"Furchtbare Denkmale"
Im nordhessischen Bad Wildungen stehen fast 20 Hochbunker. Die Ausstellung "Bunker-Ästhetik", die am Tag des offenen Denkmals eröffnet wurde, befasst ich nun mit den Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg.
Poststraße 2. In der Straße am Bad Wildunger Altstadtrand erinnern zwei Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig an die jüdischen Frauen Hedwig und Berta Baer, die sich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im April 1940 aus Angst vor den Nazis und der drohenden Deportation das Leben genommen haben.
Ein viel größerer Stolperstein liegt gleich auf der anderen Straßenseite: ein massiver Bunker in Form eines mittelalterlichen Stadttors, der mit einem Bein auf dem Schulhof der Wildunger Grundschule steht. Es ist einer der Hochbunker, die unter strenger Geheimhaltung in Bad Wildungen gebaut worden sind. Alle kriegsrelevanten Prototypen des damaligen Bunkerbaus sind hier auf engstem Raum versammelt. Volker Brendow, Leiter der Städtischen Museen.
"Es hängt, ich muss vorsichtig sagen, wohl damit zusammen, dass Göring beabsichtigt hat, hier vorrübergehend sein Hauptquartier zu errichten, weil es darüber so gut wie keine Unterlagen gibt, und deswegen wurde Wildungen in den Jahren 1939/ 40 mit einer Zahl von 16/ 17 Bunkern überzogen, die so gut eingepasst und so gut versteckt sind, dass heute noch darüber ein bisschen gestritten wird, wie viel sind es nun wirklich."
Das Luftwaffenhauptquartier sollte den Frankreichfeldzug organisieren. In Vorfeld wurde die Stadt zur Großbaustelle.
"Wildungen muss in diesen Jahren eine riesige Baustelle gewesen sein, die sind alle gleichzeitig errichtet, zentral von Berlin gesteuert und dennoch gibt es so gut wie kein Material, Fotomaterial, Presseartikel. Nichts!"
Zeitzeugen fehlen, selbst nach dem Krieg blieben die Wildunger Bürger stumm. Die Bunker wurden einfach übersehen und nicht einmal exakt gezählt. Im Bad Wildunger Kurpark steht nun ein weiterer Stolperstein. In das edle Halbrund der Wandelhalle wurde ein albanischer Einmann-Bunker gestellt, der wie ein großer gepanzerter Champignon den Kurfrieden stört. Ausstellungskurator Harald Kimpel.
"Hintergrund ist, dass in Albanien heute noch hunderttausende dieser Bunker das Land überschwemmen, weil in der Ära Hodscha der letzte stalinistische Staat in Europa versucht hat, sich gegen die Feinde aus Westen auf diese Weise abzudichten. Eine makabere Situation, die das Ganze Land mit Bunkern regelrecht überschwemmt."
Das herzlose Ding hat der türkische Künstler Hüseyin Alptekin nach Deutschland gebracht. Es ist nun ein Exponat der Ausstellung "Bunker-Ästhetik", die bis Mitte November in der Wandelhalle zu sehen ist.
"Wir haben Werke, um besser zu sagen Werkgruppen von insgesamt vierzehn verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern. Ganz wesentlich und elementar und zunächst Mal ist der Zugriff der Fotografie, die ganz bestimmte Kriterien des Systematisierens anlegt. Aus diesem Fotografieren entwickelt sich dann für viele Künstler eine malerische Verarbeitung, es geht dann durch alle Medien, Zeichnung, Malerei, eben auch Skulptur, und es geht dann bis hin zum ironischen Umgang. Der Karikaturist Gerhard Glück hat einige Blätter beigesteuert, mit denen er versucht, dem Bunker beizukommen, indem er ihn kaputtlacht."
Es gibt Fotos von Peter Jacobi, Matthias Koch und Magdalena Jetelová, Skulpturen von Joachim Bandau und subtile Collagen der New Yorkerin Linda Cunningham, die in ihrer Heimat gar keine Bunker kennt und sie erst mals in Nordfrankreich sah.
"Der Kontrast von der Schönheit, von Natur und die unglaublich hässlichen Bunker von diesem schwierigen Weltkrieg. Furchtbare Denkmale, keiner kann die wegdenken. Ich habe lange probiert, das zusammenzubringen, wie kann ich das schaffen und am Ende, ja es kam endlich eine Lösung."
Das große Interesse an Bunker-Ästhetik ist dem französischen Philosoph Paul Virilio zu verdanken. Er hat sich in den 70er-Jahren mit den Atlantik-Wall-Bunkern in der Bretagne beschäftigt.
