"Für mich scheint das nicht sehr schwierig zu sein"
Der Wissenschaftler Alfred Grosser hat sich in seinem neuen Buch "Von Auschwitz nach Jerusalem" mit Deutschland und Israel befasst. Grosser äußerte sich auch über die Unterschiede des Wortes Auschwitz in der Betrachtung.
Herbert A. Gornik: Alfred Grosser ist im Deutschlandradio Kultur zu Gast. "Von Auschwitz nach Jerusalem" heißt sein neues Buch, bei Rowohlt erschienen, über Deutschland und Israel. Alfred Grosser, ist dieser Titel eigentlich Verlegenheit oder hat es eine tiefere Absicht?
Alfred Grosser: Es ist ein bisschen Verlegenheit, denn Auschwitz wird relativiert, das heißt, man sieht den Platz, den Auschwitz erst seit den 60er-Jahren in Israel genommen hat, wie mit dem Wort Auschwitz die Bundesrepublik eingeschüchtert wird. Aber vor allen Dingen geht es nach langen Vorkapiteln um "Was ist eigentlich Israel, was ist die Geschichte Israels" und dann Schlusskapitel, Hauptkapitel "Warum lassen sich die Deutschen so einschüchtern?".
Gornik: Wenn Deutsche Israels Innenpolitik kritisieren, dann ernten sie bei den jüdischen Gesprächspartnern oft den Vorwurf des Antijudaismus. Gibt es eigentlich einen Weg aus dieser Falle?
Grosser: Ja, also es hat vor ein paar Tagen einen Fortschritt gegeben. Der Zentralrat hat protestiert gegen das, was ein Mitglied des Vorstands der Bundesbank erklärt hat gegen die Moslems. Und dass der Zentralrat eingreift für Moslems, finde ich hervorragend. Und bei uns in Frankreich gibt es eine Art Bündnis zwischen dem neuen Großrabbiner für Frankreich und dem Großmufti – ich weiß nicht genau, wie er heißt –, die zusammen überall hingehen, wie es Ignatz Bubis getan hatte, der überall erschien, wo zum Beispiel Immigrantenhäuser verbrannt wurden. Da war Ignatz Bubis, um zu zeigen, dass das Leiden der anderen für ihn wesentlich war.
Gornik: Gerade Deutsche sitzen vielleicht in einer doppelten Falle, wenn sie eine geteilte Solidarität oft reklamieren und sagen, auf der einen Seite sind wir als Deutsche – und übrigens auch als Christen – auf der Seite des Staates Israel, dessen Existenz wir absichern müssen, aufgrund unserer Geschichte, und auf der Seite unserer jüdischen Glaubensbrüder. Auf der anderen Seite fühlen sie auch als Christen zu den christlichen Palästinensern eine starke Affinität und finden, dass die damals verfolgten Juden nun wieder anderes Unrecht produzieren. Wie kommt man eigentlich aus dieser Falle heraus?
Grosser: Ja, für mich scheint das nicht sehr schwierig zu sein. Man gehört einer Gruppe an, und gerade deswegen muss man ihr kritisch gegenüberstehen. Es war, weil ich vorher Franzose geworden war, dass ich Frankreich im Algerien-Krieg immer hart kritisiert habe, angegriffen habe, an Kundgebungen teilgenommen habe. Und es ist, weil meine vier Großeltern Juden waren und meine Eltern auch, dass ich mich mehr verbunden fühle mit Israel und deswegen so Kritik erlaubt. So wie der von mir nicht geschätzte Präsident Sarkozy in der Knesset gesprochen hat, weil er sagte, wir sind Freunde Israels, deswegen als Freunde sagen wir, es muss auf 1967 zurückgegriffen werden, es darf keine neuen Siedlungen mehr geben und so weiter und so weiter, während Angela Merkel, die ich sehr schätze, vor der Knesset geredet hat, als sei sie Mitglied des Likuds und jede Erwähnung der Palästinenser.
Gornik: Sie hat also genau in Ihrem Verständnis das nicht getan, was Not tut. Wenn man sich für das Leiden einer anderen Gruppe interessiert, muss man sich der eigenen Gruppe ein Stück weit entfremden und diese Kritik auch auf sich beziehen lassen.
