Fussball

Die Stunde der Drachen

Bosnische Fans vor dem Spiel gegen Ägypten
Stolz auf ihr Team: Bosnische Fans vor dem Spiel gegen Ägypten © Katrin Lechler
Von Katrin Lechler · 08.06.2014
Eine Regierung nach der nächsten scheitert in Bosnien daran, das gespaltene Land zu vereinen. Nur der Nationalmannschaft ist es gelungen, in der vom Krieg gezeichneten Gesellschaft neue Hoffnung zu wecken. Die Geschichte eines Fußballmärchens.
"Das sind alle Bosnier, ihre Mentalität ändert sich nicht."
"Sie sind temperamentvoll, patriotisch. Sie lieben ihr Land - auch die, die hier nicht geboren sind. Sie halten Kontakt zu ihrem Land. Sie spielen mit dem Herzen."
Sagt Izeta, die mit ihrem akkurat geschnittenen Bob auch in einer Modeboutique arbeiten könnte. Sie und ihre drei Freundinnen sind eingeschworene Fans der Drachen - so wird die bosnische Nationalmannschaft liebevoll-ehrfürchtig genannt. Sie reisen zu fast allen Spielen – auch wenn dafür ein Großteil dessen, was sie als Angestellte in einer Kleinstadt bei Tuzla verdienen, draufgeht.
Kinder zeigen auf ein Plakat der bosnischen Nationalmannschaft
Nationalspieler als Nationalhelden - gerade für die jungen Bosnier© Katrin Lechler
Die vier sind schon einen Tag vor dem Freundschaftsspiel gegen Ägypten angereist - nach Innsbruck: das letzte Testspiel vor der WM in Brasilien. Voller Vorfreude verfolgen die Frauen das Training ihrer Mannschaft im Stadion – von Kopf bis Fuß in blau-gelb-weißer Fantracht.
"Jede von uns hat ihren Liebling...Asmir Begovic ... Pijancic ... Misimovic ... Bicackic."
Die meisten jungen Bosnier wollen raus aus Bosnien
Mubera schwärmt für den 24-jährigen Spieler Ermin Bicackic, der in der Bundesliga spielt, erst kürzlich von Eintracht Braunschweig zur TSG 1899 Hoffenheim wechselte.
"Er ist einfach ein cooler Typ, er gefällt mir. Und er ist auch ein guter Sportler, ein guter Spieler."
Der Fans wie Izeta, Mubera, Sada und Sena für ein paar Stunden ganz einfach den schwierigen Alltag vergessen lässt. Die immer teurer werdenden Lebensmittel und die Sorge, dass die eigenen Kinder zu Hause keine Arbeit finden und wie so viele junge Leute nur eins wollen: möglichst schnell weg aus Bosnien.
"Diese Jungs sind die einzigen, die der Welt zeigen, was Bosnien Gutes kann. Sonst gibt es nur schlechte Nachrichten aus unserem Land – wegen unserer Politiker. Hier auf dem Fußballfeld gibt es keinen Nationalismus, hier spielen alle zusammen: Bosniaken, Kroaten und Serben, alle sind Bosnier."
Sagt Sada, die mit dem melancholischen Blick. Dass im Stadion das wahre Bosnien zu sehen ist, in dem die ethnisch-nationale Zugehörigkeit keine Rolle spielt, davon ist auch Sena überzeugt.
"Das wird das Spiel morgen zeigen: Mostar, Hercegowina, Tuzla, Lukavac, Sarajevo, Banja Luka, Bihac, Bijelna, Dobor ... Ganz Bosnien-Herzegowina wird morgen in diesem Stadion sein."
Das Land ist quasi unregierbar
Und das soll etwas heißen. Denn unmittelbar nach dem Ende des Bosnienkrieges identifizierte sich niemand aus dem serbischen und kroatischen Teil von Bosnien mit der Nationalmannschaft. Weil das kleine Bosnien-Herzegowina gerade erst aus dem jugoslawischen Staatenbund ausgetreten war und seine Unabhängigkeit erklärt hatte.
Blick auf das brennende Kantonverwaltungsgebäude in Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, am 06.02.2014, während der Proteste.
