"Für die Menschen im Land wäre es eine Befreiung"

Moderation: Leonie March |
Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hat die Linke die in Sachsen regierende schwarz-rote Koalition aufgefordert, den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Mit dem Rückzug Milbradts habe das Bündnis aus CDU und SPD seine Legitimation verloren, sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken im sächsischen Landtag, André Hahn.
Leonie March: Nun nimmt er doch seinen Hut. Ende vergangener Woche sah es noch so aus, als könnte sich Georg Milbradt im Amt halten. Doch gestern kündigte er seinen Rücktritt vom Posten des Ministerpräsidenten und des CDU-Landesvorsitzenden an. Ende Mai tritt Milbradt ab. Die Krise der Sächsischen Landesbank, die Kritik an seinen persönlichen Bankgeschäften und seine schon seit Längerem umstrittene Position innerhalb der eigenen Partei sind die Gründe dafür. Nachfolger soll nun Sachsens Finanzminister Stanislaw Tillich werden. Die Koalition soll fortgesetzt werden. Die SPD steht bislang weiter zum Bündnis mit der CDU. Am Telefon begrüße ich André Hahn, er ist der Fraktionsvorsitzende der Linken im sächsischen Landtag. Guten Morgen, Herr Hahn!

André Hahn: Schönen guten Morgen!

March: Ihrer Partei reicht der Rücktritt Milbradts ja nicht, Sie fordern Neuwahlen. Warum?

Hahn: Ja, man kann doch nicht eine Person an der Spitze auswechseln, das war natürlich lange überfällig und zwingend notwendig, aber mit dem Rücktritt von Georg Milbradt hat aus unserer Sicht auch die Koalition ihre Legitimation verloren. Und aus diesem Grund wäre es das Beste, man befragt die Bürgerinnen und Bürger, wie es in Sachsen weitergehen soll. Das, was CDU und SPD geboten haben in den vergangenen Monaten, war eine Chaos-Koalition, die das Land überhaupt nicht mehr voranbringt. Und deshalb wäre es das Beste, man würde Neuwahlen schnellstmöglich ansetzen, um die Möglichkeit für einen tatsächlichen Neuanfang in Sachsen zu geben.

March: Bislang aber steht die SPD ja zum Bündnis mit der CDU. Wie wahrscheinlich ist es vor diesem Hintergrund, dass die Sozialdemokraten Stanislaw Tillich Ende Mai im Landtag nicht zum Nachfolger Milbradts wählen?

Hahn: Ich habe natürlich die Erklärung der Sozialdemokraten auch zur Kenntnis genommen, dass sie weitermachen wollen, da spielen viele Dinge eine Rolle. Die Minister kleben an ihren Stühlen, und man weiß auch nicht, wie sich das nach Neuwahlen gestalten wird im Landtag, aber es wäre die ehrlichere Variante. Und man muss zunächst einmal abwarten, Georg Milbradt ist ja auch nicht im ersten Wahlgang gewählt worden als Ministerpräsident 2004. Und ich mag mir jetzt zunächst nicht vorstellen, was passiert, wenn Herr Tillich im Landtag auch keine Mehrheit bekommt. Dann muss man neu nachdenken, und nach der Verfassung wären dann Neuwahlen anzusetzen. Und die SPD hat es in der Hand, jetzt diesen Zustand, in dem Sachsen sich seit Langem befindet, zu beenden. Für die Menschen im Land wäre es eine Befreiung.

March: Wenn die SPD nicht für Tillich stimmt, müsste die CDU notfalls auf Stimmen der NPD-Abgeordneten zurückgreifen, um an der Macht zu bleiben. Halten Sie das überhaupt für möglich?

Hahn: Es wäre politisch in höchstem Maße problematisch und eigentlich nicht vorstellbar. Es ist aber bei der NPD nie auszuschließen, dass sie hier versuchen, irgendwelche Spiele zu machen, um fortzukommen. Eine verantwortungsbewusste Regierung kann nicht auf Stimmen der NPD basieren. Insofern braucht man eine stabile Mehrheit im Land. Die ist schon jetzt in vielen Fragen nicht mehr gegeben. Und die SPD ist ja in Sachsen extrem klein mit einem Stimmenanteil von 9,8 Prozent. Sie hätte die Chance, durch Neuwahlen auch deutlich zuzulegen, wie jüngste Umfragen zeigen. Wenn sie jetzt aber aus purem Machterhalt weitermacht und in der Koalition bleibt, dann kann das bei den Wahlen, wenn sie regulär stattfinden, 2009 schon wieder ganz aussehen. Wir denken, es muss jetzt ein Schnitt gemacht werden. Da reicht ein Personalwechsel nicht aus.

