Fünf Jahre NSU-Prozessbeobachtung

"Solche Morde können wieder geschehen"

Die Angeklagte Beate Zschäpe (vorne, 2.v.r) sitzt am 19.07.2017 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern) zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (2.v.l) und Mathias Grasel (r). Zweite Reihe 3.v.l. der Angeklagte Ralf Wohlleben, in der hin
Der NSU-Prozess: Die Journalistin Annette Ramelsberger hat jeden Tag mitverfolgt. © dpa-Bildfunk / Andreas Gebert
Annette Ramelsberger im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.07.2018
Nach 437 Verhandlungstagen endet der NSU-Prozess. Ein Schlussstrich lässt sich jedoch nicht ziehen, sagt die Journalistin Annette Ramelsberger, die den Prozess von Anfang an beobachtet hat: "Ich halte es für möglich, dass das wieder passiert."
Nach fünf Jahren ist mit dem NSU-Prozess einer der längsten Indizienprozesse der Nachkriegsgeschichte mit einem Schuldspruch zu Ende gegangen. Dennoch werden wohl viele Fragen offen werden, etwa die, wie groß das Netzwerk um die rechte Terrorzelle wirklich war. Als abgeschlossen dürfe man den Fall daher nicht betrachten, sagt Annette Ramelsberger. Die Journalistin der Süddeutschen Zeitung hat jeden Prozesstag im Gerichtssaal mitverfolgt.

Zeugen, die die Morde begrüßten

"Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass durch das Urteil im NSU-Prozess jetzt alles gelöst wäre", sagt Ramelsberger im Deutschlandfunk Kultur. Viele Zeugen aus der rechten Szene hätten bei dem Verfahren deutlich gemacht, dass sie die Morde begrüßten und nichts zur Aufklärung beitragen wollten.
"Von solchen Leuten ist natürlich nichts Gutes zu erwarten und ich halte es für durchaus möglich, dass solche Morde wieder geschehen."

Zwei Jahre keine neuen Erkenntnisse

Das heutige Urteil kommt nach Einschätzung der Journalistin deutlich zu spät: "Es gab in den letzten zwei Jahren nur nur noch juristische Spiegelfechtereien. Man ist der Wahrheit nicht wirklich näher gekommen in den letzten Jahren und Monaten."
 Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung, 2014 in der Kategorie "Reporter" als Journalistin des Jahres ausgezeichnet.
Die Journalistin Annette Ramelsberger hat den NSU-Prozess von Anfang an beobachtet.© picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Der Rechtsstaat habe sich hier "sehr, sehr viel Zeit genommen". Gleichzeitig beschrieb Ramelsberger das Verhalten des Richters als intransparent. Er habe die Prozessbeobachter beispielsweise nicht daran teilhaben lassen, ob in der nächsten Woche ein wichtiger Zeuge komme oder nicht. "Es war einfach so: Götzl war da und wir mussten auch da sein."

Keine Protokolle des Verfahrens

Als "riesengroßen Fehler" bezeichnete die Journalistin außerdem die Entscheidung an der für Strafprozesse üblichen Praxis festzuhalten, das Verfahren nicht zu protokollieren. Alles, was heute über den Auschwitz-Prozess oder den Stammheim-Prozess bekannt sei, wisse man, weil dort mitgeschnitten worden sei. Anträge, auch den NSU-Prozess aufzuzeichnen, seien abgelehnt worden mit der Begründung, die Zeugen könnten dadurch in ihrer Aussage gehemmt werden. Ramelsberger hält dies "für wirklich sehr an den Haaren herbeigezogen".

Mitschreiben im Gerichtssaal

Diesen Jahrhundertprozess, "der wirklich einen wichtigen Meilenstein dieses Landes auch markiert" nicht aufzuzeichnen, sei nach Einschätzung vieler eine unmögliche Entscheidung: "Deswegen sitzen meine Kollegen und ich seit Anbeginn jeden einzelnen Tag in diesem Prozess und schreiben mit." Die dabei entstandenen 437 Protokolle der Verhandlungstage sollen im Herbst als mehrbändiges Werk erscheinen.
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