Für eine nüchterne Analyse

Vorgestellt von Hartmut Jennerjahn |
Als vor gut einem Jahr der niederländische Filmemacher Theo van Gogh ermordet wurde, löste diese Tat Erschrecken, aber auch Ratlosigkeit aus. Ein Marokkaner, in den Niederlanden geboren und aufgewachsen, war der Attentäter, ein islamistischer Hintergrund schien offenkundig.
In den Niederlanden und in anderen westeuropäischen Ländern folgte eine Debatte über Grenzen der Integration von Menschen mit ihrem fremden kulturellen Hintergrund. Und es war die Rede vom Scheitern multikultureller Illusionen.

Der Publizist Geert Mak setzt sich in dem schmalen Band mit den Reaktionen auf den Mord auseinander, mit der Verunsicherung, die er auslöste. Er charakterisiert das Opfer als einen höchst eigenwilligen Künstler mit ausgeprägter Neigung zur Provokation. Der Autor sucht eine Antwort auf die Frage, was dieser Mord für sein Land mit einer großen Tradition der Toleranz bedeute. In Politik und Medien habe sich "fast eine Angstsucht" gezeigt. Während der Frankfurter Buchmesse sagte Mak dazu:

" Nach dem Mord an van Gogh entstand speziell in der Politik, bei Intellektuellen und in Medien eine gewisse moralische Panik. Man hat überall geschrieben – auch in Deutschland – Holland brennt, Amsterdam brennt. Ich lebe inmitten Amsterdams. Amsterdam brannte nicht, da war kein Brand. Die Leute waren traurig und erschüttert, aber ziemlich ruhig."

Der Attentäter Mohammed B. habe jahrelang als vorbildlich integrierter Jugendlicher gegolten, und er habe, obwohl er einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter angehörte, nicht den Eindruck eines professionellen Terroristen gemacht. In den Niederlanden, in Westeuropa, trete ein Konflikt zutage, der letztlich in der islamischen Welt selbst ausgefochten werden müsse. Es gehe um die Frage, wie eine traditionelle Weltreligion mit Säkularisierung, Globalisierung, individueller Freiheit, Frauenrechten und all dem umgehe, was eine moderne Gesellschaft ausmache.

Mak: " Wir haben in Holland eine halbe Million Moslems und 250.000 aktive Moslems und vielleicht einige Tausende, die fundamentalistische Gedanken haben und die meisten von diesen Tausenden sind doch pazifistisch fundamentalistisch. Und da sind vielleicht einige Hunderte, die wirklich Djihad-Gedanken haben. Und das ist ein Problem! Der Feind dieser Djihadisten – das ist nicht mehr der Westen, das ist nicht mehr Christentum, das ist die Modernität, der moderne Staat."

Der radikale Fundamentalismus sei nicht nur eine Reaktion auf die Moderne, sondern zugleich auch deren Produkt. Mak verweist auf die sehr unterschiedliche Prägung der Moslems in den Niederlanden, je nach ihrer Herkunft. Das Fehlverhalten einiger weniger dürfe nicht der ganzen Minderheitsgruppe zugeschrieben, nicht einer Religion insgesamt angelastet werden:

" Das sieht man oft in der Geschichte, dass ökonomische, soziale und andere Probleme und Konflikte am Ende ausgestritten werden unter einer religiösen Flagge. Nur zu reden über Moslems und Westen und Christen – ich glaube, das bringt uns nirgendwo hin. Wir müssen reden über Tradition, Modernität, über arm und reich. "

In die Sprache habe sich "Furcht, Sorge und bisweilen ausgesprochene Panik eingeschlichen". Es müsse Schluss sein mit solch sinnloser Radikalisierung. Freiheiten und Grundrechte müssten allerdings bis zum Äußersten verteidigt, Bürgermut gelebt, aber auch echte Toleranz gelehrt werden – und dazu gehörten auch Konflikte. Die größte Provokation für die Fundamentalisten seien die selbstverständlichen Errungenschaften der liberalen Demokratie.
Geert Mak plädiert für Differenzierung, für genaues Hinsehen, für nüchterne Analyse. Was er über die Niederlande schreibt, gilt ähnlich auch für andere europäische Länder. Er zeigt, wie schnell und manchmal leichtfertig Irritationen aufkommen, Ansätze zur Integration von Minderheiten eilig als gescheitert verworfen, Stimmungen geschürt, selbst rechtsstaatliche Grundsätze in Zweifel gezogen werden.

Der Autor hält dieser – wie er es im Untertitel nennt – "moralischen Panik" die Aufforderung entgegen, sich mit diesem europäischen Problem weniger aufgeregt auseinander zu setzen. Dabei lässt er keinen Zweifel daran, wo er die Grenzen zieht:
" Wir werden den intoleranten Islam bekämpfen und zugleich die humanistischen Kräfte im Islam begrüßen und schließlich zum Ursprung zurückkehren müssen: zur Entwurzelung, zur Demütigung, zur immer größer werdenden Wut der nichtwestlichen Welt."

Geert Mak:
Der Mord an Theo van Gogh

Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas
Geschichte einer moralischen Panik
Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005
Geert Mak: "Der Mord an Theo van Gogh", Coverausschnitt
Coverausschnitt© Suhrkamp Verlag