Für und Wider der Religionen

Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus stehen im Mittelpunkt des Sammelbandes "Religion. Segen oder Fluch der Menschheit?". Geisteswissenschaftler aus aller Welt kommentieren darin kritisch ihre religiöse Herkunft und zeigen, dass Segen und Fluch oft nah beieinander liegen.
Schwarz-Weiß-Malerei ist fehl am Platz. Da sind sich die Religionswissenschaftler in diesem Bandes einig. Keine der fünf Weltreligionen - nur um die geht es in diesem Buch - ist an sich ein Segen für die Menschheit. Aber auch keine ist per se ein Fluch.

" In der Realität sind die Dinge ja fast immer durchwachsen, vielschichtig, kompliziert - und nicht selten liegen Segen und Fluch sehr nahe beieinander. "

Wie nah genau, will dieses Buch erörtern. Jeder Weltreligion ist ein Kapitel gewidmet. Die Darstellung beginnt mit den abrahamitischen Glaubensgemeinschaften - Judentum, Christentum und Islam, danach werden Hinduismus und Buddhismus verhandelt. Erkenntnis leitend ist jeweils die Frage: Welches Potenzial birgt diese konkrete Religion, um Menschenseelen von Ängsten zu befreien und zu heilen? Andererseits - wo liegen die Schattenseiten dieses Glaubenssystems, was sind die Ursachen, dass genau diese Religion dazu beitragen konnte und weiterhin beitragen kann, Menschenseelen ideologisch zu vergiften und zu versklaven?

Nehmen wir das Beispiel "Christentum". "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst", so die zentrale Botschaft des Jesus von Nazareth.

" Übel durch Gutes zu überwinden. Und zu erkennen, dass unser Leben in dem Maße sinnvoll ist, wie es für andere sinnvoll wird. "

Nur leider, und dieses Thema bewegt verschiedene Autoren in diesem Buch, wird die christliche Liebe selten genug im Sinne des Erfinders praktiziert. Man muss nur die Kirchengeschichte betrachten.

" Die abgründigste Erfahrung der Christen mit sich selbst liegt in den Pogromen gegen Juden. Im angestifteten oder geduldeten Massenmord an den Geschwistern hat die Religion der Bergpredigt ihre Wurzeln verraten, in Phasen des Verlustes aller humanen Werte verkehrte sich die christliche Liebe in unkalkulierbaren Hass. "

Sobald Personen oder ganze Völkerschaften ( wie die Juden) nicht willens waren, sich vom Christentum "erlösen" zu lassen, ist der christliche Wille zur Liebe oft umgeschlagen in den unbedingten Willen zur Macht.

Was den Islam betrifft - 83 Prozent der Deutschen meinen, diese Religion sei "von Fanatismus geprägt", so der Befund einer neueren Umfrage des Allensbach-Instituts. Das Gegenteil ist der Fall, schreibt Mehdi Razvi, ein Imam aus Hamburg. In seiner Lesart ist der Islam die tolerante Religion schlechthin.

" Wir glauben an alle Gesandten Gottes, alle Propheten, ob sie aus Griechenland, Indien, China, Iran kamen oder eben von Abraham abstammen. "

Der Islam, so Razvi, verbietet Terrorismus, Mord und jegliche Unheilsstiftung auf Erden. Bedenklich findet der Autor allerdings, dass seine Religion den Waffengebrauch nicht gänzlich verbietet, sondern den Krieg zum Zweck der Selbstverteidigung sogar ausdrücklich erlaubt.

" Deshalb gibt es Raum für das eigene Ermessen - auch Raum für Missbrauch und Übertreibung. "

Um die Religionen asiatischer Herkunft steht es nicht besser. Auch hier liegen "Segen und Fluch" nah beieinander.

Richard Baker Roshi, ein Meister des Zen aus New England , betont zunächst, er könne die Schulung des menschlichen Geistes, wie sie der Buddhismus bietet, Meditation und Selbsterfahrung, nicht hoch genug schätzen.

" Allerdings hat sich auch der Buddhismus kompromittiert mit Aberglauben, Feudalismus, Chauvinismus und in jüngster Zeit auch mit wirtschaftlichen Verflechtungen. "

Auch ist es ein Irrtum zu meinen, Buddhisten seien per se friedliche Bürger. In Sri Lanka zum Beispiel üben Buddha-Gläubige offen Gewalt gegen hinduistische Tamilen.

" Leider bleiben institutionalisierte Religionen oft den Prinzipien ihrer Gründungsväter nicht treu. Sie verlieren ihre Grundsätze und versagen
beim Aufzeigen alternativer Lebenswege. "

Wie kommt das? - In die kanonischen Schriften ausnahmslos aller Religionen sind Gedanken eingestreut, die deren Missbrauch als Machtinstrument zumindest ermöglichen. Denken wir nur an den christlichen Missionsbefehl aus dem Matthäus-Evangelium. Oder an Buddhas Lehre von der notwendigen Akzeptanz dessen, was ist. Die war schon immer Wasser auf die Mühlen von Machthabern: Rechtfertigung, das alles beim Alten bleibt.

Soweit das Fazit der Autoren über den "Fluch der Religionen". - Andererseits bergen auch all diese Glaubenssysteme eine große und vor allem eine gemeinsame Chance:

" Menschen zu heilen vom modernen Materialismus und Konsumismus, von einer Gier, die sich zunehmend in Umweltkatastrophen manifestiert und die Existenz unseres Planeten gefährdet. "

Dieses Buch schert sich nicht darum, ob Gott existiert oder nicht, sondern stellt die Frage, was der Gottesglauben bewirken kann. Der Herausgeber hat die Hoffnung, dass die großen Religionsgemeinschaften in einer globalisierten Welt ihr Handeln gegenseitig kommentieren und kritisieren, damit die segensreiche Wirkung von Religion eine Zukunft haben kann.

Rezensiert von Susanne Mack

Michael von Brück (Hrsg.)
Religion. Segen oder Fluch der Menschheit?

Verlag der Weltreligionen. Frankfurt am Main und Leipzig 2008.
501 Seiten. 24,80 Euro.