Führer-los, aber nicht führerlos
Es gibt nicht viele Pfarrer, die zur Amtseinführung eine große Pressekonferenz geben müssen. Bernhard Stief musste. Im Juli übernahm er die Pfarrstelle in der Leipziger Nikolaikirche von Christian Führer, der in Rente ging. Der gilt als einer der Wegbereiter der Wende. Seit 100 Tagen ist Bernhard Stief nun im Amt.
Stief: "Der Mut, die Kirche zur Verfügung zu stellen. Das auch auszuhalten, auch auf die Gefahr hin, dass es von außen noch mehr Druck gibt. Das ist einfach ganz stark. Und solche Orte müssen die Kirchen bleiben. Orte, wo Menschen reden können. Wo sie ihre Sorgen laut werden lassen können. Und das schätz ich hier. Und da freu ich mich auch, dass die Kirche dafür steht."
Die Fußstapfen, in die der 39-jährige Pfarrer Bernhard Stief tritt, sind groß. Sein Vorgänger Christian Führer ist nicht irgendeiner und die Nikolaikirche ist nicht irgendeine. Das zeigen schon die Einträge im Gästebuch – in den Sprachen aller Herrenländer.
"Hier hat alles begonnen. Wir sind froh, hier zu sein.
Ich bin nicht gläubig, aber diese Kirche ist so einmalig, dass es mir kalt den Rücken runterläuft. E.
Eine ergreifende Vorstellung, dass man von so einem Fleck aus die unblutige Wiedervereinigung möglich machte. Danke."
Stief: "Die Nikolaikirche ist ein Symbol. Das müssen wir irgendwie erhalten natürlich, dass wir immer wieder dran erinnern. Und immer wieder drauf aufmerksam machen, dass wir unsere Tore nicht verschließen. Offen für alle – damit wirbt die Nikolaikirche und das will sie einfach auch sein."
Seit 1982 finden in der Nikolaikirche jeden Montag um 17 Uhr Friedensgebete statt, ob nur für zwei Menschen oder für 70.000 - wie am 9. Oktober 1989; dem Tag, an dem die Opposition in der DDR Massenbewegung wurde und die Stadt Leipzig, fast 200 Jahre nach der Völkerschlacht, wieder ihren Titel als Heldenstadt bekam.
Stief: "Ein Held ist immer so etwas Herausgehobenes. Gut, die Helden waren hier das Volk. Die einfachen Menschen. Und das wird mir auch immer wieder deutlich gemacht, dass die Friedensgebete eine Aktion, eine Sache des Volkes sind. Nicht bloß die Nikolaikirche ist eine Kirche, die Heldentaten vollbracht hat, nicht nur Leipzig ist die Stadt der Helden, sondern es gibt mehrere."
Die Ereignisse im Herbst 89 beeinflussten Bernhard Stiefs Leben nachhaltig. In der DDR durfte er als Pfarrerssohn nicht studieren, also ging er zunächst bei einem Orgelbauer in die Lehre. Dort entdeckte er, ganz unvermutet, seine handwerkliche Begabung. Auf die wollte er sich aber doch nicht verlassen und holte in der Abendschule das Abitur nach. 1990 ging er dann nach Leipzig, um Theologie zu studieren.
Stief: "Ich hab endlich mal richtig was von Geschichte gehört. In der DDR-Schulzeit, da gab’s die Geschichte der Arbeiterklasse, des Marxismus-Leninismus, was man dann an vielen Stellen immer wieder hören musste. Also das war einfach gut, dort nachzuholen, da hat man einen unwahrscheinlichen Bedarf gehabt."
Vor zehn Jahren trat der große und schlanke Pfarrer mit den strahlenden Augen seine erste Stelle an, in Weißenborn, einer kleinen Gemeinde im Erzgebirge. Dort war er für alles zuständig – für die Jugend- und Seniorenarbeit, für die Gottesdienste, die Friedhöfe und die Verwaltung.
Stief: "Wenn man auf dem Land als Pfarrer lebt, da ist immer Begängnis, da kommen immer Leute. Hier sind die Menschen oftmals allein, wenn ich die besuche, das ist für mich ein ganz unglaublicher Aha-Effekt. Dort ist es sehr familiär, ich hab mich oft auch versucht einzubringen, was die Öffentlichkeit betrifft. Also der Pfarrer war dort neben dem Bürgermeister schon wirklich auch ne Institution und gehört für die Leute auch einfach dazu."
Im Juli wurde Pfarrer Stief mit einem feierlichen Gottesdienst in der Nikolaikirche willkommen geheißen. Seitdem ist er Chef eines ganzen Mitarbeiterstabes. In der Öffentlichkeit steht er ebenso wie früher auf dem Land, nur fragen in Leipzig aufgrund der Popularität der Nikolaikirche die überregionalen Medien an und die Hochprominenz lässt sich auch gerne sehen.