Immer wieder richten sich Proteste gegen die Regierung. Im Februar 2014 entflammte das Kantonverwaltungsgebäude in Sarajevo.© picture alliance / dpa
Seitdem ist das südosteuropäische Land quasi unregierbar: Einerseits ist da die Föderation von Kroaten und den bosnischen Muslimen - den Bosniaken - , andererseits der serbische Teil Republika Srpska. Und mit dem Sonderverwaltungsgebiet Brcko kommt noch ein Zipfel Land im Nordosten hinzu, der von Bosniaken, Serben und Kroaten gemeinsam verwaltet wird.
Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska macht keinen Hehl daraus, dass er sich nicht als Bosnier fühlt. Er propagiert seit Jahren einen Zusammenschluss mit Serbien oder gar die Unabhängigkeit.
Als sich die bosnische Nationalmannschaft für die Fußballweltmeisterschaft qualifizierte, reagierte er kühl. Fußballfan Izeta reagiert gereizt auf den Namen Milorad Dodik:
"Uns ist völlig egal, wen Dodik anfeuert, wichtig ist, wofür die Leute in der Republika Srpska sind. Wenn Sie die Leute aus der Republika Srpska fragen, für wen sie in Brasilien sind, werden sie Bosnien-Herzegowina antworten."
Sada dagegen glaubt nicht, dass sich die bosnischen Serben als Teil von ganz Bosnien-Herzegowina fühlen.
"Wir wünschten, die Menschen aus der Republika Srpska würden sich wie Bosnier fühlen, aber ich glaube, das tun sie nicht."
Als Vollblut-Bosnier fühlen sich dagegen die Teenager, die von den unteren Stadionrängen ihre Helden anhimmeln. Die meisten ihrer Eltern haben Bosnien während des Krieges vor knapp 20 Jahren verlassen:
"Wir sind zwar hier geboren, in Österreich, aber unser Blut kocht innerlich, bosnisches Blut, bosnische Seele einfach alles."
"Dzeko ist meine Liebe."
"Er ist hübsch, er kann gut spielen. Keine Ahnung, ich liebe ihn einfach!"
"Jedes Jahr, jeden Sommer fahren wir nach Bosnien, so oft es geht."
"Wir glauben immer an unsere Mannschaft, wir glauben immer an den Sieg und wir werden das Stadion morgen zum Beben bringen."
Nach dem Training im Innsbrucker Tivoli-Stadion warten Frauen, Männer, Kinder, ganze Familien vor dem Mannschaftsbus, um das Autogramm eines Spielers zu erhaschen. Starspieler Edin Dzeko will seine Ruhe haben. Auch Emir Spahic hat seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Torhüter Asmir Begovic aber bleibt stehen:
"Die Stimmung ist super wie immer, wir haben immer super Stimmung in der Mannschaft. Wir spielen schon lange Zeit zusammen und deshalb gibt es da keine Probleme. Ist schon sehr wichtig. Wir haben nur drei Freundschaftsspiele vor der WM. Natürlich werden wir experimentieren. Aber wir müssen das sehr ernst nehmen."
Stark und Gefährlich
Wenn Sie mit drei Wörtern die bosnische Mannschaft charakterisieren...?
"Stark, Gefährlich und ähmm, wie heißt fun auf Deutsch? Spaß? Spaß!"
Sein nächstes Interview gibt Asmir Begovic auf Englisch.
Auch sein Teamkollege Ermin Bicackic nimmt sich Zeit für ein Interview – sein Markenzeichen ist die gegelte Tolle auf dem Kopf, die Seiten sind geschoren. Bicakcic ist in Zvornik geboren, das heute zur Republika Srpska gehört. Seine Familie flüchtete 1993 nach Deutschland, der kleine Ermin war damals drei Jahre alt. Bicackic fühlt sich als Bosnier und den bosnischen Fans eng verbunden:
"Die Leute haben nicht viel. Den letzten Cent, den sie investieren, ist in die Eintrittskarte ins Stadion. Das möchte man den Leuten auch irgendwo zurückgeben."
Trainer Safet Susic steigt als letzter in den Bus. Der ehemalige Mittelstürmer galt in den 80er-Jahren als einer der besten Spieler des Landes, nahm zweimal an einer WM teil. Damals hieß das Land, für das er stürmte, noch Jugoslawien.
Nur noch wenige Stunden bis zum Spiel zwischen Bosnien und Ägypten. Zwei blau-weiß-gelbe Fanzüge schlängeln sich durch Innsbruck, das Echo der Freudengesänge wird von den Bergen hin- und hergeworfen. Die Fans scheinen aus jedem Winkel der mittelalterlichen Stadt zu singen. Ein leicht gebeugt laufender Herr mit Hut ist empört, es sei doch Aschermittwoch:
"Ich tät´s als Polizei gar nicht erlauben. Das Spiel schon von mir aus. Aber hier zu demonstrieren und zu schreien. Einen christlichen Bekennertag mit Füßen treten im heiligen Land Tirol!"
