Frühling für Stalin
Ende 1939 ist Polen von deutschen Truppen überrollt und der junge Warschauer Schriftsteller Gustaw Herling wird bei dem Versuch, das besetzte Land über Litauen zu verlassen, um sich der polnischen Exilarmee in Paris anzuschließen, vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und wegen der Namensähnlichkeit mit dem Naziführer Herrmann Göring als Spion zu fünf Jahren Zwangsarbeit in dem am Polarkreis liegenden Lager Jercewo verurteilt.
Gustaw Herling sieht sich einer Steigerung des Unerträglichen ausgesetzt, indem er den Gulag als unentrinnbar erlebt. Nachdem ihn der Moloch unvermittelt ausspeit, tritt der Entlassene nach einem mehrtägigen Transport in einem Viehwaggon Anfang Januar 1941 vor den Bahnhof von Swerdlowsk und stellt fest, dass die Menschen, mit denen er ins Gespräch zu kommen sucht, ausnahmslos von jenem "permanenten Zittern der Persönlichkeit" befallen sind, dass er an sich und seinen Leidensgenossen im Lager registrierte. Es gibt kein Vorher, es gibt kein Nachher, es gibt kein Drinnen und es gibt kein Draußen. Nunc stans: Der stehende Augenblick, in dem die generalisierte Paranoia in jede Pore des Menschen, in jeden Winkel der Gesellschaft eindringt, ein Wahn, der nach Herling auf dem Grundsatz beruht, "dass sich alles als verdächtig erweisen könnte, weil niemand weiß, was wirklich verdächtig ist."
Der Westen hat sich nach der Implosion des roten Imperiums im Jahr 1989 darauf geeinigt, die 20 Millionen Angehörigen der sowjetischen Völkerfamilie, die im Verlauf von siebzig Jahren ihrer gesetzmäßigen Beglückung durch den historischen Materialismus zum Opfer fielen, einem abgeschlossenen Kapitel der Geschichte zuzuordnen. Dass sich die Deutschen in dieser von Sorglosigkeit und Nachsicht geprägten Haltung gegenüber dem in der Oberbekleidung gefärbten Demokraten Wladimir Putin von keinem überbieten lassen, hat wohl weniger politische als private Gründe. Wer will es dem Bundeskanzler verübeln, dass seine unerschütterliche Sympathie von der Erleichterung beflügelt wird, nach Jahren der demenz- und alkoholbedingten Ausfallerscheinungen endlich wieder mit einem gewählten Repräsentanten der russischen Gesellschaft an einem Tisch zu sitzen, der nicht nur stocknüchtern ist, sondern über einen Kenntnisstand unserer Muttersprache verfügt, der jeden Abiturienten vor Neid erblassen lässt. So spricht man deutsch, fällt sich um den Hals und krönt die Männerfreundschaft mit strategischen Partnerschaften. Außerhalb dieser entente cordiale wird allerdings von weniger feinsinnigen Akteuren der russischen Politik eine Sprache gesprochen, die keinen Zweifel an der Kontinuität des stalinistischen Menschenbildes und dem Fortbestand der Utopie der Säuberung zulässt: "Damit Russland nicht im Chaos versinkt," lässt der designierte Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB und Putin-Freund aus Leningrader KGB-Tagen, Wiktor Tscherkessow, verlauten, "braucht das Land in der Epoche des unterentwickelten Kapitalismus eine ständige Selbstreinigung von antigesellschaftlichen Viren".
Begleitet wird diese historisch bewährte Methode der 'Schädlingsbekämpfung' von der symbolischen Auferstehung des großen vaterländischen Erlösers. Im südwestsibirischen Ischim wird die 1990 abmontierte Stalin-Büste wieder aufgestellt, die Hauptstadt der Provinz Belgorod legt sich "im Interesse der ideologischen Balance" ein Stalin-Standbild zu und im Moskauer Siegespark soll anlässlich der Siegesfeiern zum 8. Mai ein neues Denkmal enthüllt werden, das den Diktator Seite an Seite mit Roosevelt und Churchill zeigt. Gerhard Schröder, so heißt es, hat die Einladung dankend angenommen.
