Fußball: Zuschauer ja oder nein?

Der König will sein Volk zurück

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Ersatzspieler - Verletzte Spieler und Weisweiler Elf als Pappkameraden gemeinsam auf der Tribüne im Borussia-Park.
"Wir müssen uns schrittweise wieder an das herantasten, was früher einmal als normal galt", meint Stefan Osterhaus. © Moritz Mueller/Pool
Von Stefan Osterhaus und Wolf-Sören Treusch · 10.08.2020
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Die Gesundheitsminister der Länder beraten heute über den Wunsch der Deutschen Fußball Liga, im September wieder Publikum in die Stadien zu lassen. Stefan Osterhaus kennt gute Gründe dafür, Wolf-Sören Treusch plädiert dagegen.

Pro: Rückkehr zur Normalität – ohne Versuch geht es nicht

Natürlich: Es klingt zunächst einmal unvernünftig, in Zeiten einer Pandemie vor Zuschauern im Stadion Fußball zu spielen – so, als gäbe es gar keine anderen Probleme.
Trotzdem gibt es gute Gründe, allmählich wieder daran zu denken, das Publikum auf die Tribünen zu lassen. Es müssen ja nicht gleich 25.000 in München sein, wie es sich Uli Hoeneß wünscht. Ein paar weniger tun es auch.
Bisher ist die Deutsche Fussball Liga (DFL) nicht durch Fahrlässigkeit in der Krise aufgefallen. Bereits bei der Saisonfortsetzung hatte die DFL ein stimmiges Konzept vorgelegt. Was nun diskutiert wird, ist ebenfalls nicht unvernünftig: keine Stehplätze, kein Alkohol. Selbstverständlich Maskenpflicht. Außerdem: Keine Gästefans, was dabei helfen könnte, dass sich die Leute bei der Anreise in Bus und Bahn nicht auf den Füßen stehen.
Wenn dann 12.000 bis 15.000 Zuschauer auf den Tribünen des Dortmunder Westfalenstadions sitzen, wo sonst 80.000 sind, wenn also ganz generell nur jeder fünfte oder sechste Platz besetzt ist, dann sollte es schon möglich sein, dass Abstand gehalten wird – und der Stadionbesuch nicht gefährlicher ist als ein Einkauf im Supermarkt.
Außerdem sind Korrekturen jederzeit möglich, das letzte Wort haben die Gesundheitsämter. Was möglich ist und was nicht, wird vor Ort entschieden und nicht in der Frankfurter DFL-Zentrale. Wir müssen uns schrittweise wieder an das herantasten, was früher einmal als normal galt. Ohne Versuche wird das nicht gelingen. Dann wären die Tribünen wohl auch im nächsten Jahr noch leer.

Contra: Nicht auf alle Fans ist Verlass

König Fußball will sein Volk zurück. Aber er sendet das falsche Signal an seine Untertanen. In den Schulen müssen die Kinder mit Masken zum Unterricht, aber in den Stadien sollen sich bald wieder bis zu 25.000 Zuschauer vergnügen? Absurde Vorstellung – angesichts der wieder steigenden Infektionszahlen und der Warnung angesehener Virologen. Wenn Fans im Stadion, dann bitte lediglich im niedrigen dreistelligen Bereich.
Die Fußballfunktionäre wollen sich langsam wieder herantasten an die Zeiten vor der Pandemie. Soweit verständlich. Aber was für ein Aufwand? Schon Veranstaltungen mit hundert Besuchern sind unter Corona-Bedingungen schwer zu organisieren. Wie soll das werden, wenn an einem Wochenende 18 Bundesligaspiele mit jeweils 10.000 und mehr Zuschauern stattfinden? Überall Kontrollen, Absperrungen vor und im Stadion, personalisierte Tickets. Glauben die Funktionäre ernsthaft, dass sich jeder Fan von Anfang bis Ende an die AHA-Regeln hält: Abstand, Hygiene, Atemschutz?
Ich finde: Es geht nur ganz oder gar nicht. Und wer behauptet, Spiele ohne Fans, also Geisterspiele, versprühten keine Emotionen, der irrt. Ergänzungsspieler und Betreuer feuern ihre Teams mit so viel Verve und Energie an, dass es eine wahre Freude ist. Sie sind für mich der neue zwölfte Mann im Stadion. Deshalb: Geisterspiele? Gerne wieder. Zumindest so lange, bis endlich ein wirksames Gegenmittel gegen das Virus gefunden wurde.
Dann darf König Fußball sein Volk wieder zur Audienz bitten.
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