Für Liebhaber des Ausgefallenen
Der englische Autor Ronald Firbank (1886 bis 1926) hat in seinem kurzen Leben neun Romane und ein Theaterstück verfasst. "Die Blume unter dem Fuße" ist Dekadenz und lustvoll sinnfreies Fabulieren pur. Sie spielt in dem fiktiven Land Pisuerga, wo es von seltsamen gekrönten Häuptern, Hofschranzen, und liebestollen Jungmännern nur so wimmelt.
Die Deutschen haben ja so ziemlich alle ästhetischen Strömungen der Neuzeit mitgemacht. Aber eine ließen sie aus. Was man in Deutschland im Bereich der Künste nicht finden wird, auch wenn man noch so gründlich sucht, das ist ein Beitrag zum "Camp". Die Camp-Ästhetik hat als erste Susan Sontag untersucht. 1964 schrieb sie in einem epochemachenden Aufsatz:
"Camp sieht alles in Anführungsstrichen. Camp in Personen oder Sachen wahrzunehmen, heißt, die Existenz als das Spielen einer Rolle zu begreifen. Damit hat die Metapher des Lebens als Theater in der Camp-Ästhetik ihre größte Erweiterung erfahren."
Camp ist demzufolge alles Übertriebene, Übergeschnappte, Outrierte. Camp ist die Negation dessen, was traditionell in Deutschland ästhetisch hochgehalten wird: das Schwere, Seriöse, Metaphysische - oder auch nur das Authentische, Natürliche. Camp kommt ursprünglich, wie alles Hochgezüchtete, Überverfeinerte, aus Frankreich. Die Bibel der Camp-Literatur stellt der Roman "Gegen den Strich" von Joris-Karl Huysmans dar, dessen Held des Esseintes als Inbegriff des dekadenten Dandy gelten kann. Das Buch erschien 1884.
Ein später Nachfahr Huysmans' ist der englische Autor Ronald Firbank (1886 bis 1926). England ist, als alte hochstehende Zivilisation, natürlich ebenfalls schon früh eine Bastion des Camp gewesen. Die präraffaelitischen Maler, die korrekterweise postraffaelitisch heißen müssten, waren camp. Oscar Wild war camp. Und Ronald Firbank war es von ihnen allen vielleicht am meisten.
Neun Romane und ein Theaterstück hat er in seinem kurzen Leben verfasst. 1970 brachte der Hanser-Verlag seine Klerikalsatire "Concerning the Eccentricities of Cardinal Pirelli" heraus. Jetzt hat sich der Hamburger Männerschwarm-Verlag des Autors angenommen. Mit dem Roman "Die Blume unter dem Fuße" haben wir nun seit langem wieder reinsten Firbank und also reinstes Camp.
Die Geschichte könnte sinnfreier nicht sein. Sie spielt in einem fiktiven Land Pisuerga, in dem die gekrönten Häupter (denn ohne Royals geht es im Camp natürlich gar nicht) mit "Ihre Traumverlorenheit, die Königin" oder "Seine Mattigkeit, der Prinz" tituliert werden.
Eine wichtige Rolle spielen natürlich auch die Hofschranzen, etwa "Ihre Flitterfreudigkeit, die Damengewandkämmerin". Die Nichte derselben, die sich in Seine Mattigkeit, den Prinzen verliebt, von diesem aber nicht geheiratet wird, sondern nur für eine Affäre als gut genug erachtet wird, so dass sie zum Schluss des Romans vor Kummer den Schleier nehmen muss, diese Hofdame also, Laura de Nazianzi mit Namen, ist gewissermaßen die Hauptfigur der Geschichte.
Wohlgemerkt nur gewissermaßen, denn so etwas wie eine Geschichte will der Autor eigentlich nicht erzählen. Es geht ihm in den 15 einzelnen Kapiteln vielmehr eher darum, möglichst vollendet campige Tableaux hinzustellen, Atmosphäre zu schaffen. Firbank selbst hätte wohl eher gesagt: "Parfüms zu verströmen". Denn Sinnenreize sind zuvörderst seine Sache. Erlesene Dekors, phantasievolle Garderoben, ausgepichte Landschaftsarrangements - und den möglichst elegisch-intensiven Genuss derselben durch seine exzentrischen Figuren vorzuführen: das ist sein Ziel.
