Fußball

Was Fans mit Farbsehschwäche nicht sehen

06:42 Minuten
Beim Fußball-Bundesligaspiel Union Berlin gegen den VfB Stuttgart kämpfen Angelo Stiller (links) vom VfB Stuttgart und Berlins Rani Khedira um den Ball.
Für Anhänger mit Rot-Grün-Schwäche sehen Teams mit diesen beiden Trikotfarben sehr ähnlich aus (hier eine Szene aus dem Spiel Union Berlin gegen den VfB Stuttgart). © dpa / picture alliance / Andreas Gora
Von Heinz Schindler · 21.04.2024
Audio herunterladen
Die Sehschwäche eines Spielers hat beim SC Freiburg in dieser Saison zu einem Trikottausch geführt. Auch betroffene Anhänger leiden darunter - am meisten betroffen sind Männer. Wie sieht für diese Fans ein Stadionbesuch aus?
Wenn Markus Stahmann zu seinem Lieblingsverein Werder Bremen ins Weserstadion geht, dann mischt sich in die Vorfreude auf das Spiel auch die Befürchtung, wie gut er es beobachten kann.
Spielt der Gegner in überwiegend roter Kleidung, wie die Bayern oder Leipzig zum Beispiel, dann ist der Spaß für ihn ein überschaubarer. Denn er hat eine Farbsehschwäche, in seinem Fall geht es um eine Rot-Grün-Schwäche.

Dann sieht es so, dass 22 Spieler dabei sind, die mehr oder weniger gleich oder sehr ähnlich aussehen. Sie sind oft nur durch die Hosen zu unterscheiden, weil die Werder-Mannschaft meist eine weiße Hose anhat. Wirkliche Unterschiede erkennt man mit einer Rot-Grün-Schwäche nicht. Im Worst Case kann ich dann nach Hause gehen.

Markus Stahmann

Farbsehschwäche ist vererbbar

Sich 90 Minuten lang auf die Hosen der Spieler fokussieren zu müssen, damit ist er nicht alleine. Und ist es gefühlt doch. Und das, obwohl Farbsehschwäche weiterverbreitet ist als man gemeinhin denkt. Sie ist vererbbar.

„Rechnerisch ist jeder zwölfte Mann betroffen, also knapp acht Prozent. Sie liegt auf dem X-Chromosom. Das Problem dabei ist, dass das Y-Chromosom die nicht ausgleichen kann. Deshalb sind meist Männer betroffen, weil bei Frauen müssen beide X-Chromosomen betroffen sein. Dann tritt sie auch bei Frauen auf, ist seltener. Betrifft in etwa jede 200. Frau, also da ist es bei einem knappen Prozent.“
Um beim Beispiel des Weserstadions zu bleiben: Ist es ausverkauft, so sind statistisch betrachtet 2000 bis 3000 Zuschauerinnen und Zuschauer mit einer Farbsehschwäche im Stadion.
Und müssen nicht nur Trikots auseinanderhalten können, sondern auch gelbe und rote Karten und im Winter bei Schneeregen sogar den roten Ball auf dem immer noch grünen Rasen.

Probleme auch beim Ticketkauf

Doch die Probleme beginnen schon weit vor dem Anpfiff:

„Man kann davon ausgehen, dass es häufig schon beim Ticketkauf der Fall ist. Oft sind die Ticketkategorien farbig markiert. Oder auch in Fanshops, dass Verfügbarkeiten nur über rot und grün angezeigt werden.“

Markus Stahmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich für Farbsehschwache einzusetzen und steht in Kontakt zur DFL und den Vereinen.

Ein Interessenverband unterstützt die Betroffenen

2022 gründete er den Interessenverband der Farbsehschwachen und Farbenblinden. Dieser ist Mitglied in der BBAG, der Bundesbehinderten-Fan-Arbeitsgemeinschaft, die sich als Bindeglied zwischen den Fans und den Verbänden sieht.
Die BBAG ist in der Kommission für Fans und Fankultur beim DFB vertreten und hat dort das Thema Kontrastierung im Fußball eingebracht, berichtet ihr Vorsitzender Alexander Friebel.

