles denken - von der Verankerung der Kneipentische in der Innenstadt über ein Callcenter für Bürgeranfragen bis hin zu Szenarien, die die Sicherheit betreffen.
"Wir fahren auf einen Sprung zur Messe. So, deutsches Radio mit österreichischer Flagge. Zur Messe bitte."
Retana will sich einen Überblick über die Aufbauten in der Fanzone Messegelände verschaffen, lässt sich schnell hin fahren.
Kaum hat sein Fahrer das mit dem deutschen Radio gehört, will er den Fußball-Goliath reizen. Und findet prompt eine Gelegenheit. Vor einem Gasthaus auf dem Stadtring ist eine große deutsche Fahne gehisst. Retanas Fahrer fährt langsamer, und kann sich eine Bemerkung einfach nicht verdrücken.
"Ha, Oh je. Da beim Gasthaus hängt die verkehrte Fahne."
Retana tut so, als ob er das nicht hört. Später erzählt er, dass aus dem Fenster seiner Wohnung in Wien auch nicht die rot-weiß-rot gestreifte, sondern die spanische Flagge hängt.
Die Fahrt zur Fanzone dauert fünf Minuten. Retana steigt aus, dreht eine schnelle Runde zu Fuß. Hier stehen bereits die ersten Teile des Bühnengerüsts und eine Handvoll Catering-Wagen sind schon an ihrem Platz, zum Teil noch mit Planen überdeckt. Ansonsten ist außer Messehallen nicht viel zu sehen auf dem 10.000 Quadratmeter großen betonierten Gelände, auf dem 22.000 Fans Platz haben.
"Hier wird auch ein Fancamp errichtet für circa 1600 Leute, die in Stockbetten untergebracht werden, Preis 25 Euro, Schließfächer für Wertsachen. Das Ganze wird von Security überwacht. Auch eine der fünf Sanitätshilfsstationen, die in Klagenfurt aufgebaut werden, befindet sich direkt hier am Messegelände, die Halle fünf, die wir hier im Hintergrund sehen."
500 Rot-Kreuz-Mitarbeiter und 30 Notärzte mit 100 Fahrzeugen sind an Spieltagen im Einsatz, an spielfreien Tagen knapp die Hälfte, sagt Retana. Diese Zahl wird nur noch von der der Polizisten und Sicherheitskräfte übertroffen.
In ganz Österreich haben 27.000 Polizisten derzeit eine Urlaubssperre, 3000 Soldaten des Bundesheeres stehen bereit, fast 900 Polizisten reisen zusätzlich zur Verstärkung aus Deutschland an. Die Schweiz setzt sogar ihre 28 Drohnen der Luftwaffe ein, um Staus und sich zusammenrottende Hooligans zu erkennen.
Bisher gibt es keine Anzeichen auf Verabredungen innerhalb der Szene in Klagenfurt, sagt Retana. Allerdings kündigen Problemfans ihre Reise ja auch nicht unbedingt vorher bei der Polizei an.
"Ausschließen kann man natürlich nie alles, ja."
Retana mag das Messegelände nicht besonders, findet es unwirtlich, gesichtslos. Das für 66 Millionen Euro neu erbaute Wörthersee-Stadion dagegen findet er sexy. Es liegt auf halbem Weg zum Wörthersee - vom Messegelände wieder nur fünf Autominuten.
"Wir nähern uns jetzt von Osten, jetzt rechts hier sehen wir das Stadion das ist ja komplett neu errichtet worden, am 7. September eröffnet worden. Zu einem heimlichen Wahrzeichen von Klagenfurt geworden. Wenn man das gesehen hat, dann verliebt man sich in dieses Ding."
Wie ein Ufo liegt es da, inmitten von Grün und Zufahrtswegen. Mit dem futuristischen Dach aus Stahl und transparenten Stegplatten sieht es aus wie die kleine Schwester der Allianz-Arena in München. Und auch hier hat man sicherheits-technisch an alles gedacht. Getrennte Fanparkplätze, getrennte Fanblöcke, im Keller ein Stadionknast.
"Ja, es gibt im Stadion auch ein Gefängnis, ja für Schnellurteile, ja."
Das Stadion mit seinen 32.000 Plätzen entspricht gerade so den Anforderungen der UEFA. Nach der EM ist sogar ein Rückbau geplant auf 16.000 Plätze. Denn dann heißen die wirklich großen Events in Klagenfurt wieder Triathlon und Beachvolleyball. Mit Fußball lockst du in Kärnten nicht mehr als 10.000 Zuschauer, sagt Retana und schmunzelt. Es sei denn ein kleines Wunder passiert - und Österreich wird Europameister.
"So, jetzt fahren wir wieder zurück."