"Für den Prozess spielt das keine Rolle"
Der Jurist und ehemalige Hamburger Strafrechtsprofessor Ingo Müller hat sich gegen eine Altersbeschränkung bei Strafprozessen ausgesprochen. Die Kriterien des Alters oder der Gebrechlichkeit eines Gefangenen spielten bei der Klärung der Schuldfrage in einem Prozess keine Rolle, sagte Müller vor dem Hintergrund der Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers John Demjanjuk.
Stephan Karkowsky: Worum geht es hier eigentlich? Diese Frage möchte ich mit dem ehemaligen Hamburger Strafrechtsprofessor Ingo Müller klären, Autor des Buches "Furchtbare Juristen". Guten Tag, Herr Müller!
Ingo Müller: Guten Tag!
Karkowsky: Im Fall Demjanjuk stehen mehrere soziale Normen im Widerspruch: der Ruf der Opfer nach Gerechtigkeit, der Respekt vor dem Alter des Angeklagten und damit natürlich auch die Frage nach der Sinnhaltigkeit dieses Prozesses. Fangen wir mal mit dem Offensichtlichsten an, Demjanjuks Alter. Sollte es für Strafprozesse ein Alterslimit geben?
Müller: Nein. Es gibt für die Haft ein Alterslimit bzw. ein Gebrechlichkeitslimit. Wenn einer 89 ist, wird er wahrscheinlich auch nicht in die Strafanstalt kommen. Aber für den Prozess spielt das keine Rolle, allenfalls, dass er verhandlungsunfähig ist.
Karkowsky: Warum ist das denn so, warum werden da Unterschiede gemacht zwischen dem Feststellen der Schuld und der Haftfähigkeit?
Müller: Na, die Schuld ist eine moralische Kategorie, und die Feststellung ist ja letztlich auch für die Gesellschaft da. Die Haftfähigkeit wird dann ganz individuell, natürlich wird die Schuld auch individuell berechnet, aber die Haftfähigkeit nimmt Rücksicht auf Gebrechen, Alter und Ähnliches mehr. Aber die Sache selbst muss ja behandelt werden und es muss der Stab über sie gebrochen werden.
Karkowsky: Welche Botschaft ist das denn, die die Justiz aussenden möchte, wenn sie auch bei Greisen gnadenlos die Schuldfrage stellt? Ist es die Botschaft, seht her, ihr könnt uns nie entkommen?
Müller: Das spielt sicher eine Rolle, aber auch, dass Mord nicht verjährt, wie man 1979 bei uns beschlossen hat, dass Mord oder die Wahrheit nicht verjährt. Und hier bei unseren Richtern und Staatsanwälten kommt ja noch dazu das Versagen der deutschen Justiz 60 Jahre lang.
Karkowsky: Wird das denn Täter von ihren Taten abhalten, wenn sie wie Demjanjuk damals im KZ erst 23 sind, dass sie wissen, diese Taten verjähren nie?
Müller: Vielleicht. Wir haben ja auch den Internationalen Strafgerichtshof, der lokale Grenzen überschreiten soll und den potenziellen Tätern, egal wo sie sind auf der Welt, sagen soll, wir kriegen euch doch. Und irgendwann, und sei es als alte Männer, müsst ihr dafür büßen.
Karkowsky: Sie würden also sagen, dieser Prozess ist nicht nur ein Symbol, es ist auch ganz klar Abschreckung?
Müller: Mit Abschreckung ist das ja so eine Sache. Kant hat gesagt, man darf den Menschen nicht für gesellschaftliche Zwecke missbrauchen. Und bei Abschreckung wendet man sich ja an die anderen als an den Täter. Aber es spielt auch so ein Kant’sches Prinzip der Wiederherstellung der Gerechtigkeit eine Rolle. Und das mag zum Beispiel für die Opfer und die Hinterbliebenen der Opfer eine noch größere Rolle spielen. Dass sie sagen, es muss Gerechtigkeit hergestellt werden.
Karkowsky: Obwohl wir wissen, dass womöglich die Verurteilung, selbst wenn er bis zur Verurteilung durchhält, dass eine Verurteilung nicht zu einer Haft führt, denken Sie trotzdem, so ein Prozess macht Sinn?