Stief: "Ich mach das einfach jetzt alles mit, ne? Ich hab ja hier noch keinen Namen, ich lebe von dem, was auch mein Vorgänger Pfarrer Führer natürlich hier auch getan hat und versuche einfach hier meine Spuren zu setzen. Ich merke einfach, dass ganz viel auch an mich heran getragen wird hier in der Stadt, was ich so auf dem Land nicht erlebt habe, auch an sozialen Brennpunkten, was die Armut betrifft. Dass die Kirche oftmals auch gebraucht wird, um auf Probleme aufmerksam zu machen."
"Vielen Dank für die gute Pflege dieses Ortes – diese Kirche atmet wirklich G.
Ich bin berührt, an dem Ort zu sein, an dem die Montagsgebete gehalten wurden. P.
Diese Kirche hat mich wirklich beeindruckt. Ich fühle mich Gott hier näher als sonst wo auf der Welt. T."
Der Pfarrer der Nikolaikirche findet Gehör. Jahrelang versuchten zum Beispiel die Frauen, die zu DDR-Zeiten geschieden wurden, auf ihre missliche Situation aufmerksam zu machen. Sie wurden im Einheitsvertrag nämlich vergessen und bekommen keinen im Westen üblichen Versorgungsausgleich. Medienresonanz bisher: null. Nach einem Fürbittgottesdienst in der Nikolaikirche am Vorabend des 3. Oktober bekam ihr Anliegen nun überregionale Aufmerksamkeit. Bernhard Stief stellt den guten Namen der Nikolaikirche gern für eine gute Sache zur Verfügung. Seine Schwerpunkte setzt er jedoch anders.
Stief: "Also die Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig und die mach ich jetzt auch mit, aber ein großer Schwerpunkt liegt für mich auf der Gemeindearbeit und ich habe auch das abgespürt, dass also die Gemeinde gerne möchte, dass sie also auch wieder in den Blick genommen wird. Das will ich nicht sagen, dass das vorneweg nicht passiert ist, aber einfach die Öffentlichkeitsarbeit verlangt ihren Preis."
Damit der neue Pfarrer eigene Akzente setzen kann, ist es Brauch, dass der pensionierte Pfarrer sich für ein Jahr zurück nimmt. Bernhard Stief wird Bewährtes aber auch bewahren. Und so bleibt es dabei: Jeden Montag um 17 Uhr Friedensgebet in der Nikolaikirche.
Stief: "Wer hier alles beteiligt ist. Wer hier mitmacht. Das kann man nicht einfach abbrechen. Das geht nicht. Und das muss weiterlaufen, ne?"
Die Fußstapfen, in die der 39-jährige Pfarrer Bernhard Stief tritt, sind groß. Sein Vorgänger Christian Führer ist nicht irgendeiner und die Nikolaikirche ist nicht irgendeine. Das zeigen schon die Einträge im Gästebuch – in den Sprachen aller Herrenländer.
"Hier hat alles begonnen. Wir sind froh, hier zu sein.
Ich bin nicht gläubig, aber diese Kirche ist so einmalig, dass es mir kalt den Rücken runterläuft. E.
Eine ergreifende Vorstellung, dass man von so einem Fleck aus die unblutige Wiedervereinigung möglich machte. Danke."
Stief: "Die Nikolaikirche ist ein Symbol. Das müssen wir irgendwie erhalten natürlich, dass wir immer wieder dran erinnern. Und immer wieder drauf aufmerksam machen, dass wir unsere Tore nicht verschließen. Offen für alle – damit wirbt die Nikolaikirche und das will sie einfach auch sein."
Seit 1982 finden in der Nikolaikirche jeden Montag um 17 Uhr Friedensgebete statt, ob nur für zwei Menschen oder für 70.000 - wie am 9. Oktober 1989; dem Tag, an dem die Opposition in der DDR Massenbewegung wurde und die Stadt Leipzig, fast 200 Jahre nach der Völkerschlacht, wieder ihren Titel als Heldenstadt bekam.
Stief: "Ein Held ist immer so etwas Herausgehobenes. Gut, die Helden waren hier das Volk. Die einfachen Menschen. Und das wird mir auch immer wieder deutlich gemacht, dass die Friedensgebete eine Aktion, eine Sache des Volkes sind. Nicht bloß die Nikolaikirche ist eine Kirche, die Heldentaten vollbracht hat, nicht nur Leipzig ist die Stadt der Helden, sondern es gibt mehrere."
