Für eine Interaktion zwischen Kunst und Protest

Moderation: Gabi Wuttke · 24.05.2007
Eine Schnittstelle zwischen Bevölkerung, Kunst und sozialer Bewegung will die große Schau "Art goes Heiligendamm" sein, die bis zum Ende des G8-Gipfels in Rostock und Umgebung zu sehen ist. Es werde unter anderem Diskussionen und eine Gipfel-Musik geben, sagte Goehler im Gespräch, denn dort, wo gesprochen werde, werde nicht geschossen.
Gabi Wuttke: Stacheldraht, Sperrzäune und über 16.000 Polizisten, das markiert die äußeren Bedingungen des G8-Gipfels, der in zwei Wochen im Ostseebad Heiligendamm beginnt. Während die Bundesanwaltschaft die Geruchsproben rechtfertigt, die bei einer Razzia von Globalisierungsgegnern genommen wurden, ist der riesige Strandkorb fertig geworden, vor dem sich die Staats- und Regierungschefs zum Gruppenfoto versammeln sollen. Die ehemalige Kulturpolitikerin Adrienne Goehler ist uns aus Rostock zugeschaltet. Sie ist die Kuratorin des Kunstprojekts "Art goes Heiligendamm", das von heute bis zum 9. Juni in Rostock stattfindet. Guten Tag, Frau Goehler!

Adrienne Goehler: Guten Tag!

Wuttke: Ist der sechs Meter breite Strandkorb für Sie eigentlich auch eine Form von Kunst, ein ironischer Kommentar oder gänzlich kunstfrei?

Goehler: Ich glaube, da müsste er mindestens 20 Meter sein, sodass über das Überdimensionierte auch das Überdimensionierte des Ereignisses irgendwie sinnfällig gemacht würde.

Wuttke: Kuratoren müssen Qualen leiden, wenn man sie aus Zeitgründen bittet, die Highlights ihrer Projekte möglichst kurz zusammenzufassen. Nennen Sie uns doch zwei möglichst entgegengesetzte, um einen Hauch einer Ahnung zu bekommen, was "Art goes Heiligendamm" in Rostock zu bieten hat.

Goehler: Zwei entgegengesetzte, das wird ganz schwierig, weil wir uns nicht auf einer Linie befinden, sondern quasi sternförmig angeordnet sind, aber ein wichtiges Ereignis sind die Litfaßsäulen, die wir in Rostock an unterschiedlichen Stellen aufgestellt haben. Herr Litfaß hat ja das zum Zwecke des öffentlichen Anschlages damals erfunden, die Litfasssäule – zeigen wir Arbeiten, die sonst normalerweise einem Kunstpublikum vorbehalten sind. Und dann haben wir eine große Persiflage auf die "weiße Perle" in Heiligendamm gemacht, so nennt sich ja Kempinski und Umliegendes. Und wir werden also einen Zaun haben, wir werden ein Golfgelände haben, wir werden ein Tenniscourt haben und ein Conference Center in Spa. Im Kurhaus wird es viele Diskussionen geben, die Uraufführung einer Gipfel-Musik, wir werden Theaterimprovisationen haben, Ergebnisse, die Theaterleute mit Schülern aus Rostock vorstellen werden. Wir sind in der Marienkirche und werden dort sinnlich erfahrbar machen, wie viel Menschen überhaupt auf dieser Welt leben, weil für jeden Menschen auf dieser Welt gibt es ein Reiskorn. Sie wollen sich über ein afrikanisches Land informieren und wollen wissen, wie viel Millionäre es dort gibt und wie viel unterernährte Kinder und wie viel Aids-kranke Menschen, und Sie werden das in Relationen auf dem Boden in installativen Reiskornanordnungen sehen.

Wuttke: Das heißt, die Künstler arbeiten auch oder vor allem mit ironischen Mitteln, und die Frage, die sich natürlich stellt: Woher kommen die Künstler?

