Für viele Menschen "ist das Altern tabu"

Thomas Greiner im Gespräch mit Gabi Wuttke · 08.04.2013
Angesichts der steigenden Zahl Demenzkranker fordert der Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege, Thomas Greiner, dass das Thema ernster genommen wird. Die Angst vor der Pflegebedürftigkeit gehe man am besten an, indem man sich frühzeitig damit auseinandersetze.
Gabi Wuttke: Im hohen Alter körperlich noch einigermaßen beieinander, aber der Kopf kann nicht mehr, wie er soll. Gedächtnis, Sprache, Motorik schwinden. 300.000 Menschen werden in jedem Jahr in Deutschland dement, das sind über 800 an jedem Tag. Mitte des Jahrhunderts, so die Prognose, werden fünf Millionen Menschen pflegebedürftig sein, viele von ihnen ohne Kinder, die sich kümmern könnten.

Der Arbeitgeberverband Pflege vertritt seit vier Jahren auch die wirtschaftspolitischen Interessen von 30 Unternehmen der Pflegewirtschaft. Sein Präsident ist Thomas Greiner und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

Thomas Greiner: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Herr Greiner, müssen wir uns fürchten, Pflegefall zu werden?

Greiner: Also ich glaube, wir müssen uns nicht fürchten. Diese Angst vor dem Alter, diese Angst vor der Demenz, die Angst vor der Pflegebedürftigkeit, glaube ich, die geht man am besten an, indem man sich frühzeitig mit diesem Thema auseinandersetzt.

Ich glaube, es ist ein guter Weg, zu sagen, ich schaue mir mal eine stationäre Pflegeeinrichtung an. Und ich sehe es bei vielen Leuten, die dann auf einmal feststellen, dass sie sagen, so hätte ich mir das aber nicht vorgestellt. Darüber hinaus glaube ich, dass wir einfach eine ganz vielfältige Landschaft brauchen, wie wir mit diesem Thema umgehen können, aber ich glaube, unsere Gesellschaft insgesamt muss sich aktiv auf dieses Thema vorbereiten.

Wuttke: Es gibt solche und solche Pflegeheime, und eins steht sicherlich fest: Je mehr Geld jemand zur Verfügung hat, möglicherweise bis zu 6000 Euro im Monat, um sich eine Pflege zu leisten, der scheint am allerbesten dran zu sein, das zumindest denken viele Menschen. Können Sie die Skepsis verstehen?

Greiner: Nun, es ist so, dass zunächst ich einfach feststelle, dass viele Leute, für die ist das Altern tabu. Und wenn sie dann zum ersten Mal, was ihre Familienangehörigen betrifft, direkt mit dieser Frage konfrontiert sind, dann sind sie hilflos. Und ich kann, wie gesagt, nur jeden auffordern, sich mal moderne Pflegeeinrichtungen anzuschauen, Wohngemeinschaften anzuschauen.

Die Bezahlung ist in dem Land geregelt. Derjenige, der es nicht aus seinen eigenen Mitteln, aus der eigenen Rente, aus der Pflegeversicherung machen kann, wird vom Sozialamt unterstützt. Also materiell ist dieses Thema Pflege kein Risiko. Ich glaube, das größere Problem ist, wie finden wir genügend Betreuung, wie sorgen wir dafür, dass die alten Menschen dann auch so betreut sind, dass sie ein schönes Alter haben.

Wuttke: Der Bedarf an ausgebildeten Altenpflegern ist in Deutschland jetzt schon wahnsinnig groß. Das ist keine Überraschung. Wie kann man denn diesen Beruf bei uns attraktiv machen?

Greiner: Ich glaube zunächst mal, auch da der Blick auf die Realität - wir haben jetzt rund 60.000 junge Menschen, die in Deutschland zur Pflegekraft ausgebildet werden. Das ist eine beachtliche Zahl. Und wir können alle Ausbildungsstellen besetzen in unseren Unternehmen. Daneben bemerkt: Junge Auszubildende in der Pflege sind die mit am besten bezahlten Ausbildungsstellen.

