Full Spin Festival in Essen

Voller Körpereinsatz

Von Stefan Keim · 08.07.2017
Früher hieß es Pantomime, heute "Physical Theatre". An der Folkwang Universität in Essen gibt es den bundesweit einzigen Studiengang für all diejenigen, für die beim Theater zu wenig Körpereinsatz gefordert ist. Und mit Full Spin ein eigenes Festival.
Auf der Bühne steht ein mit Essen beladener Tisch. Langsam vergammelt der Salat, auch das Obst ist nicht mehr ganz frisch. Mit dem Stück "Deep Dish" der österreichischen Gruppe "Liquid Loft" begann das Full Spin Festival in Essen. Eine Kamera fliegt hindurch und sendet Nahaufnahmen auf die Leinwand im Hintergrund der Bühne. Die Bilder lösen unterschiedliche Assoziationen aus. Mal wirken sie wie eine Kraterlandschaft, dann wie ein Garten der Lüste, später apokalyptisch. Die Darsteller führen nicht nur die Kamera, sie winden und schlängeln sich ins Bild. Tanztheater? Eine Performance? Die Kategorien passen ein bisschen und auch wieder nicht. Es ist Physical Theatre.
"Der Begriff des Physical Theatre ist im Resteuropa ein sehr gängiger. In Deutschland durch seine starke geprägte Theatertradition ist der Begriff so noch nicht benutzt worden, auch in seiner Radikalität noch nicht belegt worden, und deshalb noch jung."
Thomas Stich ist Professor für Physical Theatre an der Folkwang Universität der Künste. Es ist der einzige Studiengang dieser Art in Deutschland. Früher hieß die Ausbildung Pantomime, vor neun Jahren wurde sie umbenannt.
"Die Bandbreite beginnt von der traditionellen Mime über zirzensische Verfahren über tänzerische Verfahren. Und dieses Label ist tatsächlich ein breites Label. Es gibt tatsächlich nicht die eine präzise Definition. Es beschreibt eher den Angang und den Referenzpunkt Körper als Ausgangspunkt einer theatralen Recherche."

Radikales Training

So reden Professoren. Warum studieren junge Leute Physical Theatre? Elisabeth Hofmann hat den Essener Studiengang gerade abgeschlossen.
"Ich komm ursprünglich vielleicht doch vom Tanz, hab immer viel getanzt. Mich dann später für eine Schauspielausbildung entschieden, dann aber gemerkt, dass mir dann oft schnell der Körper fehlte. Hab dann nach etwas gesucht, wo ich die Schauspielarbeit und die damals noch tänzerische Arbeit verbinden kann und hab das dann im Physical Theatre gefunden."
Auf der Bühne steht ein mit Essen beladener Tisch. Langsam vergammelt der Salat, auch das Obst ist nicht mehr ganz frisch. „Deep Dish“ der österreichischen Gruppe „Liquid Loft“.
„Deep Dish“ der österreichischen Gruppe „Liquid Loft“© Michael Loizenbauer
Und was macht so ein Studium praktisch aus, im Vergleich zu Schauspielschulen? Thomas Stich erklärt:
"Die technischen Tools, die man unterrichten muss, das heißt, ein sehr spezifisches, auch sehr radikales Training in Körper und Stimme. Auf der anderen Seite den Freiraum den Studierenden zu geben, in kleinen Portionen, die dann immer größer werden, Stückentwicklungen zu betreiben. Denn das ist der wesentliche Unterschied zum Schauspielstudium. Von Anbeginn werden die Studierenden aufgefordert: Was hast du zu erzählen?"
Und Elisabeth Hofmann führt aus:
"Ich bin mittlerweile in drei verschiedenen Kollektiven, Theaterkollektiven. Eins davon ist Kimchibrot Connection, wo wir in der Stückentwicklung viel geguckt haben – es geht um moderne Beziehungsformen, um die Utopie der großen Liebe – was ist der körperliche Zugang zu diesem Thema?"

Und wenn sie nicht gestorben sind ...

"Living happily ever after" heißt das Stück, in dem Elisabeth Hofmann mitspielt. Natürlich ist der Titel ironisch gemeint. Die Performer lassen eine Soundcollage mit Dialogen aus Hollywoodfilmen ablaufen und spielen ihre eigenen Versionen dazu. Die Körper erzählen etwas anderes als die Worte. Einige Aufführungen des Festivals sind witzig, ironisch, manche bewegen sich in der Nähe von Slapstick und Clownerie. Dazu nochmal Thomas Stich:
"Das physische Theater hat auch eine Hinwendung zu dem, was man als Humor bezeichnet. Und wenn man Humor heute womöglich relevanter als Waffe, als Umsetzungswaffe beschreibt, nicht nur als ein leichtes, verdaubares Genre, dann stimmt das."
Aber wie lässt sich das Physical Theatre konkret abgrenzen gegenüber anderen Theaterformen? Eigentlich gar nicht. Die Aufführungen, die beim Full Spin Festival in der Maschinenhalle Essen laufen, könnten auch auf vielen anderen Off-, Fringe- oder sonstigen Theaterfestivals gezeigt werden. Allerorten vermischen sich Formen, das Label Physical Theatre ist letztlich vor allem eins; ein Marketinginstrument. Und – egal, wie das Label nun heißt, das man drauf klebt – am Ende zählt die Qualität.
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