Für weniger Zentralismus und mehr Regionalität
Der bayerische Staatsminister für Umwelt und Gesundheit, Markus Söder (CSU), hat für den Fall einer schwarz-gelben Koalition nach der Bundestagswahl eine neue Gesundheitsreform angekündigt. "Die SPD möchte Staatsmedizin und sie möchte Zentralismus", kritisierte er Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Deutschlandradio Kultur: Das Versandhaus Quelle in Fürth ist, ebenso wie Karstadt insgesamt, zahlungsunfähig. Beginnt nun eine Insolvenz, so geordnet, wie sich das die CSU vorstellt?
Markus Söder: Das wird sich dann im Verlaufe des Verfahrens natürlich zeigen. Ich bin schon sehr betroffen gewesen über die Entwicklung. Denn man muss wissen, dass Quelle ein Unternehmen ist, das ich seit meiner frühesten Jugend kenne. Es gibt in Nürnberg neben der Kaiserbrücke noch den berühmten Quelleturm mit dem Wahrzeichen. Das konnte ich von unserem Dachboden aus immer sehen. Das gehört einfach zu der Region dazu. Gustav Schickedanz, die Schickedanz-Familie, ist untrennbar eine der großen Patriarchen gewesen für Arbeitsplätze in der Region. Und da tut diese Entwicklung schon weh. Wir hoffen sehr, dass jetzt im Rahmen dieses Verfahrens, dieser Insolvenz eine Perspektive entstehen kann.
Deutschlandradio Kultur: Wäre eine Staatshilfe á la Opel nicht besser gewesen, so, wie Sie sich das eigentlich ursprünglich gewünscht hatten?
Markus Söder: Das Problem ist wohl gewesen, dass diejenigen, die da noch mit dabei waren - die Banken und die Anteilseigner -, entweder keinen Bewegungsspielraum hatten oder den gesehen haben, so dass dann auch die Hilfe des Staates wahrscheinlich nicht ausgereicht hätte, um den Betrieb dauerhaft zu gewährleisten. Karstadt ist das eine Problem. Quelle ist aber noch mal ein Sonderfall. Da bin ich einfach regional anders betroffen. Bei Karstadt ist ein Managementfehler über die Jahre erkennbar gewesen. Bei Quelle, muss man sagen, sind gerade in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Bei Quelle ist erkennbar, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel verzichtet haben, um sich fit zu machen. Und das darf auf keinen Fall auf der Strecke bleiben.
Deutschlandradio Kultur: Aber tut sich da die CSU, tut sich da Ihre Partei nicht schwer mit der Ordnungspolitik? Sie haben ja sehr gerungen: Soll man Opel helfen, soll man jetzt Karstadt helfen? Ihr Bundeswirtschaftsminister hat in beiden Fällen gesagt, die Insolvenz könnte der bessere Weg sein.
Markus Söder: Jeder muss das in seiner Verantwortung natürlich mal sagen und entscheiden, was er für richtig hält. Ich glaube auch, dass es natürlich auch entscheidend ist in einer schwierigen Phase, dass man einen Kompass hat. Kompass heißt auch Ordnungsprinzipien. Alles bleibt aber letztlich im Leben eine Einzelfallentscheidung. So war es bei Opel. So war es in der Situation auch. So wird es im Übrigen, befürchte ich, auch in noch ein paar anderen Fällen sein. Wir werden ja, so wie es leider wohl kommen wird, noch im Herbst die eine oder andere Entscheidung bekommen. Man muss dann abwägen. Es hängt auch immer davon ab, noch selber etwas dazu zu geben. Die normalen Voraussetzungen waren in dem Fall eben nicht da. Man muss natürlich sagen, die Leidensgeschichte von Arcandor war schon eine längere, auch mit erkennbar großen Managementfehlern. Nicht umsonst interessiert sich ja offensichtlich sogar die Staatsanwaltschaft für Einzelentscheidungen der Vergangenheit. Bei Quelle tut es eben weh, als eine der Firmen, die in dem Verbund sind. Allerdings hoffe ich und glaube ich, dass da was möglich ist. Ich würde mir auch wünschen, dass sich alle Beteiligten - das geht übrigens bis hin zu uns in Bayern, zu unserem FDP-Wirtschaftsminister, der sich auch wie der Karl-Theodor zu Guttenberg mal kümmern würde - auch mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten an einen Tisch setzen. Wir waren schon da, um mit denen zu reden, was wir möglicherweise noch von Bayern flankierend machen können.
Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie konkret? Wird die Landesregierung noch versuchen mit irgendwelchen Hilfen Quelle zu retten? Oder überlassen Sie das allein jetzt dem Insolvenzverwalter?
Markus Söder: Wir werden jedenfalls von bayerischer Seite ausloten, welche Hilfen es im Rahmen dieser Insolvenz geben kann, auch um allein Partner zum Beispiel zusammenzubringen, vielleicht auch Selbständigkeiten zu ermöglichen. Das müssen wir jetzt tun. Darüber werden wir auch nächste Woche im bayerischen Kabinett beraten. Ich glaube, dass wir da versuchen können einen Beitrag zu bringen. Letztlich ist es aber so, dass das gesamte Unternehmen dem Insolvenzrecht unterliegt und deswegen die Hauptverantwortung dort liegt.
Deutschlandradio Kultur: Aber soll sich die Politik überhaupt einmischen? Denn wir haben ja erlebt, vor einer Insolvenz wird großer Druck aufgebaut. Es muss unbedingt sein, dass der Staat hilft. Und jetzt schlagen wir die Zeitung auf und lesen, na ja, so eine Insolvenz ist nicht ganz schlecht, weil der Insolvenzverwalter Bedingungen stellen kann, die vorher das Management niemandem stellen konnte.
Markus Söder: Insolvenz bietet rechtliche Möglichkeiten, aber hat natürlich auch immer die Herausforderung beispielsweise bei einem Kaufhaus - Wer kauft dann noch? Nehmen wir das Thema Garantie. Wenn Sie heute etwas kaufen, dann ist es ja für sehr viele wichtig zu wissen, habe ich zwei Jahre Garantie. Wer übernimmt diese Garantie? Da können natürlich auch Einbrüche entstehen.
Was uns sehr geärgert hat, war damals diese Äußerung der Europäischen Union, die da einfach aus dem Nichts heraus gekommen ist, nicht einmal auf Anfrage. Das hat im Übrigen auch nicht unbedingt dazu geführt, dass die Mehrzahl der Leute da jetzt ein besseres Vertrauen in die Europäische Union hatte bei so einer Entscheidung.
Deutschlandradio Kultur: Welche meinten Sie?
Markus Söder: Als die Europäische Union gesagt hat, da kann man gar keine Hilfe geben. Das war zunächst mal eine Entscheidung der Bundesregierung, die das mit den beteiligten Partnern zu prüfen hatte.
Ich glaube, dass das immer ein Grenzfall ist und immer schwer ist. Wenn man rein ordnungspolitisch reagiert, sollte sich der Staat aus allem heraushalten - zumindest nach einer sehr liberalen Auffassung. Sich aus allem herauszuhalten, ist genauso wenig soziale Marktwirtschaft, wie umgekehrt, alles zu übernehmen. Deswegen bedeutet soziale Marktwirtschaft aus meiner Sicht natürlich neben den Ordnungsprinzipien immer auch die sozialen Leitplanken und die soziale Verantwortung zu sehen. Das bedeutet dann halt Einzelfallentscheidung, vor allem auch mit der Perspektivfrage. Nicht jede Therapie verspricht die gleiche Wirkung. Man muss schon am Ende überlegen, respice finem, was kommt hinten raus und was kann am meisten helfen.
Deutschlandradio Kultur: Kritisieren Sie da jetzt Ihren Kollegen? Hat sich zu Guttenberg zu sehr festgelegt auf die Insolvenz?
Markus Söder: Ganz im Gegenteil. Ich sage, dass jedes eine Einzelfallentscheidung ist. In der konkreten Frage, glaube ich, gab's gar keine andere Möglichkeit als diese Entscheidung zu treffen. Ich wünsche mir und hoffe halt, dass wir insbesondere für den Quellebereich eine Perspektive entwickeln können. Meine Kritik, wie Sie vorhin gehört haben, geht fast eher an meinen bayerischen Kollegen von der FDP, der in einer Zeitung gesagt hat, die CDU müsse sich entscheiden, welche Richtung sie definieren will. Da hatte ich eigentlich erwartet, dass er - statt eine USA-Reise zu machen - einfach jetzt schon mit den Gewerkschaften redet. Das hat Guttenberg übrigens gemacht und kam dort auch sehr gut an und wurde auch sehr positiv aufgenommen.
Deutschlandradio Kultur: Aber diese Einzelfallentscheidung kann ja immer weiter fortgeführt werden. Erst ist es Opel, dann ist es Quelle. Möglicherweise sind es demnächst die Schiffsbauer. Sie können also nicht immer so weiter verfahren, sondern müssen sagen, hier zählt jetzt Ordnungspolitik. Wann ist der Punkt gekommen?