Darüber hinaus müssen wir es schaffen, dass wir Pflegekräfte länger in den Einrichtungen halten können und insbesondere Hilfskräfte zu Fachkräften weiterbilden, dass es lukrative Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Darüber hinaus müssen wir schauen, wie wir Pflegekräfte aus dem Ausland zu uns bekommen. Ich glaube, die große Herausforderung für die Zukunft wird sein, wie finden wir genügend Leute, die hauptamtlich oder ehrenamtlich in der Pflege arbeiten.

Wuttke: Wenn Sie sagen, in der Pflege arbeiten - ist das ein Unterschied zu dem wenig schönen Wort Pflegebedarf? Denn da schwingt immer mit, dass jeder, der sich mit alten, mit dementen Menschen beschäftigt, ständig auf die Uhr gucken muss, und das vielleicht auch ein Teil der Skepsis ist, dass man sich doch für seine Angehörigen und in irgendwie den nächsten kommenden Jahren und Jahrzehnten für sich einen Menschen wünscht, der nicht ständig auf die Uhr gucken muss, sondern menschlich zugewandt ist.

Greiner: Ich glaube, es ist einfach ein Unterschied, ob wir auf hauptamtliche Kräfte schauen oder auf ehrenamtliche Kräfte. Wir werden in der Zukunft sehr viele ehrenamtliche Kräfte in der Altenpflege benötigen, die die hauptamtlichen unterstützen. Wir können dieses Thema nicht mit hauptamtlichen sozusagen delegieren und lösen.

Wir brauchen Leute insbesondere, die betreuen, die vorlesen, die mit dem Rollstuhl in den Garten fahren, und, und. Das kann diese Gesellschaft, glaube ich, nicht alles finanziell lösen. Hier gibt es auch keine Minutenproblematik. Das Entscheidende ist hier, dass wir Leute finden, die da dazu bereit sind, und das ist eben wiederum eine ganz wichtige Aufforderung an diese Gesellschaft, dieses Thema endlich ernst zu nehmen. Die Fachkräfte werden immer nur einen Teil abdecken können.

Wuttke: Das heißt, wenn Sie sagen, Demenz ist für viele Menschen ein Tabu, dann ist es auch schwierig, dafür Ehrenamtliche zu finden, weil das ja hieße, sich selbst mit dieser Krankheit, mit dem Altwerden zu konfrontieren?

Greiner: Ich glaube, ein Problem ist das Bild, das wir von der Demenz haben. Zunächst ist Demenz eine Alterung des Gehirns, die aber auch sehr unterschiedliche Verläufe hat. Das ist ja die gute Nachricht bei diesen großen Zahlen, dass jeder Dritte, der älter ist wie 85, pflegebedürftig wird – dass es sehr unterschiedliche Verläufe gibt. Von allen sind letztlich wirklich auf permanente, umfassende Rund-um-die-Uhr-Betreuung angewiesen.

Also, es gibt aus meiner Sicht einfach die wichtige Aufgabe, dieses Horrorbild der Demenz aufzulösen. Wenn Sie mal so ein Buch nehmen wie von Arno Geiger, "Der König im Exil", da kann man wunderbar nachlesen, und es kann jeder tun, dass es eben auch schöne Momente gibt. Wichtig ist, glaube ich, dass wir Strukturen schaffen – Wohngemeinschaften in den stationären Einrichtungen – die sowohl fachlich sehr gut versorgt sind, aber eben auch viele Betreuungskräfte haben, die insbesondere auch den Angehörigen, die zu Hause ihre dementen Menschen pflegen, Entlastung bringen. Also, wir brauchen einfach eine vielfältige Landschaft, und ein Schritt dazu ist, sich einfach auf dieses Thema einzulassen.

Wuttke: Sagt im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Greiner: Dankeschön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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