Goehler: Es sind über 100 Künstler, die in 48 unterschiedlichen Projekten agieren und aus 21 Nationen kommen. Ich habe Wert darauf gelegt, dass es nicht nur Künstler sind, die aus den G8-Ländern kommen, weil ich einfach glaube, man muss die Vielseitigkeit der Fragen und der Probleme, die mit Globalisierung einhergehen, einfach auch in seiner Pluralität zeigen. Es macht einen Unterschied, ob Sie als Muslima in Indonesien versuchen, eine feministische Position in die Kunst hineinzubringen und auch in die Religion hineinzubringen, oder ob Sie in Argentinien sich versuchen damit auseinanderzusetzen, was das Land ja furchtbar geschüttelt hat, nämlich die Inflation. Es sind sehr ernste Arbeiten, es sind dokumentierende Arbeiten, es sind aber auch wirklich sehr ironische Arbeiten. Und um Ihnen mal eine zu nennen – was natürlich großartig wäre, wenn sich die Realität dann den Vorschlägen der Kunst auch anpassen könnte: Wir haben ein Video von einem Polizisten, der den Verkehr regelt, und diese Arbeit als Tanz choreografiert. Stellen Sie sich vor, wir hätten 16.000 Polizisten, die in der Gegend sind, und die würden ihre Arbeit als eine Choreografie verstehen. Die Politik macht es den Bewegungen und auch den Künsten nicht sehr leicht, weil sie Mittel jetzt schon im Vorfelde einsetzt, die eigentlich eher auf Konfrontation und auf Polarisierung hinausgehen.

Wuttke: Wo positioniert sich dieses Kunstprojekt, und zwar in dieser aufgeheizten Stimmung?

Goehler: Die Kunst hat ja eine sehr kritische Position, das ist auch ihre Aufgabe, aber sie hat eine große Durchlässigkeit zu den Fragen der sozialen Bewegungen, und das mal auch angesichts dieses Kunstsommers, dieses Moment von Interaktion zwischen sozialen Bewegungen und künstlerischen Fragestellungen rauszustellen, das ist natürlich das wirklich Spannende und die große, große Aufgabe, die wir uns gestellt haben, so was wie Schnittstellen herzustellen zwischen Bevölkerung, den sozialen Bewegungen und künstlerischen Repräsentationsformen. Und es ist der Versuch, deutlich zu machen, dass soziale Bewegungen und künstlerische Impulse sehr weitgehend thematisch übereinstimmen, dieses auch tatsächlich mal nach draußen hin zu dokumentieren und nicht nur einem Insider-Publikum vorzubehalten. Die Documenta ist natürlich ein Ereignis, was ähnliches versucht, aber sicherlich einem internationalen Kunstpublikum vor allen Dingen vorbehalten sein wird.

Wuttke: Sie sagen, bei den letzten G8-Gipfeln seien die Inhalte verschwunden und jetzt sei "Art goes Heiligendamm" eine Möglichkeit, ein Gewicht zu bilden und Inhalte deutlich zu machen. Jetzt nehmen wir uns doch mal das Programm vor, dass sich Angela Merkel als G8-Vorsitzende für die Tage in Heiligendamm gesetzt hat. Sie will in der globalisierten Welt gleiche Chancen für Afrika. Sie hat Robert Mugabe kritisiert und will weitere Probleme nicht nur in Afrika nicht verschweigen. Sie will die Teilnehmer auf konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz verpflichten. Das ist ein ziemlich ambitioniertes Programm. Braucht das ein Gegenprogramm durch die Kunst?

Goehler: Wir haben ja im Vorfeld schon mehr als deutlich erfahren, dass die Unterhändler der unterschiedlichen Nationen sagen, ja, Sie können ja eine ganze Menge wollen, wir werden das aber auf gar keinen Fall unterschreiben. Das ist erst mal Ankündigung und nicht etwa Ergebnis. Und ich glaube, es gibt einfach zu Recht große, große Zweifel, dass die acht Mächtigen dieser Welt, die zumindestens ihrer eigenen Meinung nach die Mächtigsten sind, dass die die Interessen doch sehr vieler Menschen auf dieser Welt ganz gut vertreten und verteidigen, sodass natürlich zu Demokratien absolut gehört, dass die Gespräche, die Fragen und die Antworten der Bevölkerung mit einfließen sollten in die Wahrnehmung dessen, was man ein politisches Mandat nennen könnte. Und da haben wir eigentlich nicht so wahnsinnig viel Gutes gehört in der Vergangenheit und auch nicht in der jüngsten Vergangenheit. Ich glaube, Globalisierung ist – wie der Name schon sagt – etwas, was nun alle angeht, also müssen wir Formen finden, dass sich auch viele, möglichst viele Menschen an diesen Fragen und an den Lösungen dieser Fragen beteiligen können. Und da haben wir wenig Signale bekommen.

