Für die FDP geht es um alles oder nichts

Von Martin Steinhage |
Für alle Parteien geht es am 18. September um sehr viel - für die FDP aber geht es um mehr. Für die Liberalen lautet die Alternative am Wahltag tatsächlich: Alles oder nichts. Entweder die Rückkehr an die Macht in einem schwarz-gelben Bündnis. Oder aber – für den Fall einer Großen Koalition – die trübe Aussicht auf weitere, zermürbende Jahre in der Opposition. Und dies dann vielleicht gar als kleinste von drei Oppositionsparteien.
Damit man am Wahltag auf der sicheren Seite ist, brauchen die Liberalen ein Ergebnis von um die zehn Prozent. Danach aber sieht es nicht aus. Um diesem Wunschziel wenigstens nahe zu kommen, wurde heute in der Hauptstadt - einer alten liberalen Tradition folgend - mit Inbrunst eine Zweitstimmen-Kampagne gestartet. Wer den Wechsel will, muss die FDP wählen, so die Botschaft. Dabei wird freilich geflissentlich übersehen, dass sich diese Rechnung als Nullsummenspiel im bürgerlichen Lager entpuppen könnte: Was die FDP noch hinzugewinnt, könnte der Union am Ende fehlen. Diese Konstellation erklärt zu einem guten Teil auch die Gereiztheit, die sich zwischen beiden Lagern jüngst entwickelt hat.

Bleibt also das Werben für das personelle und programmatische Angebot der FDP - eine Aufgabe, der sich in erster Linie Parteichef Westerwelle in gewohnter Manier annahm: Rhetorisch geschickt, aber wie stets etwas zu laut und großspurig. Dabei konnte der Oberliberale nicht überspielen, dass die FDP in personeller Hinsicht kaum besser dasteht als vor drei Jahren: Namen wie Gerhardt, Solms und Brüderle symbolisieren nicht gerade Aufbruchstimmung.

Vor allem aber bei den Inhalten tut sich die FDP schwer - dabei ist ihr Programm besser als sein Ruf. Es leidet indes unter einem eklatanten Vermittlungsproblem: Den Westerwelles und Co. gelang es auch heute nicht, dem weit verbreiteten Vorurteil entgegenzuwirken, die Liberalen stünden für eine Politik der herzenskalten Ökonomisierung aller Lebensbereiche, an deren Ende zwangsläufig die Entsolidarisierung der Gesellschaft stehe.

Ausweislich aller Umfragen reagiert das Wahlvolk in diesen Tagen höchst sensibel auf alles, was - berechtigt oder unberechtigt - auch nur unter dem Verdacht des Unsozialen steht. Unter dieser Entwicklung hat die FDP gleichsam doppelt zu leiden: Die Diskussionen um Professor Kirchhof kosten die Union Stimmen und gefährden damit den Wechsel hin zu Schwarz-Gelb. Die von der SPD massiv betriebene Polemik gegen Paul Kirchhof sorgt zudem dafür, dass sich die Liberalen besonders schwer tun, mit ihrem Kurs der marktwirtschaftlichen Erneuerung durchzudringen. "Steuern runter" - was als Markenzeichen der FDP gedacht war, degeneriert in der aktuellen, überhitzten Debatte zum Rohrkrepierer.

In dieser komplexen Gemengelage kann sich die FDP zwar dem Wahlvolk als echte Alternative anbieten – es bleibt aber die große Frage, ob dieses Angebot angenommen wird. Die Zweifel jedenfalls konnten an diesem verregneten Sonntag in Berlin nicht verringert werden.