Frühjahrsdiäten auf dem Prüfstand

Von Udo Pollmer · 20.01.2013
Kaum gewinnt das Jahr an Schwung, lugen die recycelten Modediäten der letzten Jahre als bizarre Frühlingsboten aus den Illustrierten hervor. Dann wird die Nation wieder kollektiv Kalorien zählen und bußfertig Ballaststoffpillen einwerfen.
Für alle, die immer noch glauben, mit mehr Ballast besser abnehmen zu können, sei an eine Studie des Deutschen Institutes für Ernährungsforschung in Potsdam erinnert: Das Institut will herausgefunden haben, dass Ballaststoffe nicht schlanker machen, sondern dicker - und präsentierte als Beweis ein paar mopsige Mäuse. Dafür hätte man allerdings keine Nager mit Ballaststoffen quälen müssen - es gibt doch genügend moppelige Zweibeiner, die verbissen versucht haben, damit wieder eine schlanke Mausi zu werden.

Schon der Begriff Ballaststoffe ist Unsinn - einfach weil es auf dieser Welt verdammt viele, ganz unterschiedliche und für uns Menschen schwer verdauliche Stoffe gibt. Das führte zu einem Wirrwarr von Definitionen. Analytisch ist das eh nicht greifbar und deshalb sind die Werte in den Nährwerttabellen bestenfalls schlechte Spekulationen.

Zudem: Jeder Stoff wirkt anders. Pflanzenfasern sind beispielsweise Träger von giftigen Begleitstoffen. Will eine Pflanze Pestizide unschädlich machen, bindet sie diese an ihre Stützsubstanz. Solche Mechanismen könnten erklären, warum faserreiche Kost den Reizdarm begünstigt - in diesem Falle hilft nur noch ein konsequenter Verzicht.

Bei Ballaststoffen tierischer Herkunft sind solche Probleme unbekannt. Natürlich enthalten auch Tiere schwer verdauliche Stützsubstanzen wie Sehnen oder Knorpel. Früher sorgte das bei der Wurst regelmäßig für Aufregung - zu wenig schieres Fleisch, dafür aber reichlich Bindegewebe, fein durchgewolft.

Die Lehrbücher schrieben damals: "Die tierischen Gerüstproteine sind proteolytischen Enzymen (also Verdauungsenzymen U.P.) gegenüber weitgehend unangreifbar. Sie gehören deshalb zu den Ballaststoffen." Heute scheint das alles vergessen. Fleisch und Wurst gelten als "ungesund", weil sie angeblich keine Ballaststoffe enthalten. In den Nährwerttabellen fehlen die Daten. Der Begriff "tierische Ballaststoffe" wird nur noch bei Katzen akzeptiert, die eine Maus samt Fell verspeisen.

Genau andersherum verhält es sich mit dem Eiweißgehalt. Um nährwertarmes Gemüse und Obst in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, werden alle möglichen Stickstoffverbindungen, ja selbst das Nitrat, in Eiweiß umgerechnet. Das ist zwar vollkommen absurd, erlaubt aber einen viel höheren Eiweißgehalt anzugeben, als tatsächlich drin ist. So entstehen auf dem Papier vegetarische Abspeckdiäten, die angeblich so viel Eiweiß enthalten, wie der Körper braucht.

Wer seinen Speiseplan per Nährwerttabelle zusammenstellt, greift auch bei den Vitaminen in den Syphon: nicht nur weil die Vitaminanalytik voller Tücken steckt, sondern auch, weil unpassende Messwerte unterschlagen werden. So im Falle von Vitamin C, dem Vitamin mit dem größten Symbolwert. Da werden die Gehalte bei Obst und Gemüse nach oben manipuliert, dafür fehlen in den Tabellen die Vitamin C-Gehalte von Wurstwaren. In gepökelter Ware, also in roten Würsten, Schinken und Kassler ist oftmals mehr Vitamin C enthalten als in Südfrüchten.

Natürlich gibt es in den Tabellen auch Daten die stimmen. Aber das will nichts heißen: Denn es macht einen großen Unterschied, ob wir die Stoffe im Labor messen oder ob wir sie als Lebensmittel verspeisen. Der Verdauungsvorgang verläuft ganz anderes als eine Laboranalyse. Beispielsweise Mineralstoffe können so fest an pflanzliche Ballaststoffe gebunden sein, dass sie unser Körper überhaupt nicht verwerten kann - dann nützen auch Lebensmittel, die besonders reich an irgendetwas sind, rein gar nichts.

Lassen Sie sich das neue Jahr doch nicht durch Nährwertrechner und Diäten verderben. Niemand, der sich mit Lebensmitteln und Verdauung auskennt, käme auf die aberwitzige Idee, seinen Speiseplan oder den seiner Mitmenschen nach Nährwerttabellen zusammenzustellen. Da ist ein traditionelles Kochbuch ein weit besserer Ratgeber. Mahlzeit!

Literatur
- Anon: Mit Ballaststoffen furzeln die Pfunde. T-Online 28.12.2012
- Olias, G.: Lösliche Ballaststoffe machen Mäuse dick. Idw-Pressemitteilung vom 13. 7. 2009
- Isken, F. et al: Effects of long-term soluble vs. insoluble dietary fiber intake on high-fat diet-induced obesity in C57BL/6J mice. Journal of Nutritional Biochemistry 2010; 21: 278-284
- Brett. C., Waldron, K.: Physiology and Biochemistry of Plant Cell Walls. Chapman & Hall, London 1996
- Spiller, G.A.: CRC Handbook of Dietary Fiber in Human Nutrition. CRC Press, Boca Raton 1993
- Johnson, I.T., Southgate DAT: Dietary Fibre and Related Substances. Chapman & Hall, London 1994
- Glatzel, H.: Die Ernährung in der technischen Welt. Hippokrates, Stuttgart 1970
- Pollmer, U.: Wer hat das Rind zur Sau gemacht? Rororo, Reinbek 2012: S.74-94
- Loewit, K.: Über die ernährungsphysiologische Bedeutung des Bindegewebes. Zeitschrift für Lebensmittel-Untersuchung und -Forschung 1970; 143: 5-10
- Nagy, T.: Nährwerttabellen: Ab ins Kaminfeuer! Eulenspiegel 2008; H.1: 3-16
- Schuphan, W.: Mensch und Nahrungspflanze. Junk, Den Haag 1976
- Schwerdtfeger, E., Schuphan, W.: Eiweiß und Aminosäuren in Nahrungspflanzen. Qualitas Plantarum 1976; 26: 29-70
- Hansen, H.: The content of nitrate and protein in lettuce (Lactuca sativa var. capita (butterhead salad)) grown under different conditions. Qualitas Plantarum 1978; 28: 11-17
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