Müller: Glaube ich schon. Das glaube ich schon. Denn natürlich, die gängigen modernen Strafrechtstheorien versagen hier. Was soll der Mann noch resozialisiert werden? Außerdem war er resozialisiert, der hat ja rechtstreu 60 Jahre lang in USA gelebt. Aber die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und das Feststellen, dass ein Verbrechen ein Verbrechen ist, das spielt in dem Prozess auch eine Rolle.
Karkowsky: Wir sprechen mit Strafrechtsprofessor Ingo Müller, Autor des Buches "Furchtbare Juristen". Herr Müller, John Demjanjuk wurde heute in München verhaftet. Ihm wird Beihilfe zum Mord an mindestens 29.000 Juden vorgeworfen. Er selbst soll sie in die Gaskammern geführt haben, im Vernichtungslager Sobibor in Polen. Zuvor war Demjanjuk selbst Kriegsgefangener der Deutschen gewesen, er wurde Scherge der SS, um sich vor dem Hungertod zu retten, wie es heißt. Entlastet ihn das?
Müller: Das wird vielleicht mit berücksichtigt, aber so richtig zu entlasten vermag ihn das nicht. Ich verweise darauf, dass nach dem Krieg auch hier einige KZ-Häftlinge verurteilt worden sind, sogenannte Lagerkapos, die sich an den Grausamkeiten der SS beteiligt hatten – sogar Juden.
Karkowsky: Aber viele waren es wohl nicht, die UdSSR war da sehr viel gnadenloser, die hat rund 1000 Helfer der SS, sogenannte Trawniki, verurteilt, viele hingerichtet. In Deutschland war man viel gnädiger. Hier hat man eigentlich den Grundsatz gefahren: Die letzten Glieder der Kette innerhalb der Mordmaschinerie wird man nicht einmal anklagen. Warum gab es diesen Unterschied?
Müller: Na, erstens haben wir Deutschen mehr Verständnis für die Untaten der Nazis gehabt als die Russen, die ja darunter in erster Linie gelitten haben. Zum Zweiten war es gar nicht mal so, dass die letzten Glieder nicht belangt wurden, bei uns war es eher so, dass auch Leute in Führungspositionen nicht belangt wurden, weil man sie auch als Gehilfen bezeichnet hat. Diese Einteilung ist nicht ganz richtig. Den letzten Gliedern der Kette hat man den Vorwurf der Grausamkeit gemacht, denn die sind in der Regel recht grausam vorgegangen, wohingegen die Schreibtischtäter ja nicht grausam waren, die haben das Ganze ja nur bürokratisch verwaltet und angeordnet. Der eigentliche Skandal ist, dass man die hat davonkommen lassen. Zum Beispiel die Spitzen des Reichssicherheitshauptamtes, also der Mörderzentrale des Dritten Reichs, wurden ja auch alle nur als Gehilfen geführt in der deutschen Justiz. Das halte ich für den Skandal. Und nicht, dass die letzten Glieder eventuell davonkamen, was sie übrigens auch gar nicht taten.
Karkowsky: John Demjanjuk, dem nun der Prozess gemacht werden soll, ist eines dieser letzten Glieder. Wie ordnen Sie seinen Prozess ein in der deutschen Rechtsgeschichte? Ist das eine Ausnahme oder ist das ein ganz normales Verfahren?
Müller: Natürlich ist es eine Ausnahme. In mehrfacher Hinsicht ist es eine Ausnahme. Wäre er vor 40 oder 50 Jahren hier angeklagt worden, was natürlich viel entsprechender gewesen wäre, wäre er womöglich freigesprochen worden oder mit einer ganz milden Strafe davongekommen. Es ist mehr ein zeitliches Problem. Jetzt diese alten Männer – Anton Malloth, Erich Priebke, Friedrich Engel und wie sie heißen –, alle in den 90ern schon, die sind einfach dran, weil sie zu lange gelebt haben.
Karkowsky: Demjanjuk ist ja einmal bereits zum Tode verurteilt worden, 88 in Israel, und dann kam die Perestroika, die russischen Archive öffneten sich, es stellte sich raus, er war gar nicht Iwan, der Schreckliche, den Israel gesucht hat.