Markus Söder: Der Punkt der Ordnungspolitik muss ja in Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung eingebettet werden. Und die Grundsatzentscheidungen waren, dass man Hilfen gibt. Sonst hätte man ordnungspolitisch sagen müssen, es gibt keine Hilfe, und zwar für keinen. Sie müssen auch verstehen, dass ein Großteil der Bevölkerung auf der einen Seite sagt, ja, den Banken hat man geholfen, und zwar mit gigantischen Beträgen - wie ich meine, zu recht, weil sonst wäre ein ganzes System infrage gestanden - und wem hilft man dann?
Viele der Menschen, die heute die Staatshilfen für Opel oder Arcandor ablehnen, machen das nicht, weil sie generell gegen Staatshilfen sind, sondern weil sie sagen: Bekommen nur die Großen? Und was ist mit meinem kleineren Betrieb? Geht der vielleicht hops? Dabei haben wir ja auch da Schirme gespannt. Jenseits der großen Berichterstattung über diese zwei, drei Konzerne wird ja vieles auch derzeit verantwortet für andere Firmen.
Wir haben einen anderen Fall beispielsweise in der Region mit Scheffler. Drum ballt sich das bei uns sehr stark. Scheffler und Quelle sind zwei ganz große und wichtige Arbeitgeber. Wenn es einen Sinn macht zu helfen, dann kann man helfen, und vor allen Dingen, wenn sich zeigen würde, dass das Ganze dann am Schluss eine tatsächlich tragfähige Lösung ist, die nicht nur zwei, drei Monate oder Effekt á la Holzmann ist. Das sind halt Abwägungen. Die muss man verantwortungsbewusst tun. Ich glaube, das ist auch der Unterschied zu sagen, entweder nur ja oder nein.
Deutschlandradio Kultur: Quelle ist ja nicht Ihre einzige Sorge. Wir hatten Europawahlen, da hat die CSU insgesamt gut abgeschnitten, wieder gut abgeschnitten, nur Ihre Region - Sie sind Parteichef in Nürnberg und Umgebung, wenn ich das mal so sagen darf - Mittelfranken, Oberfranken hat schlechter als die Gesamtpartei abgeschnitten. Was ist die Ursache dafür?
Markus Söder: Wir sind natürlich eine besonders geprägte Region über das letzte halbe Jahr. Man darf nicht vergessen, der Wechsel damals - insbesondere, was die Person Günter Beckstein betrifft, der hier nun wirklich eine ganz, ganz hohe Akzeptanz hatte -, hat schon Wunden hinterlassen. Man darf nicht vergessen, dass Frau Pauli aus der Region kommt. Sie hat insbesondere in den Bereichen Landkreis Fürth noch mal viele Stimmen bekommen. Wir haben bei uns die Situation gehabt, dass ein sehr angesehener Mann, der Ingo Friedrich - Vizeparteichef und seit 30 Jahren im Parlament -, auf der Liste durchgefallen ist. Das hat vor allem in Westmittel-Franken, also die Gegend Ansbacher Bereich, riesige Verluste gebracht, weil die Leute da ein bisschen enttäuscht waren.
Das darf man aber nicht überbewerten. Wenn ich gerade Nürnberg sehe, wir haben da 10 % verloren, was der Landesdurchschnitt ist, da bin ich - ehrlich gesagt - sogar ganz zufrieden. Wenn Sie bedenken, dass Nürnberg, anders als Oberbayern, schon immer eine Hochburg der SPD war, die haben wir um über 15 % geschlagen, dann muss ich sagen - gerade weil die im letzten Jahr bei der Kommunalwahl deutlich verloren haben, dann sind das eher sehr positive Momente. Wir haben auch jetzt einen eigenen Kandidaten reingebracht. Also, da kann man sagen: Unterm Strich war das ganz okay.
Deutschlandradio Kultur: Zufrieden ist auch Unionsfraktionschef Kauder, was die Wahl der CSU in Bayern bei der Europawahl angeht. Er sagt, jetzt hat sich die CSU etwas berappelt, das macht sie auch etwas ruhiger.
Wenn wir das richtig interpretieren, heißt das, die Sticheleien aus Bayern Richtung Berlin werden jetzt weniger?
Markus Söder: Das ist so eine typische Berliner Betrachtungsweise zu sagen, man macht nur etwas sagt, um irgendjemand zu ärgern oder sich zu profilieren. Ich will nicht ausschließen, dass es so was gibt in der Politik, vielleicht sogar in der CSU. Also, wenn wir beispielsweise über die angemessene Honorierung der Ärzte reden, da geht’s um die Frage: Bekommen die Menschen im ländlichen Raum noch eine medizinische Versorgung - gerade in einem Flächenland, wie Bayern? Wenn wir über die Frage der Gentechnik beispielsweise - auch ein Themenfeld aus meinem Bereich, der grünen Gentechnik - reden, dann ist das nicht nur eine abstrakte Frage, sondern das bewegt Tausende von Menschen, von Familien.
Deutschlandradio Kultur: Und die CSU auch. Sie wechseln das Thema oder zumindest die Schwerpunkte.
Markus Söder: Es geht eben darum: Wissen Sie, man darf Politik, glaub ich, nicht nur kalt technokratisch verstehen. Es geht nicht immer nur um zwei, drei Gesetze, sondern es ist für die CSU wichtig, dass sie neben ihren klassischen Feldern Ökonomie, innere Sicherheit es schafft, dass wir uns um die Lebensthemen stärker kümmern, die für die Menschen in unserem Land eine große Rolle spielen. Dazu gehört Umweltschutz. Dazu gehört gesunde Ernährung. Dazu gehört Bewahrung der Schöpfung, aber auch eben der ganze Bereich der Gesundheit. Und da muss man eben auch Profil zeigen, gerade deswegen, weil wir da auch in der Großen Koalition zwei Partner haben mit Herrn Gabriel und Frau Schmidt, die beide natürlich relativ viel gemacht haben, was wir nicht gutheißen können und was wir hoffentlich im Herbst verändern wollen.
Deutschlandradio Kultur: Aber ist das der Punkt? Es wird doch aus Berliner Sicht, die ich jetzt mal betonen möchte, häufig so gesehen, dass die CSU in der Politik wechselt und herumspringt. Nehmen wir mal den Gesundheitsfond: Erst stimmen sie in der großen Koalition zu, jetzt sind sie dagegen.
Markus Söder: Beim Fond war es so, dass man sich auf einen Kompromiss geeinigt hat, der mit Versprechen verbunden war. Versprechen war: keiner wird schlechter versorgt, kein Arzt bekommt weniger als vorher. Die Realität sieht aber ganz anders aus. Alle Berechnungen über die Honorare der Ärzte sagen, dass insbesondere der Süden und insbesondere die Ärzte dort, die ja besonders patientennah sind und in der sprechenden Medizin sind, massive Verluste zu erwarten haben. Also, das erste Versprechen gebrochen.
Zweites Versprechen hieß: Allen wird’s besser gehen oder zumindest nicht schlechter. Stimmt ja nicht, weil die Kassen aufgrund des Drucks, dem sie ausgesetzt, sich schon jetzt bei einem Großteil der Leistungen zurückhalten, was sich durch die Wirtschaftslage noch verschärfen wird, so dass viele Patienten mit schlechteren Versorgungen rechnen müssen.
Und wenn ich zwei Versprechen mache, als Bedingung, sozusagen als Geschäftsgrundlage für eine solche politische Entscheidung, davor ist es ja nur ein technisches Konstrukt, dann muss es doch sein, dass wir da was sagen. Ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich bin auf die Bayerische Verfassung vereidigt und nicht auf einen Koalitionsvertrag oder einen Kompromiss mit der SPD. Sondern ich muss ja zunächst mal schauen, was ist fürs Land das Beste. Nicht mehr und nicht weniger fordern wir ein und suchen nach konstruktiven Lösungen, wie man es verbessern kann.
Deutschlandradio Kultur: Aber Die Ärzte haben beispielsweise mehr Honorar in den letzten Monaten bekommen. Insofern stellt sich die Frage: Geht’s denen wirklich schlechter? Ist die Versorgung insgesamt schlechter geworden oder müssten die Ärzte untereinander das Geld besser verteilen?
Markus Söder: Zunächst ist es so, dass es in der Tat mehr Geld für die Arzthonorare gibt. Die werden aber natürlich unterschiedlich gewichtet. Es gibt prozentuale Sprünge von plus 30 % generell flächendeckend in den neuen Bundesländern, ohne Berücksichtigung der aktuellen Versorgungsrealität - das gesteht ja das Bundesgesundheitsministerium offen zu -, ohne die aktuelle Versorgungsrealität beispielsweise in NRW, in Bayern, in Baden-Württemberg, auch in Schleswig-Holstein, das ist nicht nur ein bayerisches Phänomen. In all diesen westlichen Bundesländern gibt’s das.
