Für die Demokratie sterben

Von Dieter Rulff |
Dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, ist eine mittlerweile zum geflügelten Wort avancierte Maxime deutscher Verteidigungspolitik. Peter Struck, der sie seinerzeit als Verteidigungsminister formulierte, hat dieser Tage als Fraktionsvorsitzender in Aussicht gestellt, dass nach ihr auch in den nächsten zehn Jahren gehandelt werde. So lange werde der Einsatz in Afghanistan dauern – und andere Orte, so wäre zu ergänzen, werden bis dahin womöglich hinzukommen.
Die Bevölkerung steht dieser neuen Normalität von Kampfeinsätzen mit anhaltender Reserve gegenüber. Die Möglichkeit, dass es dabei zu Toten kommen kann, ist von daher eine von den verantwortlichen Politikern lieber beschwiegene Realität. Dass dabei bereits Soldaten gestorben sind, dass weitere sterben werden, ist bislang wenig in das öffentliche Bewusstsein gedrungen.

Strucks Nachfolger, Verteidigungsminister Franz Josef Jung, will für diese Soldaten nun ein Ehrenmal errichten. Damit rückt er nicht nur den Tod als mögliche Folge militärischer Politik in das allgemeine Blickfeld, sondern wirft auch die Frage auf, wie der Toten angemessen gedacht werden soll. Die Bedeutung, man könnte auch sagen Brisanz, dieser Frage erschließt sich bereits durch die ersten Reaktionen auf das Vorhaben. Dass Jung damit die Militärs zu Helden stilisieren und die Gesellschaft auf weitere Tote einstimmen wolle, behauptet die Linke. Auch die Grünen argwöhnen eine falsche Anbiederung an die Militärs. Jung hingegen präsentiert bereits seinen passenden Ort und eine mögliche Formel für das Ehrenmal. Es soll im Verteidigungsministerium errichtet werden, dort, wo bislang schon der Attentäter des 20. Juli gedacht wird, und es soll jenen gewidmet sein, die in Ausübung ihres Dienstes das Leben verloren.

Schon an dieser Konstellation zwischen parlamentarischer Linken und militärischer Exekutive wird das Problematische des Vorhabens erkennbar. Nicht der Bundestag, sondern das Verteidigungsministerium hat die Initiative dazu ergriffen. Aber nicht das Verteidigungsministerium, sondern der Bundestag entscheidet über Auslandseinsätze. Diese demokratische Legitimation ihres Tuns unterscheidet die Bundeswehr von ihren militärischen Vorläufern. Damit trägt allerdings auch das Parlament die politische Verantwortung für das Sterben bei diesen Einsätzen. Mithin wäre es eigentlich an den Abgeordneten, sich zuförderst Gedanken um das angemessene Gedenken zu machen. Sie sollten dabei grundsätzlicher, als es der Verteidigungsminister getan hat, abwägen, ob der Bendlerblock der richtige Ort dieses Gedenkens ist.

Die Gedenkstätte des 20. Juli würdigt die antitotalitäre Haltung eines kleinen Teils der Wehrmacht. Die Bundeswehr wird gerne in diese Tradition gestellt, doch mit dieser antitotalitären Haltung wurde nicht die politische Ordnung der Bundesrepublik antizipiert, welche die Bundeswehr nun am Hindukusch verteidigt. Der Einsatz der Bundeswehr im Auftrag und für die Demokratie ist es jedoch, was in der Erinnerung an die Gefallenen zum Ausdruck kommen muss.

Das verlangt auch eine Zäsur zu den bisherigen Formen militärischen Erinnerns, die den Unrechtsgehalt von Wehrmachtseinsätzen in der allgemeinen Formel verbargen: „Wir gedenken der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.“ Das verlangt auch eine Abwendung von der posthumen Lobpreisung der soldatischen Tugenden der Dienst- und Pflichterfüllung. Denn während Letzteres den Bürger in der Uniform unterschlägt, macht Ersteres den Tod zum großen Gleichmacher, der sich einer moralischen Bewertung verschließt. „Wir gedenken der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, war eine typische Formel des bundesrepublikanischen Konsenses, der nicht mehr nach dem Warum fragen wollte. Sie ist schon allein deshalb nicht mehr angemessen, weil die Soldaten der Bundeswehr, die in Kampfeinsätze geschickt werden, schwerlich als Opfer des Krieges bezeichnet werden können.

Der Historiker Manfred Hettling hat darauf hingewiesen, dass in dem gewaltsamen Tod für eine politische Ordnung eine besondere Legitimationsquelle liegt, und dass die Etablierung eines staatsbürgerlichen Totenkultes eine große Chance für die politische Kultur der Bundesrepublik in sich birgt. Während andere demokratische Staaten ihr Selbstgefühl aus dieser Quelle wie selbstverständlich speisen, war sie in Deutschland durch die Historie vergiftet. Das Gedenken an tote Soldaten stand unter dem Generalvorbehalt einer falschen militärischen Traditionspflege. Dass das Wirken in der Bundeswehr auch Tod bedeuten kann, schien in der langen Zeit der Abschreckungspolitik selbst deren Führung ein abwegiger Gedanke. Mit den Auslandseinsätzen stellt sich die Frage des Gedenkens an alle, die Soldaten in diese Einsätze schicken – und das ist die überwältigende Mehrheit des parlamentarischen Spektrums. Eine Antwort auf diese Frage muss auch eine Aussage darüber treffen, wofür ein Soldat in der Demokratie stirbt.

Dieter Rulff, Journalist, Jahrgang 1953, studierte Politikwissenschaft in Berlin und arbeitete zunächst in der Heroinberatung in Berlin. Danach wurde er freier Journalist und arbeitete im Hörfunk. Weitere Stationen waren die „taz“ und die Ressortleitung Innenpolitik bei der Hamburger „Woche“. Vom März 2002 bis Ende 2005 arbeitete Rulff als freier Journalist in Berlin. Er schreibt für überregionale Zeitungen und die „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“. Ab 1. Januar 2006 Redakteur der Zeitschrift „Vorgänge“.
Dieter Rulff
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