Sada, Mubera, Sena und Izeta laufen in der Mitte des Zuges mit und schwelgen in Erinnerungen:
"Die ganze Nation war auf den Beinen, als sich die Jungs für Brasilien qualifiziert haben. In der Hauptstadt sind 50.000 Leute zusammengekommen. Junge, Alte, Babys und Omas – alle haben unsere Drachen empfangen."
Selbst der Kommentator rannte aufs Feld
Sinnbild der überschwänglichen Freude wurde Fußballkommentator Marian Mijajlovic. Selbst bosnischer Serbe stellte er nach dem Spiel keine Fragen oder lieferte irgendwelche klugen Analysen. Stattdessen verließ er nach dem 1:0 in Litauen einfach seine Sprecherkabine, lief aufs Spielfeld, um mit den Spielern zu singen und zu tanzen.
Auch dieses Mal sind viele Kinder unter den Fans, auf dem Arm, im Kinderwagen, an der Hand. Der Zug nähert sich dem Tivoli-Stadion in Innsbruck. Menschen mit glücklichen Gesichtern steigen überall aus Bussen und Autos, schließen sich ihm an. Fans der Drachen aus Deutschland und der Schweiz, manche sogar aus Frankreich.
"Das ist zwar nur ein Freundschaftsspiel. Aber wir kennen unseren Staat und wissen, wie heruntergekommen er ist. Deshalb müssen wir ihn unterstützen und fahren für unseren Staat überall hin – Brasilien, Portugal, nach Paris in Frankreich. Wir versuchen zu jedem Spiel zu kommen."
Der etwa dreißig-jährige Bosnier arbeitet in der Schweiz. Dass Bosnien in der ersten Runde der WM auf Argentinien trifft und damit gleich auf einen der Favoriten, trübt seine Freude nicht:
"Das beste Ergebnis ist schon erreicht, einfach weil wir nach Brasilien fahren. Bosnien ist und wird immer Weltmeister in unseren Herzen bleiben."
Zwei Stunden später. Noch fünf Minuten bis zum Anpfiff. Der Journalist Bakir Tiro aus Sarajevo sitzt schon auf seinem Platz im Pressebereich der Tribüne und studiert noch einmal seine Notizen von der Pressekonferenz. Sport bedeutet für ihn Erholung von der vertrackten Politik. Und Hoffnung. Für ihn hat der Fußball das Potential die Bühne zu sein, auf der sich die zerstrittenen nationalen Gruppen des Landes wieder annähern und das Zusammenleben proben.
"Das ist mehr als Sport, Fußball ist eine Lebensform geworden in letzter Zeit. Vor allem in den größeren Städten wie Sarajevo, Tuzla oder Mostar. Die wirtschaftliche Situation ist hart im Land, die Leute haben ihr Glück in der Fußballnationalmannschaft gefunden. Fußball trägt zum Zusammenwachsen unserer Gesellschaft bei. In unserer Mannschaft spielen Leute, die im Krieg auf unterschiedlichen Seiten standen. Heute sind sie die besten Freunde."
Das Spiel beginnt eher träge, die 14.000 bosnischen Fans im Stadion laufen dennoch fast über vor Freude, ihre Drachen auf dem Spielfeld zu sehen: Jeder gelungene Pass wird bejubelt, jede Torchance frenetisch beklatscht und gefeiert.
Die Fans haben die Namen ihrer Städte auf Transparente geschrieben, darunter nicht nur Orte aus der kroatischen und bosnischen Föderation, sondern auch aus der Republika Srpska.
"Ich kann nicht beschreiben, was das für ein Gefühl ist, hier als Bosnier zu sein und dieses Land anzufeuern. Wir lieben das über alles. Wir sind das traurigste Volk der Welt, aber wir lieben unser Land über alles."
Nach der Pause wandelt sich die Euphorie in Wut und Entsetzen: In der 52. Minute fällt das erste Tor für Ägypten, zwölf Minuten später das zweite. Als klar wird, dass die bosnische Mannschaft kein Tor mehr schießen wird, skandieren einige Fans an die Adresse von Nationalspieler Edin Dzeko: "Dzeko raus".