Und es gibt zweitens in der Tat eine Verteilung untereinander der Ärzteschaft, vor allem Laborärzte, Pathologen, die - sagen wir mal - relativ wenig Patientenkontakt haben, denen geht es gut, aber alle anderen sprechenden Mediziner werden massiv benachteiligt, auch mit einzelnen Instrumentarien, die die Medizin de facto rationieren. Das sind Dinge, die muss man doch ansprechen. Die funktionieren nicht. Da hat auch die Bundesärzteschaft, die Bundes-KV eine Rolle, keine Frage. Aber es gibt natürlich schon die entsprechenden gesetzlichen Ausgestaltungen, die von Frau Schmidt kommen. Und die muss man auch letztlich ändern. Ansonsten passiert einfach eines: Wir werden Verluste von Spitzenmedizinern haben, weil die dann ins Ausland. Und wir werden zweitens einen Prozess der Staatsmedizin haben, denn freie Praxen werden irgendwann ersetzt werden durch solche großen medizinischen Versorgungszentren, wo große Medizinheuschrecken dann letztendlich das Regiment übernehmen. Und das Ergebnis heißt Verschlechterung der individuellen Betreuung der Patienten.
Deutschlandradio Kultur: Aber ist es nicht das Problem, dass die Politik immer versprochen hat, wir schaffen mal eine Gesamtlösung, die uns auf Dauer Ruhe an dieser Front der Ausgaben- und der Leistungskürzungen bringt. Und nun gab es das Kopfpauschalenmodell wider Bürgerversicherung. Da macht die CSU jetzt ja einen eigenen Punkt auf und sagt, wir sind gegen beides, obwohl sie zumindest bei der Union beim Kopfpauschalenmodell mitmarschiert ist. Nur Horst Seehofer, Ihr Parteichef, hat gesagt: Ich habe dagegen was. Ich bin eher bei der Bürgerversicherung. Wo steht denn jetzt die CSU als Partei?
Markus Söder: Es wird immer nur diskutiert, wo kriegen wir mehr Geld ins System. Es gibt mehr Geld im System. Trotzdem funktioniert es nicht, weil die Frage der Verteilung innerhalb des Systems die große Herausforderung ist. Natürlich wird es die nächsten 10, 15 Jahre, wenn die Gesellschaft älter wird, logisch sein müssen, dass es mehr kostet. Es wäre aber auch eine Lüge, den Menschen gegenüber zu sagen: Menschen werden älter, Betreuung wird besser, Fortschritt ermöglicht neue Heilungsmethoden, aber es wird irgendwie günstiger werden. Das ist ja absurd. Und wenn Gesundheit das Wichtigste ist, was beim Neujahrsempfang gewünscht wird, auf jedem Geburtstagsgruß, und wenn es auch stimmt, dass es mehr Arbeitsplätze in Deutschland in der Gesundheitswirtschaft gibt als im Automobil- und sonstigen Bereichen, dann müssen wir auch was dafür tun.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie sagen: jetzt kein Geld mehr!
Markus Söder: Ich sage: Im Moment geht’s nicht um die Frage der Einnahmemehrung, sondern der Verteilung. Das ist ja evident. Auf Dauer ist die zweite Frage: Wie bekommt man was?
Ich glaube, dass diese ideologische Debatte - Bürgerversicherung, Kopfpauschale - eine absolute Sackgasse ist. Die Bürgerversicherung löst überhaupt kein Problem. Sie klingt für den einen oder anderen sympathisch, löst aber kein Problem.
Deutschlandradio Kultur: Warum denn nicht?
Markus Söder: Weil wir, wenn wir die Privaten, die PKV, abschaffen würden. Bürgerversicherung ist nichts anderes, als die PKV abzuschaffen, das ist ja das Modell, dann führt das dazu, dass wir erst mal verfassungsrechtliche Probleme kriegen. Und im Übrigen lösen wir neue Ansprüche aus. Das ist übrigens das einzige System, das halbwegs funktioniert.
Und das andere, die Kopfpauschale, hat - abgesehen von ihrer semantischen Schwierigkeit in der Vermittlung, in der Kommunikation - das Problem: Wenn man sie der reinen Lehre nach durchzieht, hat sie Probleme der sozialen Akzeptanz. Wenn man versucht sozialen Ausgleich zu machen, wird sie letztlich so bürokratisch, dass es nicht funktioniert. Insofern brauchen wir da aus meiner Sicht eher einen Mittelweg. Der heißt eben, den Weg, den man jetzt beschreitet, fort zu gehen. Das heißt, mehr Anteil aus Steuermitteln. Damit ist die Gesamtsolidarität erhalten neben Beiträgen und Eigenbeteiligung, wo man aber schon die Grenze des Zumutbaren erreicht hat, da würde ich auf keinen Fall höher gehen. Und die Kinder müssen unterstützt werden. Indem man die Familienmedizin aus dem Steuertopf finanziert, wird man irgendwann auch eine - ich nenne es mal - demographische Dividende aus dem Steuertopf erwirtschaften müssen, weil die Gesellschaft halt älter wird.
Deutschlandradio Kultur: Also, mehr Steuermittel in die Krankenkassen. Das können Sie dann auch relativ problemlos mit den Sozialdemokraten machen.
Markus Söder: Medizin und Gesundheitspolitik verengt sich nicht auf die Frage Bürgerversicherung/ Kopfpauschale. Das ist das, was ich vorhin meinte. Das ist der logische Fehler, der immer gemacht wird. Die Hauptfrage ist: Wie funktioniert denn die Verteilung im System?
Also, die SPD möchte Staatsmedizin und sie möchte Zentralismus. Wir sagen, Regionalität ist entscheidend. Die SPD will am Ende - dazu führt das letztlich - ein System, das gesteuert wird, alles zentral aus Berlin. Das haben sie bei der Krankenhausfinanzierung vorgeschlagen, bei der Krankenhausplanung. Sie möchten in ihrem Konzept letztlich entscheiden, wie ein Krankenhausanbau ist, wo der stattfindet, nicht mehr eine Länderplanung, sondern eine Bundesplanung. Sie möchten medizinische Versorgungszentren á la Polikliniken überall einrichten. Sie bekennt sich letztlich nicht zum freien Arzt und der freien Arztwahl, die dahinter steht.
Deutschlandradio Kultur: Ist as nicht ein bisschen zugespitzt? Die SPD bekennt sich nicht zur freien Arztwahl?
Markus Söder: Nein, das tut sie nicht. Man kann natürlich auf einem Kongress sagen, ich bekenne mich zur freien Arztwahl, aber wenn ich gleichzeitig enorme Möglichkeiten schaffe, dass solche riesigen Versorgungszentren von großen Kapitalgebern übernommen werden, in der dann Herr Lauterbach im Übrigen noch in der Regel Aufsichtsrat ist, nebenbei bemerkt, dann führt das dazu, dass solche großen Kapitalgesellschaften massiv Kassensitze aufkaufen und in einzelnen Regionen dann quasi Monopole schaffen, so dass ein Arzt, der sich sozusagen nicht unterwirft, keine Chance hat. Das führt dazu, dass dann - um wieder den Return of Invest zu erreichen - natürlich Individualität in der Betreuung wegfällt. Sie ziehen dann eine Nummer und das ist im Endeffekt nichts anderes als Discount- oder Fließbandmedizin. Und das will ich nicht. Das halte ich auch für falsch.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie diskutieren doch hier etwas parteipolitisch, was im Grunde ja ein Fehler insgesamt des Gesundheitswesens ist. Haben nicht beispielsweise die Ärzte verschlafen, wie sie Gemeinschaftspraxen aufbauen, wie sie medizinische Versorgungszentren in eigener Hoheit schaffen? Stattdessen haben wir die großen Bilder "Ärztehaus". Und jeder weiß, das ist ein Immobiliengag. Da werde ich gar nicht anders versorgt als in einer normalen Arztpraxis. Kurzum: Ist es nicht der Fehler der Ärzte in der Frage der Honorierung, im Angebot der Leistungen, dass man auf dem neuesten Stand ist, so wie es die Leute brauchen?
Markus Söder: Auch da zeichnet sich die Gesundheitspolitik unterschiedlich ab. Wir haben in Bayern in den letzten 10 Jahren durch die Kassenärztliche Vereinigung enorme Qualifizierungsanstrengungen gemacht. Im Übrigen ist natürlich noch ein Unterschied, ob Sie fünf oder sechs Gemeinschaftspraxen in Berlin machen oder im Bayerischen Wald bestimmte Einzelpraxen haben. Weil da lohnt sich manche Gemeinschaftspraxis nicht, aber wir wollen ja eine wohnortnahe Versorgung in Deutschland nicht nur für die Metropolen haben.
Ich mache mir Sorgen, dass am Ende dieser ganzen Entwicklung eine Medizin steht - so eine MVZ in der Stadt ist unproblematisch, das geht schon auch…. Denn wenn Sie in die U-Bahn einsteigen, dann fahren Sie eine Station in die eine oder zwei Stationen in die andere Richtung, das geht dann. Aber wenn dann die Leute 30, 40, 50 km fahren müssen, ist es gerade für ältere Leute eine Riesengefahr. Gerade für die älteren Menschen geht erstens der Verlust überhaupt von der Betreuung weg, weil die den Arzt brauchen der sie kennt, der auch einschätzen kann, wie schlimm eine Situation ist. Und sie können es auch rein räumlich nicht mehr schaffen, was dazu führt, dass die Leute entweder ins Krankenhaus gehen müssen oder in solche großen Zentren.
Da wird dann am Ende halt der Verlust da sein. Und das liegt dann an den Ärzten. Wir müssen eh dafür kämpfen, dass wir noch Ärzte finden, die in die ländlichen Räume gehen. Wir müssen Mobilitätshilfen aktivieren. Wir müssen konkrete Planungen machen, um auch den Beruf des Arztes am Land weiter zu stärken. Ansonsten gibt’s auch weitere Landflucht, die ja keiner in Deutschland will.
