Für den Therapeuten verrückt spielen

02.05.2007
"Poppy Shakespeare" spielt in einer psychiatrischen Klinik; ein Vergleich mit dem Kult-Film "Einer flog über das Kuckucksnest" liegt nahe: Beide Stoffe benutzen dieselbe Erzählperspektive aus der Sicht der Patienten, und in beiden Geschichten gibt es Menschen, die sich zu Unrecht in einer Klinik eingesperrt sehen. Im Roman allerdings wollen die meisten der beschriebenen Patienten die Klinik gerade um keinen Preis verlassen.
Großbritannien scheint ein sehr fruchtbares Land zu sein, wenn es darum geht, neue Bestseller-Autorinnen hervorzubringen: Die Sozialhilfe-Empfängerin Joanne Rowling wurde mit Harry Potter zur Milliardärin, und die Altenpflegerin Martina Cole verkaufte bislang vier Millionen Kriminalromane. Nun scheint am britischen Literatur-Himmel ein neuer Star aufzugehen: Clare Allan.
Clare Allan studierte Literatur, arbeitete dann als Journalistin und schrieb währenddessen zwei Romane - erfolglos, kein Buchverlag wollte sie. Was folgte, waren Depressionen und ein Nervenzusammenbruch, woraufhin Clare Allan 10 Jahre als Patientin in psychiatrischen Kliniken verbrachte. Heute ist sie 38 Jahre alt, und sie hat nun tatsächlich endlich das geschafft, was sie immer schon wollte, einen Roman zu veröffentlichen: "Poppy Shakespeare".

"Poppy Shakespeare" spielt in einer psychiatrischen Klinik; ein Vergleich mit dem Kult-Film "Einer flog über das Kuckucksnest" liegt nahe: Beide Stoffe benutzen dieselbe Erzählperspektive aus der Sicht der Patienten, und in beiden Geschichten gibt es Menschen, die sich zu Unrecht in einer Klinik eingesperrt sehen; in Clare Allans Roman ist das "Poppy", eine junge, gut aussehende Frau, Marketing-Assistentin, allein erziehend. Und Film und Roman zeichnen sich beide dadurch aus, dass sie dieses schwierige Thema mit den Mitteln Humor, Groteske und Slapstick bewältigen. Ein britischer Kritiker beschrieb "Poppy Shakespeare" zu Recht als "brüllend komisch".

Nur geht "Poppy Shakespeare" noch viel tiefer als der Film. Neben seiner gesellschaftskritischen eröffnet der Roman auch noch eine surreale Dimension. Denn die meisten der beschriebenen Patienten wollen die Klinik gerade um keinen Preis verlassen. Im Gegenteil, sie kämpfen verzweifelt darum, drin bleiben zu dürfen.

Dass es sich dabei um keinen satirischen Gag handelt, erhellt ein Interview mit der Autorin: als Clare Allan selbst in die Psychiatrie eingeliefert wurde, war sie mit ihrem normalen Leben vollkommen überfordert. Das heißt, so bedrückend es auch war, plötzlich zu den, "Bekloppten" zu gehören und in einer Alptraum-Klinik zu sitzen, so befreiend war für sie doch gleichzeitig die Erfahrung, sich um nichts mehr kümmern zu müssen.

Was das Ganze aber surreal macht, das ist die Tatsache, dass sich der Patient nun nicht einfach zurücklehnen darf, sondern ständig für die Therapeuten Theater, also den Verrückten, spielen muss; das klingt surreal, entspricht aber der Realität. Es gibt sogar einen wissenschaftlichen Namen dafür: das "Erik P. Erikson-Phänomen". Im Roman wird das so beschrieben: "Big Brother mit Bekloppten".

"Poppy Shakespeare" ist ein grandioser Roman mit Kult-Potential, ein unendlich mutiger Roman. Ausdrücklich gewarnt seien zart besaitete Leser: Dieses Buch ist in einer harten "Szene-Sprache" geschrieben, modern, sarkastisch und ungeschminkt. Ein harmloses Zitat: "Poppy trug selbst um ihren Arsch einen Heiligenschein."

"Poppy Shakespeare" ist ein Roman mit perfektem Timing, und er verfügt über einen einfachen wie genialen Plot, das heißt, auch für echte Spannung ist gesorgt. "Poppy Shakespeare" erinnert zu Recht an den Film "Einer flog über das Kuckucksnest" aber mehr noch an Kafka, an dessen Vielbödigkeit – jene Mischung aus Verzweiflung, Ironie und Unfassbarem. Clare Allan, a star is born, alles spricht dafür.


Rezensiert von Lutz Bunk

Clare Allan: Poppy Shakespeare
Übersetzt von Thomas Stegers
Blessing Verlag, München 2007, 320 Seiten, 19.95 Euro