Führerschein für den Rollator

Von Elin Rosteck · 10.05.2013
Er sollte eine Hilfe im täglichen Leben sein - doch viele alte Leute können ihren Rollator nur schlecht bedienen. Ein Kölner Krankenhaus bietet nun ein Training an, bei dem die Senioren erfahren, wie sie bucklige Böden und heimtückische Hindernisse überwinden.
"Um so das Bürokratische zu regeln, könnten Sie mir einmal die Teilnahmegebühr von 19 Euro entrichten - ja - dann bekommen Sie das erste Dokument für den heutigen Tag, nämlich die Quittung ..."

Larsen Lechler lässt seinen ganzen Charme spielen am Empfangstisch, um seine Teilnehmer gleich positiv auf den Rollator-Kurs einzustimmen. Bei der alten Dame mit der Rüschenbluse und dem frisch gelegten, silbrig-grauen Haar läuft er offene Türen ein:

"Ich gehe auch von selber leicht sehr krumm; da wollte ich vielleicht mal 'ne Hilfe haben. Man muss das natürlich auch besser selber machen, aber wenn einem das noch mal einer zeigt und sagt, dann ist das noch besser."

Die 85-jährige Henriette Brandenburg schiebt ihren Rollator zu einem der letzten Plätze im Kellergeschoss des Malteser-Krankenhauses St. Hildegardis in Köln und Lechler legt los: Theorie. Der Diplom-Sportlehrer und Leiter der ambulanten Kurse im Krankenhaus wirft die erste Folie an die Wand: Fotos von Rollator-Fahrern in unterschiedlicher Körperhaltung.

"Fällt ihnen was auf? Oder möchten Sie was sagen zu einem der Bilder, weil Ihnen auffällt, das es besonders gut ist oder besonders falsch ist - Schlecht ist oben links, würde ich sagen - Gut ist oben links …"

Geübt wird auf einem Parcours des Krankenhauses
Henriette Brandenburg ist aufmerksam. Ihr hat noch nie jemand den Rollator erklärt. Sie hat ihn nicht vom Arzt, sondern von ihrer Nachbarin geerbt und nutzt ihn zum Einkaufen in ihren Viertel. Andere sind nur deshalb hier, weil ihre Kinder sie angemeldet haben. Lechler geht in die Aufwärmphase über. Seit Anfang 2012 bietet er diese Kurse an.

"Alle Bremsen aufgestellt oder angezogen? Halten Sie sich mit beiden Händen an den Griffen fest, und jetzt kommen wir mal mit dem rechten Bein beginnend nach oben, und wieder runter …"

Frau Brandenburg schnauft, so viel Sport hat sie lange nicht gemacht. Dann noch die Griffhöhe richtig eingestellt, und es geht raus nach draußen, auf den krankenhauseigenen Parcours. Die 16 Teilnehmer haben sich aufgeteilt, in Vierer-Gruppen mit je einem Physiotherapeuten.

"So, wir versuchen gleich anzuwenden, was Sie gelernt haben: schön gerade gehen, sich abstützen, nach vorne schauen. Wir gehen mal bis zu dem Gulli davorne, ja? - Ja, machen wir!"

Frau Brandenburg und ihre neuen Team-Kolleginnen schieben im Gänsemarsch eine gepflasterte Rampe hinauf, die zu einer Rasenfläche führt. Zwischen Pflaster und Rasen ragt eine Art Bordsteinkante empor, etwa zehn Zentimeter hoch.

"Wir wollen jetzt über den Bordstein, über den Rasen bis zur Sandfläche gehen, okay?"

Rückwärts über die Kante, so die Ansage der Physiotherapeutin, aber Frau Brandenburg hat Bedenken.

"Rückwärts, im Straßenverkehr mich immer umzudrehen ... - Aber sonst geht's schwerer, ne? - Soooo, und jetzt; so ist es richtig (pusten). An den Ampeln sind die ja auch alle flach."

Ergonomisch korrekt sieht anders aus
Bucklige Böden und heimtückische Hindernisse wie im echten Leben lernen sie hier kennen, um sicherer zu werden. Frau Brandenburg hebt am Ende des Rasens ihren Rollator doch wieder aus dem Kreuz heraus über die Bordsteinkante. Ergonomisch korrekt sieht anders aus.

"Ich mach das immer so - Ja, ich auch ... - Wenn Ihnen das zu schwer ist mit immer rübertragen, dann müssten Sie überlegen, ob Sie sich den umtauschen lassen in einen Leichtgewicht-Rollator. Der zum Beispiel von der Dame wiegt zehn Kilo weniger - Bestimmt? - Hm. - Den zahlt auch die Krankenkasse."

Die wenigsten alten Leute wissen Bescheid über das Hilfsmittel Rollator, sagt Larsen Lechler. Selbst Ärzte könnten manchmal nicht weiterhelfen. Dann widmet der Kursleiter sich wieder einer Einzel-Patientin, die im Hof Slalom um farbige Hütchen übt.

"Langsamer, noch langsamer! Damit Sie eng am Rollator gehen können und sich groß machen können!"

Larsen Lechler: "In vielen Bereichen ist es noch nicht angekommen, dass man vom Umgang mit dem Hilfsmittel über Planung über Gehwege Radwege, Kanten, Bordsteine et cetera, also Städteplanung, das mit einbindet. Das gibt's einfach noch nicht."

Die Zahl der über 100-Jährigen in Deutschland wächst
Anfangs ist er von Kollegen belächelt worden für sein Rollator-Training, inzwischen ist er ein gefragter Experte, der zum Beispiel die Kölner Polizei berät. Sie will demnächst ein spezielles Verkehrssicherheitstraining für Rollatorfahrer anbieten. So langsam kommt das Thema in den Köpfen an.

"Das wird die größte Gruppe Menschen mit Hilfsmitteln werden, denke ich. Weil, wenn man sich die Bevölkerungsentwicklung anschaut, im Jahr 2050 - mal so in die Zukunft geschaut - werden wir in Deutschland 115.000 über 100-jährige Menschen haben. Das heißt, die Bevölkerungsgruppe 65 plus wird die größte Bevölkerungsgruppe sein. Es kann nur so sein, dass es viele Rollatornutzer gibt."

Physiotherapeutin: "So, jetzt hinsetzen mit dem Rollator - nein, noch nicht! Immer so weit zurückgehen, dass Sie den Stuhl oder Bank in den Kniekehlen spüren!"

Wie gerne würden sie ein Päuschen machen auf dieser Bank in der Sonne, aber der Parcours hält noch manche Schikane bereit. Anderthalb Stunden dauert das Training und es lohnt sich, sagt sogar die Dame, die heute ihren ersten Tag mit dem Rollator hatte:

"Gut, aber anstrengend. Ja, meine Arme sind kaputt, weil man sich zu sehr anstrengt und aufstützt und weil das alles ganz neu ist."

Lechler: "Fit für die letzte Runde? Wenn Sie langsam gehen, und eng im Rollator, dann gehe ich mit Ihnen zum Ausgangstor."

Schluss für heute. Die Damen rollern zurück in den Schulungsraum, Henriette Brandenburg mittendrin. Als Clou des Tages kriegt auch sie den Rollator-Führerschein ausgehändigt. Der Kurs im Juni ist schon wieder fast ausgebucht.