Ein Buh-Konzert für Dzeko
Dieser reagiert wütend, droht den Fans mit geballter Faust und fordert sie gestikulierend auf, aufs Spielfeld zu kommen. Ein Buh-Konzert ist die Antwort. Gegen Ende des Spiels werden minutenlang Handfackeln, Rauchbomben und Böller gezündet.
Auf der anschließenden Pressekonferenz nimmt Trainer Safet Susic seinen Stürmer-Star in Schutz.
"Ein verdienter Sieg von Ägypten. Vielleicht sollte man das Verhalten des Publikums gegenüber Edin Dzeko in Frage stellen - ein Spieler, der der Nationalmannschaft so viel gegeben hat. Dass sie ihn in einem Freundschaftsspiel auspfeifen und "Dzeko raus" fordern, das hat er nicht verdient."
Trotz der klaren Niederlage, versucht er sich gegenüber den Journalisten locker zu geben.
"Ihr könnt jetzt schreiben, was ihr wollt, aber wenn ihr denkt, dass ich wegen der Niederlage besonders besorgt bin, liegt ihr falsch: Das war nicht das erste und letzte Freundschaftsspiel, das wir verloren haben und vielleicht verlieren wir auch die nächsten zwei. Aber ich habe viele Dinge gesehen, die mich interessieren und die mir helfen werden bei wichtigen Spielen."
Hinten im Raum, neben einem Kamerateam, sitzt Bakir Tiro aus Sarajevo.
"Die Mannschaft hat heute nicht alles gegeben, aber das Publikum hätte auch nicht so reagieren dürfen bei einem Freundschaftsspiel. Es ist keine Schande zu verlieren, vor allem nicht gegen Ägypten. Aber wir sind Bosnier – bei uns gibt es nur Riesen-Freude oder Riesen-Trauer, und nichts in der Mitte. Das ist eines der Probleme, das uns schon viel gekostet hat im Leben."
10 Wochen später, rund 1000 Kilometer südöstlich. Das Stadion Hrasnica in Sarajevo hat schon bessere Tage erlebt. Die Gitter rosten, die Farbe blättert. Hier bereitet sich die bosnische Fußballnationalmannschaft auf die WM in Brasilien vor. Und die Grundschüler aus der Nachbarschaft haben das längst spitz bekommen.
"Wir sind gleich nach der Schule mit den Schulranzen hergelaufen, ohne nach Hause zu gehen."
Die Kinder sind direkt nach der Schule hergekommen. Sie rufen die Namen ihrer Lieblingsspieler.
"Ich bin Fan von Edin Dzeko und von Ibisevic."
"Und ich von Dzeko."
"Ich von Miralem Pjancic!"
Dann sagen sie, wir spielen alle Fußball. Ob sie auch jemanden kennen, der nicht für die bosnische Mannschaft ist?
"Wir spielen alle Fußball!"
Alle Kinder feuern Bosnien an
Dann erzählen die Schüler, dass sie eigentlich nur einen kennen, der nicht die bosnische Mannschaft anfeuert. Einer der Brüder und ein Muhammed, der die bosnische Mannschaft langweilig findet und für Argentinien ist.
"Nein!"
"Doch! Mein Bruder!"
"Auch so ein Muhamed ist nicht für Bosnien-Herzegowina. Er ist immer für Argentinien, weil er die bosnische Mannschaft langweilig findet."
Und kommt Bosnien ins Halbfinale?
"Ja, ja!"
Das bejahen sie, denn schließlich sei dass der beste Fußball-Club der Welt.
"Ja, weil ich denke, dass das der beste Fußballklub der Welt ist."
Viel zu sehen bekommen die kleinen Fußballfans an diesem Vormittag allerdings nicht: Die Spieler drehen ein paar Runden auf dem Rasen und dehnen sich. Trainer Safet Susic will seine Jungs fit halten, aber auch schonen vor dem kräftezehrenden Turnier. Nach einer knappen Stunde geht es im Mannschaftsbus zurück ins Hotel.
Hinter allen Autos und Hausecken stürmen plötzlich Kinder hervor und laufen begeistert hinter dem Bus her.