Müller: Nein, er war auch ein Iwan, der Schreckliche, aber nicht der, den sie gesucht haben. Er heißt ja auch mit russischem Namen Iwan Demjanjuk. Und darauf beruhte wahrscheinlich auch diese Personenverwechslung.
Karkowsky: Auf jeden Fall ist er dann seiner Strafe entkommen, durfte sogar zurück in die USA. Man könnte also sagen, sein ganzes Leben lang ist Demjanjuk von Rechtsstaaten, von Gesetzen geschützt worden. Er konnte mehr oder weniger in Ruhe alt werden und seine Enkel aufwachsen sehen, im Gegensatz zu denen, die er in die Gaskammern geschickt hat. Was sagt das aus über das Verhältnis zu Recht und Gerechtigkeit?
Müller: Ja, geschützt worden, verschont geblieben, sagen wir mal. Vorhin haben Sie gefragt, warum sollte man die noch anklagen. Jetzt liefern Sie die Antwort. Also irgendwann, irgendwann holt es ihn doch ein. Und sei es im Alter von 95.
Karkowsky: Haben Sie eine Ahnung davon, welches Rechtsgefühl in Deutschland vorherrscht. Glauben Sie, die Deutschen würden mehrheitlich eine Verurteilung Demjanjuks befürworten oder haben wir schon wieder eine Stimmung, dass die Leute eher sagen, lass den alten Mann doch in Ruhe?
Müller: Ich glaube, dass das sicher viele sagen würden, ohne dass ich die gleich der Nazisympathie verdächtigen möchte. Aber ich glaube schon, dass reflektierte Leute oder die sich mehr mit dem Thema beschäftigt haben, doch der Meinung sind, es müsste über die Zeit über solche Taten mal ein Urteil gefällt werden. Vor allem, weil die so rar waren, diese Urteile. 50 Jahre lang wurde das ja immer beschönigt und das Geschehen damals verharmlost. Und jetzt haben wir eigentlich die erste Generation von Richtern und Staatsanwälten, die wirklich ernst machen wollen mit dem Ethos des Rechts, damit, dass sie sagen, diese furchtbaren Naziverbrechen müssen verfolgt werden.
Karkowsky: John Demjanjuk ist heute in München gelandet und verhaftet worden. Ihm wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen an 29.000 Juden während der NS-Zeit. Das war dazu der Hamburger Strafrechtsprofessor Ingo Müller. Herr Müller, besten Dank!
Ingo Müller: Guten Tag!
Karkowsky: Im Fall Demjanjuk stehen mehrere soziale Normen im Widerspruch: der Ruf der Opfer nach Gerechtigkeit, der Respekt vor dem Alter des Angeklagten und damit natürlich auch die Frage nach der Sinnhaltigkeit dieses Prozesses. Fangen wir mal mit dem Offensichtlichsten an, Demjanjuks Alter. Sollte es für Strafprozesse ein Alterslimit geben?
Müller: Nein. Es gibt für die Haft ein Alterslimit bzw. ein Gebrechlichkeitslimit. Wenn einer 89 ist, wird er wahrscheinlich auch nicht in die Strafanstalt kommen. Aber für den Prozess spielt das keine Rolle, allenfalls, dass er verhandlungsunfähig ist.
Karkowsky: Warum ist das denn so, warum werden da Unterschiede gemacht zwischen dem Feststellen der Schuld und der Haftfähigkeit?
Müller: Na, die Schuld ist eine moralische Kategorie, und die Feststellung ist ja letztlich auch für die Gesellschaft da. Die Haftfähigkeit wird dann ganz individuell, natürlich wird die Schuld auch individuell berechnet, aber die Haftfähigkeit nimmt Rücksicht auf Gebrechen, Alter und Ähnliches mehr. Aber die Sache selbst muss ja behandelt werden und es muss der Stab über sie gebrochen werden.
Karkowsky: Welche Botschaft ist das denn, die die Justiz aussenden möchte, wenn sie auch bei Greisen gnadenlos die Schuldfrage stellt? Ist es die Botschaft, seht her, ihr könnt uns nie entkommen?
