Fünf Jahre Dauersprudeln

Von Udo Schmidt |
Die Aschewolke ist abgezogen, der isländische Vulkan hat sich beruhigt. Sein indonesischer Kollege dagegen hat ein ausdauernderes Temperament: Seit fast fünf Jahren spuckt der Vulkan Lusi im Osten der Insel Java täglich Zehntausende Kubikmeter siedend heißen Schlamm aus.
Wer sich, wie wir, dem Schlammvulkan Lusi auf der Hauptstraße von Surabaya nach Malang nähert, sieht als erstes einen hohen Damm, der diese wichtige Querverbindung auf Java vor den Schlammmassen, die Lusi Tag für Tag produziert, schützt. Lastwagen quälen sich Stoßstange an Stoßstange über die vierspurige Straße. Vor vier Wochen erst ist der Damm wenige hundert Meter entfernt gebrochen, glücklicherweise nicht direkt an der Straße. Vor dem Damm steht ein kleines Holzhaus, in dem das Untersuchungsteam der Geohazard Monitoring Agency sitzt. Riko Aditya koordiniert seit einem Jahr die Arbeit des Teams:

"Wir halten hier die Veränderungen des Schlammvulkans fest, die Veränderungen des Kraterlochs, die Zahl der Eruptionen, die Bewegung des Schlamms und natürlich die Auswirkungen auf die Menschen hier in der Umgebung, vor allem, wenn es gefährlich wird."

40.000 Menschen sind in den vergangenen fünf Jahren vor der Gewalt des Schlammvulkans Lusi geflohen, erst in Flüchtlingsunterkünfte, nach Jahren in neue, bescheidene Häuser viele Kilometer entfernt.

Einer, der geblieben ist, ist Yudi. Er steht mit seinem Motorroller oben auf dem Deich. Er lebt jetzt von Lusi und bietet Touren rund um den Schlammvulkan an. Das Geschäft läuft gut, sagt er, am Wochenende kommen viele Touristen.

Dann holt Yudi Erinnerungsfotos aus seiner Brieftasche. Erinnerungen an seine Touristen, er selber mit cooler Mütze und dunkler Sonnenbrille mit einer französischen Reisenden an seiner Seite. Das Bild gefällt ihm besonders gut. Großflächig ist der Schlamm getrocknet, dazwischen fließt Wasser wie in Prielen, bis zum Horizont nur Schlamm, am Horizont dann vereinzelte Eruptionen und Dampfwolken.

Hier, sagt Yudi und zeigt auf eine Stelle einhundert Meter vom Schlammufer entfernt, hier stand mein Haus

"Während der Ölbohrungen ist dann plötzlich der Schlamm rausgeschossen , der hat hier alles überschwemmt und dann war mein Haus weg."

Wenige hundert Meter ragen die Dächer einer Möbelfabrik aus dem Wasser. Zum Glück sind alle lebend rausgekommen, sagt Yudi:

"Opfer hat es hier keine gegeben, aber es ging natürlich alles sehr schnell, weder die persönlichen Dinge noch die Maschinen hier konnten gerettet werden."

Tausende Arbeitsplätze gingen so 2006 verloren, insgesamt 25 Leder-, Textil- und Möbelfabriken versanken in Lusis Schlamm, bis dahin waren diese Fabriken die größten und wichtigsten Arbeitgeber der Region.

Lapindo, der staatliche Öl- und Gaskonzern hatte im Mai 2006 nach Öl gebohrt und das Bohrloch nicht richtig gesichert. Dies könnte der Auslöser des Schlammvulkans gewesen sein. Yudi sieht das so, viele Anwohner auch - bei internationalen Experten hat diese Annahme ebenfalls Anhänger. In den Orten rund um Lusi sprechen sie nur von Lumpur Lapindo. Lumpur bedeutet in Bahasa Schlamm und Lapindo – ist der Ölkonzern.

Riko Aditya, der jeden Tag auf den Schlammvulkan Lusi aufpasst, hält nicht viel von der Ölbohrungsthese.

"Der Vulkan ist zwar riesig, aber ansonsten anderen Schlammvulkanen sehr ähnlich. Natürlich gibt es Streit um die Ursache. Aber es spricht vieles für ein Erdbeben als Ursache."

Der Geologe Soffian Hadi, dessen Institut keine 20 Kilometer vom Mount Lusi entfernt liegt, sieht das auch so. Zwei Tage vor Lusis Ausbruch hatte sich ein Erdstoß der Stärke 6,3 ereignet:

"Nachdem Lusi ausgebrochen war, haben wir festgestellt, dass es in der Region 14 Schlammvulkane gibt, von denen Lusi natürlich der größte ist. Vor Lusi hatte sich niemand mit Schlammvulkanen auseinandergesetzt, bis dahin war das Thema nicht interessant."

