"Fröhlich soll mein Herzen springen"

Von Thomas Kroll · 01.12.2007
Er gilt als bekanntester protestantischer Liederdichter nach Martin Luther. Generationen von Christen haben seine Texte gelesen, gebetet und gesungen: Paul Gerhardt. Der zeitweilige Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche dichtete bis zu seinem Tode im Jahre 1676 rund 130 Lieder, darunter auch einige für die Weihnachtszeit.
"Fröhlich soll mein Herze springen
Dieser Zeit,
Da vor Freude
Alle Engel singen"

Ein Weihnachtslied ist das, ziemlich ungewöhnlich, aber ein Weihnachtslied. Mit heiter hüpfendem Rhythmus gewinnt die Botschaft der Weihnacht einen kraftvollen, freudigen Ausdruck. Paul Gerhardt hat für die Weitergabe der Weihnachtsfreude 1651 eigens eine neue Strophenform geschaffen. Und Johann Crüger, der etliche Texte des Liederdichters vertont hat, setzt das Springen musikalisch um. Seine rhetorisch gebaute Melodie stoppt, hebt ab - und läuft aus.

"Hört, hört, wie mit vollen Chören
Alle Luft
Laute ruft:
Christus ist geboren"

Mit "Fröhlich soll mein Herze springen" zeichnet Paul Gerhardt die Weihnachtsbotschaft auf subjektive Weise nach. Der Text berichtet nicht, sondern lebt von persönlicher Ergriffenheit und lädt ein, am Geschehen Anteil zu nehmen.

Beim Aufbau des Liedes hält sich der orthodox-lutherische Theologe an das damals übliche Predigtschema. Nach der einleitenden Strophe wird in der zweiten die Weihnachtsbotschaft präzisiert: "Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute." Die weiteren Strophen dienen der Auslegung und der Anwendung: Wer sich innerlich nach Bethlehem aufmacht, schaut den Stern und findet Heil. Im finalen Gebet wird der Treueschwur zu Christus bekräftigt und auf die Ewigkeit ausgeweitet. Dann ist der Glaubende nahe bei Gott, singt und schwebt wie die Engel "voller Freud ohne Zeit".

"Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu, Du mein Leben,
Ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben"

Ein weihnachtliches Andachts und Anbetungslied voller Hingabe und Zärtlichkeit! "Selten", so formuliert der Berliner Bischof Wolfgang Huber, "wurde eindringlicher besungen, was es heißt, vor der Krippe Jesu zu stehen".

"Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und lass dir’s wohlgefallen"

Das ist ein Liebesgedicht als Gebet, das sich ganz und gar auf das göttliche Kind in der Krippe konzentriert. Statt Jauchzen und Springen gewinnen stille Freude und ergriffenes Staunen weiten Raum.

Paul Gerhardts Lied gleicht einer Bildmeditation, bei der die Kamera nach und nach einzelne Bildpartien fokussiert, Details behutsam abtastet - und sich viel Zeit lässt. "Vergönne mir, o Jesulein, dass ich Dein Mündlein küsse", heißt es in einer Strophe. Und nachdem auch "die Händlein" betrachtet wurden, kommen schließlich noch "die Äuglein" in den Blick.

All das mag in heutigen Ohren kitschig klingen. Daher hat man im evangelischen Gesangbuch sechs der fünfzehn Strophen gestrichen und manche Textpassagen modernisiert.

Johann Sebastian Bach verwendet Paul Gerhardts Text in der sechsten Kantate seines Weihnachtsoratoriums und greift dabei auf eine ältere Melodie zurück:

"Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesulein, mein Leben"

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schreibt Advent 1943 in der Haftanstalt Berlin-Tegel:

"Außerdem habe ich zum ersten Mal in diesen Tagen das Lied 'Ich steh an Deiner Krippe hier' für mich entdeckt. Ich hatte mir bisher nicht viel daraus gemacht. Man muss wohl lange allein sein und es meditierend lesen, um es aufnehmen zu können. Ein klein wenig mönchisch-mystisch ist es, aber doch gerade nur so viel, wie es berechtigt ist. Es gibt eben neben dem Wir doch auch ein Ich und Christus, und was das bedeutet, kann gar nicht besser gesagt werden als in diesem Lied."

Zur Zeit seiner Entstehung war der angestammte Ort des Liedes nicht der öffentliche Gottesdienst, vielmehr die häusliche Andacht oder - wie bei Bonhoeffer - die persönliche Meditation eines einzelnen.

Für Paul Gerhardt und seine Zeitgenossen sind derlei Lieder Ausdruck eines neuen Ich-Bewusstseins. Über das Denkvermögen hinaus wird das neuzeitliche Ich seiner Gemüts- und Seelenkräfte inne. So kann es sich mit der neubelebten Tradition mystischer Frömmigkeit ebenso verbinden wie "mit der reformatorischen Betonung der biblischen Tradition und der persönlichen Heilsgewissheit".

Daher heißt es gegen Ende des Liedes:

"So lass mich doch dein Kripplein sein:
Komm, komm und lege bei mir ein
Dich und all deine Freuden"