Da gibt es also die Erzherzogin, die ihre ganze Kreativität darauf verwendet, um möglichst raffinierte Pissoirs (auch für Hunde!) zu entwerfen. Da ist die Gräfin Tolga, die insgeheim einen Blumenladen betreibt, in dem levantinische Jünglinge tagein, tagaus Gestecke kreieren, die sie des Nachts in den Clubs und Cafés der Hauptstadt Kairoulla verkaufen, wobei auch die Körper der Überbringer dieser Pflanzenkreationen ihre Abnehmer finden.
Versteht sich, dass das Ganze von sexuellen Subtexten nur so wimmelt. Wenn beispielsweise die allerhöchsten Herrschaften Gelder für eine archäologische Expedition locker machen, geht es "um die Ruinen von Chedorlahomor, einen Faubourg von Sodom", wie Ihre Traumverlorenheit, die Königin präzisiert - und allein der Name Chedorlahomor, den man sich so gedehnt und anzüglich ausgesprochen vorstellen muss wie nur irgend möglich, deutet natürlich bereits eine ganze Skala von Lasterhaftigkeiten an ...
Keine Frage, diese "Blume unter dem Fusse" ist etwas für die Liebhaber des Ausgefallenen, Extraordinären, die sich am gesuchten Detail ergötzen können, anstatt sich an einer ausgesponnenen Erzählung delektieren zu wollen. Eben diese Liebhaber werden allerdings hier in hohem Grade auf ihre Kosten kommen. Ein haufeines literarisches Soufflé wird ihnen von Firbank dargeboten, doch anders als viele Süßigkeiten, die man sonst so zu sich nimmt, besteht die Gefahr der Übersättigung kaum, sind doch die opulent gefärbten Teigwaren, die hier kredenzt werden, nur knappe 175 Seiten stark - und zur heure bleue, auf irgendeinem Diwan hingestreckt, wunderbar leicht zu konsumieren.
Rezensiert von Tilman Krause
Ronald Firbanks: Die Blume unter dem Fuße
Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Christine Wunnicke
Männerschwarm Verlag, Hamburg 2008
184 Seiten, 18,- EUR
"Camp sieht alles in Anführungsstrichen. Camp in Personen oder Sachen wahrzunehmen, heißt, die Existenz als das Spielen einer Rolle zu begreifen. Damit hat die Metapher des Lebens als Theater in der Camp-Ästhetik ihre größte Erweiterung erfahren."
Camp ist demzufolge alles Übertriebene, Übergeschnappte, Outrierte. Camp ist die Negation dessen, was traditionell in Deutschland ästhetisch hochgehalten wird: das Schwere, Seriöse, Metaphysische - oder auch nur das Authentische, Natürliche. Camp kommt ursprünglich, wie alles Hochgezüchtete, Überverfeinerte, aus Frankreich. Die Bibel der Camp-Literatur stellt der Roman "Gegen den Strich" von Joris-Karl Huysmans dar, dessen Held des Esseintes als Inbegriff des dekadenten Dandy gelten kann. Das Buch erschien 1884.
Ein später Nachfahr Huysmans' ist der englische Autor Ronald Firbank (1886 bis 1926). England ist, als alte hochstehende Zivilisation, natürlich ebenfalls schon früh eine Bastion des Camp gewesen. Die präraffaelitischen Maler, die korrekterweise postraffaelitisch heißen müssten, waren camp. Oscar Wild war camp. Und Ronald Firbank war es von ihnen allen vielleicht am meisten.
