Fröhliche Wissenschaftsschule

Er gehört zu jenen lustigen slowenischen Philosophen wie sein bekannter Kollege Slavoj Zizek. Mladen Dolar ist mindestens so intelligent und belesen wie er. In seinem Essayband geht es allerdings nicht um das, was man allgemein unter Stimme versteht, sondern im Gegenteil um das "Andere des Logischen", die "tonlose Stimme" des gänzlich Unverfügbaren.
Mladen Dolar ist einer jener lustigen slowenischen Philosophen, deren bekanntester, Slavoj Zizek, mit seinen irrlichternden Thesen zu Freud, Lenin und David Lynch vielmalig die Feuilletons belebt und die fromm postmodernen philosophischen Nachttische mit aktuellen Schmökern bestückt. Mladen Dolar ist mindestens so intelligent wie Zizek und ebenso belesen. Seine Interessen sind auch etwas weniger prätentiös.

Revolutionäres interessiert ihn weniger als Zizek – der Kanon jedoch ist fast deckungsgleich: Bibel, Kafka, Benjamin, Agamben usw.
Das ist nicht herablassend gemeint! Die Texte dieser fröhlichen Wissenschaftsschule sind ausgesprochen anregend und meist pointiert und wohlformuliert.
Nur muss der philosophisch interessierte Leser eines wissen: Wenn der Untertitel des neuen Buches, vielmehr der Aufsatzsammlung, "Eine Theorie der Stimme" lautet, dann hat er selbstverständlich weder Theorie noch etwas zur Stimme zu erwarten: Es handelt sich nicht um Theorie, weil auf Argumentation und Logik verzichtet wird – sie steht unter Totalitarismusverdacht. Und es geht nicht um das, was Sie und ich als Stimme verstehen, sondern um das schlechthin "Andere des Logischen", die "tonlose Stimme" des gänzlich Unverfügbaren. Das Ganze ist also eine essayistische Mystik – diesen Vorwurf würden Dolar ebenso wie Zizek wahrscheinlich gelten lassen –, und wer das mag, ist mit dem 260-Seiten-Buch bestens bedient.

Das liest sich so: (Es geht um die transzendenzlose Immanenz des Gesetzes bei Kafka...)

"(Sie vermeidet die Paradoxie), wie inmitten der Immanenz Transzendenz entsteht, oder vielmehr die Paradoxie der Art und Weise, wie sich die Immanenz ständig verdoppelt und selbst überschneidet. Oder um es anders zu sagen: Vielleicht gibt es kein Drinnen, vielleicht gibt es kein Draußen, aber das Problem der Überschneidung bleibt."

Das ist philosophisch-mystische Prosa von ab und zu eindringlicher Leichtigkeit – eine Eigenschaft, die der Mystik bisweilen abgeht.

Axiom für Dolar ist vielleicht der Satz: "Ein kleiner Schritt nur trennt die Linguistik von der Theologie." Wir wissen, dass die Postmoderne eine Obsession mit der Linguistik hatte. Die Nominalismus-Positivismus-Debatte zu Anfang der 20. Jahrhunderts hat die Analytische Philosophie hervorgebracht und die Postmoderne maßgeblich beeinflusst. Dolar nimmt auch auf die berühmte Debatte zwischen Jacques Derrida und dem Sprechakttheoretiker John Searle in den Achtzigerjahren Bezug. Aber Neues, ist man einmal streng, hat er nicht mitzuteilen – er findet nur neue Formulierungen für altbekannte Probleme und ihre Lösungsversuche.

Das Problem:

"Der Gründungsakt der Phonologie bestand also in der vollständigen Ausklammerung der Stimme als Substanz der Sprache."

Tja, bedauerlich, da hat man also mal wieder eine Substanz vergessen, will man schon melancholisch zustimmen – da fällt einem ein: Die Substantialität der Logik, der Stimme, oder auch andersherum: die Nicht-Substantialität ist ein uraltes und viel und subtil behandeltes Problem der Philosophie. Die Tradition geht von der Thora und Platon über Johannes, die Spätantiken, die Nominalismusstreiter in der Scholastik über die Idealisten bis zu Nietzsche und Wittgenstein. Und irgendwann – so gegen Ende des 18. Jahrhunderts – kam man überein, den Substanzbegriff zu relativieren. Warum sollte man also mit einem postmodernen Spaßmacher hinter den Stand der Debatte zurückfallen? Andererseits: Das Buch macht bisweilen Spaß und erinnert einen an alte Probleme... Das ist doch was!

Rezensiert von Marius Meller

Mladen Dolar: His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme.
Übersetzt von Michael Adrian und Bettina Engels
Frankfurt am Main 2007. 259 Seiten, 24,80 Euro.