Frustrationspotenzial für Kinogänger
Nach Meinung des Kinobetreibers Joachim Kühn könnten die hohen Kosten der Digitalisierung zu einer deutlichen Einschränkung der Programm-Bandbreite führen. Auch würden Filme wahrscheinlich schneller aus dem Angebot der Kinos verschwinden.
Gabi Wuttke: Wer immer heute Abend den Europäischen Filmpreis gewinnt – die großen Kinos in Deutschland sind ihm sicher. Aber wie ist es um die Lichtspielhäuser im 21. Jahrhundert im Zeitalter der Digitalisierung bestellt? Wann ist der Filmprojektor nur noch im Museum zu sehen, genauso wie die gute alte Filmrolle?
All dies kann Joachim Kühn erklären. Er ist Mitglied der Europäischen Filmakademie, Kinobetreiber und mit seiner Firma Real Fiction auch Filmeverleiher. Einen schönen guten Morgen, Herr Kühn.
Joachim Kühn: Schönen guten Morgen.
Wuttke: Wie weit ist die Digitalisierung der Kinos fortgeschritten?
Kühn: Wir befinden uns gerade wirklich in den letzten Schritten zur kompletten Digitalisierung hin, das heißt, im Moment sind schon viele Kinos digitalisiert, und im Laufe des nächsten Jahres wird eigentlich der größte Teil des Kinomarktes auch dann umgerüstet sein.
Wuttke: Was heißt das denn ganz praktisch? Wie kommt der Film ins Kino und im Kino auf die Leinwand?
Kühn: Ja, das wird nicht mehr mit den großen Kartons passieren, mit denen das früher passierte, wo dann die großen Filmrollen in die Kinos geliefert werden, sondern es werden nur noch Festplatten geliefert. Computerfestplatten, mit denen der Kinobetreiber dann seine Computer aufrüstet, sprich, er lädt diese Dateien dann hoch, hat die dann auf seinem Computer und kann sie dann mit einem Knopfdruck abspielen über Videobeamer.
Wuttke: Und was kostet das Ganze? Und wen, vor allen Dingen?
Kühn: Diese Umrüstung der Kinos von den 35-Millimeter-Projektoren auf die digitalen Formate kostet viel Geld. Das kostet ungefähr 80.000 Euro pro Leinwand. Das heißt, wenn man ein Kino mit zehn Sälen hat, sind das 800.000 Euro. Bezahlt wird das aus ganz verschiedenen Töpfen. Da hat es verschiedene Finanzierungsmodelle gegeben, an denen dann die Filmförderungsanstalt beteiligt ist, die regionalen Filmförderer. Aber auch die Branche selbst, also die Kinos und die Verleiher müssen ihren Teil zur Finanzierung beitragen.
Wuttke: Wie bewerten Sie denn diese Gemengelage? Als ganz plumpes Beispiel: Wie verhandelt ein Blockbuster-Produzent mit einem Cineplex-Betreiber?
Kühn: Na ja, da verhandelt dann ja später der Verleiher, also derjenige, der den Film dann ins Kino bringt. Und der muss dann mit den Kinos aushandeln, in wie vielen Kinos wird der Film gezeigt werden in Deutschland. Und dann auch, zu welchen Uhrzeiten und wie oft wird er am Tag gezeigt. Und all dies ist dann hinterher auch ausschlaggebend dafür, wie hoch dann auch der Beteiligungsbeitrag der Verleiher daran ist, an der Digitalisierung. Da sind also jetzt bestimmte Margen festgelegt worden, bestimmte Quoten, und dafür muss dann der Verleiher auch Geld bezahlen.
Wuttke: Und wie wuppen Sie das?
Kühn: Als Verleiher ist das eine Sache, der wir sehr zwiespältig gegenüberstehen, denn das ganze Modell ist jetzt installiert worden, um die erste Digitalisierung zu bezahlen. Wir fürchten aber, dass das nicht dabei bleiben wird. Wir fürchten, dass es dann irgendwann doch spürbar wird, dass bei digitalen Kinos die Kosten für die weitere technische Modernisierung und auch für die Aufrechterhaltung des Status quo, also sprich der Geräte, der Erneuerung der Geräte sehr, sehr hoch sein wird auf Dauer. Und nicht nur jetzt einmalig, um die Kinos umzurüsten, so dass wir befürchten, dass diese Beteiligung, diese Kostenbeteiligung auf Dauer bleiben wird.
