Fußball-WM

"Fußball ist die Erzählung unserer Kindheit“

Albert Ostermaier, Schriftsteller
Schriftsteller und Fußballfan Albert Ostermaier © picture alliance / dpa / Foto: Arno Burgi
Moderation: Ute Welty |
Albert Ostermaier ist Schriftsteller und Torwart der deutschen Autoren-Nationalmannschaft. In seinem jüngsten Gedichtband "Flügelwechsel" bringt er beides zusammen - göttliche Heldenverehrung und das kämpferische Fußballspiel.
Ute Welty: Albert Ostermaier ist einer, der in eine Reihe gehört mit Albert Camus, Henning Mankell oder Nick Hornby, in die Reihe der fußballbegeisterten Schriftsteller. Pünktlich zur Weltmeisterschaft ist Ostermaiers neustes Buch erschienen, das da heißt "Flügelwechsel: Fußball-Oden", und eine dieser Oden ist dem Kapitän der deutschen Nationalmannschaft gewidmet.
Ode an Lahm
"Er ist der intelligenteste Spieler, den ich je trainiert habe, sagt sein Trainer. Er stört, lässt keinen Frieden, keine Zeit setzt unter Druck. Ist lästig, läuft ab, läuft heiß, läuft auf zu einer Form, die Form gibt. Er formatiert das Spiel, spielt frei, spielt steil. Spielt seine Rolle, ist von ihr überzeugt, dass er das Zeug hat, zu allem zu tauschen, um zu täuschen. Seine Werte zu verwerten und jedem zu verwehren, ihn wehrlos zu sehen. Der Ball ist wie ein Arm, den er um seine Freunde legt, er ist der Schatten, den sie suchen, wenn sie im Licht stehen, in der Hitze des Augenblicks."
Welty: Albert Ostermaier über Philipp Lahm, und beiden dürfte gemeinsam sein, dass sie es kaum noch abwarten können, bis es denn losgeht in Brasilien. Guten Morgen, Herr Ostermaier!
Albert Ostermaier: Guten Morgen!
Welty: Nun ist es ja noch eine ganze Weile hin, bis das Eröffnungsspiel angepfiffen wird. Heute Abend um 22 Uhr deutscher Zeit starten wir mit Brasilien gegen Kroatien ins Turnier. Wie verkürzen Sie sich bis dahin die Wartezeit?
Ostermaier: Ich weiß auch nicht, ich bin heute schon unglaublich nervös und mit so einem irritierenden Kribbeln aufgewacht, nachdem ich eigentlich die ganze Woche über skeptisch war, ob noch die Begeisterung sich einstellt, wenn man immer nur jeden Tag den Blatter vor sich sieht und platt gemacht wird von seinen Visionen. Aber ich glaube, ich werde einfach wirklich jede Sekunde herunterzählen, damit es ganz unerträglich lang wird.
Welty: Was macht denn trotz all dem, trotz Blatter, trotz Korruptionsvorwürfe, trotz Proteste, trotz Streik die Faszination dieser Weltmeisterschaft in Brasilien aus?
Ostermaier: Ich habe mir für mich wieder gedacht, als ich jetzt neulich einfach nur wieder Kinder auf der Straße mit einer Dose spielen sehen habe, dass Fußball ist die Erzählung unserer Kindheit. Es ist die Erzählung, die wir gemeinsam haben, die wir alle teilen. Es ist eigentlich wirklich ein großer Roman, also eine große Gemeinsamkeit, diese anarchische, diese unbedingte Lust am Spiel. Und das ist es eigentlich, was man in dem Moment zurückgewinnt und zurückgewinnen will, wenn die Mannschaften wieder spielen, wenn wir Spieler sehen, wenn die Magie des Spiels entsteht. Und das ist natürlich das Verführbare auf der anderen Seite und das Missbrauchbare, aber es hat den Kern, dass man sich mal fragen sollte, weil wir immer wieder diese Begeisterung haben, dafür auch eine Verantwortung dazu gewinnen sollen, dieses Spiel und diese Freude, die es uns macht und die es Kindern macht, die zu retten, endlich mal was gegen diese FIFA auch zu tun.
Welty: Wie kriegt man das denn an die FIFA und den Sepp Blatter herangeredet?
"Die FIFA ist ja nicht gottgegeben"
Ostermaier: Also ich glaube jetzt mal, vielleicht auch hier ganz naiv und dumm gesagt, die FIFA ist ja nicht gottgegeben, selbst wenn Blatter sich als Gott gleichsetzt. Wenn es vielleicht einfach mal einige schwierige Jahre gibt und die großen Verbände wie Deutschland, England, Frankreich und vielleicht sogar ein Lateinamerikaner sagt, wir steigen da aus, wir machen da nicht mit, dann ist auf jeden Fall die FIFA in sich wertlos. Und man merkt es ja jetzt, man muss natürlich an die Sportausstatter gehen, und wir – sehen wir gerade mit Deutschland – haben Adidas, haben Puma. Man muss auf die Druck machen, weil eigentlich, es läuft ja alles nur über die Wirtschaft. Und wenn die Sportausstatter merken, dass die Kids keine Lust mehr haben, irgendwie Adidas-Fußballschuhe anzuhaben, weil man damit nur den Blatter verbindet, dann wird sich was ändern.