Die Ereignisse im Herbst 89 beeinflussten Bernhard Stiefs Leben nachhaltig. In der DDR durfte er als Pfarrerssohn nicht studieren, also ging er zunächst bei einem Orgelbauer in die Lehre. Dort entdeckte er, ganz unvermutet, seine handwerkliche Begabung. Auf die wollte er sich aber doch nicht verlassen und holte in der Abendschule das Abitur nach. 1990 ging er dann nach Leipzig, um Theologie zu studieren.
Stief: "Ich hab endlich mal richtig was von Geschichte gehört. In der DDR-Schulzeit, da gab’s die Geschichte der Arbeiterklasse, des Marxismus-Leninismus, was man dann an vielen Stellen immer wieder hören musste. Also das war einfach gut, dort nachzuholen, da hat man einen unwahrscheinlichen Bedarf gehabt."
Vor zehn Jahren trat der große und schlanke Pfarrer mit den strahlenden Augen seine erste Stelle an, in Weißenborn, einer kleinen Gemeinde im Erzgebirge. Dort war er für alles zuständig – für die Jugend- und Seniorenarbeit, für die Gottesdienste, die Friedhöfe und die Verwaltung.
Stief: "Wenn man auf dem Land als Pfarrer lebt, da ist immer Begängnis, da kommen immer Leute. Hier sind die Menschen oftmals allein, wenn ich die besuche, das ist für mich ein ganz unglaublicher Aha-Effekt. Dort ist es sehr familiär, ich hab mich oft auch versucht einzubringen, was die Öffentlichkeit betrifft. Also der Pfarrer war dort neben dem Bürgermeister schon wirklich auch ne Institution und gehört für die Leute auch einfach dazu."
Im Juli wurde Pfarrer Stief mit einem feierlichen Gottesdienst in der Nikolaikirche willkommen geheißen. Seitdem ist er Chef eines ganzen Mitarbeiterstabes. In der Öffentlichkeit steht er ebenso wie früher auf dem Land, nur fragen in Leipzig aufgrund der Popularität der Nikolaikirche die überregionalen Medien an und die Hochprominenz lässt sich auch gerne sehen.
Stief: "Ich mach das einfach jetzt alles mit, ne? Ich hab ja hier noch keinen Namen, ich lebe von dem, was auch mein Vorgänger Pfarrer Führer natürlich hier auch getan hat und versuche einfach hier meine Spuren zu setzen. Ich merke einfach, dass ganz viel auch an mich heran getragen wird hier in der Stadt, was ich so auf dem Land nicht erlebt habe, auch an sozialen Brennpunkten, was die Armut betrifft. Dass die Kirche oftmals auch gebraucht wird, um auf Probleme aufmerksam zu machen."
"Vielen Dank für die gute Pflege dieses Ortes – diese Kirche atmet wirklich G.
Ich bin berührt, an dem Ort zu sein, an dem die Montagsgebete gehalten wurden. P.
Diese Kirche hat mich wirklich beeindruckt. Ich fühle mich Gott hier näher als sonst wo auf der Welt. T."
Der Pfarrer der Nikolaikirche findet Gehör. Jahrelang versuchten zum Beispiel die Frauen, die zu DDR-Zeiten geschieden wurden, auf ihre missliche Situation aufmerksam zu machen. Sie wurden im Einheitsvertrag nämlich vergessen und bekommen keinen im Westen üblichen Versorgungsausgleich. Medienresonanz bisher: null. Nach einem Fürbittgottesdienst in der Nikolaikirche am Vorabend des 3. Oktober bekam ihr Anliegen nun überregionale Aufmerksamkeit. Bernhard Stief stellt den guten Namen der Nikolaikirche gern für eine gute Sache zur Verfügung. Seine Schwerpunkte setzt er jedoch anders.
Stief: "Also die Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig und die mach ich jetzt auch mit, aber ein großer Schwerpunkt liegt für mich auf der Gemeindearbeit und ich habe auch das abgespürt, dass also die Gemeinde gerne möchte, dass sie also auch wieder in den Blick genommen wird. Das will ich nicht sagen, dass das vorneweg nicht passiert ist, aber einfach die Öffentlichkeitsarbeit verlangt ihren Preis."
Damit der neue Pfarrer eigene Akzente setzen kann, ist es Brauch, dass der pensionierte Pfarrer sich für ein Jahr zurück nimmt. Bernhard Stief wird Bewährtes aber auch bewahren. Und so bleibt es dabei: Jeden Montag um 17 Uhr Friedensgebet in der Nikolaikirche.
Stief: "Wer hier alles beteiligt ist. Wer hier mitmacht. Das kann man nicht einfach abbrechen. Das geht nicht. Und das muss weiterlaufen, ne?"