Gustaw Herling, der Mitbegründer der polnischen Exilzeitschrift "Kultura", hat das linksliberale just milieu des freien Europa unablässig daran erinnert, den Stalinismus nicht als eine starre, im Orkus der Geschichte verschwundene Doktrin zu verharmlosen, sondern als ein lebendiges Unterdrückungssystem zu begreifen, eine perfekt getarnte kriminelle Methode des Machterhalts und ein anhaltend wirksames Instrument der Deformation der Gesellschaft und der moralischen Abstumpfung ihrer Mitglieder. Kein Vorher. Kein Nachher. Die letzte Eintragung in Gustaw Herlings "Tagebuch bei Nacht geschrieben" aus dem Jahr 2000 ist eine verzweifelte Frage: "Was soll angesichts der Fortdauer der Barbarei aus einem morschen, ängstlich zitternden Europa werden, das jedes Schamgefühl verloren hat?"
Der Westen hat sich nach der Implosion des roten Imperiums im Jahr 1989 darauf geeinigt, die 20 Millionen Angehörigen der sowjetischen Völkerfamilie, die im Verlauf von siebzig Jahren ihrer gesetzmäßigen Beglückung durch den historischen Materialismus zum Opfer fielen, einem abgeschlossenen Kapitel der Geschichte zuzuordnen. Dass sich die Deutschen in dieser von Sorglosigkeit und Nachsicht geprägten Haltung gegenüber dem in der Oberbekleidung gefärbten Demokraten Wladimir Putin von keinem überbieten lassen, hat wohl weniger politische als private Gründe. Wer will es dem Bundeskanzler verübeln, dass seine unerschütterliche Sympathie von der Erleichterung beflügelt wird, nach Jahren der demenz- und alkoholbedingten Ausfallerscheinungen endlich wieder mit einem gewählten Repräsentanten der russischen Gesellschaft an einem Tisch zu sitzen, der nicht nur stocknüchtern ist, sondern über einen Kenntnisstand unserer Muttersprache verfügt, der jeden Abiturienten vor Neid erblassen lässt. So spricht man deutsch, fällt sich um den Hals und krönt die Männerfreundschaft mit strategischen Partnerschaften. Außerhalb dieser entente cordiale wird allerdings von weniger feinsinnigen Akteuren der russischen Politik eine Sprache gesprochen, die keinen Zweifel an der Kontinuität des stalinistischen Menschenbildes und dem Fortbestand der Utopie der Säuberung zulässt: "Damit Russland nicht im Chaos versinkt," lässt der designierte Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB und Putin-Freund aus Leningrader KGB-Tagen, Wiktor Tscherkessow, verlauten, "braucht das Land in der Epoche des unterentwickelten Kapitalismus eine ständige Selbstreinigung von antigesellschaftlichen Viren".
Begleitet wird diese historisch bewährte Methode der 'Schädlingsbekämpfung' von der symbolischen Auferstehung des großen vaterländischen Erlösers. Im südwestsibirischen Ischim wird die 1990 abmontierte Stalin-Büste wieder aufgestellt, die Hauptstadt der Provinz Belgorod legt sich "im Interesse der ideologischen Balance" ein Stalin-Standbild zu und im Moskauer Siegespark soll anlässlich der Siegesfeiern zum 8. Mai ein neues Denkmal enthüllt werden, das den Diktator Seite an Seite mit Roosevelt und Churchill zeigt. Gerhard Schröder, so heißt es, hat die Einladung dankend angenommen.
Gustaw Herling, der Mitbegründer der polnischen Exilzeitschrift "Kultura", hat das linksliberale just milieu des freien Europa unablässig daran erinnert, den Stalinismus nicht als eine starre, im Orkus der Geschichte verschwundene Doktrin zu verharmlosen, sondern als ein lebendiges Unterdrückungssystem zu begreifen, eine perfekt getarnte kriminelle Methode des Machterhalts und ein anhaltend wirksames Instrument der Deformation der Gesellschaft und der moralischen Abstumpfung ihrer Mitglieder. Kein Vorher. Kein Nachher. Die letzte Eintragung in Gustaw Herlings "Tagebuch bei Nacht geschrieben" aus dem Jahr 2000 ist eine verzweifelte Frage: "Was soll angesichts der Fortdauer der Barbarei aus einem morschen, ängstlich zitternden Europa werden, das jedes Schamgefühl verloren hat?"