Fußball, Fans und Fanatismus

Das war ja wohl nichts - nach der schlappen Leistung im Spiel gegen Kroatien muss die deutsche Elf um den Einzug ins Viertelfinale bangen. Und die Fans sind sauer und enttäuscht, besonders die deutschen Fans vor Ort.
"Ich schätze es waren 50.000 Kroaten in Klagenfurt und 20.000 Deutsche", bilanziert Michael Gabriel, "erstmals war Klagenfurt voll ausgebucht. Aber die Lage war entspannter als beim Spiel gegen Polen."

Michael Gabriel ist nicht nur begeisterter Fußball-Fan, "mein Fanherz gehört der Eintracht", der gebürtige Österreicher hat auch selbst aktiv gespielt, u.a. in der Jugend-Nationalmannschaft Österreichs und bei den Amateuren von Eintracht Frankfurt. Seit 1992 arbeitet der Sportwissenschaftler mit Fans zusammen, seit 1996 leitet er die Koordinierungsstelle Fan-Projekte bei der deutschen Sportjugend (KOS). Gemeinsam mit zwölf meisterschaftserprobten Kolleginnen und Kollegen zieht er derzeit mit dem knallroten Fan-Bus durch die EM-Städte, um die deutschen Fans zu betreuen.

Sein Motto: "Wer keine Probleme hat, macht auch keine."

Deshalb vermittelt er zwischen Fans, der Polizei und auch den Verantwortlichen in den Städten. Und da gab und gibt es viele gegenseitige Vorurteile auszuräumen, zum Beispiel vor dem Spiel gegen Polen:

"Die Klagenfurter Bevölkerung hatte Angst: Es gab eine Meldung eines Einkaufszentrums, dass der Samstag der schlechteste Umsatztag war – die waren alle weg! Ich arbeite seit 1992 auch auf internationaler Ebene und ich habe es für undenkbar gehalten, dass solche Gerüchte aufkommen könnten. Es hieß zum Beispiel, dass sich die Polen in Baumärkten Schlagstöcke zuschneiden gelassen haben, dass sie einen Beißschutz gegen die Polizeihunde hätten, der vergiftet sei. Die Versicherungen haben eine extra Vandalismus-Versicherung aufgelegt, bei der Stadt gibt es eine spezielle Anlaufstelle für Vandalismus."

Die Fanbetreuer der KOS sind aber nicht nur bei der EM oder WM aktiv. Ihre Hauptarbeit geschieht in den Fanprojekten der deutschen Vereine.

"Dass es uns als Fanprojekte gibt, hat mit der hohen Relevanz zu tun, die die Fankultur für junge Leute hat. Die kommen mit 12, 13 Jahren in die Fankurve rein, das hat eine große Attraktivität und sie bleiben über 10 Jahre da. Da kann sich auch die Gesellschaft nicht wegducken und sagen, das ist allein die Verantwortung der Vereine."

Sein Ziel: Eine positive Fankultur zu vermitteln. "Eine positive Fankultur ist, wenn man den Gegner respektiert. Was wir nicht rausnehmen können, ist die Rivalität in den Stadien, dass ich die andere Mannschaft niedermache, um meine Mannschaft zu stärken. Nur, was nicht sein darf: Es darf nicht rassistisch sein, nicht antisemitisch und sexistisch."

Michael Gabriel und seine Teams haben alle Hände voll zu tun, um die "Ultras", die fanatischen Fans, und die gewaltbereiten Hooligans in Schach zu halten.

Er mahnt aber auch die Vereine, nicht den Kontakt zu ihren Fans zu verlieren, "Es gibt eben diese Identifizierung nicht mehr. Die Durchkapitalisierung des Fußballs hat dazu geführt, dass sich auch so etwas wie die Hooligans herausgebildet haben, die mit einer absoluten Ignoranz und Kühlheit gegenüber dem Fußball agieren. Mit Aktiengesellschaften kann man sich nicht mehr verbunden fühlen. Es gibt weniger Berührungspunkten zwischen den heißen Fans und den kalten Managern."

Auch der Schriftsteller Rainer Moritz ist Fußballfan. Der Leiter des Hamburger Literaturhauses war acht Jahre lang Schieds- und Linienrichter. Sein Herz schlägt für 1860 München. Er ist den 60ern über alle Höhen und Tiefen treu geblieben, frei nach dem Spruch: "Man kann seine Frau verlassen, aber nicht den Verein wechseln."

Rainer Moritz weiß auch, was er den Fußballfans unter den Literaturinteressierten schuldig ist, er hat extra wegen des Spiels Deutschland gegen Österreich am Montag den Beginn einer Veranstaltung im Literaturhaus verschoben.

Auch er sieht die Kommerzialisierung des Fußballs skeptisch: "Die großen Vereine müssen ihre Fans nicht halten, da ist eine Kluft da. Nehmen Sie Uli Hoeneß und seine Fanbeschimpfung. Vereine wie St. Pauli müssen aufpassen, dass sie ihre Fans nicht verprellen. Manche Vereine haben Glück, wie die Borussia, die haben immer 80.000 Zuschauer, aber man hört auch immer wieder ´Sitzen ist für den Arsch!´, und das ist ein Verweis auf die Verloungisierung der Stadien."

Rainer Moritz, der auch mehrere Fußballbücher geschrieben hat, kritisiert auch den Wandel in der Berichterstattung: "Das ist eine Überfußballisierung, auch, was das Fernsehen anbetrifft, diese Vorberichte schaue ich mir nicht an. Das Fernsehen sendet natürlich, weil es Quote machen muss, aber für den wahren Fan ist das eine Leidensphase. Die Berichterstattung wird boulevardesker, dieser Showeffekt! Beckmann und Kerner sind doch keine Fußballkommentatoren. Dieses ganze Gerede um den Fußball, jede Trainergeste wird gedeutet – schrecklich!"
"Fußball, Fans und Fanatismus" – darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit dem Fanbetreuer Michael Gabriel und dem Schriftsteller Rainer Moritz. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800-22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Rainer Moritz, "Abseits. Das letzte Geheimnis des Fußballs". Verlag Kunstmann, München, 2006
Rainer Moritz, "Vorne fallen die Tore". Verlag Kunstmann, München 2002

Informationen im Internet
www.kos-fanprojekte.info
www.literaturhaus-hamburg.de