Fundgrube für Pflanzenliebhaber

Bereits 300 v. Chr. versuchten sich Botaniker an einer Systematisierung von Pflanzen. Doch es sollten noch gut 2000 Jahre vergehen, bis die Grundlagen einer bis heute gültigen Kategorisierung und Benennung geschaffen wurden. Anna Pavord blickt in ihrem Buch "Wie die Pflanzen zu ihren Namen kamen" auf die Kulturgeschichte der Botanik zurück.
Es geht der britischen Autorin Anna Pavord nicht um all die klingenden und regional sehr unterschiedlichen volkstümlichen Pflanzenbenennungen, also nicht um Natternkopf und Fetthenne, Schwertlilie oder Jungfer im Grünen. Sie schildert in ihrem breit angelegten historischen Panorama die vielen Verzweigungen und Umwege bei der allmählichen Herausbildung einer Wissenschaft von den Pflanzen mit universell gültigen Standards.

Das Sammeln und Sichten, Aufhäufen und Ordnen, die Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden, nach Verwandtschaften und Beziehungen der Pflanzen untereinander beginnt schon 300 v. Chr. in Griechenland durch Theophrastus von Ereos, einem Aristoteles-Schüler. Er stellte zwar entscheidende systematische Fragen, schlägt eine Einteilung in vier Kategorien vor – Bäume, Sträucher, Stauden und Kräuter. Doch fehlten damals noch sämtliche Grundkenntnisse über den pflanzlichen Lebenszyklus und Stoffwechsel.

Nach seiner "Naturgeschichte der Gewächse" verbreitete sich das Wissen in die islamische Welt und ist dort um den Bestand persischer, indischer und arabischer Pflanzen erweitert worden.
Das griffen in der Renaissance die humanistischen Gelehrten wieder auf und profitierten zudem von neuen kulturellen Errungenschaften: Papier und Druck.

Pflanzenporträts werden lebendiger, spiegeln die Mannigfaltigkeit der Natur. So verblüfft Albrecht Dürer mit seinen genauen Beobachtungen, Leonardo da Vinci interessiert sich für den Bauplan von Pflanzen. Das Wissen über Pflanzen wächst mit wissenschaftlichen Exkursionen, mit Sammlungen getrockneter Pflanzen und der Einrichtung der ersten botanischen Gärten in Italien.

Das Lateinische, die Sprache, die alle Pflanzenkundler (zumeist Mediziner) an den Universitäten quer durch Europa verstehen, erleichtert Neubenennungen und schafft mehr Eindeutigkeit. So beginnt Leonhart Fuchs in Tübingen mit den heute so vertrauten zweigliedrigen lateinischen Namen (etwa Digitalis purpurea), auch wenn biologische und biochemische Prozesse weiterhin unverstanden bleiben.
Andrea Cesalpino in Pisa macht Samen und Frucht zum definierenden Merkmal. Der Flame Matthias Lobelius bevorzugt die Blattform. Doch erst die Erfindung des Mikroskops Ende des 16. Jahrhunderts erlaubt den tieferen Blick in den Aufbau von Pflanzen. Doch die Rolle von Licht, Sauerstoff und Kohlendioxyd, das heißt die Photosynthese musste erst noch begriffen werden. Schließlich setzt der Schwede Carl Linnaeus im 18. Jahrhundert eine universell verständliche Benennung der Pflanzen nach Art, Gattung und Familie durch. Die DNA war da immer noch unbekannt.

Anna Pavord präsentiert eine Vielzahl von Forscherlebensläufen auf dem Weg zur genauen Pflanzenkenntnis, sie erörtert Zeitphänomene wie die Entwicklung des Buchdrucks und die Herausbildung der Ikonographie der Pflanzendarstellung, die mit einer Fülle herausragender Illustrationen dokumentiert ist. Sie beschreibt den Einfluss der Reformation auf die Wanderbewegungen der Gelehrten, auch deren Konkurrenz untereinander.

Die Kapitel lassen sich durchaus einzeln lesen, da die Autorin die Ausgangssituation jeweils rekapituliert, hin und wieder auch die Geschichte ihrer eigenen Recherche in Museen, Archiven und in der freien Natur einfließen lässt. Aber das weiträumige kultur- und wissensgeschichtliche Panorama endet im 17.Jahrundert, also vor den entscheidenden Schüben der Botanik, das heißt vor Linneus im 18. Jahrhundert, vor Darwin und seinen evolutionsbiologischen und ökologischen Experimenten im 19.Jahrhundert, vor der Entdeckung der biochemischen und genetischen Zusammenhänge im 20. Jahrhundert.

Und so ist der Untertitel ein wenig irreführend, denn im Grunde behandelt Anna Pavord die Vorgeschichte der Botanik als wissenschaftliche Disziplin - von ihren frühen Anfängen in der Antike bis ins 17. Jahrhundert; trotzdem ein großes Stück Wissensgeschichte - unterhaltsam, vielseitig, eine Freude und Fundgrube für Pflanzenliebhaber.

Rezensiert von Barbara Wahlster

Anna Pavord: Wie die Pflanzen zu ihren Namen kamen. Eine Kulturgeschichte der Botanik
Aus dem Englischen von Hainer Kober
Berlin Verlag 2008
567 Seiten, 39,90 Euro