Welty: Schauen wir noch mal weiter auf die Fans: Worin besteht die kulturelle Leistung des Fußballs da? Sprüche wie "Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht", die sind ja nun nicht gerade Literaturnobelpreis-verdächtig.
Ostermaier: Ja, aber das ist natürlich nicht das Besondere, aber es gibt wahnsinnig viele kreative Hymnen, wenn man die Fangesänge in England sieht, wie sie da zelebriert werden. Und gerade in Lateinamerika, da sind ganz andere Rhythmen, da ist ein ganzes Fest, eine Permanenz eigentlich des Feierns da und des Unterstützens. Aber es gibt natürlich auch die Schattenseiten. Wenn man sieht Italien, da ist der Fußball so korrumpiert wie Berlusconi, und was Berlusconi mit dem italienischen Fußball gemacht hat, kann in letzter Konsequenz auch das sein, was Blatter mit dem internationalen Fußball macht. Und insofern muss man da wirklich auch, so blöd das jetzt klingt, wirklich alarmiert sein und muss auch schauen, dass der Fußball hier nicht unterlaufen wird von Leuten, die darin ihre Gewaltfantasien ausleben.
Welty: Sie haben eben die verschiedenen Formen angesprochen, mit denen Fans in verschiedenen Ländern feiern. Warum haben Sie sich nun ausgerechnet für die Ode als die angemessene Form entschieden, sich mit dem Fußball und den Fußballspielern auseinanderzusetzen?
Ostermaier: Man ist ja eigentlich ein Fan und ist leidenschaftlicher Fan, und noch dazu, wenn man Dichter ist, hat man ja diese ganz intime Beziehung zu den Spielern und dem Spiel und natürlich auch dem Göttlichen dieses Spiels. Also es denkt ja jeder, hätte ich diese Zigarette nicht mehr geraucht oder dieses Bier nicht mehr getrunken, hätten wir die Weltmeisterschaft gewonnen. Es verbindet jeder sein eigenes Schicksal ...
Welty: Denken Sie das wirklich?
"Wild und lustig, wie die griechischen Götter"
Ostermaier: Ja, ich hab schon ... Ich dachte damals Bayern gegen Barcelona 1999 verloren hat, wäre es ja schon der erste Zeitpunkt gewesen, mit dem Rauchen aufzuhören. Aber es ist wirklich etwas, was man macht, und man verbindet es. Und diese Überhöhung ist der Begeisterung für den Fußball eingeschrieben, und ich fand es einfach so spannend, dieses Gedicht der heldischen Verehrung, der Ode, die eigentlich den Göttern vorbehalten ist, das zu nehmen, um damit was unglaublich Irdisches zu beschreiben, was auf dem Rasen stattfindet, was mit Blutgrätschen zu tun hat, aber trotzdem genauso wild und unbedingt und lustig ist, wie auch die griechischen Götter es waren, die sich ja auch bekriegt haben und ihre Mannschaften und Teams hatten, die sie unterstützten, und man wusste nie, wer gewinnt.
Welty: Kann es sein, dass Ihr Verhältnis zur Literatur und zu Fußball nicht einer gewissen Dialektik entbehrt?
Ostermaier: Nein, natürlich, Fußball ist die pure Dialektik, denn man muss es spielerisch sehen und es in der Begeisterung, aber man muss genauso kritisch sehen. Und für mich war Fußball immer auch wichtig gerade vom Literarischen her, wenn man eben so Spieler sind wie Julius Hirsch, jüdische Spieler, die ins KZ deportiert wurden und umgebracht worden sind. Wenn man sieht, wie Fußball immer wieder in politischem Kontext steht und gerade da sich eine Gesellschaft formiert, wenn man sieht, wie Frankreich sich formiert hat damals mit den Spielern und die Integration gerade im Fußball stattfand, wie wir gesehen haben, wie Deutschland 2006 sich verändert hat und sich dargestellt hat und auf einmal nicht mehr nur als eine bedrohende Nation wahrgenommen wurde. All da ist der Fußball natürlich eine Metapher der Gesellschaft und auch ein Instrument, dialektische Prozesse zu zeigen.
Welty: Schriftsteller und Fußballfan muss kein Widerspruch sein, das hat Albert Ostermaier im Interview der "Ortszeit" bewiesen. Danke dafür, und ich kann Sie nicht vom Platz lassen ohne einen Tipp: Wer wird Weltmeister?
Ostermaier: Uruguay.
Welty: Wir sprechen noch mal am 13. Juli hier in Deutschlandradio Kultur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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