Deutschlandradio Kultur: Um noch mal auf die Finanzierung zurückzukommen: Wenn Sie sagen, beim Beitragssatz und der Eigenbeteiligung ist die absolute Obergrenze erreicht, man braucht mehr staatliche Zuschüsse, haben Sie das mal durchgerechnet, wie viel das den Staat dann eigentlich perspektivisch kosten wird und ob dann Gesundheitsversorgung immer nach Kassenlage gilt? Das ist doch eine riesige Abhängigkeit dieses gesamten Systems, das Sei eigentlich nicht wollen dürfen.
Markus Söder: Ja, im Moment gibt’s ja anscheinend schon eine gigantische Abhängigkeit.
Deutschlandradio Kultur: Aber die wird doch größer.
Markus Söder: Im Moment ist immer noch die Situation, die Aussage von Frau Schmidt, dem Fond ging es gut, stimmt ja nicht. Das ist eine Einschätzung, die ich nicht teile. Sondern das Ergebnis wird sein, dass der Bund in diesem Jahr enorme Probleme bekommen wird. Wir haben viele kleinere - Betriebskrankenkassen, die übrigens sozialpolitisch immer zurecht gewollt waren, weil die sehr effektiv waren -, die stehen alle kurz vor dem Aus. Es gibt für mich keine absolut begrenzte Zahl von Kassen, die man haben muss, aber wenn es am Schluss nur eine Art Volkskasse gäbe, glaube ich nicht, dass der Wettbewerb funktioniert.
Deutschlandradio Kultur: Die auch keiner will.
Markus Söder: Na ja, da bin ich mir nicht ganz sicher. Wissen Sie? Das gesamte System des Bundesgesundheitsministeriums ist auf eine zentralistische Struktur mit Einheitskasse, Einheitsmedizin, so bewerte ich es jedenfalls, und auch letztlich dem Arzt als Angestelltem zu sehen. Daher kommt im Übrigen auch der Widerstand vieler Ärzte. Da geht es ja nicht nur um Geld. Es geht ja nicht nur darum, dass man den Ärzten immer versucht zu unterstellen, es ginge nur ums Honorar. Es geht auch um die Strukturen, um die Perspektive, übrigens auch für junge Ärzte.
Wenn sich heute ein junger Mediziner das Ganze ansieht und überlegt bei den ganzen Herausforderungen, die er zu bewerkstelligen hatte - ein hartes Studium vorher, eine hervorragende Ausbildung, guter Abiturschnitt, lange Zeit im Krankenhaus, die ja auch nicht immer so einfach ist, auch mit erheblichen psychischen Belastungen, die man dort zu bewerkstelligen und zu bewältigen hat -, dann, muss ich ganz ehrlich sagen, sind das keine Signale, die für den Spitzenmediziner der Zukunft gut sind. Da gehen die jungen Ärzte lieber woanders hin, wo sie besser honoriert werden und bessere Arbeitsbedingungen vorfinden.
Deutschlandradio Kultur: Im Grunde wollen Sie ja das Mischsystem, das wir derzeit haben - Mischung aus Beitragszahlungen und Steuerfinanzierungen -, beibehalten.
Markus Söder: Ja, so ist es. Das haben wir beschlossen, ja.
Deutschlandradio Kultur: Dann wird Ihnen natürlich vorgehalten, die Kinderkrankenkasse haben Sie noch gar nicht durch finanziert. Die ist ja noch nicht voll aus dem Bundeshaushalt bei den Kassen gelandet. Und nun versprechen Sie einen Bonus für die Versorgung älterer Menschen. Der ist auch noch nicht finanziert. Wie wollen Sie denn da dem Misstrauen begegnen, das sagt, da wird Politik nach Kassenlage gemacht? Mal gibt’s was, mal gibt’s nichts.
Markus Söder: Wenn ich die Alternativen anschaue, werden die sein: Wir wurschteln jetzt irgendwie so weiter, wie bisher. Das heißt doch, dass wir nichts anderes machen, als jedes Jahr so eine entsprechende Struktur. Dann gibt es ein in Stellung bringen der Gesundheitspartner gegeneinander. Frau Schmidt sagt, die Kassen haben doch genügend, die sollen machen. Die sollen mal die Finanzierung übernehmen oder die. Die Kassen sagen, wir haben nicht genügend, wir müssen vorsorgen. Regionale Strukturverträge kündigen sie auf. Die Ärzte beschweren sich drüber.
Wir sind doch in der Situation, dass wir eine dermaßen unsichere Situation haben, wie sie noch nie im deutschen Gesundheitswesen war, so dass jetzt keiner herkommen und sagen könnte, das, was jetzt gemacht wird, sei in irgendeiner Form stabil und fest, zumal die Ausfälle, die aus dem Fond entstehen, im nächsten Jahr so nicht mehr getragen werden.
Sie werden erleben, dass wir im nächsten Jahr entweder einen Kahlschlag haben mit massiver Verschlechterung der Situation oder der Bund verlängert sozusagen das Ganze. Wenn Sie das Argument haben, man müsste nach Kassenlage machen, werden Sie im nächsten Jahr erleben, dass das noch mal eine riesige politische Debatte gibt, ob die Beschlüsse - nehmen wir den denkbar schlimmsten Fall an, es bleibt eine Große Koalition für die Gesundheitspolitik, weil das ist nämlich so ein Hin- und Herziehen -, dann müsste der Bund wahrscheinlich auch einspringen, weil die Demonstrationen der Patienten groß wären - zurecht.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, Schwarz-Gelb - wenn es nach dem 27. September einen Wechsel im Bund gibt - wird eine grundsätzlich neue Gesundheitsreform hinlegen, die dann auch für viele Jahre tragfähig ist?
Markus Söder: ich hoffe es, ja.
Deutschlandradio Kultur: Aber das macht die FDP mit Ihnen nicht mit. Wenn sich beide, Union, also CDU und FDP, auf das Kopfpauschalemodell geeinigt haben, FDP ist sogar mehr dafür, das eher der privaten Krankenversicherung zu übergeben, dann kommt die CSU und sagt, wir lassen alles beim Alten, wir modifizieren das nur? Das gibt doch den ersten Streit.
Markus Söder: Es geht doch letztlich um den Patienten. Ich mache mir immer Sorge, dass wir in der Gesundheitspolitik zu sehr theoretisieren. Am Ende kommt es nur darauf an, wie es beim Patienten wirkt. Aber ich glaube, da gibt es eine Reihe von Themen, die man diskutieren müsste. Selbstverwaltung der Ärzte? Braucht es diese Pflichtmitgliedschaft. Sind diese KV wirklich noch eine zukunftsfähige Struktur? Bräuchte es nicht statt einer Honorarordnung nicht besser eine freie Gebührenordnung?
Ich sage Ihnen, da gibt’s eine Reihe von Themenfeldern, die wir - glaube ich - auch sehr gut mit CDU und FDP gemeinsam lösen können, wo wir - glaube ich - auch Erfolg erzielen können. Da wird sich nie was 100 % durchsetzen vielleicht, aber wir wären da - glaube ich - einen großen Schritt vorn, jedenfalls besser als die Staatsmedizin, die jetzt auf den Weg gebracht wurde in den letzten Jahren von Ulla Schmidt.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind Sie 42 Jahre alt, wenn ich richtig gerechnet habe. Können Sie sich vielleicht in vier, sechs, acht Jahren das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten vorstellen?
Markus Söder: Das ist eine völlig unzulässige Frage. Ich schaue, was kommt, mache das, was ich mache, so gut wie es geht. Jeder, der sagt, er hat einen Masterplan im Kopf, dem misstraue ich. Der wirkt eher wie so ein Börsianer auf mich, der schon von vornherein 30 % Gewinne hat.
Wir haben jetzt einen starken, einen guten, Horst Seehofer. Er war die Rettung für die CSU. Dass der Erfolg jetzt bei der Europawahl so stark war, ist sein Erfolg. Er hat es geschafft, diese Partei wieder zusammenzuführen. Also muss ich schon sagen, es ist ein sehr gedeihliches Zusammenarbeiten. Deswegen - glaube ich - werden wir noch sehr lange die Freude haben, dass er Chef ist. Er muss uns in die Wahl 2013 führen in Bayern. Da gibt es überhaupt keine Diskussion. Wissen Sie? Beliebtheit ist das eine, Stimmen für die Partei sind das andere. Und letztlich kommt es auf die Stimmen an. Und die hat er geholt. Da muss man dankbar sein.
Deutschlandradio Kultur: Aber das ist ein spätes Lob. Da muss man doch fairerweise sagen, Sie haben ihn erst als CSU im zweiten Anlauf zugelassen.
Markus Söder: Wissen Sie. Wenn sich Politik immer nur damit beschäftigt, was vor einem halben Jahr besser gewesen wäre, da gibt es sicherlich Sendeformate bei Ihnen im Programm, die sind da bestens geeignet, um das alles noch mal philosophisch aufzuarbeiten. Aber Politik darf nicht nur mahnen, Politik muss machen und muss für die Zukunft machen. Keiner wird für das gewählt, was in der Vergangenheit war. Man wird immer für die Zukunft beauftragt. Deswegen kümmere ich mich, ehrlich gesagt, lieber um die Zukunft, als immer zu hinterfragen, was wäre vielleicht besser gewesen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Söder, wir danken für das Gespräch.
