Für den König, für den Staat

06.05.2009
Richelieu, französischer Premierminister und der allmächtige "Kardinal des Königs" Ludwigs XIII., lebte von 1585 bis 1642. Sein persönlicher Ehrgeiz und Machtwille diente seinem großen Ziel: der Stärkung des französischen Königtums und des französischen Staates.
Was wäre wenn? Seit einiger Zeit ist die Frage auch in der Geschichtswissenschaft nicht mehr tabu. Auch bei Armand-Jean du Plessis de Richelieu, dem mächtigen "Kardinal des Königs", stellt sich die Frage. Mehrmals ist er nur durch die Zauderei seiner Gegner einem Attentat entgangen. Und überhaupt: Eigentlich sollte er die militärische Laufbahn einschlagen. Weil aber der ältere Bruder Alphonse plötzlich ein echtes religiöses Bedürfnis verspürte und Mönch wurde, musste Armand-Jean in die Bresche springen. Er wurde Bischof von Luçon.

Von nun an ging aber alles nach Plan. Nach und nach stieg er zum mächtigsten Mann Frankreichs auf, der noch wenige Wochen vor seinem Tod 1642 sogar dem König Bedingungen diktieren konnte. Seine Gesundheit ließ zwar zu wünschen übrig, aber der maßlos ehrgeizige Richelieu wusste von Anfang an, was er wollte, und sein Biograph Uwe Schultz versteht sich darauf, die charakterlichen und intellektuellen Eigenschaften und Stärken seines Helden herauszuarbeiten.

Er stellt ihn als selbstbeherrschten Willensmenschen dar, der mit Überraschungseffekten arbeitet, der unbedingte Autorität und Strenge mit kleinen Gunstbezeigungen garniert und der die Kunst der Verstellung, selbst der Liebedienerei vollendet beherrscht. Das alles, so Schultz (und mit ihm der Großteil der Sekundärliteratur, die er konsultierte), dient dem einen hehren Ziel: den französischen König zu stärken und Frankreich zur führenden Macht in Europa zu machen.

Am Anfang verläuft Richelieus Karriere alles andere als reibungslos. Als seine Gönnerin (und spätere Rivalin), die Regentin Maria von Medici, 1617 von ihrem eigenen 16-jährigen Sohn Ludwig XIII. entmachtet wird, muss er den gerade warm gesessenen Ministersessel wieder räumen und jahrelang ins Exil gehen. Aber Richelieu ist nicht nur machthungrig, sondern auch intelligent. Durch sein Verhandlungsgeschick erlangt er die Gnade des jungen Königs, er wird Kardinal und tritt 1624 in den Staatsrat ein.

Sofort knüpft er ein dichtes Netz von informellen Mitarbeitern – bis zu seinem Tod ist er der bestinformierte Mann im ganzen Land. Und er betreibt Großmachtpolitik, um jeden Preis will er die Macht des Hauses Habsburg beschneiden, des größten Konkurrenten in Europa, dafür sucht er im Dreißigjährigen Krieg sogar protestantische Verbündete, während er die Protestanten im Innern als "Staat im Staate" heftig bekämpft.

Sympathisch wird uns dieser Karrierist nicht, selbst seine gelegentlichen Depressionen bewegen uns kaum. Uwe Schultz beschreibt Richelieu als skrupellosen Realpolitiker ohne Moral und ohne Ideal – abgesehen von dem einen "Ideal": Alles für den König, alles für den Staat. Selbst die Religion ist ihm, dem Kardinal, einerlei, betont Schultz immer wieder. Dadurch war der "Kardinal-Premierminister", wie Schultz ihn gerne nennt, der eigentliche Schöpfer des Absolutismus. Mehr noch: er schuf das Fundament für den zentralistischen Staat mit einem autoritären Führer, für ein Frankreich also, das bis heute mehr oder weniger Bestand hat.

Die letzte deutsche Richelieu-Vita, das dreibändige Werk des Schweizer Historikers Carl J. Burckhardt, erschien 1935-67, die französischen Arbeiten sind umso zahlreicher. Schultz hat sie sorgsam gelesen und eine farbige, sprachlich nicht immer saubere Biographie fürs breite Publikum zusammengestellt, mit vielen höfischen Intrigen, politischen Konflikten, familiären Scharmützeln. Die französischen Hintergründe werden gut beleuchtet, der große europäische Zusammenhang bleibt ein wenig diffus. Eine Zeittafel wäre nützlich gewesen.

Rezensiert von Peter Urban-Halle

Uwe Schultz: Richelieu. Der Kardinal des Königs
Eine Biographie
Verlag C.H. Beck, München 2009
350 Seiten, 24,90 Euro