Für die Meinungsfreiheit

Von Ulrich Fischer |
Howard Brenton stützt sich für sein Stück, das nun im London Hampstead Theatre Uraufführung hatte, auf Gespräche, in denen Ai Weiwei über seine Verhaftung berichtet. Der Dramatiker rückt ins Zentrum seines Stücks die Verhöre.
Howard Brenton genießt in seiner Heimat Großbritannien und auf dem Kontinent einen glänzenden Ruf als Drehbuchschreiber, als Essayist, vor allem aber als Dramatiker - sein Œuvre umfasst über 40 Stücke. Sein bekanntestes dürfte "Prawda" sein, er hat es zusammen mit David Hare geschrieben.

"Prawda" ist eine saftige Satire über die Presse, vor allem die Gefahren, die durch die Monopolisierung drohen, attackierten die Dramatiker. Der Pressezar im Mittelpunkt trug unverkennbar Züge des Medienmoguls Rupert Murdoch. Ihn spielte Anthony Hopkins. Ein Wahnsinnserfolg in London beim Publikum wie bei der Kritik.

Brenton ist auch ein Kenner des deutschen Theaters. Er hat Goethes "Faust" bearbeitet und, kürzlich erst, Büchners "Dantons Tod" für das National Theatre in London, das Flaggschiff der britischen Bühnen.

Es ist alles andere als ein Zufall, dass Brenton gerade "Dantons Tod" gewählt hat, Brenton ist ein ausgesprochen politischer Dramatiker. Das bekundet schon der Titel seines neuesten Stücks "The Arrest of Ai Weiwei" - " Ai Weiweis Festnahme".

Am 3. April 2011 wollte Ai Weiwei, zurzeit wohl der bekannteste bildende Künstler Chinas, nach Hongkong fliegen. Doch er wurde in Peking auf dem Flughafen verhaftet. Ihm wurde mitgeteilt, seine Ausreise könne die Sicherheit des Staates gefährden. Er wurde zu einem Lieferwagen eskortiert und verschwand für 81 Tage.

Howard Brenton stützt sich für sein Stück auf Gespräche, in denen Ai Weiwei über seine Verhaftung berichtet. Der Dramatiker rückt ins Zentrum seines Stücks die Verhöre. Die Polizisten verstehen nichts von Kunst, die Missverständnisse sind anfangs grotesk, ja kafkaesk. Der erste Polizist, der Ai Weiwei verhört, kommt vom Morddezernat und wirft dem Künstler vor, er habe jemanden umgebracht. Ai Weiwei ist entsetzt und verteidigt sich energisch: "Ich bin Künstler!"

Erst wird sein Hinweis höhnisch abgewiesen. Doch je mehr Ai Weiwei erklärt, was er tut, desto mehr nähern sich die Verhöre einer Kunstdebatte an. Die Kommissare vertreten die Konvention: Kunst soll schön sein, Maler sollen Kirschblüten tuschen - Ai Weiwei hingegen geht es um das Bewusstsein des Betrachters, er will es verändern.

Brenton fängt so zwei Fliegen mit einer Klappe: Er schildert neben den Verhören gleich für das Publikum mit wichtige Kunstwerke Ai Weiweis und dessen Wirkungsabsicht. Ein Rätsel ist, warum Ai Weiwei nach 81 Tagen frei kommt. In der Realität haben viele befürchtet, er werde für immer "verschwinden". Brenton bietet eine Erklärung an, warum die Festnahme noch einmal glimpflich ausging. In zwei Szenen diskutieren zwei hochrangige Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas. Der alte setzt auf Repression, der junge strebt mehr Liberalität an.

Beide wollen den Machterhalt, aber, so argumentiert der Jüngere, ist nicht Flexibilität wirksamer als eine starre Haltung? Die Dialoge sind Höhepunkte des Stücks, Brenton erweist sich (einmal mehr) als geschmeidiger Dialektiker, die Szenen erinnern an Brechts "Leben des Galilei". Der Liberale gewinnt, er vertritt die Linie der mächtigeren Strömung in der Partei - Ai Weiwei kommt frei.

Hier gibt es einen Hinweis auf die Bundeskanzlerin. Sie hatte beim chinesischen Premier für Ai Weiwei interveniert. Warum sollte der Premierminister hier der Bundeskanzlerin nicht entgegenkommen, wenn das die Geschäfte entsprechend fördert? Diese Einordnung des Falles Ai Weiwei in die Weltpolitik verleiht dem Stück einen weiten Horizont - und mahnt die Mächtigen.

James Macdonald hatte für seine Uraufführungsinszenierung eine Regieidee, die das Herz des Stücks sichtbar macht. Die Handlung spielt in einer Art Galerie. Bevor das eigentliche Spiel beginnt, treten Komparsen als Besucher einer Vernissage auf. Die Aufführung wird zum Arrangement von Ai Weiwei.

Genau das ist die Kernaussage von Brentons neuem Stück.
Ai Weiwei hat es abgesegnet - dass er über seine Verhaftung nicht schweigt, bezeugt seine Zivilcourage. Und die engagierte Zusammenarbeit von Ai Aweiwei, Howard Brenton und dem Team des Hampstead Theatres ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Das Ensemble spielte brillant, allen voran Benedict Wong in der Titelrolle. Er ähnelt Ai Weiwei, die Maske hat ihm einen prächtigen Vollbart verpasst und Wong wirkt ein wenig korpulent. Ai Weiweis Dialog läuft auf zwei Gleisen.

Einmal spricht er mit seinen Kommissaren - gleichzeitig aber denkt er nach, was er sagen soll, sagen darf, wie er sich am klügsten verhält - und diese Gedanken teilt der Schauspieler dem Publikum mit. Er wechselt virtuos zwischen Bühnenillusion und deren Durchbrechung – ein zusätzlicher Spaß der Inszenierung.

Das Stück und die Uraufführungsinszenierung sind gleichermaßen geglückt. Ai Weiwei kann zufrieden sein. "Ai Weiweis Verhaftung" sollte rasch übersetzt und auch auf deutschen Bühnen gespielt werden.
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