Markus Söder: Das wird sich dann im Verlaufe des Verfahrens natürlich zeigen. Ich bin schon sehr betroffen gewesen über die Entwicklung. Denn man muss wissen, dass Quelle ein Unternehmen ist, das ich seit meiner frühesten Jugend kenne. Es gibt in Nürnberg neben der Kaiserbrücke noch den berühmten Quelleturm mit dem Wahrzeichen. Das konnte ich von unserem Dachboden aus immer sehen. Das gehört einfach zu der Region dazu. Gustav Schickedanz, die Schickedanz-Familie, ist untrennbar eine der großen Patriarchen gewesen für Arbeitsplätze in der Region. Und da tut diese Entwicklung schon weh. Wir hoffen sehr, dass jetzt im Rahmen dieses Verfahrens, dieser Insolvenz eine Perspektive entstehen kann.
Deutschlandradio Kultur: Wäre eine Staatshilfe á la Opel nicht besser gewesen, so, wie Sie sich das eigentlich ursprünglich gewünscht hatten?
Markus Söder: Das Problem ist wohl gewesen, dass diejenigen, die da noch mit dabei waren - die Banken und die Anteilseigner -, entweder keinen Bewegungsspielraum hatten oder den gesehen haben, so dass dann auch die Hilfe des Staates wahrscheinlich nicht ausgereicht hätte, um den Betrieb dauerhaft zu gewährleisten. Karstadt ist das eine Problem. Quelle ist aber noch mal ein Sonderfall. Da bin ich einfach regional anders betroffen. Bei Karstadt ist ein Managementfehler über die Jahre erkennbar gewesen. Bei Quelle, muss man sagen, sind gerade in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Bei Quelle ist erkennbar, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr viel verzichtet haben, um sich fit zu machen. Und das darf auf keinen Fall auf der Strecke bleiben.
Deutschlandradio Kultur: Aber tut sich da die CSU, tut sich da Ihre Partei nicht schwer mit der Ordnungspolitik? Sie haben ja sehr gerungen: Soll man Opel helfen, soll man jetzt Karstadt helfen? Ihr Bundeswirtschaftsminister hat in beiden Fällen gesagt, die Insolvenz könnte der bessere Weg sein.
Markus Söder: Jeder muss das in seiner Verantwortung natürlich mal sagen und entscheiden, was er für richtig hält. Ich glaube auch, dass es natürlich auch entscheidend ist in einer schwierigen Phase, dass man einen Kompass hat. Kompass heißt auch Ordnungsprinzipien. Alles bleibt aber letztlich im Leben eine Einzelfallentscheidung. So war es bei Opel. So war es in der Situation auch. So wird es im Übrigen, befürchte ich, auch in noch ein paar anderen Fällen sein. Wir werden ja, so wie es leider wohl kommen wird, noch im Herbst die eine oder andere Entscheidung bekommen. Man muss dann abwägen. Es hängt auch immer davon ab, noch selber etwas dazu zu geben. Die normalen Voraussetzungen waren in dem Fall eben nicht da. Man muss natürlich sagen, die Leidensgeschichte von Arcandor war schon eine längere, auch mit erkennbar großen Managementfehlern. Nicht umsonst interessiert sich ja offensichtlich sogar die Staatsanwaltschaft für Einzelentscheidungen der Vergangenheit. Bei Quelle tut es eben weh, als eine der Firmen, die in dem Verbund sind. Allerdings hoffe ich und glaube ich, dass da was möglich ist. Ich würde mir auch wünschen, dass sich alle Beteiligten - das geht übrigens bis hin zu uns in Bayern, zu unserem FDP-Wirtschaftsminister, der sich auch wie der Karl-Theodor zu Guttenberg mal kümmern würde - auch mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten an einen Tisch setzen. Wir waren schon da, um mit denen zu reden, was wir möglicherweise noch von Bayern flankierend machen können.
Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie konkret? Wird die Landesregierung noch versuchen mit irgendwelchen Hilfen Quelle zu retten? Oder überlassen Sie das allein jetzt dem Insolvenzverwalter?
Markus Söder: Wir werden jedenfalls von bayerischer Seite ausloten, welche Hilfen es im Rahmen dieser Insolvenz geben kann, auch um allein Partner zum Beispiel zusammenzubringen, vielleicht auch Selbständigkeiten zu ermöglichen. Das müssen wir jetzt tun. Darüber werden wir auch nächste Woche im bayerischen Kabinett beraten. Ich glaube, dass wir da versuchen können einen Beitrag zu bringen. Letztlich ist es aber so, dass das gesamte Unternehmen dem Insolvenzrecht unterliegt und deswegen die Hauptverantwortung dort liegt.
Deutschlandradio Kultur: Aber soll sich die Politik überhaupt einmischen? Denn wir haben ja erlebt, vor einer Insolvenz wird großer Druck aufgebaut. Es muss unbedingt sein, dass der Staat hilft. Und jetzt schlagen wir die Zeitung auf und lesen, na ja, so eine Insolvenz ist nicht ganz schlecht, weil der Insolvenzverwalter Bedingungen stellen kann, die vorher das Management niemandem stellen konnte.
Markus Söder: Insolvenz bietet rechtliche Möglichkeiten, aber hat natürlich auch immer die Herausforderung beispielsweise bei einem Kaufhaus - Wer kauft dann noch? Nehmen wir das Thema Garantie. Wenn Sie heute etwas kaufen, dann ist es ja für sehr viele wichtig zu wissen, habe ich zwei Jahre Garantie. Wer übernimmt diese Garantie? Da können natürlich auch Einbrüche entstehen.
Was uns sehr geärgert hat, war damals diese Äußerung der Europäischen Union, die da einfach aus dem Nichts heraus gekommen ist, nicht einmal auf Anfrage. Das hat im Übrigen auch nicht unbedingt dazu geführt, dass die Mehrzahl der Leute da jetzt ein besseres Vertrauen in die Europäische Union hatte bei so einer Entscheidung.
Deutschlandradio Kultur: Welche meinten Sie?
Markus Söder: Als die Europäische Union gesagt hat, da kann man gar keine Hilfe geben. Das war zunächst mal eine Entscheidung der Bundesregierung, die das mit den beteiligten Partnern zu prüfen hatte.
Ich glaube, dass das immer ein Grenzfall ist und immer schwer ist. Wenn man rein ordnungspolitisch reagiert, sollte sich der Staat aus allem heraushalten - zumindest nach einer sehr liberalen Auffassung. Sich aus allem herauszuhalten, ist genauso wenig soziale Marktwirtschaft, wie umgekehrt, alles zu übernehmen. Deswegen bedeutet soziale Marktwirtschaft aus meiner Sicht natürlich neben den Ordnungsprinzipien immer auch die sozialen Leitplanken und die soziale Verantwortung zu sehen. Das bedeutet dann halt Einzelfallentscheidung, vor allem auch mit der Perspektivfrage. Nicht jede Therapie verspricht die gleiche Wirkung. Man muss schon am Ende überlegen, respice finem, was kommt hinten raus und was kann am meisten helfen.
Deutschlandradio Kultur: Kritisieren Sie da jetzt Ihren Kollegen? Hat sich zu Guttenberg zu sehr festgelegt auf die Insolvenz?
Markus Söder: Ganz im Gegenteil. Ich sage, dass jedes eine Einzelfallentscheidung ist. In der konkreten Frage, glaube ich, gab's gar keine andere Möglichkeit als diese Entscheidung zu treffen. Ich wünsche mir und hoffe halt, dass wir insbesondere für den Quellebereich eine Perspektive entwickeln können. Meine Kritik, wie Sie vorhin gehört haben, geht fast eher an meinen bayerischen Kollegen von der FDP, der in einer Zeitung gesagt hat, die CDU müsse sich entscheiden, welche Richtung sie definieren will. Da hatte ich eigentlich erwartet, dass er - statt eine USA-Reise zu machen - einfach jetzt schon mit den Gewerkschaften redet. Das hat Guttenberg übrigens gemacht und kam dort auch sehr gut an und wurde auch sehr positiv aufgenommen.
Deutschlandradio Kultur: Aber diese Einzelfallentscheidung kann ja immer weiter fortgeführt werden. Erst ist es Opel, dann ist es Quelle. Möglicherweise sind es demnächst die Schiffsbauer. Sie können also nicht immer so weiter verfahren, sondern müssen sagen, hier zählt jetzt Ordnungspolitik. Wann ist der Punkt gekommen?
Markus Söder: Der Punkt der Ordnungspolitik muss ja in Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung eingebettet werden. Und die Grundsatzentscheidungen waren, dass man Hilfen gibt. Sonst hätte man ordnungspolitisch sagen müssen, es gibt keine Hilfe, und zwar für keinen. Sie müssen auch verstehen, dass ein Großteil der Bevölkerung auf der einen Seite sagt, ja, den Banken hat man geholfen, und zwar mit gigantischen Beträgen - wie ich meine, zu recht, weil sonst wäre ein ganzes System infrage gestanden - und wem hilft man dann?
