Fuest: Verstaatlichung ist "das kleinere Übel"

Clemens Fuest im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Clemens Fuest hält eine vollständige staatliche Übernahme der angeschlagenen Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) für sinnvoll. In der derzeitigen Krisensituation sei es empfehlenswert, wenn der Staat das Kapital des Instituts vorübergehend kontrolliere, sagte der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium.
Gabi Wuttke: Mit mehr als 100 Millionen Euro steht die Hypo Real Estate bei uns, den deutschen Steuerzahlern, schon in der Kreide und sieht trotzdem kein Land. Deshalb wollen der Bundesfinanzminister und die Kanzlerin, dass der Staat die Kontrolle übernimmt. Wie der Gesetzentwurf aussieht, der morgen vom Kabinett beschlossen werden soll, wissen womöglich heute noch nicht einmal alle Beteiligten. Professor Clemens Fuest ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Oxford und leitet den Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums. Schönen guten Morgen.

Clemens Fuest: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Dass dieses Rettungsübernahmegesetz nun am Mittwoch im Kabinett verabschiedet werden soll, ist das für Sie ein Zeichen, dass die Regierung mit dem Großaktionär Flowers auf Granit gebissen hat?

Fuest: Ja, das muss man abwarten, ob da wirklich auf Granit gebissen wird. Es ist zu hoffen, dass da vielleicht doch noch eine Einigung zustande kommt. Aber wenn das nicht der Fall ist, ist es schon richtig, dass da durchgegriffen wird, meine ich.

Wuttke: Es sieht ja alles danach aus, dass es ein Gesetz geben soll, das speziell auf den Fall des Baufinanzierers HRE zugeschnitten ist. Unter welchen Bedingungen wäre es für Sie eine richtige Entscheidung, Aktionäre zu enteignen?

Fuest: Das wäre dann eine richtige Entscheidung, wenn es eben nicht zu einer Einigung mit dem Investor Flowers käme. Man muss sehen, dass das hier keine Enteignung ist, wie man sie aus der Vergangenheit kennt oder wie man sie auch aus sozialistischen Ländern kennt, sondern um eine ziemlich spezielle Maßnahme im Zusammenhang der Finanzkrise. Und das Dilemma besteht einfach darin, dass man die Bank eben nicht insolvent gehen lassen kann. Und jetzt warten die Aktionäre ab und versuchen natürlich dann noch, Kapital aus der Situation zu schlagen.

Wuttke: Die Kanzlerin hat davon gesprochen, dass der Staat, die Bundesregierung, die Kontrollmehrheit haben will. Ist das eine ganz klar definierte Sache? Ganz offensichtlich nicht, denn es gibt ja die Diskussion, mit wie viel Prozent, 50 plus 1, 75-, 95-prozentiger Beteiligung der Staat der Hypo Real Estate auf die Finger schauen kann, was da in Zukunft passiert.

Fuest: Angesichts der Situation wäre eine vollständige Übernahme sinnvoll. Die wäre ja auch nur vorübergehend. Das heißt, der Staat will hier nicht Unternehmer oder Banker werden, sondern vorübergehend das Kapital der Hypo übernehmen. Langfristig würde man dann versuchen, das Institut wieder zu privatisieren.

Wuttke: Auch Sie sagen, die Hypo Real Estate müsse gerettet werden. Es heißt ja allenthalben, sonst würde eine fatale Kettenreaktion ausgelöst werden. Nun gibt es aber auch eine andere Seite, die sagt, der Staat solle die Hypo Real Estate ruhig Konkurs gehen lassen, dann wird wenigstens mal reiner Tisch gemacht. Zumal ja auch, nehmen wir nur als Beispiel die IKB, auch die Politik nicht in der Lage war, die Situation richtig einzuschätzen. Wie soll sie jetzt wissen, was tatsächlich passiert?