Diese Schlammvulkane liegen auf einer Kette, sagt der Experte, Erdstöße als Auslöser seien wahrscheinlich.

Die Elementarschule von Penjarakan, Jugendliche toben auf dem Schulhof, es ist große Pause und die Jungs spielen Fußball, wie überall, auch wenn der Ball selber bereits arg in Mitleidenschaft gezogen ist.

Etwas aber ist anders: Die Schule von Penjarakan liegt direkt neben dem Damm. Hinter der Tafel beginnt der Schlammvulkan. Mudzakir Fakih ist der Direktor dieser Schule, ernst und würdevoll erzählt er, was 2006 geschah:

"Anfangs war die Gegend hier noch sicher, aber dann kam der Schlamm doch näher und die Schule musste für einen Monat in ein Flüchtlingslager weiter entfernt verlegt werden."

Dann blättert der Direktor in seinem großen Schulbuch, sucht ein genaues Datum. Im vergangenen September nämlich kehrte Lusi zur Schule zurück, in den Toilettenräumen platzte plötzlich eine Gasblase auf, die sechste Klasse musste für mehrere Tage umziehen.

"Plötzlich war da ein lautes Geräusch in den Toilettenräumen, Schlamm und Wasser haben hier alles überflutet."

Rizky Triputra ist einer von den Großen in der Schule von Penjarakan, er ist in der sechsten Klasse und bald mit der Elementarschule fertig. Er kann sich an die Geschehnisse vor fünf Jahren gut erinnern.

"Wir sind damals umgezogen, das war nicht so gut, seitdem ist es viel schwieriger, hier zur Schule zu kommen."

Bald ist Abschlussprüfung der sechsten Klasse, im nahegelegenen Mindi wartet eine Gruppe Mütter auf die heranwachsenden Sprösslinge. Sutiani sitzt auf ihrem Motorroller. Sie hat damals den Ausbruch des Schlammvulkans hautnah erlebt, ihr Dorf wurde als erstes zerstört:

"Ich hörte, wie die Menschen in meinem Ort schrien, raus, raus und weg, schnell, da kommt eine Flutwelle, und ich bin gerannt, um mich in Sicherheit zu bringen."

Jetzt lebt Sutiani viele Kilometer entfernt. Die Zahlung einer Entschädigung hat sich über Jahre hingezogen. Erst 20 Prozent, dann noch einmal 30, dann wieder 20, dann nichts mehr. Der Staat, zum Teil ausgestattet mit Geld des Ölunternehmens Lapindo, das allerdings jede Schuld von sich weist, der Staat hat gezahlt, aber zögerlich – und nicht alles.

Nun fahren die Mütter mit ihren Fahrrädern und Motorrollern jeden Tag zur Schule und zurück, um ihre Kinder zu begleiten. Immer mehr Frauen kommen rund um Sutiani zusammen, die Aufregung ist groß:

"Das war damals alles so plötzlich, wir konnten gerade noch unsere Kinder retten, aber nicht alle unsere Sachen."

Früher, früher war alles besser sagen die Mütter dann noch:

"Früher war es einfacher, jetzt haben wir immer den langen Weg mit unseren Kindern, und die Straßen sind viel schlechter."

Früher war alles besser, das hört man rund um den Schlammvulkan Lusi in der Nähe von Surabaya auf Java immer wieder. Und man hört es zu Recht. Früher gab es hier in Mindi direkt am Mount Lusi viel weniger Probleme, meint etwa Syailful Bakrie, der im Gemeindebüro sitzt, Verwaltungsangelegenheiten regelt, sich aber auch um den Garten kümmert:

"Erst war es natürlich die Angst vor dem Schlamm, die es uns schwer gemacht hat, hier zu leben, aber dann brach auch der ganze Handel zusammen, von dem wir hier leben. Das ist eigentlich das Schlimmste."

Syailful Bakrie bringt seinem Chef einen heißen Kaffee in das Büro nebenan, dann setzt er sich wieder. Draußen drückt eine fast unerträgliche Hitze, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, drinnen im Gemeindehaus ist es auch ohne Klimaanlage angenehm kühl. Syailful Bakrie weiß, was sich die meisten hier wünschen:

"Die Bewohner von Mindi wollen eigentlich nur noch weg hier, die Probleme werden doch nicht weniger, das Trinkwasser ist schlecht, die Qualität der Luft auch."

Bisher allerdings ist Mindi, obwohl nah am Schlammvulkan, kein Gebiet, für das Entschädigungen gezahlt werden. Die Bewohner Mindis wollen nun kämpfen für ihr Recht, sagen sie.