Viele der Menschen, die heute die Staatshilfen für Opel oder Arcandor ablehnen, machen das nicht, weil sie generell gegen Staatshilfen sind, sondern weil sie sagen: Bekommen nur die Großen? Und was ist mit meinem kleineren Betrieb? Geht der vielleicht hops? Dabei haben wir ja auch da Schirme gespannt. Jenseits der großen Berichterstattung über diese zwei, drei Konzerne wird ja vieles auch derzeit verantwortet für andere Firmen.
Wir haben einen anderen Fall beispielsweise in der Region mit Scheffler. Drum ballt sich das bei uns sehr stark. Scheffler und Quelle sind zwei ganz große und wichtige Arbeitgeber. Wenn es einen Sinn macht zu helfen, dann kann man helfen, und vor allen Dingen, wenn sich zeigen würde, dass das Ganze dann am Schluss eine tatsächlich tragfähige Lösung ist, die nicht nur zwei, drei Monate oder Effekt á la Holzmann ist. Das sind halt Abwägungen. Die muss man verantwortungsbewusst tun. Ich glaube, das ist auch der Unterschied zu sagen, entweder nur ja oder nein.
Deutschlandradio Kultur: Quelle ist ja nicht Ihre einzige Sorge. Wir hatten Europawahlen, da hat die CSU insgesamt gut abgeschnitten, wieder gut abgeschnitten, nur Ihre Region - Sie sind Parteichef in Nürnberg und Umgebung, wenn ich das mal so sagen darf - Mittelfranken, Oberfranken hat schlechter als die Gesamtpartei abgeschnitten. Was ist die Ursache dafür?
Markus Söder: Wir sind natürlich eine besonders geprägte Region über das letzte halbe Jahr. Man darf nicht vergessen, der Wechsel damals - insbesondere, was die Person Günter Beckstein betrifft, der hier nun wirklich eine ganz, ganz hohe Akzeptanz hatte -, hat schon Wunden hinterlassen. Man darf nicht vergessen, dass Frau Pauli aus der Region kommt. Sie hat insbesondere in den Bereichen Landkreis Fürth noch mal viele Stimmen bekommen. Wir haben bei uns die Situation gehabt, dass ein sehr angesehener Mann, der Ingo Friedrich - Vizeparteichef und seit 30 Jahren im Parlament -, auf der Liste durchgefallen ist. Das hat vor allem in Westmittel-Franken, also die Gegend Ansbacher Bereich, riesige Verluste gebracht, weil die Leute da ein bisschen enttäuscht waren.
Das darf man aber nicht überbewerten. Wenn ich gerade Nürnberg sehe, wir haben da 10 % verloren, was der Landesdurchschnitt ist, da bin ich - ehrlich gesagt - sogar ganz zufrieden. Wenn Sie bedenken, dass Nürnberg, anders als Oberbayern, schon immer eine Hochburg der SPD war, die haben wir um über 15 % geschlagen, dann muss ich sagen - gerade weil die im letzten Jahr bei der Kommunalwahl deutlich verloren haben, dann sind das eher sehr positive Momente. Wir haben auch jetzt einen eigenen Kandidaten reingebracht. Also, da kann man sagen: Unterm Strich war das ganz okay.
Deutschlandradio Kultur: Zufrieden ist auch Unionsfraktionschef Kauder, was die Wahl der CSU in Bayern bei der Europawahl angeht. Er sagt, jetzt hat sich die CSU etwas berappelt, das macht sie auch etwas ruhiger.
Wenn wir das richtig interpretieren, heißt das, die Sticheleien aus Bayern Richtung Berlin werden jetzt weniger?
Markus Söder: Das ist so eine typische Berliner Betrachtungsweise zu sagen, man macht nur etwas sagt, um irgendjemand zu ärgern oder sich zu profilieren. Ich will nicht ausschließen, dass es so was gibt in der Politik, vielleicht sogar in der CSU. Also, wenn wir beispielsweise über die angemessene Honorierung der Ärzte reden, da geht’s um die Frage: Bekommen die Menschen im ländlichen Raum noch eine medizinische Versorgung - gerade in einem Flächenland, wie Bayern? Wenn wir über die Frage der Gentechnik beispielsweise - auch ein Themenfeld aus meinem Bereich, der grünen Gentechnik - reden, dann ist das nicht nur eine abstrakte Frage, sondern das bewegt Tausende von Menschen, von Familien.
Deutschlandradio Kultur: Und die CSU auch. Sie wechseln das Thema oder zumindest die Schwerpunkte.
Markus Söder: Es geht eben darum: Wissen Sie, man darf Politik, glaub ich, nicht nur kalt technokratisch verstehen. Es geht nicht immer nur um zwei, drei Gesetze, sondern es ist für die CSU wichtig, dass sie neben ihren klassischen Feldern Ökonomie, innere Sicherheit es schafft, dass wir uns um die Lebensthemen stärker kümmern, die für die Menschen in unserem Land eine große Rolle spielen. Dazu gehört Umweltschutz. Dazu gehört gesunde Ernährung. Dazu gehört Bewahrung der Schöpfung, aber auch eben der ganze Bereich der Gesundheit. Und da muss man eben auch Profil zeigen, gerade deswegen, weil wir da auch in der Großen Koalition zwei Partner haben mit Herrn Gabriel und Frau Schmidt, die beide natürlich relativ viel gemacht haben, was wir nicht gutheißen können und was wir hoffentlich im Herbst verändern wollen.
Deutschlandradio Kultur: Aber ist das der Punkt? Es wird doch aus Berliner Sicht, die ich jetzt mal betonen möchte, häufig so gesehen, dass die CSU in der Politik wechselt und herumspringt. Nehmen wir mal den Gesundheitsfond: Erst stimmen sie in der großen Koalition zu, jetzt sind sie dagegen.
Markus Söder: Beim Fond war es so, dass man sich auf einen Kompromiss geeinigt hat, der mit Versprechen verbunden war. Versprechen war: keiner wird schlechter versorgt, kein Arzt bekommt weniger als vorher. Die Realität sieht aber ganz anders aus. Alle Berechnungen über die Honorare der Ärzte sagen, dass insbesondere der Süden und insbesondere die Ärzte dort, die ja besonders patientennah sind und in der sprechenden Medizin sind, massive Verluste zu erwarten haben. Also, das erste Versprechen gebrochen.
Zweites Versprechen hieß: Allen wird’s besser gehen oder zumindest nicht schlechter. Stimmt ja nicht, weil die Kassen aufgrund des Drucks, dem sie ausgesetzt, sich schon jetzt bei einem Großteil der Leistungen zurückhalten, was sich durch die Wirtschaftslage noch verschärfen wird, so dass viele Patienten mit schlechteren Versorgungen rechnen müssen.
Und wenn ich zwei Versprechen mache, als Bedingung, sozusagen als Geschäftsgrundlage für eine solche politische Entscheidung, davor ist es ja nur ein technisches Konstrukt, dann muss es doch sein, dass wir da was sagen. Ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich bin auf die Bayerische Verfassung vereidigt und nicht auf einen Koalitionsvertrag oder einen Kompromiss mit der SPD. Sondern ich muss ja zunächst mal schauen, was ist fürs Land das Beste. Nicht mehr und nicht weniger fordern wir ein und suchen nach konstruktiven Lösungen, wie man es verbessern kann.
Deutschlandradio Kultur: Aber Die Ärzte haben beispielsweise mehr Honorar in den letzten Monaten bekommen. Insofern stellt sich die Frage: Geht’s denen wirklich schlechter? Ist die Versorgung insgesamt schlechter geworden oder müssten die Ärzte untereinander das Geld besser verteilen?
Markus Söder: Zunächst ist es so, dass es in der Tat mehr Geld für die Arzthonorare gibt. Die werden aber natürlich unterschiedlich gewichtet. Es gibt prozentuale Sprünge von plus 30 % generell flächendeckend in den neuen Bundesländern, ohne Berücksichtigung der aktuellen Versorgungsrealität - das gesteht ja das Bundesgesundheitsministerium offen zu -, ohne die aktuelle Versorgungsrealität beispielsweise in NRW, in Bayern, in Baden-Württemberg, auch in Schleswig-Holstein, das ist nicht nur ein bayerisches Phänomen. In all diesen westlichen Bundesländern gibt’s das.
Und es gibt zweitens in der Tat eine Verteilung untereinander der Ärzteschaft, vor allem Laborärzte, Pathologen, die - sagen wir mal - relativ wenig Patientenkontakt haben, denen geht es gut, aber alle anderen sprechenden Mediziner werden massiv benachteiligt, auch mit einzelnen Instrumentarien, die die Medizin de facto rationieren. Das sind Dinge, die muss man doch ansprechen. Die funktionieren nicht. Da hat auch die Bundesärzteschaft, die Bundes-KV eine Rolle, keine Frage. Aber es gibt natürlich schon die entsprechenden gesetzlichen Ausgestaltungen, die von Frau Schmidt kommen. Und die muss man auch letztlich ändern. Ansonsten passiert einfach eines: Wir werden Verluste von Spitzenmedizinern haben, weil die dann ins Ausland. Und wir werden zweitens einen Prozess der Staatsmedizin haben, denn freie Praxen werden irgendwann ersetzt werden durch solche großen medizinischen Versorgungszentren, wo große Medizinheuschrecken dann letztendlich das Regiment übernehmen. Und das Ergebnis heißt Verschlechterung der individuellen Betreuung der Patienten.
