Außerdem sprach Thomas Wheeler in der Sendung Nachspiel mit Gabriela Jahn, Redaktionsleiterin von "Ohne Grenzen", das Behindertensportmagazin des ORF.
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Auch mit Amputation lässt sich dribbeln
05:31 Minuten
Ohne Schweiß und Übung geht es nicht - auch beim Amputiertenfußball. Dabei treten die Teams mit Krücken gegeneinander an. In Deutschland gibt es aber zurzeit nur zwei Vereine - andere Länder sind bereits weiter.
Vor sieben Jahren prallte Christian Heintz mit dem Auto gegen einen Baum und überlebte nur knapp. Sein rechter Unterschenkel musste amputiert werden.
"Nach der Amputation war erst Mal eine depressive Stimmung da. Ich war seit dem vierten Lebensjahr leidenschaftlicher Fußballer. Es war für mich unvorstellbar, nicht mehr Fußball zu spielen. Zwei Tage nach der Amputation kam glücklicherweise meine Mutter zu Besuch. Sie hatte einen Flyer in der Hand über Amputierten-Fußball und meine Augen haben danach wieder gestrahlt. Ich bezeichne das immer noch als eine Eintrittskarte ins Leben."
Grundfitness gehört dazu
Die Perspektive, weiter Fußball spielen zu können, gab ihm neuen Lebensmut. Auch wenn die Anfänge auf einem Bein und mit zwei Krücken unter den Armen schwerer waren als erwartet:
"Als ich das erste Mal beim Training dabei war, habe ich gedacht - ich war jahrelang Fußballer - jetzt mal ein bisschen auf Krücken kicken, das mache ich mit links. Das war nicht der Fall, mir hat am nächsten Tag alles wehgetan, aber trotzdem war ich angefixt und bin mit Leidenschaft dabei geblieben."
Inzwischen spielt Heintz schon sechs Jahre im Nationalteam, dessen Kapitän er ist. Zu Recht – er dribbelt wie ein Ass. Viel Schweiß und jede Menge Übung stecken dahinter. Einbeinig auf Krücken rund vier Kilometer zu joggen! Das gehört zu seiner Grundfitness.
"Gespielt wird einbeinig auf Krücken, also ohne Prothese. Wir spielen auf einem Kleinfeld sieben gegen sieben, also eine Platzhälfte vom großen Sportplatz. Eine Besonderheit: Wir spielen ohne Abseits. Die Spielzeit beträgt zweimal 25 Minuten. Der Ball darf nicht aktiv mit der Krücke gespielt werden, denn die Krücke ist die Verlängerung vom Arm und zählt dadurch als Hand."
Anfahrt aus Düsseldorf
Beim Torwart gelten besondere Regeln: "Voraussetzung des Torwarts ist eine Armamputation. Er hat noch beide Beine, muss aber eine Armamputation haben."
Hoffenheims Mann im Tor heißt Kajtek Skotnicki. Während die Feldspieler Doppelpässe üben, steht der 30-jährige Kajtek im Tor und hält Bälle. Er wohnt weit weg von Hoffenheim im nordrhein-westfälischen Velbert.
"Ich hoffe, dass wir bald eine Mannschaft bei Fortuna Düsseldorf haben, dass meine Anfahrtswege nicht so lang sind. 300 Kilometer, und das alle vier Wochen ist natürlich schon hart, aber wir probieren alles, um eine dritte Mannschaft aufzumachen in Deutschland mit Braunschweig, Hoffenheim und Fortuna Düsseldorf, dass wir vielleicht irgendwann mal einen Ligabetrieb starten können."
Viele Amputiertenfußballer üben unter der Woche in ihren Heimatvereinen - an der Seite von Spielern mit zwei gesunden Beinen. Eine starke Herausforderung. Torhüter Kajtek hingegen trainiert als Feldspieler in der Nähe von Essen, wo er sonntags noch Kreisligaspiele bestreitet. Im Amputiertenfußball ist für ihn das Nationalteam durchaus in Reichweite. Das spornt auch Stürmer Stefan Schmidt aus Saarbrücken mächtig an.
"Wir haben mehrere Sichtungstrainings für die Nationalmannschaft, sind immer froh, dafür nominiert zu werden. Es geht auch klar das Ziel dahin, ein gestandener Nationalspieler zu sein und nächstes Jahr bei der EM zu sein!"
Gänsehaut in Istanbul
Der deutsche Amputiertenfußball hat noch viel Potential. Nur rund 20 Akteure spielen derzeit in den Mannschaften in Braunschweig und Hoffenheim. Bei Fortuna Düsseldorf formiert sich gerade ein drittes Team. Andere Länder sind da erheblich weiter.
"Polen, England, Irland, Türkei sind unsere Vorbilder", sagt Heintz. "Da gibt es die Sportart schon seit rund 30 Jahren. Positives Beispiel ist die Türkei, die haben drei Ligen im Amputiertenfußball und Spieler in der ersten Liga verdienen ihr Geld damit. Kleine Anekdote: Bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren, die war in Istanbul, wir wurden Achter, womit wir Deutschen sehr zufrieden waren. Und das Finale war Türkei gegen England, wurde extra ins Stadion von Besiktas Istanbul verlegt und war mit 40.000 Zuschauern ausverkauft; wir durften auch im Stadion sein, es war eine einzige Gänsehautatmosphäre!"
Sportstunde auf Krücken
Ähnlich wichtig wie die Entwicklung eines deutschen Ligabetriebes mit mehreren Mannschaften ist für Heintz das Thema Inklusion. Er möchte die Sportart auch Nichtbehinderten nahebringen. Deshalb arbeitet der 35-Jährige für ein Hoffenheimer Sozialprojekt.
"'Anpfiff ins Leben' ist ein gemeinnütziger Verein, der vor 18 Jahren von Dietmar Hopp gegründet wurde", erklärt Christian Heintz. "Er unterstützt junge Fußballer und junge Sportler in der Rhein-Neckar-Region im Bereich Schule, Beruf und soziale Projekte. Seit vier Jahren ist auch die Förderung für Amputierte dabei. Dadurch fahre ich jetzt raus durch die Republik an Schulen, an normale Fußballvereine, nehme Krücken mit und wir machen eine Sportstunde einbeinig auf Krücken, um die Spieler, die Kids zu sensibilisieren, was es heißt, einbeinig auf Krücken zu kicken. Und natürlich, um das Thema Inklusion weiter in der Gesellschaft zu platzieren."