Fühl dich schwarz

Von Stefan Keim · 02.06.2011
In den 60er Jahren, während der Rassenunruhen in den Vereinigten Staaten, schrieb George Tabori sein Stück "Die Demonstration". Das Theaterspiel dreht sich um die typischen Tabori-Themen: Täter werden zu Opfern und umgekehrt.
Leiden will gelernt sein. Der 92jährige Monsieur Y hat den Gestapokeller in Rouen überstanden und lebt nun mit seiner Frau in den USA. Er fühlt sich schuldig, weil er nicht ermordet wurde wie so viele andere. Weil er Muscheln isst, während andere leiden. Er beschließt, freiwillig in den Tod zu gehen. In den sechziger Jahren, als George Tabori sein Stück "Die Demonstration" schrieb, gab es Rassenunruhen in den Vereinigten Staaten. Monsieur Y will nach Mississippi reisen, mitten hinein in die Kämpfe und sich dort erschlagen lassen. Doch so eine Reise muss für einen anständigen Bildungsbürger gut vorbereitet sein. Also engagiert seine Frau Madame X zwei Schwarze, die ihn mit praktischen Übungen vorbereiten sollen. Eine Art Märtyrer-Workshop beginnt. Frank Hoffmann inszenierte nun die deutsche Erstaufführung des lange vergessenen Textes bei den Ruhrfestspielen.

Tabori war schon über 50, als er das Stück schrieb, aber als Dramatiker noch jung. Er hatte gerade mit seiner damaligen Frau Viveca Lindfors die Theatergruppe "The Strolling Players" gegründet. Bei der Uraufführung der "Demonstration" spielten Stacy Keach und der junge Morgan Freeman mit, Tabori hatte einen guten Namen als Drehbuchautor für Alfred Hitchcock. Das Stück dreht sich um einige typische Tabori-Themen. Täter werden zu opfern und umgekehrt. Die beiden schwarzen Freiheitskämpfer erzählen von ihrer Unterdrückung und übernehmen die Rolle der Folterer. Das Spiel – die Demonstration – bekommt eine Eigendynamik. Plötzlich lässt sich der Mechanismus nicht mehr beherrschen, die Bestialität beherrscht die Menschen. Monsieur Y glaubt zwischendurch die Erlösung gefunden zu haben. Er fühlt sich schwarz und von Gott geliebt, als Leidender, als Opfer. Doch dann wird es ihm zu viel. Er hört einfach auf, ein Schwarzer zu sein und geht. Diese Hintertür hat ein bürgerlicher Weißer eben.

Obwohl es einige Szenen mit groteskem Humor gibt, ist hier nicht der weise, freundliche Tabori zu entdecken. "Die Demonstration" ist näher beim bitterbösen Witz der kurze Zeit später entstandenen "Kannibalen" als beim Klassiker "Mein Kampf", in dem Tabori den beharrlichen Traum formuliert, auch den Feind, das Monster, den Schlächter zu lieben. Es gibt nur eine Szene, in der Monsieur Y und Madame X – wahrscheinlich nach ihren Chromosomen benannt – sich als Ehepaar zu erkennen geben und eine verzweifelte Zärtlichkeit durch das Stück weht. Sie erfüllt ihm seinen Wunsch, gequält zu werden, weil sie hofft, dass er kurz vor der Selbstzerstörung haltmacht.

Christiane Rausch spielt das ebenso unsentimental wie Martin Brambach den greisen Monsieur Y gibt. Bei seinem ersten Auftritt stolpert er gleichüber seinen Sessel, trägt eine schlechte Gummiperücke und chargiert wie in der Commedia dell´arte. An genau gesetzten Momenten lässt Regisseur Frank Hoffmann normale, echte Töne sprechen. Auch die beiden aus Nigeria stammenden Schauspieler Jubril Sulaimon und Michael Ojake halten ihre Rollen ausgezeichnet in der Schwebe zwischen Ironie und Tragik. Ein komplexes, hartes Stück mit tiefschwarzem Humor, der kein Schmunzeln zulässt. Taboris überwältigende Menschlichkeit steckt darin. Aber den Weg zu ihr muss man sich erarbeiten.


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