Für einen Patriotismus der Werte
Wenn die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland von ihren Mitbürgern Stolz und Patriotismus fordert, ist das ein neues Kapital in der deutsch-jüdischen Beziehung. Das war die Botschaft Frau Charlotte Knoblochs in einer Rede in der Evangelischen Akademie in Tutzing.
Die Bundesrepublik, sagte Frau Knobloch, hat eine starke Demokratie aufgebaut, die Menschenrechte in der Gesellschaft verankert und Deutschland zu einem verlässlichen internationalen Partner gemacht. Das sollte die Deutschen „stolz und dankbar machen”, erklärte sie, aber stattdessen – so wörtlich – „herrscht bei weiten Kreisen der Bevölkerung immer wieder die Tendenz, die eigene Heimat abzuwerten…Nur wer sein Land liebt wird sich für dessen Existenz und Fortentwicklung engagieren…Deshalb plädiere ich für intensive Debatten um einen neuen Patriotismus.”
Es war eine unerwartete Rede aus dem Mund der Vorsitzenden der stets anwachsenden jüdischen Gemeinschaft Deutschlands. Sie hatte auch über die Eindrücke dieses Zuwachses – die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Juden – etwas zu sagen: „Zuwanderer fragen mich oft, warum die Deutschen ihr Land nicht lieben. Wie aber sollen sich jene Menschen…mit einem Gemeinwesen identifizieren, wenn sie zugleich erkennen müssen, dass die hier geborenen Bürger selbst ihr Land gleichgültig oder ablehnend behandeln.”
Die Rednerin ging damit über die bisher üblichen Themen des Zentralrats der Juden hinaus. Sie sah es als ihre Aufgabe, zur Debatte über Stolz und Patriotismus, die bisher allzu oft für politische Zwecke von Linksliberalen und Konservativen geführt wurde, beizutragen. Es war der Versuch, diese Debatte auf ein höheres und inhaltreicheres Niveau zu stellen. Charlotte Knobloch weigert sich, Patriotismus dem Rechtsextremismus gleichzusetzen und will nicht erlauben, Heimatliebe mit Nazismus zu identifizieren.
Es geht darum, die Werte, welche die Bundesrepublik im vergangenen halben Jahrhundert erarbeitet hat – Verteidigung der Würde des Menschen, eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft und Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder Herkunft – zu schätzen und zu pflegen. Diese Werte entstammen der Erinnerung an die Zeit des Schreckens und dem sich daraus ergebenden Ringen mit der Vergangenheit. Aus dieser Sicht ist es nicht überraschend, dass die Vertreterin der heute in Deutschland lebenden Juden für einen mit solchem Inhalt geprägten Patriotismus eintritt.
Frau Knoblochs Vorgänger waren weitgehend mit der Bekämpfung antisemitischer Tendenzen und ungerechtfertigter Kritik am Staat Israel identifiziert. Dies bleibt weiter eine Hauptaufgabe des Zentralrats. Aber Frau Knobloch tut mehr. Sie spricht als Jüdin und deutsche Bürgerin. ”Es ist alles andere als ein Widerspruch, jüdisch zu sein und dieses Land als Heimat zu begreifen”, sagt sie. Es ist auch die in München geborene Jüdin, die dem Holocaust entgehen konnte und vor kurzem die Einweihung der neuen Synagoge in ihrer Heimatstadt erleben durfte, die dem heutigen Deutschland Vertrauen schenkt und darauf dringt, die Errungenschaften der Nachkriegsgesellschaft anzuerkennen. Und wann wird der Zentralrat seinen Namen von „Juden in Deutschland” zu „deutschen Juden” ändern?
Auch in Amerika war es nicht leicht, bei Juden Verständnis für das demokratische und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzende Nachkriegsdeutschland zu finden. Man riskierte Freundschaften, wenn man argumentierte, dass ein friedliches und von den Nazis geläutertes Deutschland sowohl den Interessen Amerikas und seiner europäischen Partner als auch Israels und der jüdischen Diaspora dient. „Germanophil” oder „Deutschland-Entschuldiger” wurde man genannt, und es wurde vergessen, dass der „Germanophile” aus Nazi-Deutschland geflohen war, während seine amerikanisch-jüdischen Gesprächspartner das Glück hatten, in der Sicherheit der USA zu leben. Noch heute bleiben viele amerikanische Juden skeptisch gegenüber Deutschland und weigern sich, in die Bundesrepublik zu reisen. Aber auch hier beginnen alte Eindrücke und Vorurteile zu weichen.
Seit geraumer Zeit sitzen die Juden in Deutschland nicht mehr auf ihren Koffern. Sie sind deutsche und europäische Bürger mit gleichen Rechten, und Pflichten – darunter die Pflicht, Kritik aus der Perspektive der Wirklichkeit des heutigen Deutschlands zu üben. Man sollte von Patriotismus sprechen können, ohne sich vom Stirnrunzeln politisch Korrekter beeindrucken zu lassen, denn es geht um einen neuen, demokratischen Patriotismus. Darf man hoffen, dass die Debatte über dieses Thema der Weiterentwicklung der Werte der deutschen Gesellschaft dienen wird?