Grosser: Ja, genau. Und ich fordere die verschiedenen Gruppen auf, solches zu tun. Zum Beispiel wie Kriegsbeginn, ich glaube 1999, gefeiert wurde, oder 89, glaube ich, war es, sprach ich zu Katholiken in einer Kirche in Köln über das Versäumnis der katholischen Kirche 33, am nächsten Tag in der Westfalenhalle für den DGB das Versagen der deutschen Gewerkschaft 1933, und hier aufzurufen, ihre eigene Vergangenheit kritisch zu betrachten, bevor sie die Vergangenheit der anderen angriffen.
Gornik: Wir reden zu einem Zeitpunkt über Ihr Buch, zu dem der amerikanische Präsident gerade den Friedensnobelpreis bekommt, für etwas, wo man noch nicht weiß, für was eigentlich – für die Hoffnung auf etwas. Ist die palästinensisch-israelische Konfliktlage die Nagelprobe zum Beispiel für den amerikanischen Präsidenten?
Grosser: Ich finde es zu spät schon, er hat versagt, er hat nachgegeben, er wird keinen Druck auf Israel ausüben. Er hat zugegeben, dass man neue Siedlungen machen kann, obwohl Israel hoch und heilig geschworen hat, das würde nicht mehr geschehen, obwohl im Februar dieses Jahres die 27 Länder der Europäischen Union dagegen protestiert haben, dass es neue Siedlungen gibt.
Und meiner Ansicht nach ist der amerikanische Präsident zu weich gewesen. Er hätte zum Beispiel sagen können, nicht wir machen wirtschaftliche Sanktionen, sondern schlicht, wir liefern keine Waffen mehr an Israel. Denn die ganze Bewaffnung Israels kommt aus den Vereinigten Staaten, und das ist 1000 mal mehr als die Raketen, die der Hamas zur Verfügung hat.
Gornik: Wenn Sie sagen, es ist fast schon zu spät, woher soll dann Hoffnung am Ende des Tunnels auftauchen?
Grosser: Ja, also das weiß ich eben nicht, denn ich sage immer, ich bin intellektuell-pessimistisch, aber glücklicherweise genetisch Optimist, aber zurzeit versagen meine Gene, und ich sehe keinen Ausweg. Also der Ausweg, es gibt einen – Zweistaatenlösung, das ist aus, das ist fertig, es gibt ja kein Territorium mehr, wo es einen palästinensischen Staat geben könnte.
Gornik: Wegen der israelischen Besatzungspolitik und Siedlungspolitik.
Grosser: Und auf der anderen Seite, wenn Sie lesen, dass Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, geschrieben hat, er wollte einen weltlichen Staat, wo alle Bürger gleich seien und offen für alle Juden. Das war auch sehr (..), der Text der Unabhängigkeitserklärung von Israel, der Gründung von Israel, von David Ben Gurion, alle Bürger gleich. Alle seien israelische Bürger mit den gleichen Rechten. Die Anerkennung eines jüdischen Staates ist was völlig anderes und für die Moslems nicht akzeptabel.
Gornik: Sie haben gerade schon Ihre Auftritte in den christlichen Kirchen erwähnt, Sie sind, wenn man das so sagen will, ein hoch geschätzter, freundlicher Atheist auch in Kirchenkreisen. Was erwarten Sie vom christlich-jüdischen Dialog, vom christlich-islamischen Dialog, gerade in dieser politischen Frage?
Grosser: Also erst einmal möchte ich, dass man in Deutschland wie in Frankreich mehr (..), alle Christen des Nahen Ostens. Das gilt für Ägypten, das gilt für Palästina, für die islamische Seite, das gilt vor allem für Libanon, und ich glaube, dass in wenigen Jahren keine Christen mehr im Libanon geben wird. Sie werden alle weggegangen sein. Das ist die erste Aufgabe.
Und das sollten die Kirchen ruhig sagen, ohne angeklagt zu werden, egoistisch zu sein. Und dann sollte Verständnis erweckt werden, das wäre in Deutschland auch der Fall, der Leidende, die Leiden des anderen. Das gilt natürlich auch für die Moslems in Deutschland und in Frankreich, das heißt der Fremde.
Und es hat mal einen guten deutschen Bischof gegeben – es gibt heute noch gute deutsche Bischöfe –, aber der hieß Kamphaus, und der sagte 86: Jeder Fremde hat das Antlitz Christi. Das könnten wir bei den christlichen Parteien nicht bemerken. Und Johannes Rau hat gesagt bei seiner Antrittsrede als Bundespräsident bitte steht in der Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar und nicht die Würde des deutschen Menschen. Und in diesem Sinne sollte man einsehen, was bei uns – in Frankreich und in Deutschland – als Unterbeteiligung, als Unterdrückung der Moslems vorhanden ist. Niemand leidet mehr darunter, eine Stellung zu haben, weil er Jude ist, aber Tausende leiden darum, keine Stelle zu bekommen, weil sie Moslems sind.