Deutschlandradio Kultur: Aber ist es nicht das Problem, dass die Politik immer versprochen hat, wir schaffen mal eine Gesamtlösung, die uns auf Dauer Ruhe an dieser Front der Ausgaben- und der Leistungskürzungen bringt. Und nun gab es das Kopfpauschalenmodell wider Bürgerversicherung. Da macht die CSU jetzt ja einen eigenen Punkt auf und sagt, wir sind gegen beides, obwohl sie zumindest bei der Union beim Kopfpauschalenmodell mitmarschiert ist. Nur Horst Seehofer, Ihr Parteichef, hat gesagt: Ich habe dagegen was. Ich bin eher bei der Bürgerversicherung. Wo steht denn jetzt die CSU als Partei?
Markus Söder: Es wird immer nur diskutiert, wo kriegen wir mehr Geld ins System. Es gibt mehr Geld im System. Trotzdem funktioniert es nicht, weil die Frage der Verteilung innerhalb des Systems die große Herausforderung ist. Natürlich wird es die nächsten 10, 15 Jahre, wenn die Gesellschaft älter wird, logisch sein müssen, dass es mehr kostet. Es wäre aber auch eine Lüge, den Menschen gegenüber zu sagen: Menschen werden älter, Betreuung wird besser, Fortschritt ermöglicht neue Heilungsmethoden, aber es wird irgendwie günstiger werden. Das ist ja absurd. Und wenn Gesundheit das Wichtigste ist, was beim Neujahrsempfang gewünscht wird, auf jedem Geburtstagsgruß, und wenn es auch stimmt, dass es mehr Arbeitsplätze in Deutschland in der Gesundheitswirtschaft gibt als im Automobil- und sonstigen Bereichen, dann müssen wir auch was dafür tun.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie sagen: jetzt kein Geld mehr!
Markus Söder: Ich sage: Im Moment geht’s nicht um die Frage der Einnahmemehrung, sondern der Verteilung. Das ist ja evident. Auf Dauer ist die zweite Frage: Wie bekommt man was?
Ich glaube, dass diese ideologische Debatte - Bürgerversicherung, Kopfpauschale - eine absolute Sackgasse ist. Die Bürgerversicherung löst überhaupt kein Problem. Sie klingt für den einen oder anderen sympathisch, löst aber kein Problem.
Deutschlandradio Kultur: Warum denn nicht?
Markus Söder: Weil wir, wenn wir die Privaten, die PKV, abschaffen würden. Bürgerversicherung ist nichts anderes, als die PKV abzuschaffen, das ist ja das Modell, dann führt das dazu, dass wir erst mal verfassungsrechtliche Probleme kriegen. Und im Übrigen lösen wir neue Ansprüche aus. Das ist übrigens das einzige System, das halbwegs funktioniert.
Und das andere, die Kopfpauschale, hat - abgesehen von ihrer semantischen Schwierigkeit in der Vermittlung, in der Kommunikation - das Problem: Wenn man sie der reinen Lehre nach durchzieht, hat sie Probleme der sozialen Akzeptanz. Wenn man versucht sozialen Ausgleich zu machen, wird sie letztlich so bürokratisch, dass es nicht funktioniert. Insofern brauchen wir da aus meiner Sicht eher einen Mittelweg. Der heißt eben, den Weg, den man jetzt beschreitet, fort zu gehen. Das heißt, mehr Anteil aus Steuermitteln. Damit ist die Gesamtsolidarität erhalten neben Beiträgen und Eigenbeteiligung, wo man aber schon die Grenze des Zumutbaren erreicht hat, da würde ich auf keinen Fall höher gehen. Und die Kinder müssen unterstützt werden. Indem man die Familienmedizin aus dem Steuertopf finanziert, wird man irgendwann auch eine - ich nenne es mal - demographische Dividende aus dem Steuertopf erwirtschaften müssen, weil die Gesellschaft halt älter wird.
Deutschlandradio Kultur: Also, mehr Steuermittel in die Krankenkassen. Das können Sie dann auch relativ problemlos mit den Sozialdemokraten machen.
Markus Söder: Medizin und Gesundheitspolitik verengt sich nicht auf die Frage Bürgerversicherung/ Kopfpauschale. Das ist das, was ich vorhin meinte. Das ist der logische Fehler, der immer gemacht wird. Die Hauptfrage ist: Wie funktioniert denn die Verteilung im System?
Also, die SPD möchte Staatsmedizin und sie möchte Zentralismus. Wir sagen, Regionalität ist entscheidend. Die SPD will am Ende - dazu führt das letztlich - ein System, das gesteuert wird, alles zentral aus Berlin. Das haben sie bei der Krankenhausfinanzierung vorgeschlagen, bei der Krankenhausplanung. Sie möchten in ihrem Konzept letztlich entscheiden, wie ein Krankenhausanbau ist, wo der stattfindet, nicht mehr eine Länderplanung, sondern eine Bundesplanung. Sie möchten medizinische Versorgungszentren á la Polikliniken überall einrichten. Sie bekennt sich letztlich nicht zum freien Arzt und der freien Arztwahl, die dahinter steht.
Deutschlandradio Kultur: Ist as nicht ein bisschen zugespitzt? Die SPD bekennt sich nicht zur freien Arztwahl?
Markus Söder: Nein, das tut sie nicht. Man kann natürlich auf einem Kongress sagen, ich bekenne mich zur freien Arztwahl, aber wenn ich gleichzeitig enorme Möglichkeiten schaffe, dass solche riesigen Versorgungszentren von großen Kapitalgebern übernommen werden, in der dann Herr Lauterbach im Übrigen noch in der Regel Aufsichtsrat ist, nebenbei bemerkt, dann führt das dazu, dass solche großen Kapitalgesellschaften massiv Kassensitze aufkaufen und in einzelnen Regionen dann quasi Monopole schaffen, so dass ein Arzt, der sich sozusagen nicht unterwirft, keine Chance hat. Das führt dazu, dass dann - um wieder den Return of Invest zu erreichen - natürlich Individualität in der Betreuung wegfällt. Sie ziehen dann eine Nummer und das ist im Endeffekt nichts anderes als Discount- oder Fließbandmedizin. Und das will ich nicht. Das halte ich auch für falsch.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie diskutieren doch hier etwas parteipolitisch, was im Grunde ja ein Fehler insgesamt des Gesundheitswesens ist. Haben nicht beispielsweise die Ärzte verschlafen, wie sie Gemeinschaftspraxen aufbauen, wie sie medizinische Versorgungszentren in eigener Hoheit schaffen? Stattdessen haben wir die großen Bilder "Ärztehaus". Und jeder weiß, das ist ein Immobiliengag. Da werde ich gar nicht anders versorgt als in einer normalen Arztpraxis. Kurzum: Ist es nicht der Fehler der Ärzte in der Frage der Honorierung, im Angebot der Leistungen, dass man auf dem neuesten Stand ist, so wie es die Leute brauchen?
Markus Söder: Auch da zeichnet sich die Gesundheitspolitik unterschiedlich ab. Wir haben in Bayern in den letzten 10 Jahren durch die Kassenärztliche Vereinigung enorme Qualifizierungsanstrengungen gemacht. Im Übrigen ist natürlich noch ein Unterschied, ob Sie fünf oder sechs Gemeinschaftspraxen in Berlin machen oder im Bayerischen Wald bestimmte Einzelpraxen haben. Weil da lohnt sich manche Gemeinschaftspraxis nicht, aber wir wollen ja eine wohnortnahe Versorgung in Deutschland nicht nur für die Metropolen haben.
Ich mache mir Sorgen, dass am Ende dieser ganzen Entwicklung eine Medizin steht - so eine MVZ in der Stadt ist unproblematisch, das geht schon auch…. Denn wenn Sie in die U-Bahn einsteigen, dann fahren Sie eine Station in die eine oder zwei Stationen in die andere Richtung, das geht dann. Aber wenn dann die Leute 30, 40, 50 km fahren müssen, ist es gerade für ältere Leute eine Riesengefahr. Gerade für die älteren Menschen geht erstens der Verlust überhaupt von der Betreuung weg, weil die den Arzt brauchen der sie kennt, der auch einschätzen kann, wie schlimm eine Situation ist. Und sie können es auch rein räumlich nicht mehr schaffen, was dazu führt, dass die Leute entweder ins Krankenhaus gehen müssen oder in solche großen Zentren.
Da wird dann am Ende halt der Verlust da sein. Und das liegt dann an den Ärzten. Wir müssen eh dafür kämpfen, dass wir noch Ärzte finden, die in die ländlichen Räume gehen. Wir müssen Mobilitätshilfen aktivieren. Wir müssen konkrete Planungen machen, um auch den Beruf des Arztes am Land weiter zu stärken. Ansonsten gibt’s auch weitere Landflucht, die ja keiner in Deutschland will.