"Er hat diese Objekte dort an den Stränden systematisch erfasst, typologisch sortiert, aber darüber hinaus gleichzeitig in ein philosophisches System von militärischer Landschaft gebracht und hat es gleichzeitig mythologisiert, indem er antike Bauten, ägyptische Tempel, Maja-Sakral-Architektur in Beziehung gesetzt hat zu dem, was er dort am Strand findet und was dann mit der Zeit wieder verschwindet."
Mit Virilio sehen wir Bunker völlig neu. Es sind Spiegel aus Beton, die von unserer eigenen Macht und Ohnmacht erzählen. Die Dialektik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und von Schutz und Gefahr ist auch an den Wildunger Bunkern ablesbar.
"Es handelt sich um Objekte zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Sie sind ja eigentlich unsichtbar, sie sollen unsichtbar sein, weil sie ja von ihrer ursprünglichen Zwecklage her getarnt werden sollten, sie sollten übersehen werden, Übersehenswürdigkeiten."
Erst jetzt wagen Wildunger Bürger einen zaghaften Blick auf ihr üppiges Bunkererbe. Bürgermeister Volker Zimmermann kennt die Bunker seiner Heimatstadt, und er ist froh, dass die bisher ungeliebten Betonklötze nun endlich ihre provokante Kraft entfalten.
"Unangenehm ist, dass wir uns in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht etwas sehr zurückhaltend mit diesen Gebäuden und ihrer Historie hier befasst haben. Und deswegen ist es gut und richtig, dass wir die Geschichte, auch den geschichtlichen Hintergrund dieser bemerkenswerten Ballung von Bunkern unterschiedlicher Architektur hier in dieser kleinen Stadt, dass wir uns damit befassen, und das wir das eben auch nach außen hin deutlich machen."
Ausstellungkurator Harald Kimpel setzt noch eins drauf, er weiß genau, was Künstler in solchen Situationen leisten können.
"Der künstlerische Zugriff ist überhaupt darauf abgestellt, dass man von den Bunkern was lernt. Man soll im Endeffekt und patethisch gesagt lernen, dass die Gründe, aus denen heraus die Bunker seinerzeit gebaut wurden, bitteschön sich doch nicht wiederholen sollen."
Links:
Bad Wildungen
Bilder Luftschutzbunker
Stolpersteine
Katalog:
Harald Kimpel (Hg.) Bunker-Ästhetik. Wandelhalle Bad Wildungen. Marburg (Jonas Verlag) 2009
Ein viel größerer Stolperstein liegt gleich auf der anderen Straßenseite: ein massiver Bunker in Form eines mittelalterlichen Stadttors, der mit einem Bein auf dem Schulhof der Wildunger Grundschule steht. Es ist einer der Hochbunker, die unter strenger Geheimhaltung in Bad Wildungen gebaut worden sind. Alle kriegsrelevanten Prototypen des damaligen Bunkerbaus sind hier auf engstem Raum versammelt. Volker Brendow, Leiter der Städtischen Museen.
"Es hängt, ich muss vorsichtig sagen, wohl damit zusammen, dass Göring beabsichtigt hat, hier vorrübergehend sein Hauptquartier zu errichten, weil es darüber so gut wie keine Unterlagen gibt, und deswegen wurde Wildungen in den Jahren 1939/ 40 mit einer Zahl von 16/ 17 Bunkern überzogen, die so gut eingepasst und so gut versteckt sind, dass heute noch darüber ein bisschen gestritten wird, wie viel sind es nun wirklich."
Das Luftwaffenhauptquartier sollte den Frankreichfeldzug organisieren. In Vorfeld wurde die Stadt zur Großbaustelle.
"Wildungen muss in diesen Jahren eine riesige Baustelle gewesen sein, die sind alle gleichzeitig errichtet, zentral von Berlin gesteuert und dennoch gibt es so gut wie kein Material, Fotomaterial, Presseartikel. Nichts!"
Zeitzeugen fehlen, selbst nach dem Krieg blieben die Wildunger Bürger stumm. Die Bunker wurden einfach übersehen und nicht einmal exakt gezählt. Im Bad Wildunger Kurpark steht nun ein weiterer Stolperstein. In das edle Halbrund der Wandelhalle wurde ein albanischer Einmann-Bunker gestellt, der wie ein großer gepanzerter Champignon den Kurfrieden stört. Ausstellungskurator Harald Kimpel.