Nicht überall in Bosnien wird der Stolz auf die Drachen, die bosnische Nationalelf, so offen gezeigt. In Banja Luka im Norden Bosniens zum Beispiel, fünf Busstunden von Sarajevo entfernt, sind fast nur serbische Flaggen zu sehen. Seit Milorad Dodik 2006 erst Premierminister und dann Präsident der Republika Srpska wurde, hat er alle Staatsembleme von Bosnien-Herzegowina aus dem öffentlichen Bild verbannt, seine Rhetorik nationalistisch getrimmt.
Auch die T-Shirts, Flaggen und Wimpel, die an den Ständen in der Fußgängerzone verkauft werden, sind in rot-blau-weiß – den Farben des Nachbarlandes Serbiens. Das allerdings fährt nicht zur WM – ist in der Qualifikation gescheitert.
"Der Hass zwischen den Nationen ist geblieben."
Die Cafés in Banja Luka sind schon am Vormittag gut gefüllt. Nach der bosnischen Mannschaft befragt, gibt sich ein junger Mann betont gleichgültig.
"Mir ist das vollkommen egal. Ich finde nur schade, dass es Serbien nicht geschafft hat. Mich verbindet nichts mit Bosnien. Das hier ist der serbische Teil von Bosnien-Herzegowina. 99 Prozent der Menschen hier sind für das serbische Team, hier lebt nur die serbische Nation."
"Der Hass zwischen den Nationen ist geblieben"
Srdjan Krsmar ist 19 Jahre alt, er studiert und arbeitet ehrenamtlich als Fußball-Schiedsrichter. Zwei weitere junge Männer nähern sich, einer von ihnen trägt ein T-Shirt mit dem Wappen von Serbien, der andere eine Zahnspange:
"Serbien vor!"
"Kennt ihr Bosnier? Habt ihr bosnische Bekannte?"
"Ja, natürlich! Ich habe nicht gesagt, dass es schlechte Leute sind. Gerade habe ich mit einem bosnischen Freund zusammengesessen. Er ist okay. Aber es gibt immer ein komisches Gefühl ihnen gegenüber. Zum Beispiel bei einem Fußballspiel: Er ist für die bosnische Mannschaft und ich für die serbische. Der Hass zwischen den Nationen ist geblieben, das geht einfach nicht."
Fußball sei wie alles in Bosnien politisch geworden, sagt auch der Soziologe Mladen Mirosavjlevic. Er arbeitet an der Universität von Banja Luka. In der Mittagspause sitzt er in einem Café am Rande der Stadt.
Die Politiker in der Republika Srpska gehen mit schlechtem Beispiel voran, sagt Mirosavjlevic:
"Hier bei uns sagen Leute in Regierungskreisen, dass sie nicht die eigene, sondern die Mannschaft anderer Länder anfeuern. Und dann fangen auch die Menschen an, das so wahrzunehmen."
Dahinter steckt die immer wiederkehrende Botschaft von Politikern wie Dodik, dass sich die Republika Srpska vom Rest des Landes abspalten sollte, dass sie als unabhängiger Staat erfolgreicher wäre. Obwohl sie ein Teil von Bosnien ist.
"Dafür gibt es ein schönes Wort, das in der heutigen globalisierten Welt jeder versteht: Bullshit! Ich denke, dass das nur eine riesige Manipulation ist. Es gibt hier in der Republika Srpska nur eine kleine Zahl Menschen, denen es außerordentlich gut geht. Die meisten Bürger wissen nicht, wie sie den nächsten Monat überleben sollen. Sie kämpfen darum, dass sie im nächsten Monat oder Jahr noch Arbeit haben werden. Diese Leute wollen keine radikalen Ideen oder Veränderungen. Ihnen wird aber suggeriert: wenn eine andere Regierung an die Macht kommt, verliert ihr vielleicht eure Arbeit. Wählt lieber uns und behaltet so eure gesellschaftliche Position."
Überall Grenzposten, obwohl der Bus nur durch ein Land fährt
Und so schweigen auch diejenigen, die nicht einverstanden sind mit der nationalistischen Politik, Menschen, die in der Privatwirtschaft oder im akademischen Bereich arbeiten, so der Soziologe:
"Sie haben Angst, dass sie öffentlich kritisiert werden, weil sie gegen die Regierung sind. Das würde bedeuten, dass ihre Existenz gefährdet ist."
Mladen Mirosavljevic muss los, noch ein Seminar in Belgrad vorbereiten, wo er auch lehrt.