Müller: Das spielt sicher eine Rolle, aber auch, dass Mord nicht verjährt, wie man 1979 bei uns beschlossen hat, dass Mord oder die Wahrheit nicht verjährt. Und hier bei unseren Richtern und Staatsanwälten kommt ja noch dazu das Versagen der deutschen Justiz 60 Jahre lang.
Karkowsky: Wird das denn Täter von ihren Taten abhalten, wenn sie wie Demjanjuk damals im KZ erst 23 sind, dass sie wissen, diese Taten verjähren nie?
Müller: Vielleicht. Wir haben ja auch den Internationalen Strafgerichtshof, der lokale Grenzen überschreiten soll und den potenziellen Tätern, egal wo sie sind auf der Welt, sagen soll, wir kriegen euch doch. Und irgendwann, und sei es als alte Männer, müsst ihr dafür büßen.
Karkowsky: Sie würden also sagen, dieser Prozess ist nicht nur ein Symbol, es ist auch ganz klar Abschreckung?
Müller: Mit Abschreckung ist das ja so eine Sache. Kant hat gesagt, man darf den Menschen nicht für gesellschaftliche Zwecke missbrauchen. Und bei Abschreckung wendet man sich ja an die anderen als an den Täter. Aber es spielt auch so ein Kant’sches Prinzip der Wiederherstellung der Gerechtigkeit eine Rolle. Und das mag zum Beispiel für die Opfer und die Hinterbliebenen der Opfer eine noch größere Rolle spielen. Dass sie sagen, es muss Gerechtigkeit hergestellt werden.
Karkowsky: Obwohl wir wissen, dass womöglich die Verurteilung, selbst wenn er bis zur Verurteilung durchhält, dass eine Verurteilung nicht zu einer Haft führt, denken Sie trotzdem, so ein Prozess macht Sinn?
Müller: Glaube ich schon. Das glaube ich schon. Denn natürlich, die gängigen modernen Strafrechtstheorien versagen hier. Was soll der Mann noch resozialisiert werden? Außerdem war er resozialisiert, der hat ja rechtstreu 60 Jahre lang in USA gelebt. Aber die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und das Feststellen, dass ein Verbrechen ein Verbrechen ist, das spielt in dem Prozess auch eine Rolle.
Karkowsky: Wir sprechen mit Strafrechtsprofessor Ingo Müller, Autor des Buches "Furchtbare Juristen". Herr Müller, John Demjanjuk wurde heute in München verhaftet. Ihm wird Beihilfe zum Mord an mindestens 29.000 Juden vorgeworfen. Er selbst soll sie in die Gaskammern geführt haben, im Vernichtungslager Sobibor in Polen. Zuvor war Demjanjuk selbst Kriegsgefangener der Deutschen gewesen, er wurde Scherge der SS, um sich vor dem Hungertod zu retten, wie es heißt. Entlastet ihn das?
Müller: Das wird vielleicht mit berücksichtigt, aber so richtig zu entlasten vermag ihn das nicht. Ich verweise darauf, dass nach dem Krieg auch hier einige KZ-Häftlinge verurteilt worden sind, sogenannte Lagerkapos, die sich an den Grausamkeiten der SS beteiligt hatten – sogar Juden.
Karkowsky: Aber viele waren es wohl nicht, die UdSSR war da sehr viel gnadenloser, die hat rund 1000 Helfer der SS, sogenannte Trawniki, verurteilt, viele hingerichtet. In Deutschland war man viel gnädiger. Hier hat man eigentlich den Grundsatz gefahren: Die letzten Glieder der Kette innerhalb der Mordmaschinerie wird man nicht einmal anklagen. Warum gab es diesen Unterschied?