"Hintergrund ist, dass in Albanien heute noch hunderttausende dieser Bunker das Land überschwemmen, weil in der Ära Hodscha der letzte stalinistische Staat in Europa versucht hat, sich gegen die Feinde aus Westen auf diese Weise abzudichten. Eine makabere Situation, die das Ganze Land mit Bunkern regelrecht überschwemmt."
Das herzlose Ding hat der türkische Künstler Hüseyin Alptekin nach Deutschland gebracht. Es ist nun ein Exponat der Ausstellung "Bunker-Ästhetik", die bis Mitte November in der Wandelhalle zu sehen ist.
"Wir haben Werke, um besser zu sagen Werkgruppen von insgesamt vierzehn verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern. Ganz wesentlich und elementar und zunächst Mal ist der Zugriff der Fotografie, die ganz bestimmte Kriterien des Systematisierens anlegt. Aus diesem Fotografieren entwickelt sich dann für viele Künstler eine malerische Verarbeitung, es geht dann durch alle Medien, Zeichnung, Malerei, eben auch Skulptur, und es geht dann bis hin zum ironischen Umgang. Der Karikaturist Gerhard Glück hat einige Blätter beigesteuert, mit denen er versucht, dem Bunker beizukommen, indem er ihn kaputtlacht."
Es gibt Fotos von Peter Jacobi, Matthias Koch und Magdalena Jetelová, Skulpturen von Joachim Bandau und subtile Collagen der New Yorkerin Linda Cunningham, die in ihrer Heimat gar keine Bunker kennt und sie erst mals in Nordfrankreich sah.
"Der Kontrast von der Schönheit, von Natur und die unglaublich hässlichen Bunker von diesem schwierigen Weltkrieg. Furchtbare Denkmale, keiner kann die wegdenken. Ich habe lange probiert, das zusammenzubringen, wie kann ich das schaffen und am Ende, ja es kam endlich eine Lösung."
Das große Interesse an Bunker-Ästhetik ist dem französischen Philosoph Paul Virilio zu verdanken. Er hat sich in den 70er-Jahren mit den Atlantik-Wall-Bunkern in der Bretagne beschäftigt.
"Er hat diese Objekte dort an den Stränden systematisch erfasst, typologisch sortiert, aber darüber hinaus gleichzeitig in ein philosophisches System von militärischer Landschaft gebracht und hat es gleichzeitig mythologisiert, indem er antike Bauten, ägyptische Tempel, Maja-Sakral-Architektur in Beziehung gesetzt hat zu dem, was er dort am Strand findet und was dann mit der Zeit wieder verschwindet."
Mit Virilio sehen wir Bunker völlig neu. Es sind Spiegel aus Beton, die von unserer eigenen Macht und Ohnmacht erzählen. Die Dialektik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und von Schutz und Gefahr ist auch an den Wildunger Bunkern ablesbar.
"Es handelt sich um Objekte zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Sie sind ja eigentlich unsichtbar, sie sollen unsichtbar sein, weil sie ja von ihrer ursprünglichen Zwecklage her getarnt werden sollten, sie sollten übersehen werden, Übersehenswürdigkeiten."
Erst jetzt wagen Wildunger Bürger einen zaghaften Blick auf ihr üppiges Bunkererbe. Bürgermeister Volker Zimmermann kennt die Bunker seiner Heimatstadt, und er ist froh, dass die bisher ungeliebten Betonklötze nun endlich ihre provokante Kraft entfalten.
"Unangenehm ist, dass wir uns in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht etwas sehr zurückhaltend mit diesen Gebäuden und ihrer Historie hier befasst haben. Und deswegen ist es gut und richtig, dass wir die Geschichte, auch den geschichtlichen Hintergrund dieser bemerkenswerten Ballung von Bunkern unterschiedlicher Architektur hier in dieser kleinen Stadt, dass wir uns damit befassen, und das wir das eben auch nach außen hin deutlich machen."
Ausstellungkurator Harald Kimpel setzt noch eins drauf, er weiß genau, was Künstler in solchen Situationen leisten können.
"Der künstlerische Zugriff ist überhaupt darauf abgestellt, dass man von den Bunkern was lernt. Man soll im Endeffekt und patethisch gesagt lernen, dass die Gründe, aus denen heraus die Bunker seinerzeit gebaut wurden, bitteschön sich doch nicht wiederholen sollen."
Links:
Bad Wildungen
Bilder Luftschutzbunker
Stolpersteine
Katalog:
Harald Kimpel (Hg.) Bunker-Ästhetik. Wandelhalle Bad Wildungen. Marburg (Jonas Verlag) 2009