„Sicherheitsthemen, aber auch Marketing- und Ticketfragen, diese Dinge haben wir tatsächlich mal eingestreut und durften auch erleben, dass das gut aufgenommen wurde. Zum Beispiel hat die Kommission für Prävention und Sicherheit gesagt, sie nimmt sich dieser Sachen auch noch mal an und wird das auch weiter bearbeiten.“

Wenn über die Sicherheitsaspekte dann auch ein wenig mehr Barrierefreiheit ins Stadion Einzug hielte – den Farbsehgeschwächten sollte es recht sein.

Der SC Freiburg wechselte mehrmals sein Trikot

Der Interessenverband der Farbsehschwachen und Farbblinden hat die Erfahrung gemacht, dass viele Vereine sagen, sie hätten das Thema auf dem Schirm. Und dabei bleibt es oftmals.
Lediglich der SC Freiburg wechselte zweimal sein Trikot, weil er einen betroffenen Spieler in seinen Reihen hat. Dabei denkt man, bei je drei Trikotsätzen pro Verein sollte es möglich sein, dass sich zwei Mannschaften deutlich voneinander unterscheiden. 

Durchgefallen ist unter dem Aspekt der Barrierefreiheit das viel diskutierte neue rosa-pink-lilafarbene Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Man wehrt sich nicht gegen irgendeine der Farben, betont Markus Stahmann:

Viel mehr geht es uns um den bewussten Umgang. Sodass man sagt, da ist ein Trikot, um jetzt das Beispiel von der Nationalmannschaft zu nehmen, bei oben ein heller Bereich ist und unten ein dunkler Bereich. Für mich ist es eher zweitrangig, ob das rosa oder pink oder eine andere Farbe ist. Für mich ist es wichtiger, dass es ein eindeutig helles oder dunkles ist.

"Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Kommerz wichtiger ist"

Manch einem mag sich da die Frage aufdrängen nach dem Verhältnis von Kommerz und Barrierefreiheit.
"Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass der Kommerz da wichtiger ist. Da ist es eigentlich das Wichtige, dass man sagt, so, man kann auch barrierefreie Trikolösungen haben, die auch gut aussehen und die, denke ich, genauso gut verkauft würden."
Der Fußball könnte sich ohne besonderen Aufwand ein Beispiel an Randsportarten wie Eishockey oder Basketball nehmen, sagt Alexander Friebel von der BBAG:

„Das Schöne ist: Es muss nicht alles neu erfunden werden. Denn wir haben ja Sportarten, sei es im Hockey oder im Basketball, da gibt es Vorgaben. Es muss immer hell gegen dunkel gespielt werden als eine Vorgabe und viele andere Dinge auch. Die sind schon umgesetzt. Da braucht sich der Fußball eigentlich nur daran orientieren.“

Die bevorstehende Europameisterschaft soll so inklusiv werden wie keine zuvor.
Markus Stahmann wünscht sich, dass der Fokus weiterhin auf Kontrastierung beim Stadionbesuch gelegt wird. Auch nach der EM.

Ex-Spieler Delaney sprach offen über seine Sehschwäche

Vielleicht würde ein Outing die Dinge vorantreiben, denkt indes Alexander Friebel.

„Das würde helfen, wenn die sagen: Mensch, wir haben da ein echtes Problem. Weil es nicht nur die Spieler oder die Zuschauer betreffen kann. Es kann auch den Schiedsrichter betreffen. Von daher dürfte diese Gruppe nicht gerade klein sein.“

Lediglich der frühere Bremer und Dortmunder Spieler Thomas Delaney hat offen über seine Rot-Grün-Schwäche gesprochen. Nachahmer täten gut, um auch den Normalsichtigen in Vereinen und Verbänden die Augen zu öffnen. 

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema