Fünf Jahre "Wir schaffen das"

Aus Eritrea geflüchtet, im Ostallgäu angekommen

10:22 Minuten
Symbolbild: Ein Afrikaner schleift einen Industriemagneten, zu sehen ist ein Stück vom Arm, die Hand in einem Handschuh, die Schleifmaschine, die Funken schlägt, und ein Stück vom Magneten.
Die praktische Arbeit sei besser als der Deutschkurs, sagt der Eritreer Tefelde. © imago images / Greatstock
Von Lisa Weiß · 31.08.2020
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Am 31. August 2015 sagte Angela Merkel mit Blick auf die Flüchtlinge in Deutschland den inzwischen berühmten Satz: "Wir schaffen das." Ein Betrieb im Ostallgäu hat den Praxistest gemacht, zwei Eritreer ausgebildet - und beide haben es geschafft.
Tasfaldit* zeigt auf die deckenhohen Regale, gefüllt mit Kisten und Kartons, grüßt nebenher einen Kollegen. Der 33-jährige Eritreer tritt viel sicherer auf, weniger schüchtern als beim letzten Treffen, vor rund vier Jahren.
Als Produktionsmitarbeiter im kunststoffverarbeitenden Betrieb CERA, einem mittelständischen Unternehmen in Ruderatshofen im Ostallgäu, ist er vor allem dafür zuständig, dass die Maschinen laufen und das produzieren, was sie gerade sollen, erklärt er und führt in die angrenzende Halle - an seinen Arbeitsplatz.
"Spritzgussmaschine heißt die Maschine", sagt Tasfaldit.
"Wie kommt man mit solchen Wörtern klar, das ist ja furchtbar kompliziert?", fragt die Autorin nach.
"Ja, richtig. Am Anfang ich hab auch ein Jahr lang nicht gewusst, wie die Maschine heißt."

Integration im Ostallgäu

Sein Kollege Tefelde* nickt zustimmend. Auch er ist wie Tasfaldit aus Eritrea geflüchtet, hat gemeinsam mit ihm im Betrieb angefangen, zusammen haben sie Deutsch gelernt, Wörter wie Spritzgussmaschine gebüffelt. Unterstützt von Stephanie Rahfeld, die zusammen mit ihrer Mutter den Betrieb führt.
"Das war ein schwieriges Wort, ja. Aber sie haben auch versucht, uns ein paar Wörter in ihrer Sprache beizubringen und ich bin kläglich gescheitert. Also daher: Noch mehr Respekt für die Deutschkenntnisse, die die zwei mittlerweile haben. Ich glaube, ich hätte die Sprache der Jungs nicht lernen können."
Stephanie Rahfeld ist es gewohnt, zuzupacken, das merkt man. Die Geschäftsführerin ist eine, die überlegt - aber dann auch handelt, wenn sie von einem Projekt überzeugt ist. Wie damals vor fünf Jahren, als sie und ihre Mutter sich dafür entschieden haben, Tasfaldit und Tefelde eine Ausbildung bei CERA anzubieten. Trotz aller Risiken, und obwohl nicht einmal klar war, ob die beiden bis zum Ende der Ausbildung in Deutschland bleiben dürfen.
"Wir haben am Anfang auch nicht gewusst, wie sich das entwickelt. Ob das funktioniert. Kein Mensch weiß, was die alles erlebt haben."

"Die geben wirklich alles"

Rückblick, in die Zeit unseres letzten Besuchs in Ruderatshofen. Damals waren die Rahfelds heilfroh, endlich Azubis gefunden zu haben. Denn Verfahrensmechaniker für Kunststoff und Kautschuk oder Maschinen- und Anlagenführer wollte im ländlichen Ostallgäu offenbar niemand werden, sagte Stephanie Rahfeld.
"Wir haben Anzeigen geschaltet, Ausbildung angeboten und es hat sich keiner gemeldet."
Da kamen die beiden jungen Männer aus Eritrea gerade recht, die im Nachbardorf untergekommen waren und eine Beschäftigung suchten. Aber schon damals war klar, dass die Geflüchteten aus Eritrea für die Rahfelds, die im Dorf verwurzelte Unternehmerfamilie, mehr waren, als nur billige Arbeitskräfte.
Erklären lässt sich das vielleicht aus der Familiengeschichte: Die Vorfahren der Rahfelds sind aus dem Sudetenland geflüchtet, also dem heutigen Tschechien. Und es passte eben auch menschlich - und mit der Arbeit der beiden war Stephanie Rahfeld damals sehr zufrieden.
"Die geben wirklich alles. Die waren noch nicht einmal zu spät, die haben noch nie hier blaugemacht oder sonst irgendwas. Die sind wirklich motiviert und wissen das hier wirklich sehr zu schätzen. Und wir sind froh, dass wir sie haben. Also wir haben viel Freude."
Und die hat Stephanie Rahfeld auch heute noch, das ist ihr sehr wichtig zu betonen.

Die Mühe mit der deutschen Sprache

"Wir haben da sicher zwei ganz tolle Menschen hierherbekommen und dann zusammen das Beste daraus gemacht und hoffen, dass sie uns noch lange erhalten bleiben und dass sie hier glücklich werden."
Blick auf Ruderatshofen im Ostallgäu in Bayern: weite Wiesen, Bäume, verstreut liegende Häuser, blauer Himmel mit ein paar Wolken und Sonnenschein.
"Ich habe Frieden hier", sagt Tefelde über Ruderatshofen und das Allgäu, wo er nach seiner Flucht aus Eritrea lebt.© imago images / Action Pictures
Aber einfach war es nicht immer in den vergangenen fünf Jahren. Anfangs die Unsicherheit, ob die Azubis nicht doch irgendwann abgeschoben werden. Dann, als die Flüchtlingsanerkennung kam: die Wohnungssuche für die beiden. Denn jemanden in der Region zu finden, der an zwei Schwarze Geflüchtete vermieten wollte, war schwierig.
Am Ende mussten die Rahfelds für ihre beiden Mitarbeiter bürgen, damit sie eine Wohnung bekamen. Jetzt sei der Besitzer von seinen beiden Mietern begeistert, sagt Stephanie Rahfeld und grinst. Ein kleiner persönlicher Erfolg. Und auch die beiden im Unternehmen zu integrieren, ging nicht völlig ohne Probleme ab.

Kreativität und guter Wille

"Es waren auch Mitarbeiter erst nicht total Feuer und Flamme, dass jetzt zwei kommen, die kaum die Sprache sprechen und jetzt soll man da anständig arbeiten. Und vielleicht war da auch ein bisschen Angst dabei: Ich weiß nicht, wie ich mit jemandem umgehen soll, der mich nicht versteht."
Natürlich sei es schwierig, Dinge zu erklären, wenn Vokabeln fehlen, sagt auch Stephanie Rahfeld. Aber mit ein bisschen Kreativität und gutem Willen auf beiden Seiten habe sich eigentlich immer eine Lösung finden lassen. Es habe sich alles gut entwickelt, betont Rahfeld, alle in der Firma hätten viel gelernt, ihren Horizont erweitert - nicht nur die beiden Eritreer.

Rückblick auf den Beginn der Ausbildung

Sommer 2016. Tasfaldit und Tefelde arbeiten damals erst seit Kurzem im Betrieb in Ruderatshofen, sind noch am Beginn ihrer Ausbildung. Besonders der schulische Teil ist wegen der fehlenden Deutschkenntnisse schwer.
Sie bemühen sich sehr: Zweimal pro Woche übt jemand aus dem Dorf nach der Arbeit mit ihnen Deutsch, jeden Samstag fahren sie nach Kempten zum Deutschunterricht, jeden zweiten Freitag nehmen sie den Zug nach Memmingen - dort gibt es einen berufsbezogenen Deutschkurs. Aber das Niveau ist hoch, sagt Tefelde damals:
"Arbeit ist besser, Deutschkurs ist bisschen schwierig."
Tasfaldit hat im Vergleich zu ihm einen Vorteil: Er hat in seiner Heimat eine Art Abitur gemacht. Dass er Grundlagen in Mathematik und Physik hat, kommt ihm bei der Ausbildung zugute, sagt er. Die Arbeit macht ihm Spaß, das Verhältnis zu den Kollegen ist gut, mit einigen spielt er am Wochenende oft Fußball. Ihm ist bewusst, dass er eine große Chance bekommen hat, erklärt er damals:
"Nach der Ausbildung möchte ich hier weiterarbeiten."