Deutschlandradio Kultur: Um noch mal auf die Finanzierung zurückzukommen: Wenn Sie sagen, beim Beitragssatz und der Eigenbeteiligung ist die absolute Obergrenze erreicht, man braucht mehr staatliche Zuschüsse, haben Sie das mal durchgerechnet, wie viel das den Staat dann eigentlich perspektivisch kosten wird und ob dann Gesundheitsversorgung immer nach Kassenlage gilt? Das ist doch eine riesige Abhängigkeit dieses gesamten Systems, das Sei eigentlich nicht wollen dürfen.
Markus Söder: Ja, im Moment gibt’s ja anscheinend schon eine gigantische Abhängigkeit.
Deutschlandradio Kultur: Aber die wird doch größer.
Markus Söder: Im Moment ist immer noch die Situation, die Aussage von Frau Schmidt, dem Fond ging es gut, stimmt ja nicht. Das ist eine Einschätzung, die ich nicht teile. Sondern das Ergebnis wird sein, dass der Bund in diesem Jahr enorme Probleme bekommen wird. Wir haben viele kleinere - Betriebskrankenkassen, die übrigens sozialpolitisch immer zurecht gewollt waren, weil die sehr effektiv waren -, die stehen alle kurz vor dem Aus. Es gibt für mich keine absolut begrenzte Zahl von Kassen, die man haben muss, aber wenn es am Schluss nur eine Art Volkskasse gäbe, glaube ich nicht, dass der Wettbewerb funktioniert.
Deutschlandradio Kultur: Die auch keiner will.
Markus Söder: Na ja, da bin ich mir nicht ganz sicher. Wissen Sie? Das gesamte System des Bundesgesundheitsministeriums ist auf eine zentralistische Struktur mit Einheitskasse, Einheitsmedizin, so bewerte ich es jedenfalls, und auch letztlich dem Arzt als Angestelltem zu sehen. Daher kommt im Übrigen auch der Widerstand vieler Ärzte. Da geht es ja nicht nur um Geld. Es geht ja nicht nur darum, dass man den Ärzten immer versucht zu unterstellen, es ginge nur ums Honorar. Es geht auch um die Strukturen, um die Perspektive, übrigens auch für junge Ärzte.
Wenn sich heute ein junger Mediziner das Ganze ansieht und überlegt bei den ganzen Herausforderungen, die er zu bewerkstelligen hatte - ein hartes Studium vorher, eine hervorragende Ausbildung, guter Abiturschnitt, lange Zeit im Krankenhaus, die ja auch nicht immer so einfach ist, auch mit erheblichen psychischen Belastungen, die man dort zu bewerkstelligen und zu bewältigen hat -, dann, muss ich ganz ehrlich sagen, sind das keine Signale, die für den Spitzenmediziner der Zukunft gut sind. Da gehen die jungen Ärzte lieber woanders hin, wo sie besser honoriert werden und bessere Arbeitsbedingungen vorfinden.
Deutschlandradio Kultur: Im Grunde wollen Sie ja das Mischsystem, das wir derzeit haben - Mischung aus Beitragszahlungen und Steuerfinanzierungen -, beibehalten.
Markus Söder: Ja, so ist es. Das haben wir beschlossen, ja.
Deutschlandradio Kultur: Dann wird Ihnen natürlich vorgehalten, die Kinderkrankenkasse haben Sie noch gar nicht durch finanziert. Die ist ja noch nicht voll aus dem Bundeshaushalt bei den Kassen gelandet. Und nun versprechen Sie einen Bonus für die Versorgung älterer Menschen. Der ist auch noch nicht finanziert. Wie wollen Sie denn da dem Misstrauen begegnen, das sagt, da wird Politik nach Kassenlage gemacht? Mal gibt’s was, mal gibt’s nichts.
Markus Söder: Wenn ich die Alternativen anschaue, werden die sein: Wir wurschteln jetzt irgendwie so weiter, wie bisher. Das heißt doch, dass wir nichts anderes machen, als jedes Jahr so eine entsprechende Struktur. Dann gibt es ein in Stellung bringen der Gesundheitspartner gegeneinander. Frau Schmidt sagt, die Kassen haben doch genügend, die sollen machen. Die sollen mal die Finanzierung übernehmen oder die. Die Kassen sagen, wir haben nicht genügend, wir müssen vorsorgen. Regionale Strukturverträge kündigen sie auf. Die Ärzte beschweren sich drüber.
Wir sind doch in der Situation, dass wir eine dermaßen unsichere Situation haben, wie sie noch nie im deutschen Gesundheitswesen war, so dass jetzt keiner herkommen und sagen könnte, das, was jetzt gemacht wird, sei in irgendeiner Form stabil und fest, zumal die Ausfälle, die aus dem Fond entstehen, im nächsten Jahr so nicht mehr getragen werden.
Sie werden erleben, dass wir im nächsten Jahr entweder einen Kahlschlag haben mit massiver Verschlechterung der Situation oder der Bund verlängert sozusagen das Ganze. Wenn Sie das Argument haben, man müsste nach Kassenlage machen, werden Sie im nächsten Jahr erleben, dass das noch mal eine riesige politische Debatte gibt, ob die Beschlüsse - nehmen wir den denkbar schlimmsten Fall an, es bleibt eine Große Koalition für die Gesundheitspolitik, weil das ist nämlich so ein Hin- und Herziehen -, dann müsste der Bund wahrscheinlich auch einspringen, weil die Demonstrationen der Patienten groß wären - zurecht.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, Schwarz-Gelb - wenn es nach dem 27. September einen Wechsel im Bund gibt - wird eine grundsätzlich neue Gesundheitsreform hinlegen, die dann auch für viele Jahre tragfähig ist?
Markus Söder: ich hoffe es, ja.
Deutschlandradio Kultur: Aber das macht die FDP mit Ihnen nicht mit. Wenn sich beide, Union, also CDU und FDP, auf das Kopfpauschalemodell geeinigt haben, FDP ist sogar mehr dafür, das eher der privaten Krankenversicherung zu übergeben, dann kommt die CSU und sagt, wir lassen alles beim Alten, wir modifizieren das nur? Das gibt doch den ersten Streit.
Markus Söder: Es geht doch letztlich um den Patienten. Ich mache mir immer Sorge, dass wir in der Gesundheitspolitik zu sehr theoretisieren. Am Ende kommt es nur darauf an, wie es beim Patienten wirkt. Aber ich glaube, da gibt es eine Reihe von Themen, die man diskutieren müsste. Selbstverwaltung der Ärzte? Braucht es diese Pflichtmitgliedschaft. Sind diese KV wirklich noch eine zukunftsfähige Struktur? Bräuchte es nicht statt einer Honorarordnung nicht besser eine freie Gebührenordnung?
Ich sage Ihnen, da gibt’s eine Reihe von Themenfeldern, die wir - glaube ich - auch sehr gut mit CDU und FDP gemeinsam lösen können, wo wir - glaube ich - auch Erfolg erzielen können. Da wird sich nie was 100 % durchsetzen vielleicht, aber wir wären da - glaube ich - einen großen Schritt vorn, jedenfalls besser als die Staatsmedizin, die jetzt auf den Weg gebracht wurde in den letzten Jahren von Ulla Schmidt.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind Sie 42 Jahre alt, wenn ich richtig gerechnet habe. Können Sie sich vielleicht in vier, sechs, acht Jahren das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten vorstellen?
Markus Söder: Das ist eine völlig unzulässige Frage. Ich schaue, was kommt, mache das, was ich mache, so gut wie es geht. Jeder, der sagt, er hat einen Masterplan im Kopf, dem misstraue ich. Der wirkt eher wie so ein Börsianer auf mich, der schon von vornherein 30 % Gewinne hat.
Wir haben jetzt einen starken, einen guten, Horst Seehofer. Er war die Rettung für die CSU. Dass der Erfolg jetzt bei der Europawahl so stark war, ist sein Erfolg. Er hat es geschafft, diese Partei wieder zusammenzuführen. Also muss ich schon sagen, es ist ein sehr gedeihliches Zusammenarbeiten. Deswegen - glaube ich - werden wir noch sehr lange die Freude haben, dass er Chef ist. Er muss uns in die Wahl 2013 führen in Bayern. Da gibt es überhaupt keine Diskussion. Wissen Sie? Beliebtheit ist das eine, Stimmen für die Partei sind das andere. Und letztlich kommt es auf die Stimmen an. Und die hat er geholt. Da muss man dankbar sein.
Deutschlandradio Kultur: Aber das ist ein spätes Lob. Da muss man doch fairerweise sagen, Sie haben ihn erst als CSU im zweiten Anlauf zugelassen.
Markus Söder: Wissen Sie. Wenn sich Politik immer nur damit beschäftigt, was vor einem halben Jahr besser gewesen wäre, da gibt es sicherlich Sendeformate bei Ihnen im Programm, die sind da bestens geeignet, um das alles noch mal philosophisch aufzuarbeiten. Aber Politik darf nicht nur mahnen, Politik muss machen und muss für die Zukunft machen. Keiner wird für das gewählt, was in der Vergangenheit war. Man wird immer für die Zukunft beauftragt. Deswegen kümmere ich mich, ehrlich gesagt, lieber um die Zukunft, als immer zu hinterfragen, was wäre vielleicht besser gewesen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Söder, wir danken für das Gespräch.