March: Eines ist ja klar, die Probleme bleiben. Das Land hat ja für die inzwischen verkaufte Sachsen LB eine Bürgschaft übernommen und haftet mit insgesamt 2,75 Milliarden für die Risiken. Es gibt jetzt Anzeichen dafür, dass der neue Mutterkonzern, die Landesbank Baden-Württemberg, demnächst zumindest einen Teil davon einfordern wird. Rechnen Sie damit?

Hahn: Ich bin fest überzeugt, dass es dazu kommen wird. Man muss ja zunächst sagen, es sind schon 1,5 Milliarden, fast 1,5 Milliarden einfach weg, das ehemalige Stammkapital der Sachsen LB, das schon aufgebraucht ist. Und wenn das andere noch dazu kommt, die 2,75 Milliarden, dann reden wir am Ende über einen Schaden von insgesamt 4 Milliarden, den Georg Milbradt hinterlassen hat und für den der Steuerzahler aufkommen muss. Das ist eine enorme Summe, die die finanzielle Handlungsfähigkeit und damit auch die politische Handlungsfähigkeit des Landes auf Jahre einschränkt. Ich bin davon überzeugt, dass der volle Betrag benötigt wird. Und man muss sich dann auch ansehen, was für Folgen das langfristig hat. Man kann mit diesen Beträgen nicht einfach in der Politik das ausgleichen durch irgendwelche Kürzungen. Das sind massive Einschnitte, die dort zu erwarten sind. Die CDU setzt darauf, dass der größte Teil des Geldes erst nach der nächsten Landtagswahl fällig wird. Aber ich glaube, die Menschen im Land wissen, was dort angerichtet worden ist, und sie wissen auch, wo die Verantwortlichkeiten liegen.

March: Mit welchen konkreten Konsequenzen rechnen Sie denn?

Hahn: Ja, wir werden ohnehin weniger Geld bekommen durch die sinkenden Mittel aus dem Solidarpakt II. Und von daher wird es Auswirkungen haben zum einen im Land, und da gibt es ja nur einen geringen Spielraum, der irgendwie zwischen fünf und sieben Prozent liegt. Alles andere ist gebunden, für Gehälter, bei den Lehrern, bei der Polizei, für feste Ausgaben, Fördergelder, Durchlaufposten. Es wird Einschnitte geben im Bereich Bildung. Es wird Einschnitte geben im Bereich Kultur und bei sozialen Freiwilligkeitsleistungen. Und genau das werden die Menschen spüren, und es wird weiter Einschnitte geben am Ende auch bei der kommunalen Ebene. Denn die Kommunen haben über Jahre geplant mit Ausschüttungen der Sachsen LB, mit entsprechenden Zuweisungen. Und die werden jetzt schlichtweg nicht kommen. Das ist allein für die Stadt Dresden ein Betrag von 6,5 Millionen, der fehlt und der natürlich für freiwillige soziale Aufgaben geplant war, die jetzt nicht finanzierbar sind.

March: Welche Maßnahmen muss die Regierung jetzt ergreifen, um das Schlimmste noch abzuwenden?

Hahn: Ja, zunächst einmal ist der Schaden ja nicht mehr wiedergutzumachen, er ist schlicht eingetreten. Deshalb ist es auch notwendig, dass man politische Konsequenzen zieht, und das wären für uns Neuwahlen. Die Regierung muss aber jetzt die klare Ansage machen, wo denn das Geld gestrichen wird, wo man einspart. Und bis jetzt drückt man sich ja genau vor dieser Frage. Bei der Summe, um die es geht, wäre ein Nachtragshaushalt für den Freistaat Sachsen zwingend. Und dann muss man sagen, wo man an welchen Posten entsprechende Kürzungen vornimmt. Und das ist jetzt auf der Tagesordnung, dass man Farbe bekennt, welche Konsequenzen es ganz praktisch für die Menschen im Land hat. Und da ist der Nachtragshaushalt das, was jetzt ansteht.

March: Und da ist jetzt vielleicht auch eine neue Chance dazu da?

Hahn: Ja, normalerweise ist es nach den Gesetzen die Pflicht. Es wird vermutlich in einigen Monaten das Verfassungsgericht über diese Frage entscheiden müssen. Man hat ja die Bürgschaft im Eiltempo durch den Landtag gejagt, gegen die Geschäftsordnung, gegen geltende Gesetze, um das irgendwie noch vor Jahresende über die Bühne zu bringen. Und ich bin nicht sicher, dass das mit der Bürgschaft in diesem Fall überhaupt halten wird. In jedem Fall werden die Verfassungsrichter das Verfahren rügen, und das wäre jetzt die Chance für Herrn Tillich, sollte er gewählt werden als derzeit noch Finanzminister, jetzt Klarschiff zu machen und auch den Bürgern reinen Wein einzuschenken über einen Nachtragshaushalt. Das ist das Mindeste, was man erwarten muss.
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