Für mehr Geld und bessere Verträge

Von Philip Banse · 19.07.2005
Die Berliner Charité, Europas größte Uniklinik, muss sparen. Gespart, so sagen die Ärzte, werde vor allem bei ihnen. Vergangene Woche veröffentlichten sie einen offenen Brief in Berliner Zeitungen mit über 500 Unterschriften. Sie fordern eine bessere Vergütung und längere Vertragslaufzeiten.
Rebecca Kretz ist Assistenzärztin an der neurologischen Poliklinik der Charité. Ihr Arbeitstag beginnt um acht Uhr mit der Frühkonferenz: Neuzugänge am Wochenende, Stand der Dinge. Dann hat sie Sprechstunde, meist Epilepsiepatienten. Um 15 Uhr noch Patientenbesuche in der Frauenklinik. Eigentlich hätte sie gegen 16.30 Feierabend. Aber Rebecca Kretz muss noch Briefe diktieren, Poster für einen medizinischen Kongress entwerfen – gegen 19 Uhr ist Feierabend, ein Elf-Stunden-Tag. Die 34-jährige Assistenzärztin verdient inklusive alle Bereitschaftsdienste rund 3400 Euro brutto, etwa 1900 Euro bleiben übrig.

" Ich finde das ein Gehalt, von dem man natürlich leben kann. Aber was eben verärgert, was dazu führt, dass man die Lust an der ärztlichen Tätigkeit verliert, ist, dass man viel mehr arbeitet, als vergütet wird. Wir machen alle zehn Überstunden pro Woche, wir machen Dienste am Wochenende, die nicht adäquat vergütet werden, muss man sagen. Und wir machen die ganze wissenschaftliche Tätigkeit zusätzlich noch in unserer Freizeit und all das wird nicht vergütet."

Die Charité, Berlins zweitgrößter Arbeitgeber, muss sparen. Der klamme Berliner Senat wird in den kommenden fünf Jahren 98 Millionen Euro Landeszuschüsse streichen. Bis 2010 muss die Charité ihre Ausgaben um über 232 Millionen senken. Denn die Fallpauschalen der Krankenkassen reichten nicht aus, um teure Hochleistungsmedizin zu bezahlen. Die Charité arbeitet an einem Sanierungskonzept. Doch gespart, so sagen die Ärzte, werde vor allem bei ihnen, den Leistungserbringern. Vor gut einem Jahr gründete Rebecca Kretz mit Kollegen an der Charité eine Ärzteinitiative. Vergangene Woche veröffentlichte dieses lose Mediziner-Bündnis einen offenen Brief in Berliner Zeitungen, über 500 Ärzte hatten unterschrieben, über ein Viertel der Mediziner an der Charité.

" Wir kritisieren zunächst mal die Arbeitsbedingen für Ärzte derzeit an der Charité: Dazu gehören die kurzen Vertragslaufzeiten, die die Ärzte schon seit vielen Jahren haben. Derzeit gibt es eine handvoll Ärzte, die nur noch Ein-Monats-Verträge bekommen in der Facharztausbildung. Zum zweiten kritisieren wir die Vergütung der Ärzte, die noch weiter abgesenkt wurde durch die so genannten Übergangsverträge, was bedeutete Gehaltseinbußen von insgesamt 15 Prozent."

Diese Argumente hält sogar ein Sprecher der Senatsverwaltung für Wissenschaft für stichhaltig. Wissenschaftssenator Thomas Flierl hoffe, dass die laufenden Tarifverhandlungen die Probleme der Charité-Ärzte lösen werden. Nur wenn die Verhandlungen scheitern, könnte es Anfang August zu einem Streik kommen.

Danach sieht es im Moment aber nicht aus. Doch mit neuem Tarifvertrag will sich die Ärzteinitiative protestieren. Am 5. August werden Krankenhausärzte aus der ganzen Republik in Berlin demonstrieren: Gegen schlechte Arbeitsbedingungen, für bessere Bezahlung. An diesem Protestmarsch wollen die Charité-Ärzte teilnehmen. Wenn sie nicht streiken, werden die Ärzte der Charité Patiententermine umlegen, Operationen möglichst nicht auf den 5. August legen, Urlaub nehmen und Überstunden abfeiern, sagt Rebecca Kretz:

" Für den Klinikalltag bedeutet das, dass die Abteilungen untereinander sich absprechen müssen. Innerhalb der Abteilung muss geregelt sein, dass die Patientenversorgung natürlich auf keinen Fall leiden darf. Das heißt, es wird eine Zahl von Kollegen geben, die an diesem Protesttag teilnehmen, genauso wie wenn jemand Urlaub hat. Und es wird aber sichergestellt sein, dass die Patientenversorgung an diesem Tag aufrechterhalten wird. "

Der Ärzteprotest ist Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewusstseins. Als Rebecca Kretz Anfang der 90er ihr Medizinstudium begann, gab es zu viele Ärzte. Heute herrscht beispielsweise in Brandenburger Kliniken Ärztemangel. Denn deutsche Mediziner erhalten aus Skandinavien und England fasst paradiesische Angebote. Kurz: Wie für Handwerker und Programmierer gibt es auch für Ärzte einen europäischen Markt. Und die Ärzte spüren, dass ihr Marktwert steigt, sagt Rebecca Kretz:

" Insofern ist die Situation für uns schon eine andere: Jetzt ist es bald so, dass der Arzt zu der Berufgruppe gehört, die mehr und mehr gesucht wird, die immer rarer wird, so dass wir auch zukünftig Möglichkeiten nutzen sollten, die uns dadurch geben sind."

Warum aber rackert sie dann aber immer noch in einer Berliner Klinik und genießt nicht längst ein Mediziner-Leben in Norwegen?

" Das kann man sich gut fragen. Es ist natürlich so, dass man auch an der Charité hängt, auch nicht zuletzt an Berlin. Und natürlich, bevor man hier weggeht, die bessere Alternative sicher die ist, hier an den Arbeitsbedingungen etwas zu verändern, anstatt dass wir jetzt alle die Charité verlassen, damit wäre sicher niemandem geholfen. "

Das Gespräch zum Thema "Gefahr für den Patienten? - Arbeitsbedingungen im Krankenhaus" mit Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, können Sie in der rechten Spalte als Audio hören.