Wuttke: Wie ist das denn überhaupt auch mit den Kosten und mit den Konditionen und natürlich vor allen Dingen, mal aus der Perspektive des Zuschauers, der Zuschauerin gefragt, mit der Auswahl der Filme? Welcher Verhandlungsspielraum steht Ihnen da zur Verfügung, beziehungsweise welche Kröten müssen Sie schlucken?
Kühn: Jetzt aus Kinosicht gesprochen, haben wir natürlich durch die Digitalisierung eine viel größere Auswahl an Filmen zur Verfügung, denn die Verleiher sind nicht mehr dadurch gebunden, dass sie nur eine bestimmte Anzahl von Kopien machen können. Sie können also viel mehr Kopien machen. Die Gefahr allerdings dabei ist, dass sich dann bei einem Angebot von, sagen wir einmal, 15 Filmen, die in einer Woche starten, die meisten Kinos dann auf ein oder zwei Filme stürzen werden, die vermeintlich publikumsträchtig sind, und bei den anderen Filmen dann sagen, ach, die spiele ich lieber nicht, das Risiko ist mir zu hoch – und dann fallen die hintenüber. Also die Gefahr sehen wir für die Zukunft auch, dass sich da das immer mehr konzentrieren wird auf vermeintlich publikumsträchtige Filme.
Wuttke: Das heißt, auch kleine Kinos mit einem Arthouse-Angebot haben das Nachsehen. Wieder einmal.
Kühn: Die Kinos haben nicht unbedingt das Nachsehen. Eher haben die Filme vor allem das Nachsehen. Denn die sind ja dann … da sind ja dann viele, die hintenüber fallen und auch nur vielleicht kurz gezeigt werden, nicht mehr lange gespielt werden. Also da fürchten wir vor allem, dass der Wechsel in den Programmen viel, viel schneller geht, dass man sagt, wir probieren diese Woche diesen Film aus. Wenn es nicht geht, nehmen wir einen anderen. Und dass der Zuschauer gar nicht mehr die Chance hat, auch über Mundpropaganda zum Beispiel Filme empfohlen zu bekommen und dann in der zweiten, dritten, vierten Woche noch in den Film reinzugehen, sondern dann merkt, ach, jetzt ist der Film leider schon wieder weg. Und das ist natürlich ein Frustrationspotenzial, da haben wir also große Bedenken.
Wuttke: Das heißt, Digitalisierung ist, im Ungefähren zumindest, gleichzusetzen mit Mainstream?
Kühn: Mit einer Beschleunigung, würde ich vor allem sagen. Mit einer Beschleunigung und einer steigenden Anzahl an Filmen, die in die Kinos kommen werden. Und damit aber auch mit einem Verlust von Qualitäten, die wir für wichtig befinden, denn wenn man jetzt sieht, wer im deutschen Film, im Europäischen Filmpreis jetzt nominiert ist – Filmemacher wie Michael Haneke zum Beispiel –, der hat über lange, lange Jahre auch mit ganz kleinen Filmen leben müssen, die wenig Beachtung fanden, die nur in kleinen Programmkinos liefen, die aber vor allem auch über Jahre immer wieder gezeigt wurden. Das heißt, die in Filmreihen gezeigt wurden, die irgendwie in Filmkunsttagen gezeigt wurden. Und wir fürchten, dass diese Art von Einsätzen verschwinden wird. Was aber dann vielen Filmemachern irgendwie die Möglichkeit einer Entwicklung auch nimmt.
Wuttke: Das heißt also, der Kosmos der Geschichten, die das Kino erzählt, wird uns durch Digitalisierung, um es mal ganz scharf zu formulieren, erklärt, als sei die Erde eine Scheibe?
Kühn: Ja, gut, das kann man so sagen – eine Disc, genau.
Wuttke: Das heißt, wenn Sie heute Abend verfolgen werden, wer den Europäischen Filmpreis bekommt, dann könnte das – Sie haben ja gesagt, die Digitalisierung ist in der letzten Phase – heißen, schon im nächsten Jahr ist Schluss mit lustig?
Kühn: Na ja, Schluss nicht, aber das Angebot wird vielleicht schmaler werden. Und ich glaube auch nicht, dass das direkt in einem, im nächsten Jahr spürbar wird. Ich glaube, das wird eine Entwicklung sein, die eher über die nächsten zwei, drei, vier Jahre zu beobachten sein wird. Und dass wir da dann möglicherweise merken, dass die Digitalisierung neben den Vorteilen, von denen immer geredet wurde, auch durchaus Nachteile haben wird auf die Bandbreite des Angebotes im Kino. Das bleibt abzuwarten, aber das ist eine Befürchtung von uns.