Ismutia Rahmi, die uns durch den Ort führt, sieht das etwas anderes, die meisten, meint sie, haben sich arrangiert mit dem Mount Lusi und seinem Schlamm.

"Viele sagen, dass sie schließlich hier zuhause sind, und sie fühlen sich durch Gott und ihren Glauben getragen, sie nehmen Lusi als Schicksal und leben mit dem Vulkan."

Wie es weitergeht mit dem Schlammvulkan Lusi, das weiß hier in Mindi niemand. Alle haben von den Vorhersagen gehört, dass Lusi noch mehr als 30 Jahre weitersprudeln wird.

Soffiani Hadi, der Geologe, könnte ihnen Mut machen. Falls er recht hat. Soffiani Hadi geht davon aus, dass Lusi bereits in wenigen Jahren versiegen wird. Anfangs seien täglich 150.000 Kubikmeter Schlamm ausgetreten, nun würden nur noch zehntausend Kubikmeter täglich gemessen.

"Wenn sich der jetzige Trend fortsetzt und immer weniger Schlamm austritt, dann könnte in zwei oder drei Jahren Schluss sein."

Vor vier Jahren wurden 40 Kilogramm schwere Betonkugeln in die Schlammquelle versenkt, erfolglos. Dann versuchte eine US-amerikanische Spezialfirma, mittels einer Rettungsbohrung eine chemische Substanz in das Bohrloch zu drücken, die den Wasser- und Schlammaufstieg stoppen sollte. Dazu kam es nicht, nach zwei Monaten wurde das US-Team abgezogen, Indonesiens Energieminister erklärte, der Versuch sei zum Scheitern verurteilt, noch mehr Geld wolle man nicht verschwenden. Die Erkenntnis bisher: Lusi lässt sich nicht verstopfen.

Und tritt auch immer wieder an neuen Stellen zutage. Auf der dem Damm gegenüberliegenden Seite der Hauptverkehrsstraße Surabaya–Malang liegt ein ganzes Viertel verlassen im Abendlicht. Manche Häuser scheinen fluchtartig geräumt worden zu sein, als hier plötzlich an vielen Stellen Gasblasen aufbrachen, der Boden nachgab und Wände einstürzten. Aber nicht alle Gebäude sind leer.

Ari Santoso ist mit Frau und Kind geblieben. Er verkauft Benzin aus Literflaschen an die wenigen Mopedfahrer, die vorbeikommen. Und er ist geblieben, obwohl der hintere Teil seines Hauses völlig zerstört ist.

"Ja, der Schlamm hat hier alles kaputtgemacht, und nun sind auch noch die Böden weggesackt."

180 kleine Austrittstellen wie die im verlassenen Viertel an der Hauptverkehrsstraße hat Lusi bisher produziert, sie tauchen plötzlich und unerwartet auf und sind daher besonders gefährlich

Im Büro des Schlammexperten Soffian Hadi in Surabaya: Es ist ein modernes Büro mit vielen Flachbildschirmen, die Möbel neu, die Büros aller Mitarbeiter seines Institutes großflächig verglast. Soffian Hadi ist ein vielbeschäftigter Mann, Ende des Monats ist er Gastgeber einer Experten-Tagung zum Schlammvulkan. Man wird streiten über Sofian Hadis Thesen, dass Lusi und die Ölbohrung nichts miteinander zu tun haben und der Schlammvulkan in wenigen Jahren versiegen wird.

Aufgeregt winkt er uns an den Schreibtisch, auf dem Laptop hat er schwer identifizierbare Fotos hochgeladen.

"Wahrscheinlich haben wir gestern einen ganz neuen Schlammvulkan nicht weit von hier entdeckt. Wir müssen die Satellitenbilder noch genauer prüfen, aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher. Es gibt da eben eine spezielle Farbe und auch einen ganz besonderen Umriss."

Soffian Hadi ist begeisterter, leidenschaftlicher Schlammvulkan-Experte. Damit, so schätzt er selber ein, steht er in Indonesien ziemlich alleine da. Aber auch wenn das Schlammvulkan-Geschäft nicht einträglich ist, der gutgelaunte Experte im buntgemusterten Hemd hat ein Ziel:

"Wenn wir die Grundmuster der Entstehung eines Schlammvulkans begreifen, dann können wir vielleicht vorhersagen, wo der nächste ausbricht und damit vielen Menschen helfen."

Das Untersuchungs-Team rund um Riko Aditya hilft sich an manchen Tagen selber, immer dann, wenn den Männern der Schlamm buchstäblich zu Kopf gestiegen ist:

""Wir gehen manchmal in die Mitte des Schlammvulkans, dort wo die Quelle ist und halten unsere Füße in das heiße Wasser. Das ist wie ein Spa.""

Und doch nicht zur Nachahmung empfohlen.


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