Friedrichstadt-Palast in Berlin

"Meisterwerk des gebauten Kitsches"

04:59 Minuten
Der Friedrichstadt-Palast in verschiedenen Farben angestrahlt, vor nachtblauem Himmel.
Der Friedrichstadt-Palast in Berlin-Mitte wurde unter Denkmalschutz gestellt, kann aber wegen Corona derzeit nicht spielen. © picture-alliance/Sulupress
Nikolaus Bernau im Gespräch mit Gesa Ufer  · 01.09.2020
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Der Berliner Friedrichstadt-Palast steht jetzt unter Denkmalschutz. Als krude Mischung von Jugendstil, Art Deco und klassischer Moderne charakterisiert ihn Architekturkritiker Nikolaus Bernau, und erklärt, warum ihn das Gebäude aus DDR-Zeiten begeistert.
Der Berliner Friedrichstadt-Palast steht jetzt unter Denkmalschutz. Wie die Kulturverwaltung und das Landesdenkmalamt ihm nun bescheinigten, stellt er als letzter Repräsentationsbau vor dem Mauerfall einen Höhe- und Endpunkt der Epoche der DDR-"Paläste" dar. Den Architekten sei es 1984 gelungen, ein künstlerisch einmaliges Gebäude mit hohem Wiedererkennungswert zu schaffen. Das Gebäude aus der DDR-Zeit wird derzeit renoviert, weil es unter Coronabedingungen nicht bespielt werden kann. Erst 2021 soll der Spielbetrieb wieder losgehen.

Kühl und modernistisch

"Es ist ein Meisterwerk des gebauten Kitsches", sagt Architekturkritiker Nikolaus Bernau über den Friedrichstadt-Palast. Das beziehe sich weniger auf die Betonkonstruktion des Baus. Aber wenn man sich das "grandiose Treppenhaus" anschaue, erinnere das an eine große Oper oder einen kaiserlichen Palast. Die beiden Treppenläufe, die einander gegenüberiegen, mit vielen Umgängen und sehr viel Teppich, würden zum großen Auftritt einladen, so Bernau. Ihn erinnere das an ein Konzertsaalfoyer in einer US-amerikanischen Mittelstadt um 1985, also die Zeit von Ronald Reagan.
Das Besondere am Friedrichstadt-Palast sei, dass er gar nicht mehr stalinistisch-national wirke, wie die großen Repräsentationsbauten der DDR. "Es ist nicht mehr kühl, modernistisch." Stattdessen sei es eine krude Mischung aus Jugendstil, Art Deco und klassischer Moderne. In die Außenwände habe man Glasreliefs eingelassen, die vor allem nachts ganz toll wirkten.
Das Gebäude sei für die sonst übliche Architektur der DDR sehr ungewöhnlich, so Bernau. Schon die "quietschlila Schriftzeile" auf dem Dach. "Das ist derartig schwul, das ist atemberaubend", zeigt sich der Architekturkritiker begeistert.

Lustig gemeinte Showarchitektur in der DDR

Die Architekten hätten sich von den strengen Vorschriften regelrecht befreit. "Sie haben gespielt und sie durften auch spielen." Es sei eine Showarchitektur gewesen, die auch lustig sein sollte. Die DDR-Architektur seit 1980 sei sehr viel verspielter als das, was man landläufig mit ihr verbinde - vor allem Plattenbau.
Plastikplanen sind über die Sitze im Zuschauersaal des Friedrichstadt-Palasts gezogen.
Wegen des Umbaus ist der Zuschauersaal unter Planen verborgen. Der Spielbetrieb öffnet erst 2021 wieder. © Photopress Müller/Ralf Müller
"Das Problem ist bei Kitsch generell, das ist immer definiert von denjenigen, die meinen, sie haben den guten Geschmack", sagt Bernau. Der Architekturhistoriker Heinrich Klotz habe schon 1977 in seinem irrwitzig komischen Buch "Die röhrenden Hirsche der Architektur" eine Definition gefunden. Danach sei Kitsch generell als Aufguss von Hochkulturelementen zu verstehen, denen man die eigentliche Bedeutung nehme. Als Beispiel nannte Bernau dorische Säulen aus reinem Plastik als Dekoration in einem griechischen Restaurant. "Das ist quasi lupenreiner Architekturkitsch."
Im Fall des Friedrichstadt-Palastes seien das Elemente, die beispielsweise aus der orientalischen Architektur, von Moscheen oder Palästen stammten. Sie würden dann für das Revuetheater ebenso umgesetzt wie ein gewisses Bild von Paris.
(gem)
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