Wuttke: Sagt Joachim Kühn im Interview von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen, wünsche Ihnen natürlich für die Zukunft toi, toi, toi und ein schönes Wochenende.
Kühn: Ja, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
All dies kann Joachim Kühn erklären. Er ist Mitglied der Europäischen Filmakademie, Kinobetreiber und mit seiner Firma Real Fiction auch Filmeverleiher. Einen schönen guten Morgen, Herr Kühn.
Joachim Kühn: Schönen guten Morgen.
Wuttke: Wie weit ist die Digitalisierung der Kinos fortgeschritten?
Kühn: Wir befinden uns gerade wirklich in den letzten Schritten zur kompletten Digitalisierung hin, das heißt, im Moment sind schon viele Kinos digitalisiert, und im Laufe des nächsten Jahres wird eigentlich der größte Teil des Kinomarktes auch dann umgerüstet sein.
Wuttke: Was heißt das denn ganz praktisch? Wie kommt der Film ins Kino und im Kino auf die Leinwand?
Kühn: Ja, das wird nicht mehr mit den großen Kartons passieren, mit denen das früher passierte, wo dann die großen Filmrollen in die Kinos geliefert werden, sondern es werden nur noch Festplatten geliefert. Computerfestplatten, mit denen der Kinobetreiber dann seine Computer aufrüstet, sprich, er lädt diese Dateien dann hoch, hat die dann auf seinem Computer und kann sie dann mit einem Knopfdruck abspielen über Videobeamer.
Wuttke: Und was kostet das Ganze? Und wen, vor allen Dingen?
Kühn: Diese Umrüstung der Kinos von den 35-Millimeter-Projektoren auf die digitalen Formate kostet viel Geld. Das kostet ungefähr 80.000 Euro pro Leinwand. Das heißt, wenn man ein Kino mit zehn Sälen hat, sind das 800.000 Euro. Bezahlt wird das aus ganz verschiedenen Töpfen. Da hat es verschiedene Finanzierungsmodelle gegeben, an denen dann die Filmförderungsanstalt beteiligt ist, die regionalen Filmförderer. Aber auch die Branche selbst, also die Kinos und die Verleiher müssen ihren Teil zur Finanzierung beitragen.
Wuttke: Wie bewerten Sie denn diese Gemengelage? Als ganz plumpes Beispiel: Wie verhandelt ein Blockbuster-Produzent mit einem Cineplex-Betreiber?
Kühn: Na ja, da verhandelt dann ja später der Verleiher, also derjenige, der den Film dann ins Kino bringt. Und der muss dann mit den Kinos aushandeln, in wie vielen Kinos wird der Film gezeigt werden in Deutschland. Und dann auch, zu welchen Uhrzeiten und wie oft wird er am Tag gezeigt. Und all dies ist dann hinterher auch ausschlaggebend dafür, wie hoch dann auch der Beteiligungsbeitrag der Verleiher daran ist, an der Digitalisierung. Da sind also jetzt bestimmte Margen festgelegt worden, bestimmte Quoten, und dafür muss dann der Verleiher auch Geld bezahlen.
Wuttke: Und wie wuppen Sie das?
Kühn: Als Verleiher ist das eine Sache, der wir sehr zwiespältig gegenüberstehen, denn das ganze Modell ist jetzt installiert worden, um die erste Digitalisierung zu bezahlen. Wir fürchten aber, dass das nicht dabei bleiben wird. Wir fürchten, dass es dann irgendwann doch spürbar wird, dass bei digitalen Kinos die Kosten für die weitere technische Modernisierung und auch für die Aufrechterhaltung des Status quo, also sprich der Geräte, der Erneuerung der Geräte sehr, sehr hoch sein wird auf Dauer. Und nicht nur jetzt einmalig, um die Kinos umzurüsten, so dass wir befürchten, dass diese Beteiligung, diese Kostenbeteiligung auf Dauer bleiben wird.
Wuttke: Wie ist das denn überhaupt auch mit den Kosten und mit den Konditionen und natürlich vor allen Dingen, mal aus der Perspektive des Zuschauers, der Zuschauerin gefragt, mit der Auswahl der Filme? Welcher Verhandlungsspielraum steht Ihnen da zur Verfügung, beziehungsweise welche Kröten müssen Sie schlucken?