Ausbildung seit zwei Jahren abgeschlossen

Tasfaldit lächelt, als wir ihn an unser damaliges Gespräch erinnern. Zum Fußballspielen habe ihm irgendwann die Zeit gefehlt, sagt er, mit Arbeit, Ausbildung, Berufsschulhausaufgaben und Integrationskurs sei er an seine Grenzen gekommen. Aber ansonsten ist eigentlich alles so gelaufen, wie er sich das gewünscht hatte:
"Ich bin seit 2015, jetzt fast seit fünf Jahren da. Ich mache gerne meine Aufgaben, alles super. Es gibt manchmal auch Schwierigkeiten, aber ich habe gute Kollegen." Er sage es dann dem Chef oder dem Meister. "Alles passt, bis jetzt."
Die Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer hat er vor rund zwei Jahren abgeschlossen - mit Erfolg. Auch wenn das nicht ganz einfach war.
Das Schwierigste sei die Sprache gewesen. Doch es habe sich verbessert: "Langsam, aber immer besser, am Ende war es gut. Gut geklappt."

Theoretische Prüfung als große Hürde

Und Tefelde? Der wirkt bei diesem Thema ein bisschen bedrückt. Die praktische Abschlussprüfung hat er bestanden, war wirklich gut. Aber im theoretischen Teil hat es nicht gereicht.
"Für mich schwierig. Wegen der Sprache. Ich habe nicht bestanden. Durchgefallen."
Trotzdem arbeitet er weiter im Betrieb, als Produktionsmitarbeiter, wird genauso bezahlt wie die anderen, sagt Stephanie Rahfeld. Denn dass er sich wirklich Mühe gegeben hat, dass er gut arbeitet, das sei deutlich geworden.
"Gewusst hat er alles. Aber das dann in Deutsch aufs Papier zu schreiben, fällt ja schon manchen Deutschen schwer. Die sind erst ein paar Jahre hier, Deutsch ist eine sehr schwierige, eine sehr komplexe Sprache und die praktische Prüfung haben sie beide spitze gemacht. Und das war für uns ausschlaggebend, dass wir gesagt haben: Ganz ehrlich, ist mir vollkommen wurscht."

Enger Kontakt mit der Familie in Eritrea

Die Rahfelds haben ihm schon zugesichert, dass sie ihn unterstützen, wenn er die theoretische Prüfung noch einmal versuchen möchte. Und eigentlich wollte Tefelde die Prüfung auch wirklich so schnell wie möglich wiederholen, aber nun muss das noch etwas warten.
"Ich wollte, aber ich habe Probleme gehabt mit der Familie."
Familiäre Notfälle - das ist ein großes Thema für Tefelde und Tasfaldit. Nur über Telefon haben sie Kontakt mit ihren Eltern oder Geschwistern in Eritrea, können erfahren, wie es ihnen in dem autoritär regierten Land geht.
"Sie sagen immer gut, aber keine Ahnung."
Tefelde wollte sich eigentlich in diesem Sommer mit einigen Verwandten in Äthiopien treffen, hatte lange gespart, Urlaub genommen, hoffte, dass das Regime wenigstens ältere Damen aus Eritrea über die Grenze ins Nachbarland lassen würde. Doch wegen der Coronapandemie musste er alles absagen.

Heimat und Frieden in Deutschland

Auch Tasfaldit hat wegen der Pandemie umgeplant: Eigentlich wollte er in diesem Jahr heiraten. Das muss jetzt noch ein bisschen warten - aber man merkt ihm wirklich an, dass Deutschland seine Heimat geworden ist.
"Es läuft ganz gut. Anfang Januar haben wir die Niederlassungserlaubnis bekommen. Ich habe auch letzten Monat gefragt wegen der Einbürgerung. Ich warte, schaun wir mal."
Und auch Tefelde, der noch immer mit der Sprache kämpft, der seine Familie in Eritrea sehr vermisst, der deutlich zurückhaltender wirkt als sein Freund und Kollege, will keinesfalls zurück. Auf die Frage, wie es ihm in Deutschland, in Ruderatshofen gefällt, sagt er klar:
"Ich habe Frieden hier."
*Die Nachnamen sind der Redaktion bekannt.
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