Fußball - eine existentielle Angelegenheit
09.06.2010
22. Juni 1986, Mexico City. In der 51. Minute des WM-Viertelfinalspiels Argentinien gegen England erzielt Diego Maradona das argentinische Führungstor - allerdings mit unlauteren Mitteln, denn, vom tunesischen Schiedsrichter (dessen Karriere danach beendet war) unbemerkt, nimmt er die "Hand Gottes" zu Hilfe und bringt den Erzrivalen England damit auf die Verliererstraße. Niemand in Argentinien hat diese Szene, diesen Moment der nationalen Befreiung vergessen, und natürlich hat sie sich auch tief in das Gedächtnis des argentinischen Autors Eduardo Sacheri eingegraben.
Seit zehn Jahren veröffentlicht er in seiner Heimat erfolgreich Erzählungen, die den Mythen und Legenden des Fußballs nachgehen. Elf dieser Geschichten liegen nun erstmals auf Deutsch vor, in der eleganten, ball- und regelsicheren Übertragung Matthias Strobels. Elf Mal nimmt uns Sacheri mit auf die Bolzplätze von Buenos Aires, auf die Dorfanger der Provinz, wo Kraut und Rüben sprießen und jeder Jugendliche von der großen Karriere als Profifußballer träumt, oder zum WM-Endspiel 1950, als das hoch favorisierte Brasilien sich bis auf die Knochen blamierte.
Eine der Erzählungen - "Sie müssen mich schon entschuldigen" - ist Maradona gewidmet und handelt selbstverständlich vom göttlichen Beistand anno 1986 und von der Unmöglichkeit, dem Nationalhelden irgendeine seiner Eskapaden dauerhaft übelzunehmen.
Mit sympathisch nostalgisch gefärbtem Blick folgen wir Sacheri in ein Krankenhaus, wo einer seinen todkranken Bruder betrachtet und sich mit einem Schlag an ein lange zurückliegendes Fußballmatch erinnert, an einen entscheidenden Spielzug, als der Bruder in letzter Minute mit einem "legendären Fallrückzieher" seinen Verein in den siebten Himmel schoss.
Fußball ist - nicht nur in Argentinien - eine ernste, eine existentielle Angelegenheit, dessen "Grenzsituationen" unvergessliche Erinnerungsmomente liefern. Es sind klassische David-gegen-Goliath-Geschichten, von denen Sacheri erzählt, anrührende Zeugnisse von Freundschaft, Leidenschaft und vom "süßen Gift der ewigen Liebe", die - würden Fans sagen - allein der Fußball zu schenken vermag: der knorrige Trainer, der sich nicht zur Rückkehr erweichen lässt; die offenkundig von höheren Mächten geschickte Dunkelheit, die ein Spiel genau im richtigen Augenblick zu Ende gehen lässt; der Traum vom begnadeten Spieler Baltasar Quiñones, der, wie alle glauben, bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam und, wie seine Anhänger hoffen, auf wundersame Weise in einem entlegenen Dörfchen überlebt hat.
Mit leichter Hand und mit gutem Gespür für Pointen entwirft Eduardo Sacheri Charaktere, die die Leser in Bann ziehen, und selbst wer sich immer für einen Verächter des Fußballsports hielt, könnte durch die Anmut dieser Geschichten eines Besseren belehrt werden. Ein schöneres Fußballbuch dürfte es in diesem Jahr kaum geben.
Besprochen von Rainer Moritz
Eduardo Sacheri: Die Hand Gottes und andere Tangos. Fußballgeschichten
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
Berlin Verlag, Berlin 2010
192 Seiten, 19,90 Euro
Eine der Erzählungen - "Sie müssen mich schon entschuldigen" - ist Maradona gewidmet und handelt selbstverständlich vom göttlichen Beistand anno 1986 und von der Unmöglichkeit, dem Nationalhelden irgendeine seiner Eskapaden dauerhaft übelzunehmen.
Mit sympathisch nostalgisch gefärbtem Blick folgen wir Sacheri in ein Krankenhaus, wo einer seinen todkranken Bruder betrachtet und sich mit einem Schlag an ein lange zurückliegendes Fußballmatch erinnert, an einen entscheidenden Spielzug, als der Bruder in letzter Minute mit einem "legendären Fallrückzieher" seinen Verein in den siebten Himmel schoss.
Fußball ist - nicht nur in Argentinien - eine ernste, eine existentielle Angelegenheit, dessen "Grenzsituationen" unvergessliche Erinnerungsmomente liefern. Es sind klassische David-gegen-Goliath-Geschichten, von denen Sacheri erzählt, anrührende Zeugnisse von Freundschaft, Leidenschaft und vom "süßen Gift der ewigen Liebe", die - würden Fans sagen - allein der Fußball zu schenken vermag: der knorrige Trainer, der sich nicht zur Rückkehr erweichen lässt; die offenkundig von höheren Mächten geschickte Dunkelheit, die ein Spiel genau im richtigen Augenblick zu Ende gehen lässt; der Traum vom begnadeten Spieler Baltasar Quiñones, der, wie alle glauben, bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam und, wie seine Anhänger hoffen, auf wundersame Weise in einem entlegenen Dörfchen überlebt hat.
Mit leichter Hand und mit gutem Gespür für Pointen entwirft Eduardo Sacheri Charaktere, die die Leser in Bann ziehen, und selbst wer sich immer für einen Verächter des Fußballsports hielt, könnte durch die Anmut dieser Geschichten eines Besseren belehrt werden. Ein schöneres Fußballbuch dürfte es in diesem Jahr kaum geben.
Besprochen von Rainer Moritz
Eduardo Sacheri: Die Hand Gottes und andere Tangos. Fußballgeschichten
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
Berlin Verlag, Berlin 2010
192 Seiten, 19,90 Euro