Kühn: Jetzt aus Kinosicht gesprochen, haben wir natürlich durch die Digitalisierung eine viel größere Auswahl an Filmen zur Verfügung, denn die Verleiher sind nicht mehr dadurch gebunden, dass sie nur eine bestimmte Anzahl von Kopien machen können. Sie können also viel mehr Kopien machen. Die Gefahr allerdings dabei ist, dass sich dann bei einem Angebot von, sagen wir einmal, 15 Filmen, die in einer Woche starten, die meisten Kinos dann auf ein oder zwei Filme stürzen werden, die vermeintlich publikumsträchtig sind, und bei den anderen Filmen dann sagen, ach, die spiele ich lieber nicht, das Risiko ist mir zu hoch – und dann fallen die hintenüber. Also die Gefahr sehen wir für die Zukunft auch, dass sich da das immer mehr konzentrieren wird auf vermeintlich publikumsträchtige Filme.
Wuttke: Das heißt, auch kleine Kinos mit einem Arthouse-Angebot haben das Nachsehen. Wieder einmal.
Kühn: Die Kinos haben nicht unbedingt das Nachsehen. Eher haben die Filme vor allem das Nachsehen. Denn die sind ja dann … da sind ja dann viele, die hintenüber fallen und auch nur vielleicht kurz gezeigt werden, nicht mehr lange gespielt werden. Also da fürchten wir vor allem, dass der Wechsel in den Programmen viel, viel schneller geht, dass man sagt, wir probieren diese Woche diesen Film aus. Wenn es nicht geht, nehmen wir einen anderen. Und dass der Zuschauer gar nicht mehr die Chance hat, auch über Mundpropaganda zum Beispiel Filme empfohlen zu bekommen und dann in der zweiten, dritten, vierten Woche noch in den Film reinzugehen, sondern dann merkt, ach, jetzt ist der Film leider schon wieder weg. Und das ist natürlich ein Frustrationspotenzial, da haben wir also große Bedenken.
Wuttke: Das heißt, Digitalisierung ist, im Ungefähren zumindest, gleichzusetzen mit Mainstream?
Kühn: Mit einer Beschleunigung, würde ich vor allem sagen. Mit einer Beschleunigung und einer steigenden Anzahl an Filmen, die in die Kinos kommen werden. Und damit aber auch mit einem Verlust von Qualitäten, die wir für wichtig befinden, denn wenn man jetzt sieht, wer im deutschen Film, im Europäischen Filmpreis jetzt nominiert ist – Filmemacher wie Michael Haneke zum Beispiel –, der hat über lange, lange Jahre auch mit ganz kleinen Filmen leben müssen, die wenig Beachtung fanden, die nur in kleinen Programmkinos liefen, die aber vor allem auch über Jahre immer wieder gezeigt wurden. Das heißt, die in Filmreihen gezeigt wurden, die irgendwie in Filmkunsttagen gezeigt wurden. Und wir fürchten, dass diese Art von Einsätzen verschwinden wird. Was aber dann vielen Filmemachern irgendwie die Möglichkeit einer Entwicklung auch nimmt.
Wuttke: Das heißt also, der Kosmos der Geschichten, die das Kino erzählt, wird uns durch Digitalisierung, um es mal ganz scharf zu formulieren, erklärt, als sei die Erde eine Scheibe?
Kühn: Ja, gut, das kann man so sagen – eine Disc, genau.
Wuttke: Das heißt, wenn Sie heute Abend verfolgen werden, wer den Europäischen Filmpreis bekommt, dann könnte das – Sie haben ja gesagt, die Digitalisierung ist in der letzten Phase – heißen, schon im nächsten Jahr ist Schluss mit lustig?
Kühn: Na ja, Schluss nicht, aber das Angebot wird vielleicht schmaler werden. Und ich glaube auch nicht, dass das direkt in einem, im nächsten Jahr spürbar wird. Ich glaube, das wird eine Entwicklung sein, die eher über die nächsten zwei, drei, vier Jahre zu beobachten sein wird. Und dass wir da dann möglicherweise merken, dass die Digitalisierung neben den Vorteilen, von denen immer geredet wurde, auch durchaus Nachteile haben wird auf die Bandbreite des Angebotes im Kino. Das bleibt abzuwarten, aber das ist eine Befürchtung von uns.
Wuttke: Sagt Joachim Kühn im Interview von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen, wünsche Ihnen natürlich für die Zukunft toi, toi, toi und ein schönes Wochenende.
Kühn: Ja, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.