Neun Romane und ein Theaterstück hat er in seinem kurzen Leben verfasst. 1970 brachte der Hanser-Verlag seine Klerikalsatire "Concerning the Eccentricities of Cardinal Pirelli" heraus. Jetzt hat sich der Hamburger Männerschwarm-Verlag des Autors angenommen. Mit dem Roman "Die Blume unter dem Fuße" haben wir nun seit langem wieder reinsten Firbank und also reinstes Camp.
Die Geschichte könnte sinnfreier nicht sein. Sie spielt in einem fiktiven Land Pisuerga, in dem die gekrönten Häupter (denn ohne Royals geht es im Camp natürlich gar nicht) mit "Ihre Traumverlorenheit, die Königin" oder "Seine Mattigkeit, der Prinz" tituliert werden.
Eine wichtige Rolle spielen natürlich auch die Hofschranzen, etwa "Ihre Flitterfreudigkeit, die Damengewandkämmerin". Die Nichte derselben, die sich in Seine Mattigkeit, den Prinzen verliebt, von diesem aber nicht geheiratet wird, sondern nur für eine Affäre als gut genug erachtet wird, so dass sie zum Schluss des Romans vor Kummer den Schleier nehmen muss, diese Hofdame also, Laura de Nazianzi mit Namen, ist gewissermaßen die Hauptfigur der Geschichte.
Wohlgemerkt nur gewissermaßen, denn so etwas wie eine Geschichte will der Autor eigentlich nicht erzählen. Es geht ihm in den 15 einzelnen Kapiteln vielmehr eher darum, möglichst vollendet campige Tableaux hinzustellen, Atmosphäre zu schaffen. Firbank selbst hätte wohl eher gesagt: "Parfüms zu verströmen". Denn Sinnenreize sind zuvörderst seine Sache. Erlesene Dekors, phantasievolle Garderoben, ausgepichte Landschaftsarrangements - und den möglichst elegisch-intensiven Genuss derselben durch seine exzentrischen Figuren vorzuführen: das ist sein Ziel.
Da gibt es also die Erzherzogin, die ihre ganze Kreativität darauf verwendet, um möglichst raffinierte Pissoirs (auch für Hunde!) zu entwerfen. Da ist die Gräfin Tolga, die insgeheim einen Blumenladen betreibt, in dem levantinische Jünglinge tagein, tagaus Gestecke kreieren, die sie des Nachts in den Clubs und Cafés der Hauptstadt Kairoulla verkaufen, wobei auch die Körper der Überbringer dieser Pflanzenkreationen ihre Abnehmer finden.
Versteht sich, dass das Ganze von sexuellen Subtexten nur so wimmelt. Wenn beispielsweise die allerhöchsten Herrschaften Gelder für eine archäologische Expedition locker machen, geht es "um die Ruinen von Chedorlahomor, einen Faubourg von Sodom", wie Ihre Traumverlorenheit, die Königin präzisiert - und allein der Name Chedorlahomor, den man sich so gedehnt und anzüglich ausgesprochen vorstellen muss wie nur irgend möglich, deutet natürlich bereits eine ganze Skala von Lasterhaftigkeiten an ...
Keine Frage, diese "Blume unter dem Fusse" ist etwas für die Liebhaber des Ausgefallenen, Extraordinären, die sich am gesuchten Detail ergötzen können, anstatt sich an einer ausgesponnenen Erzählung delektieren zu wollen. Eben diese Liebhaber werden allerdings hier in hohem Grade auf ihre Kosten kommen. Ein haufeines literarisches Soufflé wird ihnen von Firbank dargeboten, doch anders als viele Süßigkeiten, die man sonst so zu sich nimmt, besteht die Gefahr der Übersättigung kaum, sind doch die opulent gefärbten Teigwaren, die hier kredenzt werden, nur knappe 175 Seiten stark - und zur heure bleue, auf irgendeinem Diwan hingestreckt, wunderbar leicht zu konsumieren.
Rezensiert von Tilman Krause
Ronald Firbanks: Die Blume unter dem Fuße
Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Christine Wunnicke
Männerschwarm Verlag, Hamburg 2008
184 Seiten, 18,- EUR