Gornik: Alfred Grosser war das. Herzlichen Dank!
Alfred Grosser: Es ist ein bisschen Verlegenheit, denn Auschwitz wird relativiert, das heißt, man sieht den Platz, den Auschwitz erst seit den 60er-Jahren in Israel genommen hat, wie mit dem Wort Auschwitz die Bundesrepublik eingeschüchtert wird. Aber vor allen Dingen geht es nach langen Vorkapiteln um "Was ist eigentlich Israel, was ist die Geschichte Israels" und dann Schlusskapitel, Hauptkapitel "Warum lassen sich die Deutschen so einschüchtern?".
Gornik: Wenn Deutsche Israels Innenpolitik kritisieren, dann ernten sie bei den jüdischen Gesprächspartnern oft den Vorwurf des Antijudaismus. Gibt es eigentlich einen Weg aus dieser Falle?
Grosser: Ja, also es hat vor ein paar Tagen einen Fortschritt gegeben. Der Zentralrat hat protestiert gegen das, was ein Mitglied des Vorstands der Bundesbank erklärt hat gegen die Moslems. Und dass der Zentralrat eingreift für Moslems, finde ich hervorragend. Und bei uns in Frankreich gibt es eine Art Bündnis zwischen dem neuen Großrabbiner für Frankreich und dem Großmufti – ich weiß nicht genau, wie er heißt –, die zusammen überall hingehen, wie es Ignatz Bubis getan hatte, der überall erschien, wo zum Beispiel Immigrantenhäuser verbrannt wurden. Da war Ignatz Bubis, um zu zeigen, dass das Leiden der anderen für ihn wesentlich war.
Gornik: Gerade Deutsche sitzen vielleicht in einer doppelten Falle, wenn sie eine geteilte Solidarität oft reklamieren und sagen, auf der einen Seite sind wir als Deutsche – und übrigens auch als Christen – auf der Seite des Staates Israel, dessen Existenz wir absichern müssen, aufgrund unserer Geschichte, und auf der Seite unserer jüdischen Glaubensbrüder. Auf der anderen Seite fühlen sie auch als Christen zu den christlichen Palästinensern eine starke Affinität und finden, dass die damals verfolgten Juden nun wieder anderes Unrecht produzieren. Wie kommt man eigentlich aus dieser Falle heraus?
Grosser: Ja, für mich scheint das nicht sehr schwierig zu sein. Man gehört einer Gruppe an, und gerade deswegen muss man ihr kritisch gegenüberstehen. Es war, weil ich vorher Franzose geworden war, dass ich Frankreich im Algerien-Krieg immer hart kritisiert habe, angegriffen habe, an Kundgebungen teilgenommen habe. Und es ist, weil meine vier Großeltern Juden waren und meine Eltern auch, dass ich mich mehr verbunden fühle mit Israel und deswegen so Kritik erlaubt. So wie der von mir nicht geschätzte Präsident Sarkozy in der Knesset gesprochen hat, weil er sagte, wir sind Freunde Israels, deswegen als Freunde sagen wir, es muss auf 1967 zurückgegriffen werden, es darf keine neuen Siedlungen mehr geben und so weiter und so weiter, während Angela Merkel, die ich sehr schätze, vor der Knesset geredet hat, als sei sie Mitglied des Likuds und jede Erwähnung der Palästinenser.
Gornik: Sie hat also genau in Ihrem Verständnis das nicht getan, was Not tut. Wenn man sich für das Leiden einer anderen Gruppe interessiert, muss man sich der eigenen Gruppe ein Stück weit entfremden und diese Kritik auch auf sich beziehen lassen.
Grosser: Ja, genau. Und ich fordere die verschiedenen Gruppen auf, solches zu tun. Zum Beispiel wie Kriegsbeginn, ich glaube 1999, gefeiert wurde, oder 89, glaube ich, war es, sprach ich zu Katholiken in einer Kirche in Köln über das Versäumnis der katholischen Kirche 33, am nächsten Tag in der Westfalenhalle für den DGB das Versagen der deutschen Gewerkschaft 1933, und hier aufzurufen, ihre eigene Vergangenheit kritisch zu betrachten, bevor sie die Vergangenheit der anderen angriffen.
