Für eine Welt ohne Zugriffsrechte

Von Christian Fischer |
"On Hacking Well" heißt ein Jugendprojekt, das zurzeit im Chaos Computer Club Köln stattfindet. Der Club, der heute 25 Jahre alt wird, fördert den Nachwuchs. Für seine Mitglieder besteht das Hacken aus einer Herausforderung, ein System zu öffnen. Sie kämpfen für eine Welt ohne Zugangsrechte.
"Ich scanne jetzt erstmal die IP Adresse und schaue, welche Dienste dort offen sind. Ich nutze dafür das Programm N-Map. Und hinterher kriege ich eine Liste zurück mit den Diensten, die offen sind und die nicht offen sind."

Ein Hacker, ein Vorurteil: Der blasse, junge Mann mit den flinken Fingern ist doch nichts weiter als eine gemeingefährliche, unemotionale Rechenmaschine. Mit jedem Hack macht er aufs Neue Festplatten, Chipkarten und Online-Überweisungen unsicher. Allein, apathisch, geradezu autistisch. Und ohne jede Moral.

"Letztendlich wird die Datei ETC Shadow gesucht, wo die Passwörter drin liegen. Und ich kriege die Passwortdatei. Die ziehe ich mir jetzt auf meinen eigenen Rechner rüber."

Dabei geht Lars Weiler bloß den Übungshack durch, an dem sich kurz darauf die Teilnehmer des "On Hacking Well"-Kurses ausprobieren sollen. Der Kurs des Chaos Computer Clubs Köln ist ein Lehrgang im Hacken, das gezielte Heranzüchten neuer Angreifer auf die digitale Sicherheit. Also der Alptraum jedes Firewallfans? Lars Weiler sieht es ganz anders. Für ihn geht es um die Herausforderung, ein System möglichst ideenreich zu öffnen, wie man das erfolgreiche Hacken nennt.

"Ein Hacker zeichnet sich dadurch aus, dass er sehr kreativ ist, eigene Ideen umsetzt: Was kann ich dafür nehmen, was kann ich damit machen?"

Diesen Ton ließ Lloyd Blankenship alias "The Mentor" bereits 1986 in einem die Cyberkultur maßgeblich beeinflussenden Artikel anklingen: "Das Hackermanifest", wie sein Aufsatz heute genannt wird, erschien zuerst im Untergrund-Magazin "Phrack" und trug den Titel "Das Bewusstsein eines Hackers”. Darin schreibt "der Mentor":

"Meine Welt beginnt in der Schule. Ich bin cleverer als die meisten anderen Kids. Ich habe den Lehrern zugehört, die mir zum fünfzehnten Mal erklärten, wie man einen Bruch kürzt. Ich. Hab's. Verstanden.

Ich habe etwas entdeckt, den Computer. Eine Tür zu einer Welt hat sich geöffnet. Eilt durch das Telefonkabel, wie Heroin durch die Adern eines Süchtigen fließt. Ein elektronischer Puls wurde ausgesandt, die Zuflucht vor den alltäglichen Inkompetenzen ist endlich in Sicht, eine neue Plattform gefunden."

"Dann brauche ich auf meinem eigenen Rechner eine Applikation namens ‚John the Ripper’, das ist der Passwortknacker."

Hacken macht süchtig. Der Kick des Verbotenen gehört dazu, doch ein echter Hacker ist kein passionierter Krimineller. Seine Sucht ist das Querdenken, sein Stoff das Lösen eigentlich unlösbarer Datenrätsel. Auch Alexander Neumann ist ein Byte-Junkie. Abhängig danach:

"Einfach mal nicht in geordneten Bahnen zu denken und sich keine Lösungen vorsetzen zu lassen."

Wie alle Mitglieder des Chaos Computer Clubs sieht er sich aber auch als Kämpfer für das große Ganze, für eine Welt ohne Zugriffsrechte und Geheimarchive.

"Informationen sollen frei sein. Der Zugang zu Computer und allem was einem die Welt erklären kann, soll und muss frei sein."

Hacker verstehen sich eben auch als Verfechter einer besseren Welt. Sie greifen verschwiegene Behörden und korrupte Regierungen an, veröffentlichen Geheimdokumente. Auf der anderen treten sie für den Schutz der Privatsphäre ein. Es klingt fast paradox: Doch indem sie Sicherheitslücken aufdecken, sorgen sie zugleich für die stete Optimierung des Datenschutzes.

"So jetzt habe ich die Passwortdatei auf meinem eigenen Rechner hier und ich kann im Grunde jetzt einmal John drüber laufen lassen."

Viele Hacker wechseln irgendwann sogar ganz die Fronten und entwickeln Sicherheitsprogramme. So zum Beispiel David Mitnick. Der legendäre Hacker und ehemals meistgesuchte US-Amerikaner warnt nun in amerikanischen Talkshows vor den Gefahren des so genannten "Social Hacking":

"Je fortgeschrittener unsere Sicherheitstechnologien werden, umso wahrscheinlicher wird der Angreifer andere Schwachstellen ausnutzen: Sich als Pförtner anstellen lassen oder sich das Vertrauen der Angestellten erschleichen. Man kann also noch so gute Sicherheitsvorkehrungen treffen, der Angreifer sucht immer nach dem schwächsten Glied in der Kette."

Diese Suche, sie ist für den echten Hacker immer nur ein Spiel, ein intellektuelles Kräftemessen, das zur Not auch auf die Welt jenseits des Computers ausgedehnt wird. So positioniert sich der Hacker als nahezu unverzichtbarer Mahner am Rande der digitalen Gesellschaft, dessen Ethik ihm das Angreifen nur des schnöden Mammons halber verbietet.

Deshalb können paranoide Online-Banking-Nutzer aufatmen: Besser, die interessierten Script-Kiddies lernen ihr Handwerk im Wochenendlehrgang des Chaos Computer Clubs, als auf dem großen Hinterhof des Internets. Dort gibt es zwar auch viele Hacker, die nehmen es mit der Ethik aber nicht immer so genau.

"Hat zwei Minuten 19 gebraucht für zwei Passwörter. Ha, drin bin ich!"