Zurück im Bus nach Sarajevo. Eine der schönsten Strecken des Landes mit seinen nur wenig mehr als vier Millionen Einwohnern: die Berge wie grüne flauschige Puschel, im Tal der Fluss Bosna als türkisfarbenes Band. Mal aufgestaut, mal ein schnellfließender Fluss, der über die Steine hinwegjagt. Der Busfahrer fährt in schwindelerregendem Tempo durch Tunnel und an den entgegenkommenden Fahrzeugen vorbei und unterhält sich währenddessen mit einem Passagier. Draußen säumen halbfertige Häuser die Straße – sie haben Treppen ohne Geländer, Balkone ohne Brüstung. Immer wieder tauchen Grenzposten auf, obwohl wir doch in ein und demselben Land reisen.
Für Trainer Safet Susic und seine Spieler geht die Vorbereitung für die WM jetzt in die heiße Phase. Trainer und Spieler sind im Hotel Herzegowina am Rande von Sarajevo einquartiert.
Ermin Bicakcic trainiert wegen einer Verletzung in diesen Tagen nicht mit, trotzdem erscheint er im Trainingsanzug der Nationalmannschaft zum Interview, das Emblem von Bosnien-Herzegowina auf der linken Seite über dem Herzen. Die gegelte Tolle des 24-Jährigen sitzt perfekt.
"Jeder hat seine eigene Story"
Bicakcic wirkt trotz seiner Verletzung gelassen wie ein alter Hase. Vielleicht auch deshalb, weil er schon mit 15 Jahren von Zuhause ausgezogen ist und für sich und seine Fußballerkarriere selbst Verantwortung übernommen hat. Gleichzeitig weiß er, dass er nur ein Teil des Fußball-Märchens Bosnien-Herzegowina ist:
"Einerseits ist die individuelle Klasse entscheidend in unserer Mannschaft, aber wir sind auch als Mannschaft zusammengewachsen. Das ist auch unserer Mentalität geschuldet, dass einer für den anderen einsteht. Es hat noch ein Edin Dzeko, ein Spahic und ein Bicackic kein Spiel allein gewonnen."
Ermin Bicakcic hat mit dem komplizierten Alltag in Bosnien, der immer unter ethnischem Vorzeichen steht, nichts zu tun. Ihm geht es gut, er verdient gut. Muss sich nicht mit der schwerfälligen Verwaltung im Land herumschlagen, nicht mit drei verschiedenen Vorwahlen für drei nationale Funknetze. Aber die Vergangenheit trägt er trotzdem in sich, genau wie die anderen Spieler:
"Jeder hat seine eigene Story, aber irgendwie verbindet uns die gleiche Geschichte mit der Kriegszeit. Das überträgt sich dann auf dem Platz. Ich bin mit relativ jungen Jahren über ein paar Zwischenstationen nach Deutschland gekommen, Sead Salihovic genauso, Vedad Ibisevic über Amerika. Aber groß thematisiert wird das nicht. Wir haben uns alle irgendwie durchgekämpft und jetzt haben wir uns hier in der Nationalmannschaft wieder getroffen. Wir sind die Kriegskinder, die damals vor dem Krieg geflüchtet sind, das kann man nicht vergessen."
Und heute, knapp 20 Jahre später, laufen die Kinder derer, die in dem zerrissenen Land geblieben sind, hinter dem Bus her, in dem er und seine Teamkollegen sitzen und rufen auch seinen Namen. Ein tolles Gefühl.
"Das ist ein Grund, warum ich Fußball spiele. Ich weiß selber, wie ich früher war. Ich hatte etliche Trikots, die ich auch hier in Bosnien gekauft habe für zehn Mark. Da habe ich auch gar kein Problem mit den Kindern Fotos zu machen. Das ist einfach schön, wenn die Kids kommen und sagen, ich war beim Friseur und habe die gleiche Frisur wie du gemacht. Ich repräsentiere nicht nur dieses Wappen hier, sondern ein ganzes Land. Da bin ich dankbar, dass ich das machen darf, diese Fahne tragen darf, ihnen diese Freude geben. Nur zusammen können wir es schaffen, in jeder Hinsicht."
Katrin Lechler: "Fußball? Da fielen mir bisher nur sich verknäulende Männer auf dem Spielfeld und grölende Fans in der U-Bahn ein. Was Fußball in Bosnien-Herzegowina für eine Bedeutung hat, das wurde mir erst klar, als ich ein Freundschaftsspiel der Mannschaft sah:"
Die Redakteurin Katrin Lechler
Die Redakteurin Katrin Lechler© privat