Fußball-Patriotismus
"Hält die Stimmung an, wenn das Fest vorüber ist?", hört man schon bang manchen Beobachter fragen. Denn soviel Hype für eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft war noch nie. Selbst die bislang größten Fußballmuffel werden plötzlich zu Fähnchen schwenkenden Trittbrettfahrern des Erfolgs.
Doch bevor weiter über einen neuen unverkrampften Patriotismus in Deutschland diskutiert wird, sollte man zunächst ehrlicherweise zugeben, dass die Begeisterung im Lande auch deshalb so groß ist, weil man dem Klinsmann-Team zu Beginn des Turniers nicht allzu viel zugetraut hat.
Wenn es morgen Abend in Dortmund gegen Italien um den Einzug ins Finale geht, sollten wir uns an jenen rabenschwarzen 1. März dieses Jahres in Florenz erinnern: 1:4 war Klinsmanns Elf wie unfertige Naivlinge von der Squadra Azzurra vorgeführt, das Trainerkonzept als eine Art McKinsey-Laune abgetan worden, sodass Hinterbänkler im Deutschen Bundestag glaubten, den gebeutelten Übungsleiter aus Amerika vor den Sportausschuss zitieren zu dürfen.
Vor dem Semifinale am Dienstag lohnt sich insofern eine Zwischenbilanz. So reden alle vom neudeutschen Fußball-Patriotismus. Andere Länder sehen die selbstzerquälten Nachkriegsdeutschen endlich in der nationalen Normalität angekommen, ohne sich deshalb vor ihnen fürchten zu müssen.
Sollte es ihn tatsächlich geben, den Patriotismus der Berliner Republik, dann lässt er sich kaum in politische Lager einordnen.
Denn seit in der Heuschreckendebatte der Linken gegen flüchtiges Kapital mit der Keule der "vaterlandslosen Gesellen" geprügelt wurde, scheint das Patriotismusverständnis ohnehin begrifflich verwässert wie politisch ortlos zu sein.
Deshalb sind auch durchaus Nuancen bei der positiven Beurteilung des alle bisherige Grenzen sprengenden WM-Spektakels zu beobachten:
Zunächst scheint Frank Schirrmacher mit seiner Vermutung nicht ganz falsch zu liegen, dass man den Fußballtaumel auch als eine hochemotionale Flucht aus der ärgerlichen Alltagspolitik interpretieren müsse. Nicht Fußball und Politik, sondern Fußball statt Politik lautet hier die Devise.
Daneben haben patriotische Autoren, die alten wie die neuen, von Martin Walser bis Matthias Matussek, sicher keine Probleme, das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer als endlich eingetretene flügelübergreifende Deutschwerdung der einst von soviel Selbsthass befallenen Landsleute zu begrüßen.
Ein wenig schadenfroh verkündet dagegen der liberal-konservative Publizist Paul Nolte, im neuen Patriotismus drücke sich auch eine Art subversive Aktion gegen gängige linksintellektuelle Bedenkenträgerei aus.
Jene Kritiker dürften sich freilich kaum angesprochen fühlen. Sind sie doch dabei, den hohen spaßgesellschaftlichen Anteil am nationalen Freudentaumel hervorzukehren oder supranationale Verbrüderungsszenen auf der Fanmeile zu preisen.
Schließlich gibt es jene, welche die Entdeckung des Nationalen auch als stillen Protest gegen die Tendenzen einer alles verschlingenden Globalisierung ansehen. Wie schrieb der amerikanische Soziologe Andy Markowitz: "Der Fußball ist global, der Fan ist es nicht."
Für diesen Befund spricht, dass sich Ländermannschaften wachsender Popularität erfreuen. Noch in Zeiten der New Economy hatte selbst Franz Beckenbauer erklärt, Nationalteams seien ein Auslaufmodell, die Zukunft gehöre den Global Player Teams im Rahmen einer europäischen Eliteliga.
Mittlerweile wissen wir, dass selbst Qualitätsunterschiede hingenommen werden, um an der fast schon anachronistisch geratenen Institution Länderspiel festzuhalten.
Unser Fußball-Patriotismus hat nämlich viel mit dem Verdruss des einfachen Fans am globalisierten Fußballbetrieb zu tun: der FIFA-Totalherrschaft während der WM und der rückläufigen Identifikation mit der eigenen Vereinswelt, wo das auswärtige Schnäppchen noch immer mehr zählt als der einheimische Talentschuppen.
Tissy Bruns schrieb dazu, die über den Sprung in die globalisierte Welt erschrockenen Deutschen brauchten zur Orientierung einen Begriff von Nation und Vaterland. Dies gilt gerade für den einfachen Anhänger der Welt des ökonomisch überdehnten Fußballs.
Zur Beschwichtigung sei aber schon jetzt gesagt: Sollten wir am Dienstag tatsächlich gegen die Azzurris verlieren – unser neuer Fußball-Patriotismus verspricht keine Schlägereien mehr in Pizzerien oder sogar Suizidversuche – wie damals 1970 beim Jahhundertmatch in Mexiko.
Denn die schwarz-rot-gold gefärbten Eventgänger dieser Tage sehen nicht so aus, als wenn ihre Mitmachlaune durch Niederlagen in tiefe Depression gestürzt werden könnte.