Robert B. Goldmann wurde 1921 als einziger Sohn eines jüdischen Landarztes in einem Odenwalddörfchen geboren. Er machte in Frankfurt am Main Abitur. Kurz darauf verließ die Familie Deutschland und kam 1940 über Großbritannien nach New York. Goldmann schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, um sein Studium zu finanzieren. Er war viele Jahre lang Journalist, bevor er sich sozial- und entwicklungspolitischen Aufgaben in der Dritten Welt widmete und schließlich ein Wegbereiter für die deutsch-jüdische Verständigung wurde. 1996 veröffentlichte er sein viel beachtetes Buch „Flucht in die Welt“, eine Lebens- und Familiengeschichte. Goldmann arbeitete lange für die Anti-Defamation League in New York und publiziert noch immer in amerikanischen und deutschen Medien.
Es war eine unerwartete Rede aus dem Mund der Vorsitzenden der stets anwachsenden jüdischen Gemeinschaft Deutschlands. Sie hatte auch über die Eindrücke dieses Zuwachses – die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Juden – etwas zu sagen: „Zuwanderer fragen mich oft, warum die Deutschen ihr Land nicht lieben. Wie aber sollen sich jene Menschen…mit einem Gemeinwesen identifizieren, wenn sie zugleich erkennen müssen, dass die hier geborenen Bürger selbst ihr Land gleichgültig oder ablehnend behandeln.”
Die Rednerin ging damit über die bisher üblichen Themen des Zentralrats der Juden hinaus. Sie sah es als ihre Aufgabe, zur Debatte über Stolz und Patriotismus, die bisher allzu oft für politische Zwecke von Linksliberalen und Konservativen geführt wurde, beizutragen. Es war der Versuch, diese Debatte auf ein höheres und inhaltreicheres Niveau zu stellen. Charlotte Knobloch weigert sich, Patriotismus dem Rechtsextremismus gleichzusetzen und will nicht erlauben, Heimatliebe mit Nazismus zu identifizieren.
Es geht darum, die Werte, welche die Bundesrepublik im vergangenen halben Jahrhundert erarbeitet hat – Verteidigung der Würde des Menschen, eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft und Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder Herkunft – zu schätzen und zu pflegen. Diese Werte entstammen der Erinnerung an die Zeit des Schreckens und dem sich daraus ergebenden Ringen mit der Vergangenheit. Aus dieser Sicht ist es nicht überraschend, dass die Vertreterin der heute in Deutschland lebenden Juden für einen mit solchem Inhalt geprägten Patriotismus eintritt.
Frau Knoblochs Vorgänger waren weitgehend mit der Bekämpfung antisemitischer Tendenzen und ungerechtfertigter Kritik am Staat Israel identifiziert. Dies bleibt weiter eine Hauptaufgabe des Zentralrats. Aber Frau Knobloch tut mehr. Sie spricht als Jüdin und deutsche Bürgerin. ”Es ist alles andere als ein Widerspruch, jüdisch zu sein und dieses Land als Heimat zu begreifen”, sagt sie. Es ist auch die in München geborene Jüdin, die dem Holocaust entgehen konnte und vor kurzem die Einweihung der neuen Synagoge in ihrer Heimatstadt erleben durfte, die dem heutigen Deutschland Vertrauen schenkt und darauf dringt, die Errungenschaften der Nachkriegsgesellschaft anzuerkennen. Und wann wird der Zentralrat seinen Namen von „Juden in Deutschland” zu „deutschen Juden” ändern?
Auch in Amerika war es nicht leicht, bei Juden Verständnis für das demokratische und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzende Nachkriegsdeutschland zu finden. Man riskierte Freundschaften, wenn man argumentierte, dass ein friedliches und von den Nazis geläutertes Deutschland sowohl den Interessen Amerikas und seiner europäischen Partner als auch Israels und der jüdischen Diaspora dient. „Germanophil” oder „Deutschland-Entschuldiger” wurde man genannt, und es wurde vergessen, dass der „Germanophile” aus Nazi-Deutschland geflohen war, während seine amerikanisch-jüdischen Gesprächspartner das Glück hatten, in der Sicherheit der USA zu leben. Noch heute bleiben viele amerikanische Juden skeptisch gegenüber Deutschland und weigern sich, in die Bundesrepublik zu reisen. Aber auch hier beginnen alte Eindrücke und Vorurteile zu weichen.
Seit geraumer Zeit sitzen die Juden in Deutschland nicht mehr auf ihren Koffern. Sie sind deutsche und europäische Bürger mit gleichen Rechten, und Pflichten – darunter die Pflicht, Kritik aus der Perspektive der Wirklichkeit des heutigen Deutschlands zu üben. Man sollte von Patriotismus sprechen können, ohne sich vom Stirnrunzeln politisch Korrekter beeindrucken zu lassen, denn es geht um einen neuen, demokratischen Patriotismus. Darf man hoffen, dass die Debatte über dieses Thema der Weiterentwicklung der Werte der deutschen Gesellschaft dienen wird?
Robert B. Goldmann wurde 1921 als einziger Sohn eines jüdischen Landarztes in einem Odenwalddörfchen geboren. Er machte in Frankfurt am Main Abitur. Kurz darauf verließ die Familie Deutschland und kam 1940 über Großbritannien nach New York. Goldmann schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, um sein Studium zu finanzieren. Er war viele Jahre lang Journalist, bevor er sich sozial- und entwicklungspolitischen Aufgaben in der Dritten Welt widmete und schließlich ein Wegbereiter für die deutsch-jüdische Verständigung wurde. 1996 veröffentlichte er sein viel beachtetes Buch „Flucht in die Welt“, eine Lebens- und Familiengeschichte. Goldmann arbeitete lange für die Anti-Defamation League in New York und publiziert noch immer in amerikanischen und deutschen Medien.