Gornik: Wir reden zu einem Zeitpunkt über Ihr Buch, zu dem der amerikanische Präsident gerade den Friedensnobelpreis bekommt, für etwas, wo man noch nicht weiß, für was eigentlich – für die Hoffnung auf etwas. Ist die palästinensisch-israelische Konfliktlage die Nagelprobe zum Beispiel für den amerikanischen Präsidenten?
Grosser: Ich finde es zu spät schon, er hat versagt, er hat nachgegeben, er wird keinen Druck auf Israel ausüben. Er hat zugegeben, dass man neue Siedlungen machen kann, obwohl Israel hoch und heilig geschworen hat, das würde nicht mehr geschehen, obwohl im Februar dieses Jahres die 27 Länder der Europäischen Union dagegen protestiert haben, dass es neue Siedlungen gibt.
Und meiner Ansicht nach ist der amerikanische Präsident zu weich gewesen. Er hätte zum Beispiel sagen können, nicht wir machen wirtschaftliche Sanktionen, sondern schlicht, wir liefern keine Waffen mehr an Israel. Denn die ganze Bewaffnung Israels kommt aus den Vereinigten Staaten, und das ist 1000 mal mehr als die Raketen, die der Hamas zur Verfügung hat.
Gornik: Wenn Sie sagen, es ist fast schon zu spät, woher soll dann Hoffnung am Ende des Tunnels auftauchen?
Grosser: Ja, also das weiß ich eben nicht, denn ich sage immer, ich bin intellektuell-pessimistisch, aber glücklicherweise genetisch Optimist, aber zurzeit versagen meine Gene, und ich sehe keinen Ausweg. Also der Ausweg, es gibt einen – Zweistaatenlösung, das ist aus, das ist fertig, es gibt ja kein Territorium mehr, wo es einen palästinensischen Staat geben könnte.
Gornik: Wegen der israelischen Besatzungspolitik und Siedlungspolitik.
Grosser: Und auf der anderen Seite, wenn Sie lesen, dass Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, geschrieben hat, er wollte einen weltlichen Staat, wo alle Bürger gleich seien und offen für alle Juden. Das war auch sehr (..), der Text der Unabhängigkeitserklärung von Israel, der Gründung von Israel, von David Ben Gurion, alle Bürger gleich. Alle seien israelische Bürger mit den gleichen Rechten. Die Anerkennung eines jüdischen Staates ist was völlig anderes und für die Moslems nicht akzeptabel.
Gornik: Sie haben gerade schon Ihre Auftritte in den christlichen Kirchen erwähnt, Sie sind, wenn man das so sagen will, ein hoch geschätzter, freundlicher Atheist auch in Kirchenkreisen. Was erwarten Sie vom christlich-jüdischen Dialog, vom christlich-islamischen Dialog, gerade in dieser politischen Frage?
Grosser: Also erst einmal möchte ich, dass man in Deutschland wie in Frankreich mehr (..), alle Christen des Nahen Ostens. Das gilt für Ägypten, das gilt für Palästina, für die islamische Seite, das gilt vor allem für Libanon, und ich glaube, dass in wenigen Jahren keine Christen mehr im Libanon geben wird. Sie werden alle weggegangen sein. Das ist die erste Aufgabe.
Und das sollten die Kirchen ruhig sagen, ohne angeklagt zu werden, egoistisch zu sein. Und dann sollte Verständnis erweckt werden, das wäre in Deutschland auch der Fall, der Leidende, die Leiden des anderen. Das gilt natürlich auch für die Moslems in Deutschland und in Frankreich, das heißt der Fremde.
Und es hat mal einen guten deutschen Bischof gegeben – es gibt heute noch gute deutsche Bischöfe –, aber der hieß Kamphaus, und der sagte 86: Jeder Fremde hat das Antlitz Christi. Das könnten wir bei den christlichen Parteien nicht bemerken. Und Johannes Rau hat gesagt bei seiner Antrittsrede als Bundespräsident bitte steht in der Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar und nicht die Würde des deutschen Menschen. Und in diesem Sinne sollte man einsehen, was bei uns – in Frankreich und in Deutschland – als Unterbeteiligung, als Unterdrückung der Moslems vorhanden ist. Niemand leidet mehr darunter, eine Stellung zu haben, weil er Jude ist, aber Tausende leiden darum, keine Stelle zu bekommen, weil sie Moslems sind.
Gornik: Alfred Grosser war das. Herzlichen Dank!