Müller: Na, erstens haben wir Deutschen mehr Verständnis für die Untaten der Nazis gehabt als die Russen, die ja darunter in erster Linie gelitten haben. Zum Zweiten war es gar nicht mal so, dass die letzten Glieder nicht belangt wurden, bei uns war es eher so, dass auch Leute in Führungspositionen nicht belangt wurden, weil man sie auch als Gehilfen bezeichnet hat. Diese Einteilung ist nicht ganz richtig. Den letzten Gliedern der Kette hat man den Vorwurf der Grausamkeit gemacht, denn die sind in der Regel recht grausam vorgegangen, wohingegen die Schreibtischtäter ja nicht grausam waren, die haben das Ganze ja nur bürokratisch verwaltet und angeordnet. Der eigentliche Skandal ist, dass man die hat davonkommen lassen. Zum Beispiel die Spitzen des Reichssicherheitshauptamtes, also der Mörderzentrale des Dritten Reichs, wurden ja auch alle nur als Gehilfen geführt in der deutschen Justiz. Das halte ich für den Skandal. Und nicht, dass die letzten Glieder eventuell davonkamen, was sie übrigens auch gar nicht taten.
Karkowsky: John Demjanjuk, dem nun der Prozess gemacht werden soll, ist eines dieser letzten Glieder. Wie ordnen Sie seinen Prozess ein in der deutschen Rechtsgeschichte? Ist das eine Ausnahme oder ist das ein ganz normales Verfahren?
Müller: Natürlich ist es eine Ausnahme. In mehrfacher Hinsicht ist es eine Ausnahme. Wäre er vor 40 oder 50 Jahren hier angeklagt worden, was natürlich viel entsprechender gewesen wäre, wäre er womöglich freigesprochen worden oder mit einer ganz milden Strafe davongekommen. Es ist mehr ein zeitliches Problem. Jetzt diese alten Männer – Anton Malloth, Erich Priebke, Friedrich Engel und wie sie heißen –, alle in den 90ern schon, die sind einfach dran, weil sie zu lange gelebt haben.
Karkowsky: Demjanjuk ist ja einmal bereits zum Tode verurteilt worden, 88 in Israel, und dann kam die Perestroika, die russischen Archive öffneten sich, es stellte sich raus, er war gar nicht Iwan, der Schreckliche, den Israel gesucht hat.
Müller: Nein, er war auch ein Iwan, der Schreckliche, aber nicht der, den sie gesucht haben. Er heißt ja auch mit russischem Namen Iwan Demjanjuk. Und darauf beruhte wahrscheinlich auch diese Personenverwechslung.
Karkowsky: Auf jeden Fall ist er dann seiner Strafe entkommen, durfte sogar zurück in die USA. Man könnte also sagen, sein ganzes Leben lang ist Demjanjuk von Rechtsstaaten, von Gesetzen geschützt worden. Er konnte mehr oder weniger in Ruhe alt werden und seine Enkel aufwachsen sehen, im Gegensatz zu denen, die er in die Gaskammern geschickt hat. Was sagt das aus über das Verhältnis zu Recht und Gerechtigkeit?
Müller: Ja, geschützt worden, verschont geblieben, sagen wir mal. Vorhin haben Sie gefragt, warum sollte man die noch anklagen. Jetzt liefern Sie die Antwort. Also irgendwann, irgendwann holt es ihn doch ein. Und sei es im Alter von 95.
Karkowsky: Haben Sie eine Ahnung davon, welches Rechtsgefühl in Deutschland vorherrscht. Glauben Sie, die Deutschen würden mehrheitlich eine Verurteilung Demjanjuks befürworten oder haben wir schon wieder eine Stimmung, dass die Leute eher sagen, lass den alten Mann doch in Ruhe?
Müller: Ich glaube, dass das sicher viele sagen würden, ohne dass ich die gleich der Nazisympathie verdächtigen möchte. Aber ich glaube schon, dass reflektierte Leute oder die sich mehr mit dem Thema beschäftigt haben, doch der Meinung sind, es müsste über die Zeit über solche Taten mal ein Urteil gefällt werden. Vor allem, weil die so rar waren, diese Urteile. 50 Jahre lang wurde das ja immer beschönigt und das Geschehen damals verharmlost. Und jetzt haben wir eigentlich die erste Generation von Richtern und Staatsanwälten, die wirklich ernst machen wollen mit dem Ethos des Rechts, damit, dass sie sagen, diese furchtbaren Naziverbrechen müssen verfolgt werden.
Karkowsky: John Demjanjuk ist heute in München gelandet und verhaftet worden. Ihm wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen an 29.000 Juden während der NS-Zeit. Das war dazu der Hamburger Strafrechtsprofessor Ingo Müller. Herr Müller, besten Dank!