Für einen Teller Suppe

Von Burkhard Birke · 14.10.2013
In Kolumbien herrscht seit fast 50 Jahren Bürgerkrieg. Seit einem Jahr verhandeln zwar Regierung und Guerilla über ein Friedensabkommen, vor allem im Süden Kolumbiens leben die Menschen aber im Kreuzfeuer von Miliz, Militär und linksgerichteten Aufständischen, die ihre einstigen Ideale längst aufgegeben haben.
"Ich bin mit der Vorstellung groß geworden, dass man Gutes nur mit Waffen tun kann, mit der Guerilla…. Das war alles, was ich kannte."

Kein Wunder, dass Humberto Morales beim Ejercito de Liberación Nacional, ELN, dem nationalen Befreiungsheer landete. Humberto stammt aus armen Verhältnissen auf dem Land, die Eltern wurden früh geschieden, seine Mutter fand einen Job in der Stadt und ließ den Kleinen bei den Großeltern. Der Junge floh vor häuslicher Gewalt, kam in ein Heim und in der angeschlossenen Schule in Berührung mit linker Ideologie.

Kaum mit der Schule fertig ging Humberto als christlicher Missionar in den Chocó, eine der ärmsten Regionen Kolumbiens an der Pazifikküste. Was er dort erlebte schockte ihn so sehr, dass er keine Alternative als den bewaffneten Kampf für sich sah:

"Das sind total vernachlässigte Gebiete. Und ich rede nicht von vor sieben Jahren, als wir zu den Waffen griffen. Die Gegend, wo wir uns bewegten, wird immer noch vom Staat völlig aufgegeben. Die Kinder schließen sich der Guerilla für einen Teller Suppe an, weil sie sonst hungern."

Die Not ist geblieben – Humberto geflohen. Als gerade einmal 16-Jähriger sollte er zunächst zu einem der politischen Strategen des ELN, des Befreiungsheeres ausgebildet werden. Er war einer der wenigen mit Schulbildung.

Humberto indes wollte an die Front, war bereit zu kämpfen. Ständige Ortswechsel, lange Nachtmärsche durch den Dschungel, Parasiten und häufige Malariaanfälle gehörten ebenso zum Alltag wie Schießereien mit Paramilitärs und dem Militär. Der kräftige junge Mann, der mit seinem leicht pockennarbigen Gesicht unter dem kurzen gewellten Haar heute viel älter als seine 23 Jahre wirkt, war damals Geldeintreiber, musste die von der Guerilla erhobene Steuer kassieren: Ein Sechstel der Einnahmen der Drogenproduzenten und –händler.

"Irgendwie hatte ich mich an dieses Leben gewöhnt. Dann aber wurden Bauern einfach erschossen; ich merkte, dass unsere Kommandeure Geld unterschlugen: Das entsprach nicht der Idee vom sozialen Kampf, von dem sie uns zuvor erzählt hatten."

Die Ernüchterung kam rasch: Nicht einmal ein Jahr hielt es Humberto aus: Er nutzte eine Sondermission zur Flucht. Statt zu einem Priester gelangte er jedoch in eine Militärpatrouille, ergab sich und hatte Glück, nicht gleich erschossen zu werden, hatte die Regierung doch für jeden, auch toten, Guerillero eine Prämie ausgesetzt. Kurz zuvor erst hatte er einen toten Bauern mit dem Gewehr gefunden, das er im Kampf verloren hatte….

"Wissen Sie, wo sich die Guerilla aufhält?, haben die mich gefragt. Klar, habe ich geantwortet – ich komme doch daher. Dann musste ich der Patrouille versprechen, ihren Vorgesetzten zu sagen, die Guerilla wäre drei oder vier Tagesmärsche entfernt, und ich sei nur auf Suche nach Proviant geschnappt worden. Denn die Soldaten hatten kein Interesse zu kämpfen, zumal gerade 350 Guerillakämpfer ganz in der Nähe waren."

Die Lüge hat Humbertos Leben gerettet. Außer Gefahr ist der heute 23-Jährige längst nicht. Auf Desserteure steht beim ELN die Todesstrafe. Davor schützt auch das Reintegrationsprogramm der Regierung nicht. Ständig zieht Humberto um, überlegt mit welchem Bus er in seiner neuen Heimat Medellin wann wohin fährt. Er hat gelernt mit der Angst zu leben. 8000 Dollar umgerechnet hat ihm die Regierung gegeben. Damit will er sich eine Existenz aufbauen, denn im Rahmen des Reintegrationsprogramms darf er studieren. Ein Zurück zu den Waffen gibt es für ihn auf keinen Fall, denn:

"Dieser Krieg kennt doch keine Logik: Die Kinder der Armen bringen sich gegenseitig um, der normale Soldat ist Sohn eines Bauern genau wie der Guerillero und der Paramilitär."

Gemeinsam sind ihnen die Armut, das Streben nach einer Chance im Leben und die Hoffnung auf einen wirklichen Frieden. Kann der aktuelle Verhandlungsprozess dazu beitragen? Humberto hat Zweifel:

"Da wird eine Regelung für die Chefs und einige wenige getroffen, die wieder Arbeit finden. Was aber passiert mit 10 bis 15 000 Kämpfern an der Basis? Die Schließen sich dann den Drogenhändlern an. Und das wird schlimmer, denn die kennen keine Grenzen – das ist ein schrecklicher Krieg!"