Norbert Seitz, geboren 1950 in Wiesbaden, promovierter Politologe, ist ver-antwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift "Neue Gesell-schaft/Frankfurter Hefte"; schreibt u.a. für den "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau" und verschiedene Magazine. Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kanzler und die Künste. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung" (2005).
Wenn es morgen Abend in Dortmund gegen Italien um den Einzug ins Finale geht, sollten wir uns an jenen rabenschwarzen 1. März dieses Jahres in Florenz erinnern: 1:4 war Klinsmanns Elf wie unfertige Naivlinge von der Squadra Azzurra vorgeführt, das Trainerkonzept als eine Art McKinsey-Laune abgetan worden, sodass Hinterbänkler im Deutschen Bundestag glaubten, den gebeutelten Übungsleiter aus Amerika vor den Sportausschuss zitieren zu dürfen.
Vor dem Semifinale am Dienstag lohnt sich insofern eine Zwischenbilanz. So reden alle vom neudeutschen Fußball-Patriotismus. Andere Länder sehen die selbstzerquälten Nachkriegsdeutschen endlich in der nationalen Normalität angekommen, ohne sich deshalb vor ihnen fürchten zu müssen.
Sollte es ihn tatsächlich geben, den Patriotismus der Berliner Republik, dann lässt er sich kaum in politische Lager einordnen.
Denn seit in der Heuschreckendebatte der Linken gegen flüchtiges Kapital mit der Keule der "vaterlandslosen Gesellen" geprügelt wurde, scheint das Patriotismusverständnis ohnehin begrifflich verwässert wie politisch ortlos zu sein.
Deshalb sind auch durchaus Nuancen bei der positiven Beurteilung des alle bisherige Grenzen sprengenden WM-Spektakels zu beobachten:
Zunächst scheint Frank Schirrmacher mit seiner Vermutung nicht ganz falsch zu liegen, dass man den Fußballtaumel auch als eine hochemotionale Flucht aus der ärgerlichen Alltagspolitik interpretieren müsse. Nicht Fußball und Politik, sondern Fußball statt Politik lautet hier die Devise.
Daneben haben patriotische Autoren, die alten wie die neuen, von Martin Walser bis Matthias Matussek, sicher keine Probleme, das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer als endlich eingetretene flügelübergreifende Deutschwerdung der einst von soviel Selbsthass befallenen Landsleute zu begrüßen.
Ein wenig schadenfroh verkündet dagegen der liberal-konservative Publizist Paul Nolte, im neuen Patriotismus drücke sich auch eine Art subversive Aktion gegen gängige linksintellektuelle Bedenkenträgerei aus.
Jene Kritiker dürften sich freilich kaum angesprochen fühlen. Sind sie doch dabei, den hohen spaßgesellschaftlichen Anteil am nationalen Freudentaumel hervorzukehren oder supranationale Verbrüderungsszenen auf der Fanmeile zu preisen.
Schließlich gibt es jene, welche die Entdeckung des Nationalen auch als stillen Protest gegen die Tendenzen einer alles verschlingenden Globalisierung ansehen. Wie schrieb der amerikanische Soziologe Andy Markowitz: "Der Fußball ist global, der Fan ist es nicht."
Für diesen Befund spricht, dass sich Ländermannschaften wachsender Popularität erfreuen. Noch in Zeiten der New Economy hatte selbst Franz Beckenbauer erklärt, Nationalteams seien ein Auslaufmodell, die Zukunft gehöre den Global Player Teams im Rahmen einer europäischen Eliteliga.
Mittlerweile wissen wir, dass selbst Qualitätsunterschiede hingenommen werden, um an der fast schon anachronistisch geratenen Institution Länderspiel festzuhalten.
Unser Fußball-Patriotismus hat nämlich viel mit dem Verdruss des einfachen Fans am globalisierten Fußballbetrieb zu tun: der FIFA-Totalherrschaft während der WM und der rückläufigen Identifikation mit der eigenen Vereinswelt, wo das auswärtige Schnäppchen noch immer mehr zählt als der einheimische Talentschuppen.
Tissy Bruns schrieb dazu, die über den Sprung in die globalisierte Welt erschrockenen Deutschen brauchten zur Orientierung einen Begriff von Nation und Vaterland. Dies gilt gerade für den einfachen Anhänger der Welt des ökonomisch überdehnten Fußballs.
Zur Beschwichtigung sei aber schon jetzt gesagt: Sollten wir am Dienstag tatsächlich gegen die Azzurris verlieren – unser neuer Fußball-Patriotismus verspricht keine Schlägereien mehr in Pizzerien oder sogar Suizidversuche – wie damals 1970 beim Jahhundertmatch in Mexiko.
Denn die schwarz-rot-gold gefärbten Eventgänger dieser Tage sehen nicht so aus, als wenn ihre Mitmachlaune durch Niederlagen in tiefe Depression gestürzt werden könnte.
Norbert Seitz, geboren 1950 in Wiesbaden, promovierter Politologe, ist ver-antwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift "Neue Gesell-schaft/Frankfurter Hefte"; schreibt u.a. für den "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau" und verschiedene Magazine. Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kanzler und die Künste. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung" (2005).