Fuest: Grundsätzlich spricht schon viel dafür, Unternehmen, die aus eigener Kraft kein Kapital mehr aufbringen können, insolvent gehen zu lassen. Nur hat man, glaube ich, am Beispiel der Lehman-Pleite gesehen, wie katastrophal die Auswirkungen sind, wenn eine größere Bank insolvent geht. Und aus diesem Grund, weil das eben Auswirkungen auf die Konjunktur hat, viele Arbeitsplätze außerhalb des Bankensektors kostet, aus diesem Grund hat man sich international verständigt, dass jedes Land die eigenen Banken vor Insolvenzen schützt. Aber der Staat begibt sich damit in eine ganz schwierige Situation, weil natürlich jetzt einerseits die Frage entsteht, zahlt dann der Steuerzahler die Zeche für Fehlspekulationen, und zum anderen stellt sich die Frage, ob das nicht geradezu eine Einladung zu Fehlspekulationen ist und eine Einladung dazu, Risiken einzugehen. Und da das schon so eine Einladung ist, muss eben hier der Staat dann sehr schnell dafür sorgen, dass er auch die Kontrolle über die Bank erlangt bzw. schnell neue private Investoren in die Bank bringt, die wieder Eigenkapital einbringen, und dieses Eigenkapital haftet dann. Es ist also eine schwierige Entscheidung. Ich glaube trotzdem, dass es das kleinere Übel ist, die Bank zu verstaatlichen bzw. die Bank staatlich zu übernehmen. Es wäre ein falsches Signal, wenn die heutigen Aktionäre der Hypo Real Estate gerettet würden, wenn ihr Kapital gerettet würde und sie am Ende als die Gewinner dastehen würden. Das wäre ein katastrophales Signal. Es muss klar sein, wer Bankaktien hat oder Aktien irgendeines Unternehmens, der haftet mit seinem Kapital. Deshalb ist es so wichtig, dass klar ist, dass das Kapital von Flowers einfach verloren ist. Das wäre eigentlich schon weg, die Aktien hätten einen Wert von null, wenn der Staat nicht mit Bürgschaften eingegriffen hätte. Es ist nicht das falsche Signal, wenn dafür gesorgt wird, dass die eben erst mal mit ihrem Kapital haften und dann der Staat eingreift. Das ist immer noch problematisch, aber es ist, denke ich, in dieser Situation das kleinere Übel.

Wuttke: Sie sagen, vieles ist problematisch, es gibt ein kleineres Übel. Welche Alternativen gäbe es aus Ihrer Sicht denn noch?

Fuest: Wenn man also dabei bleibt, dass man eine Insolvenz vermeiden muss, dann geht es hier eigentlich nur um das Verfahren, mit dem man das Altkapital gewissermaßen entmachtet in der Bank und für die Ausstattung der Bank mit neuem Kapital sorgt. Eine Alternative wäre zum Beispiel, dass man einen privaten Investor findet, der bereit ist, hier einzusteigen. Aber auch derzeit scheuen offenbar private Investoren davor zurück, die Risiken sind einfach zu groß.

Wuttke: Herr Fuest, nur noch die ganz kurze Frage: Beschleicht Sie manchmal das Gefühl, in dieser ganzen maladen Situation sitzen wir in einem Wolkenkuckucksheim?

Fuest: Ich glaube nicht, dass wir in einem Wolkenkuckucksheim sitzen. Wir befinden uns aber in einer Situation, die es so noch nicht gegeben hat, einer Bankenkrise, einer Finanzkrise, die es so in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Und man braucht jetzt neue Instrumente, um damit umzugehen, und die muss man nüchtern prüfen. Und dann bin ich eigentlich das optimistisch, dass das auch klappt. Aber es ist wichtig, dass entschlossen gehandelt wird. Insofern finde ich eigentlich, dass die Bundesregierung hier den richtigen Weg geht.

Wuttke: Im Interview bei Deutschlandradio Kultur der Wirtschaftswissenschaftler Professor Clemens Fuest, der den Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums leitet. Herr Fuest, vielen Dank für dieses Gespräch und einen schönen Tag!

Fuest: Ja, das wünsche ich Ihnen auch, danke schön! Tschüss!

Wuttke: Wiederhören!


Das gesamte Gespräch mit Clemens Fuest können Sie bis zum 17. Juli 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio