Fröhlich-frivoles Detektivspiel
Der Buchtitel "Scheinbildung" lässt einen mehr oder weniger sinnvollen Beitrag zur erweiterten PISA-Debatte erwarten. Doch weit gefehlt. Die Autoren des Buches sind zwei Engländer, die sich verantwortlich zeigen für die BBC-Quiz-Show "Quite Interesting". In ihrem kurzweilig zu lesenden Buch hinterfragen sie unsere schnellen Antworten auf die fast alltäglichen Fragen des Lebens.
Folgt man Wikipedia, bezeichnet Bildung "die Formung des Menschen in Hinsicht auf sein 'Menschsein'". Wenn Bildung heute trotzdem mit Wissen oder Faktenwissen in einen Topf geworfen wird, entfällt die ursprünglich großartige Bedeutungsdimension … und man bewegt sich auf der Ebene von Lloyd und Mitchinson, die tatsächlich weniger Scheinbildung, sondern eher populäre Irrtümer und Wissenslücken aufspießen. Der englische Originaltitel ihres Buches - The Book of General Ignorance - ist frei von deutschem Bildungsballast.
Die Autoren arbeiten einerseits gegen sprachlich-gedankliche Klischees an, indem sie zum Beispiel die Frage "Wie viele Sinne hat der Mensch?" mit "mindestens neun" beantworten und über Temperatursinn, Gleichgewichtssinn, Schmerzwahrnehmung und Körperbewusstsein referieren.
Andererseits sind die Autoren begierig auf Lustiges, Bizarres und Groteskes. Deshalb wollen sie wissen, ob Menschen statistisch eher vom Blitz oder vom Asteroiden getötet werden. Oder sie fragen: "Wie viele Augen hat die Augenlose Großaugenwolfsspinne?" Jede neue Frage - stets in Rot gedruckt - löst den trivialen Reiz nach Beantwortung aus. Im besten Fall gerät man ins Staunen.
Zur Unterhaltung tragen auch eingestreute Spruch-Weisheiten bei. "Eines Tages wird es in jeder größeren Stadt der USA ein Telefon geben" hat Alexander Graham Bell gesagt. Konrad Lorenz meinte: "Das lange gesuchte Zwischenglied zwischen dem Tier und dem wahrhaft humanen Menschen - sind wir!". Und dergleichen mehr.
Der Zusammenhang mit dem Thema? Es gibt keinen Zusammenhang. Aber es gibt auch kein Thema. Scheinbildung ist das Werk zweier Komödianten, die mit Thomas Edison - "dem Mann, der die Glühbirne nicht erfunden hat" - die Überzeugung teilen: "Wir wissen nicht einmal ein Millionstel Prozent wovon auch immer."
John Lloyd gibt im Einband-Text von sich preis, dass er in einem Pub in Cambridge für die BBC angeworben wurde. John Mitchinson hebt hervor, dass er sich "im selben Pub wie John Lloyd" betrinkt. Der Leser macht einigesrichtig, wenn er mit Scheinbildung ein, zwei Flaschen Wein zu sich nimmt. Das Anekdotisch-Kuriose schimmert dann manchmal wirklich wie Bildung.
Der systematische Ertrag - um den es Lloyd und Mitchinson beileibe nicht geht - ist null. Was vor allem daran liegt, dass die Autoren verschweigen, aus welchen Quellen sich ihre Dekonstruktion der Irrtümer speist. Hier und da werden Buchtitel oder Web-Sites angegeben, nachvollziehbar wird die Beweisführung selten.
Die Neugierde, die John und Mitchinson für sich in Anspruch nehmen, feiert in Scheinbildung ihren Triumph nicht als die alte Curiositas, die der Wissenschaft den Weg ebnete, sondern als fröhlich-frivoles Detektivspiel. Für nachweihnachtliche Liegetage auf der Couch ist das preiswerte Buch allemal zu empfehlen.
Rezensiert von Arno Orzessek
John Lloyd (u.a.): Scheinbildung. Was an unserem Wissen alles falsch ist
Aus dem Englischen von Ralf Pannowitsch,
Piper Verlag, München/Zürich 2008,
366 Seiten, 16,90 Euro
Die Autoren arbeiten einerseits gegen sprachlich-gedankliche Klischees an, indem sie zum Beispiel die Frage "Wie viele Sinne hat der Mensch?" mit "mindestens neun" beantworten und über Temperatursinn, Gleichgewichtssinn, Schmerzwahrnehmung und Körperbewusstsein referieren.
Andererseits sind die Autoren begierig auf Lustiges, Bizarres und Groteskes. Deshalb wollen sie wissen, ob Menschen statistisch eher vom Blitz oder vom Asteroiden getötet werden. Oder sie fragen: "Wie viele Augen hat die Augenlose Großaugenwolfsspinne?" Jede neue Frage - stets in Rot gedruckt - löst den trivialen Reiz nach Beantwortung aus. Im besten Fall gerät man ins Staunen.
Zur Unterhaltung tragen auch eingestreute Spruch-Weisheiten bei. "Eines Tages wird es in jeder größeren Stadt der USA ein Telefon geben" hat Alexander Graham Bell gesagt. Konrad Lorenz meinte: "Das lange gesuchte Zwischenglied zwischen dem Tier und dem wahrhaft humanen Menschen - sind wir!". Und dergleichen mehr.
Der Zusammenhang mit dem Thema? Es gibt keinen Zusammenhang. Aber es gibt auch kein Thema. Scheinbildung ist das Werk zweier Komödianten, die mit Thomas Edison - "dem Mann, der die Glühbirne nicht erfunden hat" - die Überzeugung teilen: "Wir wissen nicht einmal ein Millionstel Prozent wovon auch immer."
John Lloyd gibt im Einband-Text von sich preis, dass er in einem Pub in Cambridge für die BBC angeworben wurde. John Mitchinson hebt hervor, dass er sich "im selben Pub wie John Lloyd" betrinkt. Der Leser macht einigesrichtig, wenn er mit Scheinbildung ein, zwei Flaschen Wein zu sich nimmt. Das Anekdotisch-Kuriose schimmert dann manchmal wirklich wie Bildung.
Der systematische Ertrag - um den es Lloyd und Mitchinson beileibe nicht geht - ist null. Was vor allem daran liegt, dass die Autoren verschweigen, aus welchen Quellen sich ihre Dekonstruktion der Irrtümer speist. Hier und da werden Buchtitel oder Web-Sites angegeben, nachvollziehbar wird die Beweisführung selten.
Die Neugierde, die John und Mitchinson für sich in Anspruch nehmen, feiert in Scheinbildung ihren Triumph nicht als die alte Curiositas, die der Wissenschaft den Weg ebnete, sondern als fröhlich-frivoles Detektivspiel. Für nachweihnachtliche Liegetage auf der Couch ist das preiswerte Buch allemal zu empfehlen.
Rezensiert von Arno Orzessek
John Lloyd (u.a.): Scheinbildung. Was an unserem Wissen alles falsch ist
Aus dem Englischen von Ralf Pannowitsch,
Piper Verlag, München/Zürich 2008,
366 Seiten, 16,90 Euro