Wuttke: Vor der Eröffnung haben Sie gesagt, dieses Kunstprojekt soll deeskalierend wirken. Wie geht das, wenn Katharina Sieverdings Bild "Schlachtfeld Deutschland" ausgestellt wird?

Goehler: Sie werden erstaunt sein, Katharina Sieverding hat ein ganz schwarzes, monochromes Bild geliefert. Das ist ihre Art auszudrücken, dass der Overkill, der mediale Overkill eigentlich dazu führt, dass eigentlich alles im Schwarzen verschwindet. Ich selber hab mir das auch nicht zu eigen gemacht, dass ich sage, wir wirken deeskalierend. Ich habe nur verstanden, dass die Unterstützung der Region – und das freut mich sehr – damit zu tun, dass sie sagen, wer sozusagen guckt und diskutiert und spricht und sich versucht, in Auseinandersetzung zu begeben über die Kunst, sicherlich jemand ist, der auch zugänglich ist für andere Fragen und vielleicht aus dieser Dichotomie, die wir doch alle fürchten – Polizist an Demonstrant, Demonstrant an Polizist –, dass wir darüber andere Formen eröffnen, andere Weichen stellen. Und das könnte dann im Prinzip deeskalierend wirken. Dort, wo gesprochen wird, wird nicht geschossen.

Wuttke: Sie waren Kuratorin des Hauptstadt-Kulturfonds, Sie kennen das Geschäft. Warum hat die Bundeskulturstiftung Ihrer Meinung nach die Finanzierung von "Art goes Heiligendamm" abgelehnt?

Goehler: Na ja, da wäre sicherlich die Frage an den Vorstand zu richten.

Wuttke: Deshalb habe ich auch gefragt, was Sie glauben.

Goehler: Was ich glaube? Ich glaube einfach, dass die Bundeskulturstiftung sehr gerne künstlerisch radikal im Ausland ist, und dieses aber nicht so gerne im Inland hat. Und ihre offizielle Begründung war, dass das so von exorbitanter Bedeutung ist, die Gastgeberfunktion der Bundesrepublik, dass darüber nicht etwa eine Kunstjury, wohl aber die politische Kommission zu entscheiden habe, und die würde leider erst am 5. Juni tagen. Inoffiziell haben wir gehört, dass die Direktorin sich dahingehend geäußert haben soll, man würde ja auch nicht von einem Atomkonzern verlangen, dass er die Anti-AKW-Bewegung finanziere. Ich finde, das Bild spricht für sich selbst.

Wuttke: Interessant ist ja auch, dass der Gastgeber selber, nämlich die Stadt Rostock, für Sie, aber auch das Land Mecklenburg-Vorpommern, das ja Heiligendamm beherbergt, nun die Förderung übernommen hat. Gab es da inhaltliche Vorgaben?

Goehler: Nein, keineswegs, und ich bin so überrascht, freudig überrascht und auch dankbar, dass sich die Politik in Mecklenburg-Vorpommern, was nicht so einfach ist, wenn Sie überhaupt keinen Rückenwind vom Bund kriegen, dass sie sich den Mut getraut haben zu sagen, ja, wir finden dieses Projekt richtig und wichtig, und wir wollen alles mit begünstigen, was einen friedlichen und diskursiven Verlauf dieses Ergebnisses ermöglicht.

Wuttke: Über das Kunstprojekt "Art goes Heiligendamm" von heute bis zum 9. Juni in Rostock die Kuratorin Adrienne Goehler. Ich danke Ihnen sehr!

Goehler: Danke Ihnen!